Montag, 30. November 2015

Mein Medienmonat

Ohne Kontakt zu den Medien erreichen mich im Urlaub die Nachrichten seltsam gedämpft, und die Welt wird wieder groß. Ein Freund erzählt mir von den Terroranschlägen in Paris. Es berührt mich kaum. So muss sich ein russischer Bauer gefühlt haben, als er vor über hundert Jahren vom Untergang der Titanic erfahren hat. In weiter Ferne hat es ein Unglück gegeben, während ich an jenem Abend Paul Austers „Buch der Illusionen“ gelesen habe. Es gibt zu diesem Ereignis kein einziges Bild in meinem Kopf. Am nächsten Tag widerstehe ich der Versuchung, mir am Kiosk eine Zeitung zu kaufen.
Genau eine Woche nach dem Terroranschlag von Paris sehe ich die ersten Bilder – im Fernsehen. Und zwar ganz anders als erwartet. Freunde von der ZDF-Kulturredaktion hatten mich bei einem Mittagessen im „+39“ ins Hauptstadtstudio eingeladen, sie mal bei der Arbeit zu besuchen. Das war zwei Tage vor den Terroranschlägen. Und so sitze ich, nach einem Gläschen Sekt im Foyer und einem flughafenmäßigen Sicherheitscheck, im Studio in den Hohenzollernhöfen, als die Aspekte-Sendung am 20. November aufgezeichnet wird. Die Sendung beginnt mit dem Thema Terror. Ich sehe die Bilder aus Paris. Auf dem riesigen Studio-Monitor. Ein Interview mit Daniel Cohn-Bendit zu den Anschlägen und den Folgen wird eingespielt (besonders eindrücklich: die Handys der Toten, die endlos klingeln – und niemand nimmt ab). Die arglosen jungen Gesichter der Selbstmordattentäter.
Und dann kommt Salman Rushdie ins Studio. Ich sitze nur wenige Meter von dem Schriftsteller entfernt, auf den seit 1989 ein Kopfgeld von über drei Millionen Euro ausgesetzt ist, weil seine Bücher radikalen Muslimen im Iran und anderswo nicht in den Kram passen. Er wirkt im Interview sehr entspannt. Alle Religionen, so seine These, beruhen auf Angst – nicht nur der Islam. Er träumt den alten Traum einer aufgeklärten Welt, in der Vernunft und Toleranz die Leitplanken des Lebens sind. Gerade dieser Mann, der seit 26 Jahren mit der Angst lebt, strahlt eine Ruhe aus, die mir in den Medien längst verloren gegangen ist.
Ich habe Salman Rushdie gesehen! Jetzt brauche ich nur noch die Enkel, denen ich das erzählen kann. Und dann denke ich an den Terroranschlag des iranischen Geheimdienstes 1992 auf das Restaurant Mykonos zurück, den ich als Augenzeuge miterlebt habe. Die Scheiße hört nie auf. Zwei Kinder kamen nach den wilden sechziger Jahren 1979* auf die Welt: Hardcore-Kapitalismus und Steinzeit-Islamismus. Sie kämpfen miteinander wie die Monster in den Godzilla-Filmen – und wir sind die Opfer, die in diesem Kampf niedergetrampelt werden. Ob wir nun in einem miesen Job ausbluten oder im Krieg.
P.S.: Es gibt keine erfolgreiche Politik ohne Feindbild. Politiker brauchen einen Feind, um ihre Macht zu erweitern und sich als Macher zu inszenieren. 2014 haben wir den Versuch gesehen, das Feindbild „Muslime“ durch das alte Feindbild „Russen“ zu ersetzen. Der kleine Bürgerkrieg in der Ukraine wurde uns als großer Kampf zwischen Demokratie und Despotismus verkauft, „Putin ist der neue Hitler“ usw. Das ist gescheitert (allerdings waren uns die über zweihundert Russen, die durch die gleiche Terrororganisation nur kurze Zeit vorher ermordet worden waren, keine einzige Schlagzeile wert, keine Sondersendung und keine Talkshow – ein toter französischer Europäer zählt ganz offensichtlich mehr als ein toter russischer Europäer, das ist gelebter Rassismus, meine Damen und Herren!). Jetzt läuft wieder die Islamismus-Welle durch die Medien. Machen wir uns auf weitere Terroranschläge gefasst. Auch weil die westlichen Politiker sie brauchen – denn mit jedem toten Bürger können sie die Demokratie und die Rechte der Lebenden weiter beschneiden und den eigenen Handlungsspielraum erhöhen. Alle wollen im Namen ihrer Weltanschauung das eigene Territorium erweitern, an diesem Punkt gibt es zwischen Terrormilizen und Parteien keinen Unterschied.
Velvet Underground – Who loves the sun. https://www.youtube.com/watch?v=FZxSoeKsC3U
*1979 ist das entscheidende Jahr: Thatcher beginnt die neokonservative Revolution in Europa, ihr siamesischer Zwilling Reagan gewinnt die Wahlen in den USA, Ayatollah Khomeini errichtet im Iran einen Gottesstaat (und nimmt die US-Botschaft in Teheran quälende 444 Tage lang in Geiselhaft), die wahabitischen Saudis reagieren auf den islamistischen Terroranschlag in Mekka (330 Tote) mit einem konservativen Rollback, die russische Armee marschiert in Afghanistan ein und zündet damit unwissentlich die Taliban-Bombe. Wenn es um die entscheidenden Jahre in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geht, werden immer 1968 und 1989 genannt. Aber dazwischen gab es auch das ebenso wichtige Jahr 1979, als der Neoliberalismus und der Fundamentalismus ihr hässliches Haupt erhoben. Zehn Jahre später verschwand die dritte Ideologie, der Kommunismus, von der Bildfläche der Geschichte. Benjamin Barber hat in seinem berühmten Buch aus den neunziger Jahren den neuen Konflikt, der den Kalten Krieg ablösen sollte, als „Jihad vs. McWorld“ beschrieben. Er dauert bis heute an, die Anschläge von Paris sind ein Puzzle-Steinchen dieser epochalen Auseinandersetzung – ebenso wie der 11. September 2001.
Robert Oppenheimer. https://www.youtube.com/watch?v=yLvliWuadhQ

Sonntag, 29. November 2015

Anreise

„Der wahre Reisende weiß nicht, wohin die Reise geht.“(Zhuangzi)
Es ist immer die gleiche Geschichte: Du erwartest nichts – und genau das ist die Voraussetzung für ein schönes Erlebnis. Seit einem Vierteljahrhundert sitze ich im Zug zwischen Rheinhessen und Berlin. Hinter Frankfurt kommt irgendwann Fulda. Gefühlte tausend Mal bin ich mit dem ICE in diese Stadt gekommen und blieb einfach sitzen, bis der Zug wieder weiterfuhr. Diesmal bin ich ausgestiegen. Was fällt mir spontan zu Fulda ein? Nichts. Eben. Und dann steht man nach ein paar Minuten vor einem prächtigen Stadtschloss, überquert einen großzügig angelegten Platz und besichtigt den nicht minder prächtigen Dom.
Besonders hat mir eine Figur links vom Altar gefallen: ein Skelett mit einem wallendem Umgang, in der einen Hand die Schreibfeder und in der anderen die Sanduhr. Hallo?! Hier winkt dem Blogger nicht nur ein Pfahl, sondern der ganze Zaun. Gekrönt wurde der sonnige Herbsttag durch zwei Krüge Wiesenmühlenbier (nicht das Pils!) und einen hiesigen Kümmelschnaps in der urgemütlichen alten Wiesenmühle an der Fulda. Tolle Stadt – die ideale Reiseunterbrechung. Und drei Stunden später rolle ich in Berlin ein …
Im Zug lauschte ich erzwungenermaßen dem Gespräch zweier Frauen mittleren Alters. Es ging um ihre Haare bzw. Frisuren an sich. Müßig in die Sonne blinzelnd und bierselig machte ich folgende Rechnung auf: Wenn sich eine Frau im Durchschnitt dreißig Minuten pro Tag mit ihren Haaren beschäftigt (Kämmen, Tönen, Friseurbesuche, Nachdenken und Reden über die eigene Frisur und die Frisuren anderer Leute), sind das im Jahr etwa 180 Stunden, also mehr als eine Woche. Geht man von einer durchschnittlichen Lebenserwartung von achtzig Jahren aus, verbringt eine Frau also mehr als eineinhalb Jahre mit dem Thema Haare. Diese Zeit haben wir Männer gespart. Dazu kommen noch einmal eineinhalb Jahre für die richtigen Klamotten, ein Jahr für die Schuhe, ein halbes Jahr für das Make-up und ein halbes Jahr für die Fingernägel. Auch wenn wir früher sterben mögen als die Frauen, so haben wir doch nicht weniger vom Leben gehabt, oder?
Meine erste Freundin konnte stundenlang über ihre Haare sprechen / klagen. Und ich Idiot habe ihr stundenlang zugehört, obwohl sich Männer doch nur für die primären und sekundären, nicht aber für die tertiären Geschlechtsmerkmale (Frisur, Schmuck, Make-up usw.) interessieren. Zum Glück habe ich noch einige Frauen kennengelernt, die ganz anders sind.
***
Heute bin ich wieder in Schweppenhausen angekommen. Ein paar Berlin-Impressionen:


Ein trüber Novembernachmittag im MV. Die Jungs im 120er Bus kommen vom Sport und reden über Suff, Drogen, Partys und Bullen. Eine angenehme Melancholie liegt über dem Kiez und ich stelle mir vor, ich käme nach zehn Jahren Knast wieder nach Hause.

 Nach den Anschlägen in Paris gehen die Menschen sehr behutsam miteinander um. Die Folge ist nicht, dass die Leute Angst voreinander haben, sondern dass sie aufmerksam zueinander sind.

Am Ende der Welt in Buch. Die winzige Fußgängerzone. Gesprächsfetzen wie „zu DDR-Zeiten“ oder „wie im Sozialismus“ (als Lob gemeint). Mit einer Tüte heißer Quarkbällchen warte ich auf die S-Bahn zurück zu den Yorckbrücken. Dort steht ein einsames Haus mitten im größten Verkehr, das mich immer wieder fasziniert. Im Erdgeschoss die Kneipe „Zum Umsteiger.“

Die Anglizismen werden immer alberner, das Feierabendbier heißt jetzt „After-Work-Get-Together“.

Im Wedding gibt es eine Türkenstraße.

In der S-Bahn sitzen mir ein Mädchen und ihr Opa gegenüber. Der Opa hat ein Piratentuch auf dem Kopf, einen Zopf, zerrissene Jeans, Turnschuhe und eine schwarze Lederjacke. Ein Traum. Ich erwarte mir von der jungen Generation in Berlin nur das Allerbeste.
The Cure - A Forest. https://www.youtube.com/watch?v=xik-y0xlpZ0

Dienstag, 3. November 2015

Vati macht sich auf die Socken

„Fernsehen ist ein Unterdrückungsinstrument in dieser Massengesellschaft.“ (Scherben-Manager Nikel Pallat 1971 in der WDR-Talkshow „Ende offen“ – danach versuchte er, mit einer Axt den Studiotisch zu zertrümmern)
Bis Ende November bin ich in Berlin, Hamburg, Bamberg und Dinkelsbühl unterwegs. Ich wünsche allen Lesern und Bloggern einen schönen Totenmonat. Ansonsten gilt für die Welt der Medien: Lecco mio, wie man am Comer See sagt.
The Verve - Bitter Sweet Symphony. https://www.youtube.com/watch?v=1lyu1KKwC74
P.S.: Heute Morgen ist der Himmel über Schweppenhausen wieder voller Nanopartikel, Aluminiumresten aus der Hutproduktion und Drogen, die mich zum RTL-Gucken zwingen. Die Leute im Dorf nennen es Nebel - aber die sind doch alle gekauft!!! Und RTL sucht in Wirklichkeit auch keine Frauen für die Bauern. Alles Lüge!
Werbung:
Lesen Sie jetzt den großen Konditorei-Thriller von Andy Bonetti: „Die Nacht der lebenden Torten“. Nur in ausgewählten Bahnhofsbuchhandlungen erhältlich!
Rätsel:
Und zum Abschluss machen wir noch ein kleines Quiz. Ordnen Sie bitte folgende Begriffe einer deutschen Parallelgesellschaft zu:
a) Nostalgiestamperl
b) Grünkernbratling
c) Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz

Montag, 2. November 2015

Shady Grey trifft Randy Jay

"Mark Savage, du bist ein ganz toller Mann! flüsterte sie. Meine Knie schlotterten mir Löcher in meine blauen Kammgarnhosen, meine Nerven zitterten und vibrierten wie zehn Pfund Zitronengötterspeise auf einem zersprungenen Porzellanteller." (Die Schnüffler)
Shady Grey blickte gelangweilt aus dem Fenster seines Zugabteils. Endlose Maisfelder bis zum Horizont. Seit einer Stunde hatte er nur Mais gesehen. Ganz Nebraska schien nur aus Mais zu bestehen. Sein Onkel konnte nicht ganz bei Trost sein, sich in einer so eintönigen Gegend anzusiedeln. Aber der alte Mann war seine letzte Hoffnung. Early Dangerfield hatte ein Vermögen mit tiefgefrorenem Cowboy Pie und Wunderkerzen gemacht und sich dann diesen Landsitz in Dawson County zugelegt. Cowboy Pie ist die amerikanische Variante des britischen Cottage Pie, wobei zwischen der unteren Schicht aus Hackfleisch und der oberen Schicht aus Kartoffelbrei noch eine Zwischenschicht aus Mais und Ketchup eingefügt ist.
Shady Grey hatte nach einer kurzen Blüte als Autor von dystopischen Kriminalromanen seiner Neigung zum Bourbon nachgegeben und war völlig abgebrannt, als er in Lexington aus dem Zug stieg. Es ekelte und gruselte ihn vor der Bettelarie, die er gleich vor seinem Onkel zum Besten geben musste. Und so ging Shady Grey erst einmal in eine Bar in der Nähe des Bahnhofs, wo er Jordan „Randy Jay“ Blackbird traf. Die Geschichte nahm unwiderruflich ihren Lauf. Es ist nicht ohne Ironie, dass ausgerechnet ein Cowboy Pie seines Onkels eine ungewöhnliche Rolle in der ganzen Sache spielen sollte. In anderen Ländern wird dieses Gericht übrigens auch als Chinese Pie, Shepherd’s Pie, Potato Pie oder Hasan Pascha Köfte angeboten, aber das gehört nicht hierher.
Es war der ungewöhnlichen Narbe auf Blackbirds linker Wange zu verdanken, dass die beiden ins Gespräch kamen. Eine Vielzahl von Rauten hatte sich zu einem regelmäßigen Muster geformt, die Randy Jay seinem bemerkenswerten Hang zu Unglücksfällen im Allgemeinen und einem menstruationsbedingten Tobsuchtsanfall seiner Ex-Freundin Dolores im Besonderen zu verdanken hatte, die ihn mit dem Gesicht auf ein heißes Waffeleisen gedrückt hatte. Es war um die alten Themen Geld und Treue gegangen, wobei sich Randy Jay nicht mehr sicher war, mit welchem Teil des bekannten Problemduos der Streit begonnen hatte. Und auch an diesem Tag, als er Shady Grey am Tresen der Burnside Bar ansprach, ging es um Geld.
Natürlich eine todsichere Sache. Diese Sachen sind immer todsicher. Es kann gar nichts schiefgehen. Randy Jay hatte alles seit langem ausbaldowert. Kannte eine der Kassiererinnen in der Bank. Und nach einer wilden Nacht hat sie ihm alles erzählt. Am letzten Freitag des Monats kamen immer die Lohngelder für die Minenarbeiter. Zweihundert Tausend Dollar in bar. Kein Scheiß. Er spendierte Shady Grey noch einen doppelten Bourbon. Dreimal dürfen Sie raten, an welchem Tag unser Held Shady Grey in die kleine Stadt im Süden Nebraskas gekommen war. Genau: am letzten Freitag des Monats. Unglücklicherweise war Mister Jordan „Randy Jay“ Blackbird sein Partner abhandengekommen. Lionel Whitney, den alle nur als „den irren Lionel“ kannten, saß seit letzter Nacht wegen Drogenbesitz im örtlichen Gefängnis. Und in einer Stunde würde der Geldtransporter nach Lexington kommen.
Der Hinterhof des trostlosen Betonwürfels, in dem die Dawson Savings&Loan ihren Sitz hatte, war voller Mülltonnen, Müll und Ölflecken. Er sah nicht nur aus wie eine Bahnhofsunterführung, er roch auch so. Shady Grey saß am Steuer eines Pick-ups und wartete. Und dann kam Randy Jay durch die Hintertür der Bank auf ihn zu gerannt. Er hatte einen Jutesack mit einem großen Dollarzeichen auf dem Rücken. Plötzlich fielen die ersten Schüsse. Randy Jay sprang in den Wagen und sie fuhren mit quietschenden Reifen davon. Während Shady Grey verbissen nach vorne blickte, wo eine große Kreuzung mit hoher Geschwindigkeit auf ihn zuflog, schrie sein Partner und schlug lachend auf den großen Geldsack auf seinem Schoß. Sie hatten es geschafft. Und jetzt mussten sie nur noch raus aus der Stadt zu Randy Jays kleinem Haus, wo sie den Pick-up im der Scheune verstecken konnten.
Als sie die Polizeisirene hörten, fiel Blackbirds hochnäsiges Gelächter so schnell in sich zusammen wie die Erektion eines Diabetikers. Und wann kommt endlich der Cowboy Pie von Onkel Early Dangerfield ins Spiel? Eine berechtigte Frage. Das war einige Stunden später, denn im Gefängnis gab es eine schöne Portion „Buffalo Bill’s Cowboy Pie“ und einen Pappbecher mit dampfendem Kaffee zum Abendessen.
Wild Cherry - Play That Funky Music. https://www.youtube.com/watch?v=xv94pcjGSBs

Dealerlatein - Wo der Frosch die Locken hat

Eigentlich habe ich gar keinen Bock, mich zum Affen zu machen, aber die Geschichte ist wirklich zum Mäusemelken:
Wir dachten, Wolfgang wäre ein alter Hase, mit dem man Pferde stehlen könnte. Weiß der Kuckuck, wie wir darauf gekommen sind. Allen Unkenrufen zum Trotz machte er sich bei dieser Bullenhitze im Affenzahn auf den Weg. Da ist der Hund begraben, dachte die alte Leseratte. Und es ist ja nur einen Katzensprung entfernt. Das ist des Pudels Kern, ich habe einen dicken Fisch am Haken! Eine Gans, die goldene Eier legt. Und er wollte den Löwenanteil behalten, um sein Schäfchen ins Trockene zu bringen. Er sagte zum Abschied: Wenn du nicht mausetot sein willst, musst du der Hecht im Karpfenteich sein und darfst nicht mit den Wölfen heulen.
Wer hätte damals schon ahnen können, dass man ihm die Flügel stutzen würde und dass er Federn lassen müsste? Heute wissen wir: Er hatte einen Vogel. Mit diesem lammfrommen Bücherwurm hatten wir den Bock zum Gärtner gemacht. Dabei pfiffen es die Spatzen von den Dächern, dass er nur ein Papiertiger war. Mit diesem Pechvogel haben wir Perlen vor die Säue geworfen. Da beißt die Maus keinen Faden ab, die Kröte müssen wir schlucken. Bei diesem Katzenjammer könnte ich heulen wie ein Schlosshund und schimpfen wir ein Rohrspatz. Er hielt sich für einen tollen Hecht, aber er war ein Hasenfuß, der keiner Fliege was zuleide tun konnte. Er dachte, er wüsste, wie der Hase läuft, aber am Ende war er der Sündenbock. Er hatte sich bei seinen Hamsterkäufen zum Esel gemacht, und sie hatten ihm die Hammelbeine langgezogen. Wir mussten ihm nach seiner Rückkehr die Geschichte wie Würmer aus der Nase ziehen und hätten ihn am liebsten den Wölfen zum Fraß vorgeworfen.
Ich muss die Katze aus dem Sack lassen, weil es mir tierisch auf die Nerven geht: Dieser Schluckspecht hat auf das falsche Pferd gesetzt und bei diesem Kuhhandel einen Bock geschossen. Diese krummen Hunde haben ihn ausgenommen wie eine Weihnachtsgans. Man hat ihm einen Bären aufgebunden, und er stand da wie ein begossener Pudel. Es war alles für die Katz. Aus die Maus! Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt, aber wir hatten eben kein Schwein gehabt. Er spielte natürlich das Unschuldslamm, aber wir haben ihn richtig zur Sau gemacht. Heute kräht kein Hahn mehr nach der Geschichte, obwohl es mich immer noch wurmt.
P.S.: Wer’s immer noch nicht kapiert hat: Wolfgang hat sich am Frankfurter Hauptbahnhof für fünfzig Euro einen Beutel Oregano andrehen lassen.
The Farm - All Together Now. https://www.youtube.com/watch?v=k-DxHWCOCq0

Sonntag, 1. November 2015

25 Jahre Demokratie in der Schweiz

„Beim Nationalismus handelt es sich um die schlechte Ausdünstung von Leuten, die nichts anderes als ihre Herden-Eigenschaften haben, um darauf stolz zu sein.“ (Friedrich Nietzsche)
Herzlichen Glückwunsch, liebe Schweizerinnen und Schweizer! In diesem Monat jährt sich der Beginn der Demokratie in eurem Land zum 25. Mal. Das Frauenwahlrecht auf Bundesebene wurde zwar schon 1971 eingeführt (damit seid ihr allerdings das letzte Land des sogenannten „Westens“ gewesen, das Frauen die Fähigkeit zur politischen Meinungsbildung und Entscheidung zugebilligt hat), aber auf der Ebene der Kantone brauchte es bis zum 27. November 1990, bis alle Schweizerinnen wählen durften. Im März 1990 entschied das Bundesgericht über eine Klage der Frauen aus dem Kanton – und das ist kein Witz – Appenzell Innerrhoden und machte den Weg frei zur Demokratie in der gesamten Schweiz, obwohl die Männer von – und das ist kein Witz – Appenzell Innerrhoden in einer Abstimmung im April 1990 noch mehrheitlich gegen die Frauen gestimmt hatten. Im November führte der Kanton das Frauenwahlrecht ein. Chapeau! Und es läuft ja auch prächtig in eurer kleinen Alpenrepublik, denn die Frauen sind offenbar genauso konservativ und fremdenfeindlich wie die Männer.
P.S.: In Albanien wurde das Stimmrecht für Frauen bereits 1920 eingeführt. Mongolei: 1924. Malediven: 1932. Nepal: 1951.
Queen – Breakthru. https://www.youtube.com/watch?v=NUsMX6Ql_uE

Das Mädchen

„Hello darkness, my old friend, I've come to talk with you again.” (Simon & Garfunkel: The Sound Of Silence)
Ich hatte das Gespräch nur zufällig mitbekommen, als ich auf einer Wiese am Wegesrand lag. Ein Bauer schilderte seiner Frau mit enervierender Genauigkeit, was er von einem anderen Bauern gehört hatte. Lauter Belanglosigkeiten. Bauerngeschwätz eben. Aber es hatte mich doch neugierig gemacht und so war ich den beiden mit einigem Abstand ins Dorf gefolgt.
In einer einfachen Pension nahm ich mir ein Zimmer. Der Gastwirt war auch Bauer. Ich sah es an seinen großen schweren Händen. Er fragte mich ein wenig aus, als er mir den Schlüssel gab. Das Zimmer im Erdgeschoss bestand aus wenig mehr als einem Bett. Als er den Raum verlassen hatte, legte ich mich aufs Bett. Ich sah den Mann, dessen Silhouette sich hinter der Milchglasscheibe abhob, noch einige Minuten im Gang. Er schien mich zu belauschen.
Als er endlich gegangen war, öffnete ich behutsam das Fenster. Und tatsächlich hörte ich, wie der Gastwirt telefonierte. Natürlich ging es um meine Ankunft. Aber es wurde noch viel interessanter. Er bestellte tatsächlich ein halbes Dutzend Überwachungskameras, die er an seinem Haus und in einem Steinbruch aufstellen wollte. Von einem Steinbruch hatte ich gar nichts bemerkt.
Nach einer halben Stunde verließ ich die Pension und trieb mich ein wenig im Dorf herum. Die Straßen waren leer, nur ein junger Mann besserte einen Seitenweg aus. Mit einer Eisenstange lockerte er Steine und warf sie beiseite. Dann fügte er neue Steine in den Weg ein. Trotz seines plumpen Aussehens war er sehr geschickt bei seiner Arbeit und ich sah ihm eine Weile fasziniert zu. Als er mich bemerkte, ging ich zu ihm hinüber und fing ein Gespräch an. Bald kamen wir auf den Mord zu sprechen.
Ein junges Mädchen war im Steinbruch tot aufgefunden worden. Die Sonne ihrer Eltern. Niemand wusste, wer der Mörder war. Keiner kannte den Grund. Es konnte jeder aus dem Dorf sein, aber auch ein fremder Wanderer oder einer der Ausflugsgäste, die sonntags immer in die Gegend kamen. Im Scherz oder um mich wichtig zu machen, erzählte ich ihm, ich sei als Privatdetektiv hinter dem Mörder her. Aber er lachte nicht.
Plötzlich sprang er zur Seite und ich tat es ihm instinktiv nach. Ein riesiger Traktor raste den Weg entlang, im Führerhaus konnte man schemenhaft die unbewegte Gestalt eines Mannes sehen. Das sei der Einödbauer, sagte mir der junge Mann und arbeitete weiter. Ich ging zurück in mein Zimmer.
Abends besuchte ich die Dorfschänke. Neugierig sahen mich die Gäste an, als ich mich allein an einen Tisch setzte. Eine junge Frau lächelte scheu zu mir herüber und drehte sich dann wieder um. Das Wirtshaus war recht voll und ich beobachtete zwei junge Mädchen im Dirndl, vielleicht zehn oder zwölf Jahre alt, die mit dem stillen Ernst von Erwachsenen Limonade und Wein in Gläser gossen, die von der alten Wirtin an die Tische gebracht wurden.
Teddy Stauffer and his Original-Teddies – Jeepers Creepers. https://www.youtube.com/watch?v=NoKGu1-OglE