Der
Streit mit seinen Eltern war nicht schlimmer als sonst, aber in dieser Nacht
beschloss Chris, das Haus für immer zu verlassen. Er kletterte aus dem Fenster
und ging in den nahen Wald. Es war Vollmond und er lief eine Stunde zwischen den
alten Eichen und Buchen, bis er müde wurde und sein Haupt auf kühles Moos
bettete, wie es in alten Erzählungen gerne beschrieben wurde.
Als er
am nächsten Morgen aufwachte, wusste er nicht, wo er war. Sein Handy hatte
keinen Empfang und bald darauf war der Akku leer. Er ging weiter, aber es
dauerte Stunden, bis er auf einen Wanderweg traf. Bald darauf stand er einem
Riesen mit einem schwarzen Metallica-Shirt und finsterem Blick gegenüber, der
ihn fragte, wohin er wolle. „Rewe“, sagte er und der fürchterliche Koloss ließ
ihn passieren. So hatte er die erste Prüfung bestanden.
Chris
lief den ganzen Tag, ohne auf einen Menschen zu treffen. Montags war im Wald
noch nie viel los gewesen. Die Wege wurden schmaler, dann waren es nur noch
Trampelpfade und selbst die hörten irgendwann auf. Er ging einfach weiter,
Hunger und Durst quälten ihn. Schließlich kam er auf eine kleine Lichtung, auf
der ein alter moosbewachsener Wohnwagen mit zwei platten Reifen stand.
Es
dämmerte schon und in seiner Not klopfte er an die Tür. Niemand öffnete. Er
klopfte ein zweites Mal und wollte schon gehen, als die Tür einen Spalt
geöffnet wurde. Eine Greisin mit zerzaustem schlohweißem Haar lugte heraus und
betrachtete ihn misstrauisch. „Was willst du von mir?“ Chris sah sie flehend an.
„Bitte, Großmütterchen, habt Erbarmen und gebt mir ein Stück Brot. Ich habe
schrecklichen Hunger.“
Sie
schien einen Augenblick zu grübeln, dann öffnete sie die Tür und ließ ihn
hinein. Das düstere Innere war ein einziges Durcheinander von Kisten, Trödel
und Klamotten. Auf dem Herd brodelte es in einem gusseisernen Topf und es stank
grauenhaft. War es die Suppe, die Alte oder der ganze Wohnwagen? Er nahm seinen
ganzen Mut zusammen, deutete auf den Topf und bat um einen Teller Suppe. Ein
krähendes Gelächter aus einem zahnlosen Mund war die Folge.
Die
Alte öffnete den Kühlschrank und gab ihm einen Energy Drink. Aus einer
Schublade holte sie einen Schokoriegel, den Chris hastig hinunterschlang. „Auf
dem Herd koche ich gerade Crystal Meth. Ich bin eine Kräuterhexe. Das Rezept
habe ich von meiner Schwester in Gütersloh." Dann erzählte sie ihm von ihren
Geschäften und zum Beweis öffnete sie einen großen Koffer, der voller
Geldscheine war.
Der
Rest der Geschichte ist schnell erzählt. Chris wurde ihr Mitarbeiter und lief
einmal in der Woche in die Stadt, um den Stoff auf Schulhöfen, in Kneipen und
in Clubs zu verkaufen. Auf dem Rückweg ging er einkaufen und brachte seiner
Chefin Wein und Kuchen mit. Er überredete sie, in zwei Kessel Meth zu kochen,
und ein Jahr später zogen sie zusammen in eine schicke Penthouse-Wohnung mit
Waldblick.
Und so
lebten sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage.