Mittwoch, 6. Mai 2015

Marx, Nietzsche, Hitler

„Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.“ (Georg Trakl: Grodek)
Die drei einflussreichsten Deutschen der letzten hundert Jahre waren Karl Marx, Friedrich Nietzsche und Adolf Hitler. Sicherlich war ihr Einfluss auf die Geschichte nicht so, wie sie es selbst beabsichtigt hatten. Aber wir spüren ihre Wirkung noch in der Gegenwart.
Karl Marx hat bekanntlich den Marxismus, die Lehre vom Klassenkampf und dem zwangsläufigen Untergang des Kapitalismus, erfunden. Ohne ihn gäbe es keinen Lenin, keinen Stalin, keinen Mao e tutti quanti. Ohne die Teilung der Welt in sozialistische und kapitalistische Staaten hätte es keinen Kalten Krieg gegeben, der im Prinzip bis heute anhält.
Nietzsche erklärte uns, Gott sei tot, es gäbe keine Grundlage für Moral und damit auch keinen Grund für ethisches Verhalten, sondern nur den Willen zur Macht. Sein Nihilismus ist heute der Wesenskern unserer Gesellschaft, in der sich alles um sinnentleerten Konsum und egozentrische Selbstbefriedigung dreht, sein Atheismus ist unsere Philosophie. Drogen, Alkohol, Kriminalität, Pornographie, Trivialität, um nur einige Stichworte der modernen Welt zu nennen, kaputte Familien, Entfremdung, Einsamkeit, Langeweile und Depression.
Hitler befahl den Holocaust und warf damit den ersten Dominostein um. Ohne Holocaust kein Israel, ohne Israel kein Nahostkonflikt, ohne Nahostkonflikt kein arabischer Terrorismus, ohne arabischen Terrorismus kein elfter September, ohne elften September keine Kriege und Bürgerkriege in Afghanistan, Irak, Syrien usw.
Wollten Marx, Nietzsche und Hitler den Holodomor (Völkermord in der Ukraine 1932/33), die chinesische Kulturrevolution und die Killing Fields in Kambodscha, jüdischen Imperialismus, die Zerstörung von Bagdad und Damaskus, Crystal Meth und Heidi Klum? Natürlich nicht. Aber die Geschichte wird nicht von großen Ideen und Herrschern gemacht, sondern ist das Ergebnis von Chaos und Zufall. Sie ist ungesteuert und lässt sich erst im Rückblick begreifen.
Drei andere Deutsche, die in der Vergangenheit großen Einfluss hatten, sind hingegen vergessen: Immanuel Kant, Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Wilhelm von Humboldt. Kant hat im Zeitalter der Aufklärung, als die Moral nicht mehr aus der Religion extrahiert werden konnte, eine Ethik entwickelt, die auf Vernunft gegründet ist. Hegel hat postuliert, dass individuelle und gesellschaftliche Entwicklung zielgerichtet sind, dass die Zukunft nicht gottgegeben, sondern gestaltbar ist. Humboldt hat uns gezeigt, dass Bildung das Instrument dieser Entwicklung ist. Die Reise geht also gewissermaßen nach innen (während sein Bruder Alexander von Humboldt als Forschungsreisender die Gegenrichtung wählte). Genau das fehlt uns heute: Ethik, Ziele, Bildung.
Eines haben jedoch alle sechs gemeinsam: Sie können unserem Dasein keinen Sinn einhauchen. Hat unser Leben eine tiefere Bedeutung? Oder unterscheidet es sich im Wesentlichen nicht vom Leben einer Feldmaus oder einer Unke? Geburt und Tod, Essen und Trinken, Wachen und Ruhen, Kooperation und Konkurrenz, Krankheit und Gesundheit, Fortpflanzung, Schutz vor Feinden? War es das? Und wäre es nicht schön, wenn es im Verborgenen wenigstens einige überschaubare Sinnzusammenhänge gäbe? Ich sehe einen Schornsteinfeger und finde wenig später einen Euro auf der Straße. Eine schwarze Katze läuft über die Straße, und am nächsten Tag habe ich Zahnschmerzen. Ich bin nett zu einem Menschen in Duisburg, und ein anderer Mensch in Worms ist nett zu mir. Die Rehe in den Wäldern lassen sich von Veganern streicheln. Geschichte und Gegenwart sind das Ergebnis geheimnisvoller Absprachen dunkler Zirkel ("Die Weisen von Zion", "Die Bilderberger", "Die Geheimdienste" usw.) und alle Verschwörungstheoretiker haben Recht. Wäre es nicht wunderbar, wenn es ein unsichtbares Ganzes hinter der zersplitterten Realität unseres alltäglichen Lebens gäbe?
Aber es gibt keinen Sinn in unserem Leben, nur einen Riesenberg Zwecke, Gründe und Kausalketten. In der Vormoderne gaben die Religionen den Menschen einen Sinn – wenn auch auf Kindergartenniveau. Sei gut, dann kommst du ins Paradies, in den Himmel oder ins Nirwana. Wenn du böse bist, droht dir das Fegefeuer, die Hölle oder die Wiedergeburt als Feldmaus oder Unke. Befolge die zehn Gebote. Nicht neun, nicht elf. Denn zehn passen auf einen Bierdeckel. Der Religionsersatz der Moderne – Wissenschaft und Technik, Weltanschauung und Philosophie – bietet uns nicht den kostbaren Stoff, nach dem wir alle süchtig sind: Sinn, tiefere Bedeutung, irgendetwas, das über unser jämmerliches Leben und Sterben hinaus bleiben wird.
Die Gegenwart hat uns in dieser Hinsicht nichts zu bieten, und darum erhebt die Religion gerade wieder ihr hässliches Haupt. Es gibt keine Ideologie im 21. Jahrhundert, die so gefährlich ist wie das Christentum und der Islam. Und wir haben ihr nichts entgegenzusetzen, während wir infantilen Schwachköpfe mit unseren Smartphones, Joysticks und Fernbedienungen spielen.
David Bowie- Space Oddity. https://www.youtube.com/watch?v=D67kmFzSh_o

6 Kommentare:

  1. Well spoken, old man!

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  2. Ich frag mich immer, wie Du es schaffst jeden Tag solche Texte rauszuhauen. Wirklich Respekt für Deine Arbeit.

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    1. Danke. Ich mache aber auch nicht viel außer Lesen und Schreiben. Heute habe ich "Der Nachsommer" von Stifter angefangen.

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  3. ""Die Gegenwart hat uns in dieser Hinsicht nichts zu bieten, und darum erhebt die Religion gerade wieder ihr hässliches Haupt.""

    Europa ist die einzige Region in der Welt in der sekulare Haltungen zunehmen. Mit anderen Worten: Die Bindung des Einzelnen an Religion oder Kirche nimmt absolut gesehen in Europa ab. -
    In anderen Regionen der Welt - Lateinamerika, Nordamerika, Naher Osten sowieso, Asien und Russland -- nimmt die Religiösität zu.

    Und nun?

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