Samstag, 30. Juli 2022

We’re in it to win it

 

Blogstuff 718

„Wenn du nicht weißt, was du willst, lass einfach alles weg, was du nicht willst. Und das, was dann noch übrig bleibt – kann man meistens trinken.“ (Martin Semmelrogge)

62 Grad in der Küche der Pizzeria, berichtete mir neulich der Lieferfahrer. Trotz Belüftung auf Hochtouren. Aber wenn man einen 350 Grad heißen Ofen aufmacht, wird es eben recht kuschelig.

Was authentische chinesische Restaurants auf der Speisekarte haben: Quallensalat, Entenbluttofu, Rinderaorta, Suppe aus Schweineinnereien mit Schweineblut, tausendjährige Eier, Hühnerfüße, gekochte Schweineohren, Froschschenkel, Entenzunge, Pansen, Schweinehirn (alles in Berlin zu haben).

Die Deutsche Bahn macht das sehr geschickt. Jetzt, wo mit dem 9-Euro-Ticket der ÖPNV praktisch umsonst ist, setzt sie auf eine Politik der Abschreckung. Wenn alle mit Bus und Bahn unterwegs wären, würde der Nahverkehr zusammenbrechen. Also muss man ihn mit Verspätungen, ausfallenden Zügen, Gleisbauarbeiten usw. so unattraktiv wie möglich machen. Schließlich sind die Fahrgäste das Hauptproblem für das Personal. Die ungebetenen Gäste sollen sich nicht wohlfühlen oder an das Angebot des ÖPNV gewöhnen.

Wir haben Kuchen in allen Farben: Rot (Erdbeerkuchen), Gelb (Zitronenkuchen), Schwarz (Mohnkuchen), Weiß (Sahnetorte), Braun (Schokoladenkuchen), Blau (Heidelbeerkuchen). Nur Grün fehlt.

Werbung: Er wurde auf dem hinduistischen Weihnachtsmarkt von Kalkutta von einem radioaktiven Esel gebissen und entwickelte Superkräfte. Er kann mithilfe seiner mentalen Kräfte das Spülen von Geschirr veranlassen, ein Gedanke genügt und Spiegeleier werden gebraten. Das ist der HOUSEMAN. Neu! Demnächst in Ihrer Bahnhofsbuchhandlung.

Ich meinte es ja nur gut, als ich die Metzgerei am Tegernsee betrat und die beiden Verkäuferinnen, eine junge und eine alte, mit „Grüß Gott“ begrüßte. Sie lachten und antworteten mit einem fröhlichen „Hallo“. Dann sagte ich meinen auswendig gelernten Satz auf: „Eine Fleischpflanzerlsemmel, bitte“. Die beiden rollten hinter der Theke auf dem Boden vor Lachen. Als sie sich beruhigt hatten, antwortete die junge Verkäuferin: „Also ein Frikadellenbrötchen“. Jetzt musste ich lachen. „Ich bin aus Berlin. Eine Bulettenschrippe tut’s auch.“

Die russische Duma hat beschlossen, eine patriotische Jugendbewegung zu gründen. Ich bin schon gespannt, wann die ersten Juden und Schwulen von der Putin-Jugend durch die Straßen gejagt werden.

Bei Sotheby’s wurde für eine Ukulele von Stradivari 750.000 Pfund bezahlt. Ich habe am gleichen Tag einen rabiaten Zirkon ersteigert.

Fleischersatzprodukte wie Obst und Gemüse kann ich nicht ernst nehmen.

Haben Sie als Teenager auch mal den Labello mit dem Pritt-Stift verwechselt?

Daft Punk - Revolution 909 (Official Music Video Remastered) - YouTube

 

Freitag, 29. Juli 2022

Geht es uns gut?


Die Deutschen besaßen 2021 ein Vermögen von zwanzig Billionen Dollar, hat Boston Consulting ausgerechnet. Ein neuer Höchststand. Das sind 240.000 Dollar pro Nase. Eine vierköpfige Familie ist also fast schon Millionär. Gut, das Geld ist womöglich etwas ungleich verteilt. Aber mit harter Arbeit kannst du es schaffen, Holgi!

Kleiner Spaß. Der Praktikant, der mir gerade die Füße massiert, während ich diesen Text diktiere, lacht pflichtschuldig.

Jetzt macht sich Holgi aber Sorgen um den deutschen Wohlstand. Inflation, Fachkräftemangel, Lieferkettenprobleme. Nachdenklich betrachtet er sein Gasfeuerzeug. Aber glücklicherweise liegt das Problem auf der Angebotsseite. Die Nachfrage ist intakt, die Leute haben Geld und sind wie immer geil auf Konsum. Läge das Problem auf der Nachfrageseite, müsste sich Holgi wirklich Sorgen machen. Die gute Nachricht: Weniger Wachstum und aufgeschobener Konsum sind gut für die Umwelt.

Gibt es wirklich einen Grund, sich um unseren Wohlstand zu sorgen? Bonetti schaut auf ein langes und erfülltes Leben zurück. Er schöpft aus dem Reichtum seiner persönlichen Erfahrung und vergleicht das Leben in seiner Kindheit mit der jetzigen Situation.

1.     Essen: In den siebziger Jahren kannten wir weder Pizza, noch Hamburger oder Sushi. Spaghetti mit Ketchup war das exotischste, was wir auf den Teller bekamen. Sonntags ging man in ein deutsches Gasthaus, um Jägerschnitzel zu essen, oder war bei den Großeltern zum Schweinebraten eingeladen. Es gab Vollmilchschokolade und Trauben-Nuss. Sonst nix. Avocado war eine Stadt an der Costa Brava. Heute gibt es in jeder Kleinstadt chinesische, italienische, griechische und japanische Restaurants, die Supermärkte sind ein Schlaraffenland. Zwei Drittel aller Männer sind übergewichtig.

2.     Medien: Es gab drei Fernsehsender, die erst am Nachmittag ihr Programm begonnen haben. Kein Internet, keine Playstation, kein iPod. Noch nicht mal der Walkman war erfunden. Wir hatten Brettspiele, ein Flugzeug-Quartett und einen Satz Skatkarten. Wir waren jeden Tag stundenlang im Freien und mussten irgendwas spielen.

3.     Urlaub: Campingplatz in der Eifel oder eine kleine Pension an der Ostsee. Als ich 1976 zum ersten Mal im Flugzeug saß (mit Neckermann nach Malle) und sogar das Cockpit besuchen durfte, war ich nach den Sommerferien der Star auf dem Schulhof. Heute kann Hinz und Kunz nach Australien fliegen. Die ganze Welt steht uns offen.

Wenn man das große Bild betrachtet, ist der Wohlstandsgewinn noch deutlicher zu sehen. In meiner Kindheit gab es in China noch Hungersnöte, wenn die Reisernte schlecht ausfiel. Wir haben Entwicklungshilfe an China gezahlt. Kein Chinese kam als Tourist nach Deutschland, um sich Neuwahnstein anzuschauen, weil sie einfach nicht das Geld für Fernreisen hatten.

Die Lebenserwartung ist gestiegen, die medizinische Versorgung hat sich verbessert. Es sterben weniger Menschen im Straßenverkehr und die Zahl der Gewaltverbrechen ist rückläufig. Aber Holgi sieht immer nur das Negative. Holgi ist wunschlos unglücklich. Warum gehst du nicht zu den Zeugen Jehovas? Die warten auch auf den Weltuntergang.

Computerliebe (Die Module spielen verrückt) - YouTube




 

Donnerstag, 28. Juli 2022

Vettel beendet am Saisonende seine Karriere

 

Einer der erfolgreichsten Formel 1-Fahrer aller Zeiten tritt zurück. 2007 kam er in die Formel 1 und schon 2008 feierte er mit seinem überraschenden Grand-Prix-Sieg in Monza seinen ersten Triumph. Er fuhr damals einen Torro Rosso, ein Fahrzeug, das den Spitzenteams hoffnungslos unterlegen war. Er holte sich die Pole Position und fuhr einen klaren Start-Ziel nach Hause. Ein legendäres Rennen wie Senna 1984 in Monte Carlo.

2008 wurde ich Vettel-Fan. Sein Geburtsort Heppenheim liegt nur fünfzig Kilometer Luftlinie von meiner alten Heimatstadt Ingelheim entfernt auf der anderen Rheinseite. Mir babbele gern hessisch. Ein gutgelaunter, bodenständiger, sympathischer Typ, nicht eingebildet, ohne neureiche Attitüden. Frau, drei Kinder, Bauernhof. Keine Partys auf Ibiza, lieber schraubt er an Motorrädern herum. Er setzt sich öffentlich für Umweltschutz, Gleichberechtigung und gegen Rassismus ein – ungewöhnlich für einen Sportprofi.  

2009 wechselte Vettel zu Red Bull und wurde auf Anhieb Vize-Weltmeister. Dann folgten vier Jahre, in denen er die Weltmeisterschaft gewann. 2013 gewann er sogar 13 von 19 Rennen. Ab 2014 fuhren die Autos mit Hybrid-Antrieb. Plötzlich war Mercedes das Maß aller Dinge, Vettel fiel ins Bodenlose. Kein Sieg 2014, WM-Platz 5. Es folgte der Wechsel zu Ferrari. Beim Großen Preis von Deutschland 2018 in Hockenheim verlor er in der Sachs-Kurve in Führung liegend sein Mojo. Danach war er nicht mehr der Alte und gewann bis heute nur noch zwei Rennen.

Seine Zeit bei Ferrari endete in einer Katastrophe. 2020 wurde er schon vor Saisonbeginn entlassen. Ich verstehe nicht, wie er sich als vierfacher Weltmeister dazu durchringen konnte, die Saison trotz dieser Demütigung noch zu fahren. Im vergangenen Jahr ging er zu Aston Martin, ein weiterer Abstieg. 2022 ist für mich ein Übergangsjahr, ich bin schon Russell-Fan, aber immer noch Vettel-Fan. Wie 1985, als ich noch Lauda-Fan war, aber schon Senna-Fan. Mach’s gut, Seb. Du wirst vielen von uns fehlen.  

 

 

Es lebe die Religion


Irgendwann ist einem unserer Vorfahren ein Licht aufgegangen. Wir müssen alle sterben. Vielleicht hatte er gerade gesehen, wie ein Kollege von einem Säbelzahntiger gefressen wurde. Oder er ist eines Morgens aufgewacht und eine tote Oma lag in seiner Höhle. Was macht man mit der Oma? Schließlich fängt sie an zu stinken. Eine neue Höhle suchen? Zu viel Stress. Also trägt man sie raus, gräbt ein Loch und die Oma und der Gestank sind weg. Ihren Tinnef und Talmi wirft man ihr hinterher, so entsteht das Beerdigungsritual.

Aber Steinzeit-Holgi hat jetzt Angst vor dem Tod. Er kapiert, dass auch er eines Tages an der Reihe ist. Also erfindet er die Religion. Nach dem Tod kommt das große Nichts? Nein, wir haben jetzt eine Religion. Nach dem Tod kommt das Jenseits. Und das wird sogar noch besser als das Leben. Wolke sieben. Manna. Im Himmel wird nicht gearbeitet. Alles ist in bester Ordnung. Auch weil es einen richtigen Chef gibt: Gott. Allmächtig und unsterblich. Nicht wie Karl-Heinz aus Höhle 25, der die verfressene Horde anführt.

So weit ist alles in Ordnung. Aber dann hat jemand die Religion zu seinem Beruf gemacht. Nennen wir in Rolf. Rolf arbeitet nicht. Rolf ist Priester. Rolf erfindet merkwürdige Riten und kann angeblich mit Gott reden. Rolf ist wichtig. Religion wird zum Machtinstrument. Im Namen Gottes werden Millionen Menschen ins Jenseits befördert. Heute ist Rolf Papst in Rom.

 

Mittwoch, 27. Juli 2022

Das Ende der Bequemlichkeit

 

Vor fast fünfzig Jahren gab es den Jom-Kippur-Krieg. So wie in diesem Jahr Russland die Ukraine überfallen hat, hatten damals Syrien und Ägypten, unterstützt von der Sowjetunion, Kuba u.a., Israel angegriffen. Bekanntlich brauchte das kleine Israel keine drei Wochen, um die übermächtigen Gegner zu besiegen.

Danach waren die Araber sauer auf den Westen und drosselten die Öllieferungen. Kommt uns heute bekannt vor, oder? Innerhalb eines Jahres vervierfachte sich der Ölpreis. Die USA planten damals sogar eine Invasion in Saudi-Arabien und Kuwait, um die arabische Ölproduktion unter ihre Kontrolle zu bekommen. Der Westen, v.a. Westeuropa, erkannte seine Abhängigkeit von arabischem Öl und reagierte:

1.     Energiesparen: es gab in Deutschland vier autofreie Sonntage und Geschwindigkeitsbegrenzungen (100 km/h auf der Autobahn und 80 km/h auf Landstraßen).

2.     Eigene Ölfelder wurden erschlossen. #Nordseeöl #Bohrinseln

3.     Technische Innovation: Atomkraftwerke und regenerative Energiequellen wurden gefördert, Biodiesel, Wärmedämmung an Gebäuden, Effizienzsteigerung im Motorenbau usw.

Ebenso wie die Ölkrise von 1979/80 wirkte die Ölkrise von 1973 wie ein Weckruf für Wirtschaft und Gesellschaft, die bequem gewordene Wirtschaftswundergeneration musste reagieren. „Weiter so“ war keine Option mehr. Genau dieses Phänomen erleben wir gerade wieder. Corona hat uns in den Arsch getreten, Russland hat uns in den Arsch getreten – gut so. Nur so werden verwöhnte und verweichlichte Schlafmützen wie der deutsche Michel wach.

BÄM! Mic Drop. Bonetti verlässt die Bühne.

Putins Sommerhit: Markus - Ich will Spass (1982) HD 0815007 - YouTube

 

Dienstag, 26. Juli 2022

Wo der Bartel die Kuh vom Eis holt


Blogstuff 717

Klassengesellschaft 2022: Bonetti steht mit seinem Lamborghini im absoluten Halteverbot und zwei Männer vom Ordnungsamt waschen ihm die Felgen.

Spocht 2022: Bonetti legt seinen Gegner mit einem halben Doppelnelson aufs Kreuz.

Seit letztem Jahr steht die Turnhalle von Wichtelbach leer. Ich habe sie gekauft und hundert Feldbetten reingestellt. Jetzt können die Mieter kommen, die sich die Stadt und die hohen Energiekosten nicht mehr leisten können. Dreihundert Euro im Monat. Sie können die Waschräume benutzen und es wird geheizt. Interesse?

Wokeness ist das Beste, das dem Kapitalismus seit langem passiert ist. Wenn schwarze lesbische Pazifistinnen nur noch mit schwarzen lesbischen Pazifistinnen sprechen, bilden sich mikroskopisch kleine Gruppen, die gemeinsam mit den isolierten Einzelkämpfern umso leichter zu beherrschen sind. Ohne Klassen kein Klassenkampf, ohne Massenorganisationen keine organisierten Massen.

Während der Pandemie haben wir gelernt, auf sehr viel zu verzichten. Das sollte im kommenden Winter unseres Missvergnügens eigentlich kein Thema sein. So schlimm wie im Lockdown kann es nicht werden. 

Wer behauptet, Deutschland sei schlecht organisiert? Immerhin haben wir organisierte Kriminalität.

Ich werde diese Schizophrenie nie verstehen. Da gibt es Leute, die den ganzen Tag gegen den Staat und die Politik hetzen, nur um anschließend wie die Zigeuner am Wegesrand um Subventionen wegen gestiegener Energiekosten oder der Inflation zu betteln. Oder die Angehörigen der marxistischen Sekte, die sich von neun bis fünf von einer kapitalistischen Drecksau ausbeuten lassen, um nach Feierabend über die Weltrevolution zu diskutieren.

Ab jetzt bin ich genderfluid. Wenn’s ums Reparieren geht, bin ich eine Frau. Wenn’s ums Putzen geht, bin ich ein Mann.

Die Handwerker haben zu wenig Material. Da trifft es sich gut, dass wir zu wenig Handwerker haben. So gleicht sich alles wieder aus.

Eins muss man Wladimir Pudding lassen: Er hat den Längsten. Tisch.

Laut IAB gibt es in Deutschland 1.739.000 unbesetzte Stellen. Wenn man aber auch den ganzen Tag nur von Klimakatastrophe, Weltkrieg, Pandemie und Inflation hört, hat natürlich keiner mehr Lust, noch zur Arbeit zu gehen. Bringt doch sowieso nix mehr.

18 Grad im Winter? Luxury! Unter Ceausescu waren es 14 Grad.

Teamwork, Respect, Integrity and Passion (TRIP) – das ist die Vision von Bonetti Media.

Elvis Presley And America (Remastered 2009) - YouTube

 

Montag, 25. Juli 2022

Hartz IV

 

Im Nachhinein blicke ich gerne auf meine Zeit als Hartz IV-Empfänger zurück. Endlich vom Joch der Erwerbsarbeit befreit. Keine Termine, keine Verpflichtungen, kein Stress. Ich hatte den ganzen Tag Zeit. Ich nutzte diese Zeit, um einen alten Traum zu verwirklichen. Endlich hatte ich die Muße und die notwendige Energie, um Romane und Kurzgeschichten zu schreiben. Zu schreiben, was ich wirklich wollte.

Das Job-Center ließ mich in Ruhe. Ich hatte mich verpflichtet, fünf Bewerbungen pro Monat zu schreiben. Man musste auf einem Formular die Namen der fünf Firmen angeben, bei denen man sich beworben hatte. Ich suchte also aus dem Online-Stellenmarkt fünf Firmen aus und schrieb ihre Adressen ab. Bewerbungen habe ich nie verschickt, aber es gab fünf Euro pro Bewerbung vom Amt, also 25 Euro im Monat extra. Die Faulpelze haben das doch sowieso nicht kontrolliert. Einmal im Jahr schickten sie mich zu einem Bewerbungsgespräch. Ich ging in Jeans und T-Shirt hin, sagte kurz nach der Begrüßung, dass mich das Job-Center schicken würde und konnte wieder gehen. Es hat seine Vorteile, wenn man ein Aussätziger ist.

Natürlich bedeutet Hartz IV Verzicht. Keine Besuche in Kneipen und Restaurants, kein Kino, kein Theater, kein Konzert. Aber das hat auch seine Vorteile. Ich habe mit dem Rauchen aufgehört, ich führte ein ökologisch vorbildliches Leben, da ich mir keine Reisen leisten konnte. Ich lernte, Dinge zu schätzen, die umsonst sind. Ich ging viel spazieren und lernte so allmählich Berlin kennen. Manchmal über zwanzig Kilometer am Tag. Ein Halbmarathon, aber als Flaneur und nicht als bemitleidenswerter Ehrgeizling, verstrahlter Askese-Mongo und lächerlicher Selbstoptimierer in teuren Sportklamotten. Die Rundfunkgebühren zahlte das Amt, als Arbeitsloser musste man in der Stadtteilbibliothek nichts bezahlen. Ich las viel, konnte kostenlos TV und Radio nutzen, ich hatte meine Plattensammlung und meine Stereoanlage.

Die Lebensmittel vom Discounter waren unglaublich billig. Ein Toastbrot kostete fünfzig Cent. Ein Toastbrot besteht aus zwanzig Scheiben. 2,5 Cent pro Scheibe Brot, dazu Margarine, Marmelade und Wurst. Konserven waren spottbillig. Ravioli o muerte. Ich lernte, dass Leitungswasser so gut wie Perrier schmeckt. Eine Flasche Wein kostete damals bei Aldi weniger als zwei Euro. Eine Jeans bei Kik neun Euro, ein T-Shirt zwei Euro.

Noch ein Vorteil: Wenn du arm bist, lassen dich die Frauen in Ruhe. Vertreter können dir nichts aufschwatzen, du kaufst kein überflüssiges Zeug. Endlich erkennst du deine wahren Bedürfnisse, in meinem Fall Lesen, Schreiben, Musik, Freunde (auch kostenlos), Essen und Trinken. Das Leben kann sehr einfach sein, wenn man sich auf die Basics konzentriert. So lebe ich heute auch noch.

P.S.: Nach meiner Zeit mit Hartz IV kam der Teilzeitjob als Kiezschreiber. 1500 € brutto = 1070 € netto im Monat. Wäre ich damals Mieter, Autofahrer, Raucher und Hundebesitzer gewesen, hätte ich wieder auf Sozialhilfeniveau gelebt. Aber ich habe mich mit 900 €, die tatsächlich in meiner Brieftasche gelandet sind, nicht arm gefühlt.

Wenn Arbeitslose einfach glücklich sind - taz.de

Sonntag, 24. Juli 2022

Bavarizza


Die Pizza muss endlich deutsch werden. Also habe ich als erste deutsche Pizza die Bavarizza erfunden. Zukünftig soll es in Bayern nur noch diese Variante geben.

Auf knusprigen Brezelteig kommen mit Allgäuer Bergkäse überbackene Knödelscheiben, Weißwurstscheiben, Obatzter und Radieschen.

Nr. 2 ist die Rheinizza. Sie hat einen Dinkel-Vollkorn-Boden und ist mit Scheiben von der Rheinischen Fleischwurst, Handkäs mit Musik, Wirsing und Blutwurst belegt.

Dann habe ich noch die Berlizza erfunden. Buletten- und Currywurstscheiben, Eisbeinsülze und Sauerkraut auf einem türkischen Fladenbrot.

Wohl bekomm’s!




Samstag, 23. Juli 2022

Armut

 

Die Lobbyisten von den Sozialverbänden haben ausgerechnet, dass es 13,8 Millionen Arme in Deutschland gibt. Armut ist immer eine Frage der Definition. In der EU gilt man als arm, wenn man weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommens verdient. Das waren 2018 in Deutschland 3661 Euro. Wer also weniger als 2196 Euro im Monat zur Verfügung hat, gilt als arm. Ich finde, das ist viel Geld. Wer dann noch mietfrei in der eigenen Immobilie lebt und Geld auf der Bank hat, wird sich selbst sicher nicht als arm definieren.

Ein Beispiel zur beschränkten Aussagekraft des „Armutsberichts“: Der berühmte Dichterfürst Andy Bonetti gilt offiziell als arm, da er kein Einkommen hat. Bei seiner Krankenkasse ist er als Privatier gemeldet, der von seinen Ersparnissen lebt. Daher muss er auch nur den Mindestbeitragssatz von ca. 200 Euro zahlen. Langjährige Leser wissen aber, dass er ein Luxusleben in einer Villa mit zwölf Zimmern führt, einen riesigen Garten hat und Hilfskräfte beschäftigt, die ihn von der lästigen Haus- und Gartenarbeit entlasten. Wenn er in seiner Berliner Wohnung ist, geht er zweimal am Tag ins Restaurant und gönnt sich die besten Weine. Ich hoffe, ich bleibe immer so arm wie jetzt.

Im Ernst: Die Daten des SOEP, die im Auftrag des DIW erhoben werden, sind nur beschränkt aussagekräftig. Niemand kann die Angaben der Befragten überprüfen, das DIW ist nicht das FBI. Selbständige, Menschen mit Vermögen, Schwarzarbeiter und Steuerhinterzieher neigen dazu, die Aussage zu verweigern (die Umfrage ist freiwillig) oder zu lügen. Das ist ähnlich wie bei Umfragen zum Sexualleben oder zum Ernährungsverhalten. Jede Studie hat ihre methodischen Mängel, in diesem Fall z.B. das Ausblenden von Vermögen und solventer Verwandtschaft. Als Student habe ich zwei Jahre lang mein Geld in einem Call-Center verdient. Ich wusste nie, ob die Interviewten die Wahrheit sagten. Trotzdem gab es präzise und seriös wirkende Tabellen und Grafiken zu unseren Studien. Ich empfehle jedem, ein gesundes Misstrauen gegenüber amtlichen und anderen Statistiken zu entwickeln. Man könnte die Leute auch einfach direkt fragen, ob sie arm sind. Dann kommt man sicher zu völlig anderen Zahlen.  

Und falls sich jetzt irgendeine geföhnte Susi aufregt: Ich weiß, im Gegensatz zu den meisten Lesern dieses Blogs, was echte Armut ist. Ich war selbst mal Hartz IV-Empfänger und meine Mutter war eine alleinerziehende Putzfrau. Ich habe mit zwölf meinen ersten Job angenommen, Heimarbeit im Kinderzimmer. Denk mal drüber nach, Holgi, wenn du das nächste Mal am Stammtisch den SJW raushängen lässt. Die ganzen Leute, die sich in den Kommentarspalten über wachsende Armut aufregen, fahren einen Mittelklassewagen, haben einen Mittelklassejob und führen ein Mittelklasseleben. Die Armen haben Besseres zu tun.

Hurdy-Gurdy-Girls – Wikipedia

Freitag, 22. Juli 2022

Wissen als Naturgewalt

 

Blogstuff 716

„Ich kenne sie nicht. Claudia kennt sie auch nicht. Die war nie in Wichtelbach, die kennen wir nicht.“ (Andy Bonetti über Annalena Baerbock)

Vor ein paar Jahren hat mein Nachbar im Vorgarten eine Schotterfläche angelegt. Jetzt nehmen sich die Bauarbeiter den Garten hinter dem Haus vor. Erst wurde eine hohe Betonmauer gebaut, jetzt wird alles mit Bodenplatten ausgelegt. Aus dem Garten wird ein Hinterhof. Auf sechshundert Quadratmetern Grundstück ist kein Pflänzchen mehr zu sehen.

Gerissen: Dieter Wedel entzieht sich durch Tod einer Anklage wegen Vergewaltigung.

Wenn Amateure schreiben, heute: Overton-Magazin: „die meisten Moldawier bevorzugen heute offenbar die Annäherung zum Westen“, zwei Absätze weiter: „da große Teile der moldawischen Gesellschaft nach wie vor zu Russland tendieren.“ Bist du das, Holgi? Nein. „Verantwortlich für den Inhalt nach § 55 Abs. 2 RStV: Für Overton-Magazin: Roberto De Lapuente.“ Sein Kollege Wellbrock schreibt jetzt übrigens für RT. Aber die beiden sind ja schon als Querdenker falsch abgebogen. Wird Moldawien zur zweiten Ukraine? | (overton-magazin.de)

Ich habe zwar noch 6000 Liter Heizöl im Tank und muss mir im kommenden Winter keine Sorgen machen, dennoch ist es ein beruhigender Gedanke, dass ich einen offenen Kamin im Wohnzimmer und jede Menge gut abgelagerte Buchenscheite im Keller habe.

Jeder bekommt einmal im Jahr seinen Rentenbescheid und weiß, was im Alter auf ihn zukommt. Wer nicht mindestens vierzig Beitragsjahre vorzuweisen hat, wird bescheiden leben. Selbständige, die keine Rücklagen gebildet haben, dürfen zum Sozialamt gehen. Die wenigsten Renten liegen über 2000 Euro. Im Durchschnitt bekommt der Rentner etwa 1500 Euro. Da ist es durchaus hilfreich, wenn der böse böse Ausbeuterbetrieb noch eine Firmenpension zahlt. Im Falle meines Vaters sind das 4038 Euro brutto bzw. 3263 Euro netto. Er ist im Januar 1999 in Rente gegangen und hat bisher nach Adam Riese 282 Monate lang seine Ruhestandsbezüge bekommen. Macht genau 1.138.716 Euro, die ihm irgend so ein Bonzenschwein überwiesen hat, damit er seinen Ruhestand genießen kann. Vermutlich war es etwas weniger, da die Betriebsrente erst im Laufe der Jahre auf diese Summe gestiegen ist. Aber von der Kaufkraft kommt es ungefähr hin. Jedenfalls war es sehr viel Geld, mehr als von Vati Staat. Das wäre im Sozialismus nicht möglich gewesen.

Was Putin bisher in der Ukraine erobert hat, ist eine menschenleere Trümmerlandschaft, durch die Partisanen ziehen. Hier trägt niemand mehr zum Staatshaushalt bei, im Gegenteil. Erst müssen die Fabriken und die Wohnhäuser für die Arbeiter wieder aufgebaut werden. Russland muss alles auf eigene Kosten leisten, ohne internationale Hilfe. Fun Fact: Russland ist beim BIP pro Kopf auf Platz 66, hinter China, Panama oder Rumänien. Und dann muss man erstmal Leute finden, die in eine Gegend ziehen wollen, in der es zugeht wie damals in Vietnam, Nordirland oder Afghanistan. Viel Spaß, Russen-Gröfaz!

The KLF - 3AM Eternal (Live at the S.S.L.) (Official Video) - YouTube

 

Donnerstag, 21. Juli 2022

Ein Tag im Leben des Soldaten Bonetti

 

Es ist der 1. Juli 1985. Andy Bonetti hat gerade sein Abitur gemacht und muss zur Bundeswehr. Sein reicher Vater hat dem Standortkommandanten ein wertvolles Golfschläger-Set von Honma gekauft und ihm zu einer Mitgliedschaft im hiesigen Golfclub verholfen. Daher genießt sein Sohn natürlich Vorzugsbehandlung.

Andy Bonetti hat in der Kaserne ein luxuriöses Einzelzimmer mit Himmelbett. Gegen neun Uhr, die andere Rekruten sind längst zum Appell angetreten, wird ihm auf einem Silbertablett ein opulentes Frühstück ans Bett gebracht. Frisch gepresster Orangensaft und ein Milchkaffee, Brötchen mit Schinken, Käse, Marmelade und Honig, etwas Lachs mit Meerrettich, Rührei mit Bacon und ein Melonenschiffchen.

Gegen zehn Uhr ist ein Dreißig-Kilometer-Marsch mit vollem Gepäck geplant. Bonetti nimmt in einer Rikscha an der Geländeübung teil. Er trägt eine weiße Paradeuniform. Am Zielort hat man eine Decke ausgebreitet und einen Baldachin aufgebaut. Bonetti legt sich auf die Wiese und genießt das Picknick: Weintrauben, Käse, Roastbeef und eisgekühlter Champagner. Die Rekruten begnügen sich mit ihren Einmannpackungen und der Feldflasche. Bonetti macht ein kleines Nickerchen. Die Kompanie wartet leise und ergeben. Als er aufwacht, kehren alle in die Kaserne zurück.

Das Abendessen nimmt Bonetti in der Offiziersmesse am Tisch des Standortkommandanten, dem Panzergeneral Horst Stahlgewitter III., ein. Nach dem fünfgängigen Menü spielen sie eine Runde Offiziersskat und sieben Runden Schnaps. Anschließend geht es zu einem Bummel durch die Stadt. Bonettis bezaubernde Freundin erwartet ihn bereits am Kasernentor. Im Porsche Cabrio fahren sie von Nachtclub zu Nachtclub.

Das ist natürlich nur Spaß gewesen. Sein Vater, Achilles Carlos Amadeus Bonetti, hat einem befreundeten Arzt das Golfschläger-Set geschenkt. Im Gegenzug hat er Andys Wehruntauglichkeit attestiert. Für die Landesverteidigung haben wir schließlich den Pöbel.

 

Mittwoch, 20. Juli 2022

Das Spiel beginnt

 

Das Motel war perfekt. Etwa einen Kilometer von der Interstate entfernt. Eine Rezeption, zwölf Zimmer. Apollo Motel. Wahrscheinlich in der Euphorie der Mondlandung errichtet. Ich mietete ein Zimmer für eine Nacht und bezahlte zum ersten Mal seit einem Monat mit meiner Kreditkarte. Das würde sie auf meine Fährte locken. Ich war vorbereitet.

Ich hatte das Zimmer Nr. 5. Anhand der Autos vor den Türen erkannte ich, dass außer meinem Zimmer nur zwei andere Zimmer vermietet waren. Es war kurz vor Mitternacht. Ein rostiger Pick-up und ein Geländewagen. Leute auf der Durchreise. Niemand, der mir Probleme machen würde.

Ich schloss die Tür auf und machte Licht an. Ich schaltete den Fernseher ein, um für eine gewisse Geräuschkulisse zu sorgen. Dann ging ich weg. Auf der anderen Straßenseite des Motels war ein Wald. Dort setzte ich mich ins Gebüsch und wartete. Mit dem Nachtsichtgerät beobachtete ich den Eingang zu meinem Zimmer.

Sie kamen etwa dreißig Minuten später. Sehr schnell. Respekt. Ein Ford Crown Victory, dunkelblau. Der klassische Dienstwagen. FBI oder NSA, CIA oder DIA. Vielleicht auch U.S. Marshals. Kein Hoheitszeichen, kein Blaulicht. Er rollte langsam von rechts über den Kies und blieb vor meiner Tür stehen.

Ein Mann und eine Frau. In Zivil, sie trug einen schwarzen Hosenanzug, er einen schwarzen Anzug, weißes Hemd und dunkelrote Krawatte. Mit gezogenen Pistolen näherten sie sich meiner Tür. Dann klopften sie. Nach etwa einer Minute klopften sie ein zweites Mal.

Die Frau postierte sich neben der Tür und der Mann drückte die Türklinke. Ich hatte die Tür offengelassen. Sie betraten nacheinander das Zimmer. Nach dem USA PATRIOT Act, der einen Monat nach 9/11 vom Kongress verabschiedet worden war, brauchten sie weder einen Durchsuchungs- noch einen Haftbefehl, sie konnten ohne richterlichen Beschluss Telefone abhören und Kontenbewegungen überprüfen.

Alles im Namen der nationalen Sicherheit. Und ich war definitiv eine Bedrohung der nationalen Sicherheit. Ich wusste alles über die Söldner, die im Ukrainekrieg eingesetzt wurden. Offiziell waren sie Angestellte einer Sicherheitsfirma in Kentucky. Alles ehemalige Mitglieder der Delta Force, Green Berets, Rangers und Navy SEALs. Darunter auch ein paar exzellente Scharfschützen. Sie wussten, dass ich es wusste.

Nach einer Minute kamen sie heraus. Sie unterhielten sich. Dann setzten sie sich wieder in den Wagen. Der erste Schuss aus meinem Gewehr traf den linken Vorderreifen, der zweite den linken Hinterreifen. Dann rannte ich in den Wald. Ein Statement. Mehr nicht. Ich weiß, dass ihr hinter mir her seid. Ich bin in der Nähe. Ihr seht mich nicht, aber ich sehe euch. Das Spiel konnte beginnen.

 

Dienstag, 19. Juli 2022

No Solutions – Random Choice


Blogstuff 715

“Only the dead are safe; only the dead have seen the end of war." (George Santayana)

Milliardäre genießen in der Öffentlichkeit keinen guten Ruf. Aber es gibt auch hilfsbereite und großzügige Milliardäre. Nehmen wir zum Beispiel Bruce Wayne, der als Batman verkleidet auf Verbrecherjagd geht.

Sie können sich Ihre Gasheizung nicht mehr leisten? Warum verbringen Sie den Winter nicht einfach auf den Malediven?

Die Realität ist nur eine Kulisse meiner Gedanken.

„Einen Espresso, bitte. Aber mit viel Milch.“

Arbeit ist das falsche Konzept. Man muss andere Menschen für sich arbeiten lassen.

Habeck ist permanent auf der Suche nach Energie. Neulich habe ich ihn im Wald gesehen, als er Brennholz gesammelt hat.

Warum hat Bonetti nicht über die Lindner-Hochzeit gelästert? Weil er eingeladen war.

Wer jetzt noch der Ukraine empfiehlt, sich nicht zu wehren, würde auch einer vergewaltigten Frau raten, sich nicht zu wehren, weil es dann weniger weh tut.

In meiner Kindheit gab es im Fernsehen immer diese chinesischen Artisten, die ein Dutzend Teller gleichzeitig auf Stäben rotieren ließen. Warum gibt es das nicht mehr? Und wann sind eigentlich Jeanshemden aus der Mode gekommen?

Zum ersten Mal seit über vierzig Jahren habe ich mal wieder eine Packung Kellog’s Frosties gekauft. Da kommen Erinnerungen auf. Vielleicht kaufe ich als nächstes Smacks?

Bonetti beschäftigt einen Praktikanten, dessen einzige Aufgabe es ist, dem Meister am Abend ein Stück Schokolade auf das Kopfkissen zu legen. Aber mit einer Praktikumsbescheinigung von Bonetti Media bekommst du sofort einen Job bei der New York Times.

Hätten Sie’s gewusst? Long Beach hat einen sehr langen Strand.

Winter in Deutschland. In den eiskalten Wohnungen hängt der Geruch von Zahnfäule, Schulden und Hoffnungslosigkeit.

Es ist auch putzig, wenn man sieht, wie akribisch der Wutbürger-Stammtisch in Kleinbloggersdorf jedes noch so kleine Puzzleteilchen zusammenträgt, das zur Saga vom Friedensfürsten Putin und dem großen Satan USA passt. Wie viel Lebenszeit diese armen Menschen ihrem Zorn und ihrer Verbitterung opfern. Bei ihnen ist nächste Woche Atomkrieg, bei mir ist Sommer.

Was ist Ihre bevorzugte Schlafposition? – Die weltabgewandte Seite.

Noir Désir - Le Vent Nous Portera (Clip Officiel) - YouTube

Montag, 18. Juli 2022

Ich krieg die Krise


Krise ist ein Begriff, der in Zeiten der Aufmerksamkeitsökonomie, von Hysterie und Panikmache inflationär gebraucht wird. Ab wann ist ein Problem eine Krise? Ich definiere Krise als existentielle Bedrohung, die ein sofortiges Umdenken und rasches Handeln erfordern. Insofern waren die Bankenkrise und die Griechenlandkrise keine Krisen, weil sie auf den Finanzsektor beschränkt blieben. Ich habe in meinem Privatleben nichts davon mitbekommen. Die Corona-Pandemie war eine Krise. Jeder war potenziell vom Virus bedroht, die Gegenmaßnahmen waren drastisch. Wenn die Bundesliga nicht mehr spielt und das Oktoberfest ausfällt, muss die Gefahr groß sein.

Wie ist die aktuelle Lage? Corona ist ein Problem, aber keine Krise mehr, seit wir den Impfstoff haben. Die Inflation ist ein Problem, aber keine Krise. Die gestiegenen Preise betreffen nur das untere Drittel der Gesellschaft, die Taxifahrer und Dönerverkäufer, die Arbeitslosen, die Alleinerziehenden, die Geringverdiener, die Behinderten usw. Aber diese Menschen gehören immer zu den Verlierern, selbst wenn es keine Krisen oder Probleme gäbe. Ihre Mittel sind permanent beschränkt.

Aber wir sprechen hier nur von relativer, nicht von absoluter Armut. Ich habe drei Jahre in einem sozialen Brennpunkt gearbeitet, fünfzig Prozent der Bewohner haben von Transferleistungen gelebt. Diese Leute hatten vielleicht kein Auto und sind auch nicht in den Skiurlaub geflogen, aber sie hatten alle Handys, Computer und Fernseher. Genug zu essen und ein Dach über dem Kopf. Keine Oma und kein Türke hat sich über seinen Lebensstandard beklagt, German Abstiegsangst gibt es nur in der unteren Mittelschicht.

Die Energieversorgung ist ein Problem und könnte im Winter zu einer Krise führen. Ich denke in erster Linie an die Industrie. Vielleicht hat ein kleiner Teil der Privathaushalte ein Problem, wenn die Raumtemperatur auf 18 Grad gesenkt wird. Aber das wäre ein Luxusproblem. Als wir früher unsere Großeltern besucht haben, übernachteten wir im ungeheizten Schlafzimmer im obersten Stockwerk ihres Hauses. Kissen und Federbetten schienen im Winter aus Eis zu sein und wir konnten unseren Atem sehen. Wir Kinder haben uns in den Schlaf gezittert und von 18 Grad geträumt.

Putin hat in einer Sache Recht: Wir sind verweichlicht und dekadent, wir jammern auf hohem Niveau. Ein Volk von wehleidigen weinerlichen Waschlappen. Selbstmitleid ist der tägliche Gruß des Deutschen. Auch die Leute, die sich jeden Tag in den sozialen Medien über Ungleichheit, fehlende Digitalisierung und Weltuntergang beklagen, haben offensichtlich einen Computer und einen funktionierenden Internetanschluss.   

Die größte Krise ist die Klimakrise. Merkwürdigerweise unternehmen wir in diesem Zusammenhang am wenigsten. Wir haben in Sachen Klima sicher kein Analysedefizit, alle Fakten sind seit langem bekannt. Die Medien befassen sich ausführlich mit dem Thema. Aber wir haben offenbar ein Umsetzungsdefizit. Die Klimakrise ist eine existenzielle Bedrohung, wir müssen das ganze System umbauen und es ist dringlich. Nur noch einmal in der Woche zwei Minuten kalt duschen – das ist kein Umbau, das ist keine Zeitenwende, das ist ein Armutszeugnis.

Mad World - Vintage Vaudeville - Style Cover ft. Puddles Pity Party & Haley Reinhart - YouTube

 

Sonntag, 17. Juli 2022

Russen-Bill

 

Es war tiefe Nacht, als das U-Boot vor der russischen Küste auftauchte. Ein Mann kletterte hinaus und ließ ein Schlauchboot ins Wasser gleiten. Dann sprang er hinein und ruderte zur Küste. Am Strand angekommen zog er das Boot zwischen die Bäume und machte sich auf den Weg nach Petropawlowsk-Kamtschatski, dem Loch im Arsch der Ostküste.

Der Name des Mannes war William Dayton und er war CIA-Agent. In Langley nannte man ihn nur Russen-Bill. Seine Aufgabe war es, ein Agentennetzwerk aufzubauen. Er war wie ein Kosake gekleidet und trug hohe schwarze Stiefel und eine Pelzmütze.

Er betrat eine Kneipe. Schlagartig verstummten alle Gäste, als sie ihn sahen. Bill setzte sich an die Theke und bestellte in akzentfreiem Russisch hundert Gramm Wodka. Der Wirt stellte das Glas vor ihn.

Der Agent drehte sich zu den Gästen um, warf den Kopf in den Nacken und trank das ganze Glas in einem Zug leer. Dann warf er das Glas hinter sich an die Wand und lachte schallend.

Die Gäste schwiegen immer noch.

Da sprang er von seinem Barhocker und tanzte einen Kasatschok.

Eisiges Schweigen.

Bill nahm eine Balalaika von der Wand und spielte ein paar alte russische Volkslieder.

Keine Reaktion.

„Was ist los“, rief er. „Ich bin doch ein Russe wie ihr.“

Mitten in die Stille sagte der Wirt: „Es gibt keine schwarzen Russen.“

Samstag, 16. Juli 2022

Hilfe

 

Er saß im Bus schräg vor mir. Schiefergrauer Anzug, hellbraune Halbschuhe. Er würdigte die Stadt keines Blickes und sah nur auf sein Handy. Offenbar ein Einheimischer, vielleicht auf der Rückfahrt nach Hause. Es war kurz vor sechs.

Ich weiß nicht, warum meine Wahl auf ihn fiel. Aber er war es. Das wusste ich. Keine Besonderheiten. Nichts Ungewöhnliches. Aber genau der Richtige. Er stieg am Kaiserdamm aus und ich folgte ihm.

Wenig später betrat er einen Altbau. Ich beobachtete ihn durch den Glaseinsatz der Haustür. Er stand vor dem Fahrstuhl und wartete. Dann verschwand er aus meinem Blickfeld. Ich ging auf die andere Straßenseite und setzte mich auf eine Bank.

Zwei Stunden später verließ er das Haus. Jetzt trug er eine Jeans und ein schwarzes T-Shirt. An seiner Seite war eine junge Frau, Mitte oder Ende zwanzig. Lange schwarze Haare, ein cremefarbenes Sommerkleid und Sandaletten mit Absatz.

Ich stand auf und folgte ihnen. Sie gingen in ein Bistro, das wenige Straßen weiter an einer Straßenecke lag. Ich wartete eine Minute, dann betrat ich ebenfalls das Lokal. Sie hatten einen kleinen runden Tisch am Fenster. Der Nebentisch war glücklicherweise frei, also setzte ich mich mit dem Rücken zu ihnen.

Sie bestellten Flammkuchen und Pinot Grigio, ich gab eine Quiche Lorraine und ein Glas Bier in Auftrag. Ich hörte ihnen zu. Es ging hauptsächlich um die Arbeit. Sie war offensichtlich Lehrerin und sprach von fremden Kindern, er war Angestellter in einer Personalabteilung und sprach von deprimierenden Bewerbungen.

Nach einer Stunde verließen sie das Bistro. Ich bezahlte und folgte ihnen wieder. Er hatte den Arm um ihre Schulter gelegt und drückte sie an sich. Ich hoffte, dass sie noch nicht gleich nach Hause gingen.

Plötzlich drehte sich der Mann um, sah mir ins Gesicht und fragte mich: „Kann ich Ihnen helfen?“

Aber mir war nicht mehr zu helfen.

 

Freitag, 15. Juli 2022

Der beste Tag meines Lebens

 

Blogstuff 714

Wie funktioniert der Kunstmarkt? Bonetti gibt einem Galeristen 5000 Euro, damit er sein ungemachtes Bett ausstellt. Kunden sehen es und sprechen darüber. Dann wird das Bett in ein Auktionshaus geschafft. Bonetti schickt zwei Strohmänner, die sich gegenseitig überbieten. Schließlich wird das Bett für 100.000 Euro verkauft. Bonetti hat jetzt einen Namen in der Kunstszene. Erste Liga. Als nächstes kommen sein Besteckkasten und ein Ensemble aus Raviolidosen auf den Markt. Sie symbolisieren irgendwas, keine Ahnung. Der Rubel rollt, die Medien berichten. Den Redakteuren fallen Metaphern und Erklärungen ein, das ist ihr Job. Werden Sie Künstler!

Ich werde oft mit Rom verglichen. Wir sind beide sehr alt und haben schon bessere Tage gesehen.

Wenn Sie sich mal aus Versehen einen Kaffee über die Hose geschüttet haben, bleiben Sie einfach ganz ruhig. Mein Tipp: Ein kühles Bier bestellen und auch über die Hose kippen. So gleicht sich alles wieder aus.

Life Hack zum Thema Bahnfahren: Besorgen Sie sich eine Schaffneruniform, kontrollieren sie ein paar Fahrkarten und reisen Sie umsonst.

Anruf beim Pizza-Lieferanten im Nachbardorf. Ich werde mit Namen begrüßt. Als ich am Ende meine Adresse sagen will, antwortet er: "Die kennen wir hier alle auswendig."

Es fehlen Mitarbeiter in der Gastronomie, an den Flughäfen, in der Pflege, an den Schulen und im Handwerk. Also plärrt die Wirtschaft nach dem Staat. Junge Leute sollen in den Niedriglohnsektor dienstverpflichtet werden. Subventionen dürfen auch nicht fehlen. Aber wir sind hier nicht im Sozialismus, Leute. Das regelt der Markt. Und auch auf dem Arbeitsmarkt herrschen Angebot und Nachfrage. Macht die Jobs finanziell attraktiver und ihr bekommt Leute. Bildet selbst aus und ihr habt Nachwuchs. Die Arbeitsämter werden der Wirtschaft nicht helfen können. In ihren Karteien führen sie keine examinierten Krankenschwestern, Busfahrer und Studienräte. In bestimmten Berufen trifft die Nachfrage auf einen leergefegten Arbeitsmarkt, Hebammen sind das Klopapier der Post-Lockdown-Gesellschaft.

Seit Jahrzehnten lese ich vom „sozialen Sprengstoff“, vom Niedergang der Mittelschicht. Wann geht er endlich hoch? Wann erhebt sich das gepeinigte Proletariat? Wann haben die linken Wutbürger die kritische Masse erreicht? Wann beginnt der Generalstreik von Millionen Werktätigen? Wann erheben sich die Arbeitslosen vom Sofa? Gibt’s da schon einen Termin?  

Richtig coole Leute sagen nicht Fußgängerzone, sondern Da Zone. Man sagt auch nicht Nachbarschaft, sondern Da Hood.

Scholz macht es wie Schröder. Schröder hat den Arbeitslosen Geld weggenommen und es mit einer Lohnsteuersenkung den Reichen geschenkt. Scholz nimmt den Langzeitarbeitslosen Geld und gibt es einem Unternehmen namens Juniper.

Double You - please don't go (Club Mix) [1992] - YouTube

 

Donnerstag, 14. Juli 2022

Reden wir über Waffen

 

Ich gebe zu: Das Internet ist verführerisch. Man kann endlos Texte lesen und Informationen sammeln. Das Internet hilft uns aber nicht beim Denken. Wer nur irgendwelchen obskuren Quellen im Internet folgt, reimt sich höchstens irgendein Geschwurbel zusammen, aber er erkennt die Zusammenhänge nicht. Dazu muss man offline sein und in einer reizarmen Umgebung sein Gehirn benutzen.

Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Waffen. Die achtzig Millionen Stammtischgeneräle, die im vergangenen Jahr noch Stammtischvirologen und davor Stammtischklimaexperten waren, sinnieren gerne ausführlich darüber, dass der Westen nicht genügend Waffen an die Ukraine liefert. Auch in den Medien geht es immer nur um offizielle Lieferungen, zu denen es Presseerklärungen der jeweiligen Regierungen gibt. Ein Schimpanse plappert es dem anderen Schimpansen nach.

Wie funktioniert der Waffenhandel? Nehmen wir mal an, Sie wären vom IS. Also gehen Sie einfach in ein Waffengeschäft in Chicago und sagen: „Hallöchen, ich komme vom Islamischen Staat und möchte hundert automatische Gewehre kaufen. AR-15, wenn’s recht ist. Lieferung geht nach Bagdad.“ Das wird nicht funktionieren. Auch die U.S. Army wird Sie nicht beliefern. Trotzdem hat der IS immer genug Waffen und Munition. Wie machen die das?

Was der Stammtischgeneral und der Journalist nicht auf dem Radar haben, ist der internationale Waffenhandel. Wenn Sie Geld haben, können Sie alles kaufen. Und es gibt immer genug von allem. Erinnern Sie sich noch an den Golfkrieg 1991? Ein halbes Jahr lang haben die Amerikaner Truppen und Material nach Saudi-Arabien verlegt. Der Krieg dauerte nur hundert Stunden. Dann haben die Amerikaner wieder ein halbes Jahr gebraucht, um alles zurückzubringen. Aber nicht alles ist wieder in Amerika angekommen. In einem Vierzig-Tonnen-Container waren vielleicht nur 35 Tonnen Waffen und Munition. Die Frachtpapiere waren in Ordnung, aber bei diesen Mengen kann nicht jede einzelne Kiste kontrolliert werden.

Es gibt ja nicht nur korrupte Bullen, sondern auch korrupte Soldaten. Viele Waffen haben die Kriegsschauplätze im Irak oder in Afghanistan nicht verlassen, sie sind vor Ort an die Einheimischen verkauft worden. Der Waffenhandel ist ein blühendes Geschäft, vor allem im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika. Wer weiß genau, wie viele Waffen im weltweit operierenden US-Militär zirkulieren? An wie vielen Kriegen waren die Amerikaner offiziell und inoffiziell beteiligt? Wenn der Schwund doch mal auffällt, wird er von der Army und dem Marine Corps unter den Teppich gekehrt. Niemand will die schlafenden Hunde, die Ermittler von der MP, wecken. Also wurde die Munition offiziell verballert und die Waffen sind verloren gegangen. Fall erledigt. Dazu kommen Diebstähle aus heimischen Waffendepots. Auch mancher Hersteller ist in dieses lukrative Geschäft verwickelt. Die Waffenhändler sind dankbare Abnehmer und ihre Kundenliste ist sehr lang.

Kommen wir nun zum Ukraine-Krieg. Offiziell hat Deutschland ein paar Waffen geliefert, dazu ein bisschen Krimskrams wie die 5000 Helme. Viel wichtiger ist die finanzielle Unterstützung. Der Ukraine wurden viele Milliarden Dollar und Euro überwiesen. Es gab regelrechte Spendengalas aka Geberkonferenzen. Damit kann Selenskyi auf dem internationalen Waffenmarkt shoppen gehen. Auf dem Balkan ist eine Kalaschnikow schon ab dreihundert Euro zu haben, im Irak kostet sie nur die Hälfte. Es gibt etwa einhundert Millionen AK-47, die Munition kostet weniger als fünfzig Cent pro Schuss.

Kein lästiger Papierkram, keine langen Verhandlungen, keine Gesetze, keine Presseerklärungen. Solange die Ukraine Geld hat, bekommt sie auch Waffen. Keine Panzer, aber wenigstens Panzerfäuste und alles andere, was man für einen Guerillakrieg braucht. Die Vietnamesen haben den Krieg gegen die Amerikaner schließlich auch nicht mit ihren Panzerdivisionen oder ihrer überlegenen Luftwaffe gewonnen, sondern durch permanente Waffenlieferungen aus China und der Sowjetunion.

Man erfährt nicht alles, was in einem Krieg, im Geschäftsleben oder in der Politik tatsächlich vorgeht, aus dem Internet. Wir bekommen immer nur einen Bruchteil der nötigen Informationen. Aber den selbsternannten Experten vom Stammtisch fehlt für diese Erkenntnis natürlich die entsprechende Gehirnwindung.

Wiktor Anatoljewitsch But – Wikipedia

Mittwoch, 13. Juli 2022

Mister Wichtig

 

U 7. Rathaus Spandau. Mister Wichtig steigt ein. Natürlich setzt er sich mir gegenüber. Dunkler Anzug, Aktentasche, Ende Dreißig und schon leicht übergewichtig. Die Gesichtsfarbe lässt auf Bluthochdruck schließen. Er nimmt die ganze Bank ein, Kniescheiben und Schritt bilden ein gleichschenkliges Dreieck.

Er holt sein Handy raus. Ein nagelneues iPhone. Was sonst. Dann blökt er los. Alle können es hören, selbst der Student mit Kopfhörern zehn Meter weiter.

„Hallo Zentrale. Hier ist Todenröder. Habe gerade fünfhundert Gartenlaternen an OBI Spandau verkauft. Der Kunde wollte sich bei euch melden. Ich bin jetzt auf dem Weg zum Flughafen. Meldet euch doch mal. 0157-39404142.“

Dann daddelt er eine Weile zufrieden auf seinem Handy herum.

U-Bahnhof Berliner Straße. Mister Wichtig ruft wieder bei der Zentrale an. Derselbe Text. Ohrenbetäubend laut. Der König der Welt spricht zu seinem Volk. Er hat den Geschäftsabschluss in der Tasche. Mehr geht nicht.

Am Hermannplatz wiederholt sich das Ganze. Könnte er den Text nicht auch auf Türkisch durchgeben, damit alle was davon haben? Ich bin so sauer, ich hätte Essig pissen können.

Am Zwickauer Damm steige ich aus. Kurz vor der Endstation, im Südosten Berlins. Als die U-Bahn weitergefahren ist, zücke ich mein Handy und wähle die 0157-39404142.

„Hallo, Todenröder. Hier ist die Zentrale. Der Kunde hat sich gemeldet. Es gibt da ein Problem mit der Bestellung. Können Sie noch mal zurück nach Spandau zu OBI?“

Dienstag, 12. Juli 2022

Die Stelzeneder-Variante

 

Montag

Manche nennen mich Jeff, andere wiederum Kiff, Chief, Kies oder gar Kiew. Aber eigentlich heiße ich Keith. Keith Stelzeneder. Ist aber auch egal. Ich liege in der Notaufnahme des Kreuzberger Urbankrankenhauses. Zwei Menschen in Schutzanzügen stehen neben meinem Bett. Die Woche geht ja gut los.

„Sie haben eine Virus-Infektion. Ein völlig neuartiger Virus. Sie sind Patient Zero“, sagt der Mensch links von mir.

„Was bedeutet das?“ nuschele ich durch die Schutzmaske.

„Die Krankheit wird nach Ihnen benannt werden. Wenn es eine Pandemie wird, kommen Sie in die Tagesschau,“ erklärt mir der Mensch rechts von mir.

„Werde ich sterben?“

Jetzt wieder von links: „Nicht, wenn Sie sich an ein paar Regeln halten. Strenge Diät. Absolute Quarantäne. Vier Wochen in Isolation.“

„Was muss ich tun?“

„Erstens“, doziert der Mensch zu meiner Rechten, „dürfen sie nur noch Wein trinken. Und Sie müssen viel trinken. Mindestens zwei Liter am Tag. Mineralwasser oder Fruchtsäfte wären im Augenblick tödlich für Sie. Vermeiden Sie Vitamine. Zweitens: Essen Sie Pizza, Torte und Rindersteaks. Nehmen Sie tagsüber zu jeder vollen Stunde einen Esslöffel Jägermeister zu sich.“

 

Dienstag

Ich werde auf ein Weingut an der Nahe verlegt. Ich habe eine Ferienwohnung mit Blick auf die Weinberge. Nur mein Pfleger darf zu mir. Er serviert mir die Mahlzeiten ans Bett. Bewegung wäre in diesem Zustand nicht gut für meine Genesung.

 

Mittwoch

Ich mache Fortschritte. Gestern hat mich der Pfleger einen Kilometer in einem Rollstuhl durch die Weinberge geschoben. Heute sind es schon zwei Kilometer. Die viele Bewegung an der frischen Luft tut mir gut.

 

Donnerstag

Ich könnte Bäume ausreißen. Zum Mittagessen gibt es ein riesiges T-Bone-Steak. Leider ohne Ketchup, Zwiebeln und Pommes – zu viele Vitamine. Inzwischen haben auch die Medien von der Sache Wind bekommen. Am Nachmittag wird ein ARD-Brennpunkt gedreht. Sandra Maischberger führt per Video-Konferenz ein Interview mit mir.

 

Freitag

Heute gibt das Urbankrankenhaus eine Pressekonferenz. Man hat meine Proben verwechselt. Irgendwas falsch analysiert. Der Praktikant hat sich einen Scherz erlaubt. Keine Ahnung. Ich bin gar nicht krank. Man setzt mich an eine Bushaltestelle und erklärt mir, ich müsse selbst sehen, wie ich wieder nach Hause komme. Meine Krankenkasse verlangt unverzüglich eine Kostenerstattung und droht mit einem Prozess. Chaos im deutschen Gesundheitswesen 2022. Die Busfahrer streiken.

 

Montag, 11. Juli 2022

Alle schweigen, keiner lacht / Bonetti hat ’nen Witz gemacht

 

Blogstuff 713

„Unsichtbar macht sich die Dummheit, indem sie sehr große Ausmaße annimmt.“ (Brecht)

Dieses Land macht mich nicht wütend, es bringt mich zum Lachen.

Schweppenhausen hat auch Wirtschaftsbetriebe. Zumindest einen. Die Hühnerfarm. Hier kommen die „frischen Hunsrückeier“ her. Jedes Mal, wenn wir an ihr vorbeifahren, macht mein Vater denselben Witz. Die Hühner hätten den Hunsrück doch nie gesehen. Seit 45 Jahren. Ja, Vaddern. Ist gut jetzt.

Am Küchenfenster. Sehnsucht und Verzweiflung der Stubenfliege. Die Freiheit erscheint so nah, aber für sie ist sie unerreichbar. Mit einem beherzten Schlag erlöse ich sie.

Hätten Sie’s gewusst? Der Berliner Alexanderplatz wurde nach Peter Alexander benannt.

Verkehrsfunk: „Achtung! Auf der Autobahn zwischen Hannover und Berlin kommen Ihnen russische Panzer entgegen.“

Das “Komitee zur Vorbereitung der Weltrevolution e.V.“ trifft sich am 15. Juni im Gasthaus zur Pfalz in Wichtelbach.

2035: Die Rotchinesen landen auf dem Marx.

Warum werden die Etats der Geheimdienste nie gekürzt? Weil sie Informationen über Politiker sammeln. Um sie vor Erpressung zu schützen. Die Medien kennen nicht jede Leiche im Keller, die Geheimdienste schon. Deswegen genehmigen die Politiker jeden Geheimdienstetat. In Russland hat es ein KGB-Offizier mithilfe seiner Seilschaft sogar bis in den Kreml geschafft.

Der Uhrzeitkrebs kommt pünktlich um acht Uhr auf die Welt und lebt genau eine Woche, manchmal auch nur sieben Tage.

Wichtelbach wurde in einem Wettbewerb von RTL zum unbekanntesten Ort Deutschlands gekürt. Durch die Publicity verlor der Ort natürlich sofort seinen Titel. So funktionieren die Medien.

Wenn Scheiße brennen würde, stünde die Welt in Flammen.

Bonetti kündigte heute auf einer Pressekonferenz eine „massive operative Präsens“ in Kleinbloggersdorf an. Wir dürfen gespannt sein.

Alle reden über die toten Bauarbeiter in Katar. Aber es wurden in den letzten Jahren nicht nur Fußballstadien gebaut. Weiß irgendjemand, wie viele Bauarbeiter in den vergangenen zwanzig Jahren auf arabischen Baustellen ums Leben gekommen sind?

Um Putin zu unterstützen, habe ich alle Heizkörper aufgedreht.

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Sonntag, 10. Juli 2022

Viva Las Vegas

 

Als Valentino Clandestino, der Pate von Stromberg, mit nagelneuen Betonschuhen im Rhein gefunden wurde, war klar, dass die Hunsrücker Mafia umstrukturiert werden würde. Alle möglichen Gangster kamen in die Stadt, aus Bingen, Mainz, Bad Kreuznach und Simmern. Aber das Stromberg Police Department (SPD) fing die Mafiosi frühzeitig ab, verpasste ihnen eine Tracht Prügel und schickte sie nach Hause. Stromberg sollte endlich frei von Verbrechen werden. Also wich die Mafia nach Schweppenhausen aus, damals noch ein unbedeutendes Nachbardorf. So wie die Mafia, als sie in Los Angeles keine Geschäfte machen konnte, einfach Las Vegas in Nevada erfunden hat. Einen Ort des Glücksspiels, der Drogen und der Prostitution. Was in Las Vegas geschieht, bleibt in Las Vegas. So ist Schweppenhausen heute. Kommen Sie ins Tijuana des Hunsrücks!

 

Samstag, 9. Juli 2022

Die Zauberkraft des Kapitalismus


Der ökonomische Laie macht einen entscheidenden Fehler: Er betrachtet die Vorgänge in der Wirtschaft immer nur aus seiner persönlichen Perspektive. Es ist der Blick von einem Maulwurfshügel. Auf diese Weise sieht der Egozentriker nicht weit. Er hat nicht die gesamte Ökonomie und Gesellschaft vor Augen. Dazu kommt die lebenslange Angst um den eigenen Wohlstand, die Angst, im Leben zu kurz zu kommen. So lässt sich die Wut und der Neid in den Kommentarspalten und an den Stammtischen leicht erklären.

Ein einfaches Beispiel: Die Preise von Öl und Gas steigen. Das findet Holgi schlecht. Der Sprit ist teuer, die Heizkosten werden höher und Holgi denkt, jetzt geht die Wirtschaft den Bach runter. Liest er jeden Tag die sogenannten Alternativmedien, denkt er sogar, das Ende des Kapitalismus sei gekommen. Im Winter wird er frieren und muss ungeduscht mit dem Lastenfahrrad zur Stätte seiner Ausbeutung fahren. Aber Holgi irrt sich. Steigende Preise sind für die Gesellschaft eine großartige Nachricht.

Was passiert eigentlich genau, wenn die Preise für Öl und Gas steigen? Das gleiche Produkt kostet mehr. Es wird nicht mehr Öl und Gas gefördert, sondern mehr mit dem Verkauf verdient. Geld wandert also aus Holgis Brieftasche in die Schatullen der Scheiche und Oligarchen. In Moskau und Riad klingeln die Kassen. Aber was passiert mit dem Geld, dass die Scheiche und Oligarchen verdienen? Darüber hat Holgi noch nie nachgedacht. Deswegen ist er wütend, obwohl er sich doch freuen sollte.

Was macht so ein Scheich eigentlich mit dem Geld? Einen Teil gibt er aus und einen Teil investiert er. Er kauft sich teure Autos, riesige Yachten, lässt sich ein neues Haus bauen und seine fünfzig Ehefrauen gehen in Paris und Mailand shoppen. Er kauft Aktien, Anleihen und Edelmetalle. Mit der Preiserhöhung wurde neues Kapital geschaffen, das nun in der Welt zirkuliert. Das ist gut für die Wirtschaft. Das ist sogar gut für Holgi, dessen Ausbeuterbetrieb über fünfundzwanzig Ecken ebenfalls profitiert, weil er die Metallbügel für die Champagnerflaschen herstellt, die von den Scheichen und Oligarchen benötigt werden, um ihren Reichtum zu feiern.

Es ist derselbe Zauber wie bei der Vergabe von Krediten und Optionsscheinen durch Banken. Der Kapitalismus produziert Kapital wie die Bienenkönigin ihre Arbeiterinnen. Holgi bekommt demnächst eine fette Lohnerhöhung. Dann ist noch mehr Kapital im Umlauf. Die Maschinerie des Kapitalismus ist unsterblich, sie ist ein Perpetuum Mobile. Je mehr Geld in Umlauf ist, desto mehr kann gekauft werden. Je mehr gekauft wird, desto mehr kann produziert werden. Natürlich zerstört dieser Kapitalkreislauf die Natur, aber nicht den Menschen. Die Schweine werden nicht aussterben, nur die nutzlosen Tierarten. Erderwärmung? Klimaanlagen und Erdbeereis. Sauerstoffmangel, weil die Wälder sterben? Sauerstofffabriken. Es ist doch sowieso obszön, dass das Atmen noch umsonst ist.

Air Bonetti arbeitet bereits an einem Verfahren. Wir werden das Produkt Breath & Go nennen. Als wir in Davos die Corona-Pandemie beschlossen haben, hatte das einen einfachen Hintergrund. Die Menschen sollten sich an das Tragen von Masken gewöhnen. Statt Schutzmasken wird es Atemmasken geben. Ein kleiner Schlauch führt zu einer Sauerstoffflasche, die Sie bequem in Ihrer Jackentasche tragen können. Breath & Go wird es in jedem Supermarkt geben. In den Wohnungen, Büros, Geschäften und Restaurants wird der Sauerstoff über die Klimaanlage verteilt. Im September gehen wir an die Börse. Sichern Sie sich ein paar Aktien von Air Bonetti. Werden Sie Kapitalist!

Joan Jett & The Blackhearts - Crimson and Clover (1982) HD 0815007 - YouTube