Donnerstag, 30. August 2018

Weimar II?

Wenn man sich die Forderungen der Rechten, der Wutbürger und dem ganzen braunen Sumpf im Osten, aber auch im Westen, anschaut, geht es nicht nur um Ausländerfeindlichkeit, sondern auch um den Kampf gegen die Eliten in Politik und Wirtschaft, gegen die systemtreuen Massenmedien und um soziale Ungleichheit.
Lässt man die Ausländerfeindlichkeit weg, sind es exakt die Dinge, um die es auch den Linken geht. Die Verteidiger des im Wortsinne herrschenden Systems geraten also von zwei Seiten unter Druck. Das war in Weimar auch so.
Sehen wir uns die Quantität der linken und rechten Kritiker an. 34 Prozent können sich vorstellen, die Bewegung „Aufstehen!“ zu wählen. AfD, CSU, NPD und andere Rechte (z.B. Nazis, die gar nicht wählen, weil sie gegen Demokratie sind) kommen zusammen sicher auch auf etwa ein Drittel der Bevölkerung. Eine weit verbreitete Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen ist also durchaus vorhanden.
Bei der letzten Reichstagswahl im November 1932 kam die NSDAP auf 33 Prozent der Stimmen, die KPD auf 17 Prozent. Die Zahl der Feinde der Weimarer Republik addierte sich also auf 50 Prozent. Plus viele andere Unzufriedene.
Vielleicht ist die Berliner Republik nicht so nahe an einem kompletten Systemwechsel wie damals, aber sie ist womöglich näher an einem Politikwechsel als wir glauben. Es ist die Frage, welche Seite das Rennen macht. Für Migranten ist es eine lebenswichtige Frage.

Dienstag, 28. August 2018

28.8.88

Heute vor dreißig Jahren kam es auf der Ramstein Air Base der amerikanischen Luftstreitkräfte in Rheinland-Pfalz zu einem Unfall, bei dem ein abstürzendes Flugzeug siebzig Menschen in den Tod riss.
Es ist eines der Ereignisse, an die ich immer noch sehr genaue Erinnerungen habe. Ich weiß ganz genau, was ich zum Zeitpunkt des Unglücks getan habe und wo ich war.
Am 27. August, einem Samstag, fuhr ich mit meinem inzwischen verstorbenen Freund Bernulf nach Maastricht in Holland, wo wir uns mit exzellentem Dope eingedeckt haben. Dann ging es nach Belgien, genauer gesagt nach Spa-Francorchamps zur Formel 1-Rennstrecke, wo wir unser Zelt aufschlugen. Am nächsten Tag nahmen wir, gut eingeraucht und überhaupt guter Dinge, unsere Plätze an der Eau Rouge ein, der berühmten Kurve, in der die Monoposti den Berg hinauf direkt auf dich zugeschossen kommen. Senna, mein Lieblingsfahrer, gewann den Grand Prix. Piquet, Bernulfs Fahrer, wurde Vierter.
Auf der Rückfahrt nach Rheinland-Pfalz wurden wir an der Grenze, die damals noch ganz regulär mit Zollbeamten besetzt war, rausgewinkt. So, wie wir damals aussahen - und vor allem mit diesen knallroten Augen nebst idiotischem Grinsen – begannen die Grenzer sofort mit einer intensiven Durchsuchung unseres Autos.
Wir wurden in ein Zimmer geführt und verhört. „Jungs, machen wir es uns doch ganz einfach. Wo habt ihr es versteckt?“ An diesen Satz eines nach einer halben Stunde einfach genervten Beamten kann ich mich noch ganz genau erinnern. Aber sie haben nichts gefunden. Weder in unserem Auto noch in unseren Taschen. Als ich nach einer Stunde mal pinkeln musste, führte man mich in eine Arrestzelle, wo mir ein Zollmensch dabei zusah, wie ich mein Gemächt auspackte, weil sie dachten, ich wollte Beweismittel verschwinden lassen.
Und dann kam die Meldung über Funk. Das Unglück von Ramstein. Die Bullen waren wie paralysiert. Aufregung. Großeinsatz. Obwohl Ramstein von der belgischen Grenze weit weg war, hatten sie das Interesse an uns verloren. Wir durften weiterfahren. Sie haben sich noch nicht mal von uns verabschiedet.
P.S.: Das Dope hatten wir im Ghettoblaster. Bernulf, gelernter Elektriker, hatte das Ding aufgeschraubt, und das sorgfältig in Frischhaltefolie verpackte Piece in einem Hohlraum verstaut.

Montag, 27. August 2018

Der Besuch der jungen Dame

Eines Tages stand sie einfach vor der Tür und fragte nach Amanda.
„Sie ist für ein Semester nach Madrid gegangen“, antwortete er.
Dann hatte er sie eine Weile unschlüssig angeschaut. Sie trug einen Minirock aus kirschrotem Leder, was im Deutschland des Neo-Biedermeier inzwischen völlig aus der Mode gekommen war. Dazu ein schwarzes Top und eine Perlenkette.
„Ich war eine Weile nicht in Berlin“, sagte sie schließlich. „Aber Amanda hat noch ein paar Bücher von mir, die ich gerne wieder hätte.“
Er war ratlos. „Weiß Amanda, dass du kommst?“
Sie lachte. „Keine Sorge. In den Büchern steht mein Name. Ich heiße Lea Kahlenberg.“
Er trat zur Seite und ließ sie in die Wohnung.
Sie ging zielsicher den Flur entlang ins Wohnzimmer.
„Hier hat sich ja gar nichts verändert. Hast du die Bude möbliert übernommen?“
Er hatte Mühe, ihr zu folgen.
„Ja, ich bin nur ein Semester in Berlin. Ich habe die Wohnung über eine Mitwohnzentrale für vier Monate gemietet.“
„Woher kommst du?“
„Montabaur. Das ist im Westerwald.“
Sie lächelte ihn an und musterte ihn von oben bis unten. „Süß“.
Er ging zum Bücherschrank. „Was für Bücher suchst du denn?“
„Simone de Beauvoir, Virginia Woolf und Hannah Arendt.“
Sie stellte sich neben ihn und sah sich schweigend die Buchrücken an. Nach einer Minute hatte sie die drei Bücher und zeigte ihm ihren Namen auf dem Vorblatt.
„Willst du was trinken?“ fragte er sie.
„Kaffee wäre gut“, antwortete sie.
Als er kurze Zeit später mit zwei Kaffeetassen aus der Küche zurückkam, hatte sie es sich schon auf dem Sofa bequem gemacht. Ihre Flip-Flops standen unter dem flachen Holztisch, auf den sie ihre langen Beine gelegt hatte.
Er setzte sich zu ihr und sie nahm die Kaffeetasse.
„Mhm, gut“, sagte sie nur.
„Was studierst du?“ fragte er und deutete auf die Bücher auf dem Tisch.
„Ich weiß es nicht so genau. Ist im Moment alles ein bisschen schwierig“, antwortete sie, ohne ihn anzusehen.
Ihm fiel nichts ein, also schwieg er einfach und trank Kaffee.
Sie holte ihren Tabakbeutel heraus und baute einen zweiblättrigen Grasjoint.
Sie zündete ihn an, nahm zwei tiefe Züge und reichte ihn weiter.
Er grinste und ließ die Glut aufleuchten.
Sie sagten die ganze Zeit kein Wort.
Dann küssten sie sich plötzlich und der Kuss hörte gar nicht mehr auf, weil sie beide nicht wussten, was nach dem Kuss kommen sollte.
Beck – Nitemare Hippy Girl. https://www.youtube.com/watch?v=AxzjTnWQeOU

Sonntag, 26. August 2018

breaking news: Abschiedsspiel für Özil

Am 28. September um 20:30 Uhr wird in Gelsenkirchen, dem Geburtsort von Mezut Özil, das Abschiedsspiel für den verdienten Nationalspieler und Weltmeister von 2014 stattfinden. Gegner der deutschen Mannschaft ist die Türkei. Özil wird, als Zeichen der Versöhnung, die erste Halbzeit für Deutschland und die zweite Halbzeit für die Türkei spielen. Erdogan, der zu diesem Zeitpunkt auf Staatsbesuch in der Bundesrepublik ist, wird, neben Steinmeier und Merkel, unter den Zuschauern sein. Karten für die Begegnung in der Veltins-Arena sind ab sofort in allen bekannten Vorverkaufsstellen und im Internet erhältlich.

Montag, 20. August 2018

Berliner Anekdoten

Der Politikbetrieb macht Urlaub und ich möchte zwei kleine Geschichten aus der abgelaufenen Saison 2017/2018 zum Besten geben. Beide Histörchen sind verbürgt, meine Quellen sind absolut zuverlässig (d.h. weder Journalisten noch Politiker).
Die erste Geschichte spielt in einem italienischen Restaurant in Berlin, das seit Jahrzehnten ein beliebter Treffpunkt für Spitzenpolitiker der SPD ist. Eines Abends kommt Martin Schulz, damals noch Parteivorsitzender, mit seiner Entourage ins Lokal. Der Wirt erkennt den hohen Gast sogleich und begrüßt ihn mit aller gebotenen Herzlichkeit. Seinem Sohn – der hoffnungsvolle Spross soll eines Tages das Geschäft übernehmen – überlässt er die Ehre, die Politiker zu bedienen. Alles läuft perfekt, es geht ans Bezahlen. Da stellt der junge Mann, der erst seit zwei Jahren in Deutschland lebt und offenbar die Vita des Kanzlerkandidaten nicht kennt, als Scheidebecher auf Kosten des Hauses einen Grappa vor Herrn Schulz auf den Tisch. Der trockene Alkoholiker aus Würselen bleibt ganz gelassen, hebt das Glas und schnuppert genießerisch am Tresterschnaps. Dann stellt er ihn wieder zurück und sagt: „Danke, aber ich muss noch fahren.“
Die zweite Geschichte spielt am Tag vor der Vereidigung der neuen Bundesregierung in den Iden des März. Frau Klöckner, die designierte Landwirtschaftsministerin, reist aus Frankfurt kommend mit der Lufthansa in die Hauptstadt. Dort angekommen stellt sie fest, dass die Airline das Gepäck verschlampt hat. Mit ihrem Kleid, das sie bei der Zeremonie im Bundestag tragen möchte. Soll sie darauf warten, dass ihr Gepäck später ins Hotel kommt? Sie geht auf Nummer sicher und kauft sich ein neues Kleid. Bei Peek & Cloppenburg an der Tauentzienstraße. Sie entscheidet sich für ein blaues Kleid und die Verkäuferin beglückwünscht sie zur ihrer Wahl. Vor einer Stunde habe sie das gleiche Kleid schon einmal verkauft. Frau Klöckner denkt sich nichts dabei. Berlin ist groß und bei P&C gibt es nun mal keine Einzelstücke. Am nächsten Tag tritt sie mit den neuen Kolleginnen und Kollegen vor die Weltpresse. Und siehe da: Frau Giffey von der SPD trägt genau das gleiche Kleid wie sie. Natürlich sprechen die beiden Frauen über diesen Zufall. Es stellt sich heraus, dass es Frau Giffey war, die kurz vor Frau Klöckner im selben Geschäft die gleiche Entscheidung getroffen hat. So klein ist Berlin.
Kraftwerk – Ohm Sweet Ohm. https://www.youtube.com/watch?v=QLwEG3cdeRw