Montag, 23. Dezember 2019
Hermann L. Gremliza
Dienstag, 10. Dezember 2019
Das Glück wirft keine Schatten
„Es ist eine altbewährte Maxime, dass die, die am Wenigsten wissen, am besten gehorchen.“ (George Farquhar)
Eines Tages gibt es ganzjährig und flächendeckend Glühwein. Das Universum, das sich bekanntlich permanent ausdehnt, arbeitet daran.
Kann sich noch jemand an Lino Ventura erinnern? Der Mann hat in seinen Filmen kein einziges Mal gelacht. Kein Mensch weiß bis heute, ob er überhaupt Zähne hat.
Bonetti ist so höflich, er klopft sogar an die Tür seines eigenen Arbeitszimmers, bevor er eintritt.
Mag eigentlich jemand Weihnachten wirklich? Ich rede jetzt nicht von den Kindern, sondern von den Erwachsenen. Eigentlich ist Weihnachten eine nervtötende Scheiße, die keiner braucht und die wir gerne hinter uns bringen würden. Aber: Wer mag seine Arbeit wirklich? Wer mag Medien wirklich? Wer mag Einkaufen wirklich? Wer mag Herbst wirklich? Wer mag die Regierung wirklich? Eigentlich ist doch alles beschissen, aber aus unerfindlichen Gründen wollen wir nicht sterben, weil wir auch den Tod ablehnen.
Zu jeder vollen Stunde werden im Radio die Nachrichten verlesen. Keine einzige hat etwas mit mir zu tun.
Neumond. Merkwürdiges Wort für den uralten Trabanten. Die Schweizer nennen es Leermond, wenn er nicht zu sehen ist.
Bisher gab es in diesem Jahrhundert zwanzig Formel 1-Weltmeisterschaften und damit zwanzig Weltmeistertitel. Zehn gingen nach Deutschland (Schumacher, Vettel, Rosberg), sieben nach Großbritannien (Hamilton, Button), zwei nach Spanien (Alonso) und einer nach Finnland (Räikkönen).
Während die Galaxie brannte und ganze Weltreiche untergingen, saß Bonetti zu Hause und wartete, dass sein Lichtschwert aus der Werkstatt zurückkäme.
Ist sozialer Wandel menschengemacht? Oder ist er nur eine Erfindung linker Wissenschaftler, die an Forschungsgelder kommen wollen?
Keiner will den Klimawandel. Trotzdem kommt er. Merkwürdig. Da kann mal wohl nix machen.
Nach neuesten Forschungsergebnissen gibt es bei 471 Tierarten Homosexualität. Das wird ja immer mehr! Gibt’s überhaupt noch so viele Tierarten? Was kommt als nächstes? Der Transgender-Delphin?
Crowded House - Weather With You. https://www.youtube.com/watch?v=ag8XcMG1EX4
P.S.: Zum Glück speichere ich meine Dateien jeden Tag auf einem Stick. Sonst wären einige Texte jetzt verschwunden und den Rest hätte ich nur im Buchregal oder im Blog. Ich möchte meine Erfahrungen mit notebooksbilliger.de und meinem ersten Lenovo-Laptop nicht im Detail schildern, da es nicht gut für meinen Blutdruck wäre. Gestern Nachmitttag bin ich einfach in einen Elektronik-Markt gefahren und habe mir ein neues Gerät gekauft. Wenn das Teil nach wenigen Monaten kaputt ist, weiß ich wenigstens, wo ich mit der Pumpgun in den Laden stürmen kann. Näheres erfahren Sie zum gegebenen Zeitpunkt auf Seite 1 aller Zeitungen.
Freitag, 6. Dezember 2019
Sendepause
Donnerstag, 5. Dezember 2019
Sucht nach uns
Montag, 2. Dezember 2019
Warum große Künstler nicht verheiratet sind
Nachtweih spielt eigentlich nur den Nerd, in Wirklichkeit hat er außer einem abgebrochenen Studium der Germanistik und der Theaterwissenschaften nichts zu bieten. Aber für den alten König, den er auf mindestens siebzig Jahre schätzt, reicht die Show. Einmal am Tag kommt der Chef in sein Büro, Nachtweih wirft mit ein paar Fachausdrücken um sich und präsentiert ihm bunte Grafiken. Der König von Kreuzberg glotzt mit seinen tischtennisballgroßen Basedowaugen verständnislos auf den Bildschirm und kratzt sich dabei am Kopf. In großen Brocken geht eine Grindlawine ab, dann geht er wieder.
Ein gottverdammter Scheißjob. Aber nach 18 Uhr dreht Nachtweih richtig auf. Alle anderen Angestellten sind schon gegangen und er simuliert Überstunden, weil er angeblich nur „am System“ arbeiten kann, wenn alle anderen Computer runtergefahren sind. Dann arbeitet er an seinem großen Roman „Lubowitsch – Schicksalsjahre eines echten Kerls“. Es geht um einen Duschvorhangvertreter zwischen zwei Frauen, das ist aber nur der Basis-Plot. Eigentlich geht es um viel mehr: das Berlin des frühen 21. Jahrhunderts, Klimawandel, Sterbehilfe, Bankenskandale und korrupte Politiker. Es hängt ja doch im großen Reich des Irgendwie alles mit allem zusammen.
Jetzt fliegen seine Finger über die Tastatur. Jedem Pianisten würde bei diesem Anblick schwindlig werden. Walter Nachtweih ist jetzt Valentino De La Notte, der große Schriftsteller. Unter diesem Künstlernamen möchte er sein Manuskript den großen Verlagen anbieten. Er hat eine geniale Idee. Höhe- und Wendepunkt des Romans. Die Dramatik und die Dialoge strömen ungebändigt aus ihm heraus, er spürt, dass es gut wird. Er wird es schaffen. Das ist der Jahrhundertroman. Das ist das Ticket, das ihn von hier fortbringen wird.
Dann klingelt das Telefon. Er beachtet es zunächst gar nicht. Mit der Gelassenheit eines Steins arbeitet er weiter.
Aber es hört nicht auf.
Schließlich hebt er seufzend den Hörer ab. Das prähistorische Festnetz vom alten König kriegst du nicht leise. Unmöglich. Am Apparat ist seine Frau.
„Hallo, Schatz. Brauchst du noch lange?“
„Kann noch eine Weile dauern. Wir haben hier ein Riesen-Problem. Wenn ich es nicht hinkriege, sind wir morgen offline. Dann rastet König komplett aus.“
„Es ist schon acht Uhr.“
„Ich weiß. Ich arbeite so schnell ich kann.“
„Kannst du mir einen Gefallen tun?“
„Ja.“
„Kannst du vom Späti noch ein Päckchen Kaffee mitbringen?“
„Klar. Mach ich.“
„Versprichst du es?“
„Ja.“
„Du vergisst es nicht wieder wie letztes Mal?“
„Nein. Ich denk dran.“
„Melitta Barista.“
„Ich weiß.“
Letztes Mal hast du aber Melitta Auslese mitgebracht.“
„Ja.“
„Du weißt, dass ich Melitta Auslese nicht mag.“
„Ja.“
„Habe ich noch nie gemocht.“
„Ich weiß.“
„Warum bringst du dann immer den falschen Kaffee mit?“
„Kommt nicht wieder vor.“
„Ganz sicher?“
„Ganz sicher.“
„Kommst du bald nach Hause?“
„Ja.“
Eine Minute nicht zu reden ist für sie wie eine Minute die Luft anhalten: eine Nahtoderfahrung. Es hat keinen Zweck. Er kennt seine Frau. Die Assistenzfußpflegerin Naomi Gimpel-Nachtweih kann jeden Kunden in die Verzweiflung oder ins Koma quatschen. Als er endlich aufgelegt hat, ist er restlos erschöpft. Keine Idee mehr, nichts. Er schließt die Datei und drückt die Aus-Taste des Computers.
Machen wir uns nichts vor. Walter Nachtweih wird für den Rest seines Lebens den Grind vom alten König von seiner Tastatur blasen. Er wird es als Schriftsteller nicht schaffen. Beruf, Ehe und Kunst – das funktioniert nicht zusammen.
Und deswegen bin ich nicht verheiratet.
10cc - Dreadlock Holiday. https://www.youtube.com/watch?v=fUNTk5xsxk4
Mittwoch, 13. November 2019
Gespräch über Angehörige der Gattung Corvus
Dienstag, 12. November 2019
Einzelfall des Tages
Mittwoch, 16. Oktober 2019
Mein Mann
Ich lese gerade „Meine ungeschriebenen Memoiren“ von Katia Mann, der Ehefrau von Thomas Mann. Plötzlich ist man im alltäglichen Leben eines berühmten Schriftstellers. Seine Novelle „Tod in Venedig“ geht auf eine Reise des Ehepaars nach Venedig zurück. Die Figuren der Geschichte gab es tatsächlich, auch den Ausbruch der Cholera während ihres Aufenthalts. Gebucht hatten sie in einem Reisebüro von Thomas Cook, kein Witz. Auf den „Zauberberg“ kam Mann, als er seine Frau in einem Sanatorium in Davos besuchte.
„Statt frei zu erfinden, stützte Thomas Mann sich am liebsten auf die Wirklichkeit. Er fand lieber als dass er erfand, Schauplätze, Grundzüge von Personen und vieles mehr.“
In Amerika wurden sie von Präsident Roosevelt ins Weiße Haus eingeladen und durften volle drei Tage bleiben. Abends habe Roosevelt die Cocktails für seine Gäste immer selbst gemixt. Erfolg als Schriftsteller hat Mann erst, als der „Book-of-the-Month-Club“ einen Roman von ihm angenommen hatte.
„Thomas Mann schrieb sehr langsam. Aber was er schrieb, stand dann auch fest. (…) Sein Tageslauf war sehr diszipliniert, einfach und verlief immer gleich. Von neun bis zwölf Uhr ungefähr schrieb er (…). Er schrieb alles mit der Hand, und wenn er am Tag zwei Seiten schrieb, war das besonders viel.“ Das handschriftliche Manuskript der „Buddenbrooks“, von dem es keine Abschrift gab, schickte er per Post an seinen Verleger.
Samstag, 12. Oktober 2019
Was mich nach Halle total ankotzt
Freitag, 11. Oktober 2019
Wir haben die Macht
Mittwoch, 9. Oktober 2019
Von Christchurch nach Halle
Sie erinnern sich an das Massaker in einer neuseeländischen Moschee im März? Der Täter filmte mit seiner Helmkamera das Blutbad. 51 Tote. Ein deutscher Neonazi versuchte an Jom Kippur, dieses Verbrechen in einer Synagoge in Halle zu wiederholen.
Er war bestens ausgerüstet und ich frage mich, wie Nazis in Deutschland an Maschinenpistolen, Handgranaten und andere Ausrüstung rankommen. Ja, richtig! Über Gesinnungsgenossen in der Bundeswehr und bei der Polizei. Der rechtsradikale Terrorist versucht also, eine Synagoge zu stürmen, in der sich gerade etwa achtzig Leute aufhalten. Er will ein Massaker anrichten. Die Kamera läuft.
Die Tür hat er mit Schüssen und Sprengkörpern nicht aufbekommen. Zwei Menschen hat der Nazi außerhalb der Synagoge ermordet. Dann flüchtet er in seinem Wagen. Es gibt nur eine Frage, die ich mir seit Jahrzehnten immer wieder stelle: Nimmt Deutschland den rechten Terror ab heute ernst?
Sonntag, 6. Oktober 2019
Heimweg
Sonntag, 29. September 2019
Ein Anfang
Freitag, 27. September 2019
Die Briten haben den Zweiten Weltkrieg angefangen
Im Zuge des rechtextremen Geschichtsrevisionismus und der politischen Hetze gegen Russland wurde zum 80. Jahrestag des Kriegsbeginns am 1. September 1939 die Behauptung in die Welt gesetzt, nur durch den Hitler-Stalin-Pakt (24. August 1939) sei der Krieg erst möglich gewesen und daher läge die Schuld am Zweiten Weltkrieg bei den Russen.
Hierzu stellt Bonetti Media fest, dass der deutsche „Überfall“ auf Polen (in Wirklichkeit lag die Kriegserklärung bereits im Postausgangskorb des Führers!) nur der Beginn eines regionalen Konflikts gewesen ist. Zum Weltkrieg wurde er durch die Kriegserklärung des Vereinigten Königreichs und Frankreichs an das Deutsche Reich am 3. September 1939.
Wir fordern daher von den Briten:
Anerkennung der Kriegsschuld
Ächtung der Kriegsverbrecher Chamberlain und Churchill
1 Billion Pfund in bar als Reparationszahlung (Dresden usw.)
Sofortiger Austritt aus der EU
Rückgabe des Fußballweltmeistertitels 1966 an den rechtmäßigen Sieger Deutschland
P.S.: Zu den Franzosen komme ich später. Ich sage nur: Reichsland Elsaß-Lothringen und die alte deutsche Hansestadt Monte Carlo.
The Alarm - Rain In The Summertime. https://www.youtube.com/watch?v=o8rRcrVpIaM
Samstag, 7. September 2019
Über das Teilen
Donnerstag, 5. September 2019
Waffenkammer BRD
Mittwoch, 4. September 2019
Eigentlich ist es ja ganz einfach
Jetzt hat er es schon wieder getan. Der Ossi. Hat Protestwahl veranstaltet. Will dem Wessi-Bonzenkartell in Berlin eins auswischen. Jahrzehntelang hat er dazu die angeblich linksradikale PDS (später „Die Linke“) gewählt. Hat nicht funktioniert. Die Linke ist längst Teil des Establishments und hat sich einen warmen Platz am großen Schweinetrog gesucht. Jetzt eben rechtsradikal. AfD. Linksrum sind wir nicht weitergekommen, denkt sich der Ossi, jetzt probieren wir es mal rechtsrum. Weil sie es denen da oben zeigen wollen. Denkzettel. Sie wissen schon.
Warum wird in Windeseile aus einem Sozialisten, der er nie war, weil er nämlich gar nicht teilen will, ein Faschist, der er auch nicht ist, weil er gar keine Ausländer kennt? Was will der Ossi? Das ist gar nicht so einfach. Denn in den boomenden Großstädten wie Leipzig, Dresden oder Potsdam wohnen die Gewinner, die längst die Grünen wählen, die Partei der besserverdienenden Bauernmarktbesucher und birkenstocktragenden Hollandradfahrer. Der Problem-Ossi lebt auf dem Land und er ist abgehängt. Fühlt sich als Bürger zweiter Klasse. Und wissen Sie was? Er hat recht.
Abgehängt. Man liest es so oft. Der Stadtmensch denkt: Soll sich mal nicht so anstellen, der Waldschrat. Gibt doch Internet. Oder der Abgehängte hängt sich selbst wieder an, indem er in die Stadt zieht. Wohnraum ist ja kein Problem. Parkplätze gibt’s hier auch in rauen Mengen. Kita-Plätze bis zum Abwinken. Aber was heißt „abgehängt“ konkret?
Ich berichte aus einem Hunsrückdorf, nennen wir es Schweppenhausen, wo man seit Jahrzehnten systematisch abgehängt wird, aber die AfD zum Glück nicht im Gemeinderat sitzt. In meiner Kindheit gab es im Dorf noch einen Arzt. Alte Leute, die kein Auto hatten, konnten einfach zu Fuß zum Arzt gehen. Dieser Mann hat sogar noch Hausbesuche gemacht. Erklären Sie mal einem Kind, was ein „Hausbesuch“ ist. Das denkt doch gleich ans Jugendamt!
Wir hatten in meiner Kindheit auch einen Bahnhof. Die Strecke wurde vor langer Zeit stillgelegt. Im ganzen Tal. Die Gleise sind noch intakt und werden von der Deutschen Bahn regelmäßig geprüft. Güterzüge, eine Dampflok für Touristen. Geht alles. Könnte man schnell wieder reaktivieren. Stattdessen fährt gelegentlich ein Bus. Sie können aber abends nicht in die Stadt gehen, wenn sie kein eigenes Auto haben. Der letzte Bus von der Kreisstadt fährt um 19:38 Uhr in Richtung Schweppenhausen (Wochenende: 19:36).
Wir hatten mal einen kleinen Supermarkt. Da konnte man auch frische Brötchen und die Zeitung holen. Ältere Bewohner erinnern sich sogar noch an den Dorfbäcker. Es gab mal eine Dorfkneipe und ein Restaurant. Vorbei. Sie bekommen heute nichts mehr in diesem Dorf. Alles ist verschwunden. Auch die Arbeit. Gibt es nur noch in der Stadt.
Der Handyempfang funktioniert bei einigen Netzanbietern gar nicht. Im Nachbardorf kann man keine bewegten Bilder im Internet sehen. Die kennen Netflix oder YouTube nur vom Hörensagen. Wer jung ist und endlich gehen kann, ist sofort verschwunden. Kommt gelegentlich zu Besuch und schüttelt den Kopf über unsere Rückständigkeit. Aus der Stadt kommt nur noch Mitleid und Häme, meistens aber schlichte Gleichgültigkeit.
Niemand redet über die abgehängten Regionen im Westen. Über den Hunsrück, die Pfalz, die Eifel, den Westerwald und den Taunus – um nur mal die Ecken in meinem Bundesland zu benennen. Warum nicht? Weil wir hier nicht durchdrehen und die Nazis wählen. Sonst hätte hier auch mal so ein schickes Kamerateam aus der Hauptstadt aufgeschlagen und würde fragen, was bei uns los ist. Nix. Nix ist hier los. Und es wird auch nicht besser. Das ist das Problem.
Was kann die Politik für die Abgehängten machen? Was kann sie gegen die AfD machen? Politik. Für die Leute „draußen im Lande“, von denen die sogenannten Volksvertreter immer schwadronieren, die sie aber noch nie persönlich getroffen haben. Macht mal was. Nicht reden. Machen. Auch wenn es die Politiker nicht mehr gewohnt sind, ihren Talkshowauftritten und Zeitungsinterviews auch Taten folgen zu lassen. Es könnte so einfach sein. Aber nach der Wahl ist das alles wieder ganz schnell vergessen. Ist ja nochmal gutgegangen.
Bis zum nächsten Mal. Danke für nichts. In der Ferne bellt ein Nazi.
Sonntag, 1. September 2019
Politische Lyrik
Der Trump und auch der Johnson
Sind ekelhafte Bonzen
Den Putin und den Erdogan
Schau ich mir gar nicht gerne an
Salvini, Bolsonaro
Kein Trumpf, nur kleines Karo
Und was reimt sich auf Merkel
Tuberkel oder Ferkel
Für Annegret, für Annegret
Da ist es doch schon längst zu spät
Jens Spahn und Friedrich Merz
Sind nur ein schlechter Scherz
Die Schwan und dieser Stegner
Sind wirklich keine Gegner
Auf Weidel und auf Höcke
Da hab ich keine Böcke
(wird fortgesetzt)
Mittwoch, 21. August 2019
Das Karma ist ein Lehrer, der keine Worte braucht
Prolog
Hamburg Hauptbahnhof, Montag, 17 Uhr. Ich habe eine Stunde Zeit, bis ich von einer Freundin abgeholt werde. Da ich nichts zu lesen habe und auch kein Smartphone besitze, setze ich mich auf eine Bank und beobachte die abfahrenden Regionalzüge während der Rush-Hour. Ich habe noch nie so viele Menschen rennen sehen. Mehr als die Hälfte der Leute spurtet mit der Aktentasche in der Hand an mir vorbei. Ein Mann um die fünfzig im grauen Dreiteiler sprintet zu einem Zug, bleibt eine Minute unschlüssig vor der Tür stehen und steigt schließlich ein. Einige Minuten später – die Züge halten tatsächlich sehr lange, so dass die Hetzerei völlig sinnlos erscheint – springt er wieder hinaus und rennt zu einem anderen Zug. Ich würde mir gerne seine Geschichten anhören, aber ich kann ihn natürlich nicht fragen. Hier spricht niemand. Hier rennt man schweigend.
Hamburg Hauptbahnhof, Dienstag, 8 Uhr. Wieder Rush-Hour. Niemand rennt. Auf dem Weg zur Arbeit hat es keiner eilig.
Erster Akt
Der ICE von Hamburg nach Frankfurt hat bereits bei Abfahrt 22 Minuten Verspätung. Ich bleibe gelassen. Heute muss ich nur noch in Schweppenhausen ankommen. Nichts weiter. Dann verpasse ich eben den Anschlusszug in Frankfurt. Was soll’s? Dann hole ich mir vielleicht noch eine Currywurst. Positiv denken. Das sind doch Petitessen.
In Hannover haben wir nur noch 16 Minuten Rückstand. Der Anschlusszug kommt plötzlich wieder in Reichweite. Hoffnung keimt auf, diese zutiefst menschliche und doch oft vergebliche Regung.
Dann die Durchsage: Ist ein Arzt im Zug? Notfall in Wagen 5. Soll ich den Duke spielen und aufstehen? Ich habe immerhin einen Doktortitel. Mich eine halbe Stunde ins Bistro setzen und dann mit blasiertem Blick auf meinen Platz zurückkehren?
In Göttingen wartet schon das Notarztteam. Die Weiterfahrt verzögert sich auf unbestimmte Zeit, wie es im Bahnjargon heißt. Aber es kommt noch schlimmer.
Meine Nemesis steht plötzlich vor mir.
Eine kleine alte Hexe in geschmacklosen Sommerklamotten. Fettiges Haar und nur noch einen einzigen, gigantisch langen Zahn im Unterkiefer.
Sie fragt nicht: „Ist hier noch frei?“ Sie sagt: „Das muss hier weg!“
Hastig nehme ich meinen Rucksack vom Gangplatz und werfe ihn auf die Gepäckablage.
Wortlos setzt sie sich neben mich. Umständlich kramt sie ein Taschentuch aus ihrem Rucksack und wischt sich stöhnend den Schweiß von der Stirn. Sterbender Schwan nix dagegen. Dann zieht sie sich umständlich die Jacke aus. Im Sitzen. Obwohl ich mich schon an die Scheibe gepresst habe, rammt sie mir mehrfach den Ellenbogen in die Seite.
Kurze Zeit später kommt der Getränkefritze.
„Bleiben Sie hier!“ schnauzt sie den jungen Mann an. „Kaffee!“
Die Suche nach dem Portemonnaie beginnt. Ellenbogen. Immer und immer wieder. „Ich werde doch noch drei Euro für einen Kaffee haben“, klagt sie. Ihre Jacke rutscht von ihrem Schoß.
Sie nimmt die Jacke und knallt sie mir vor die Brust. „Sie nehmen das jetzt mal“, faucht sie mich an.
Der Getränkemann und ich sehen uns nur an. Deutsche Rentner. Tickende Zeitbomben. Warum kann nicht ein freundlicher Islamist mit seinem Sprengstoffgürtel neben mir sitzen?
Schließlich hat sie ihren Kaffee. Selbstverständlich hat sie sich noch über die Wucherpreise beschwert. Trotzdem kramt sie immer noch in ihrem Rucksack. Ich sehe schon den siedend heißen Kaffee in meinem Genitalbereich. Stattdessen Ellbogen. Es hört nicht auf.
Sie fummelt eine zerfledderte Illustrierte aus dem Rucksack. „FREIZEIT SPASS“. Ellbogen. Dann geht die Suche nach der Brille los. Ellbogen. Und die Fahrkarte muss auch noch mal begutachtet werden. Ellbogen. Ich sehe, dass sie nach Stuttgart will. Von dort aus geht es noch weiter in irgendein schwäbisches Nest. Daher der Dialekt. Schwaben kenne ich ja aus Berlin. Man muss sie einfach gernhaben.
Das zahnlose Weib wird ruhiger. Inzwischen murmelt sie auch immer eine Entschuldigung, wenn sie mich anrempelt. Etwa alle zehn Sekunden. Jetzt fummelt sie wieder in ihrem Rucksack herum und zieht ein Bonbon aus der Nachkriegszeit hervor. Sie bietet es mir an. Ich schüttele stumm den Kopf. Kann nicht reden.
Ich muss meine gesamte dreißigjährige Ausbildung zum Zen-Buddhisten in die Waagschale werfen. Jetzt nicht austicken. Dann ist die Reise vorbei. Ich konzentriere mich im Geiste auf verbale und nonverbale Gewaltexzesse. Mein reichhaltiges Repertoire an Beleidigungen und Schimpfwörtern – im Stillen dekliniere ich es durch. Ich stelle mir vor, wie ich mit einem Vorschlaghammer einen Zimmermannsnagel durch ihre Stirn treibe – aber das könnte mir als Körperverletzung ausgelegt werden.
Schließlich ein erschöpftes Aufzucken religiöser und philosophischer Fragen:
Warum ich?
Wofür werde ich bestraft?
Was passiert als nächstes?
Intermezzo
Durchsage des Schaffners: Der Zug endet heute außerplanmäßig in Frankfurt. Unwetterschäden auf der Strecke zwischen Frankfurt und Mannheim. Reisende nach Stuttgart achten bitte auf weitere Durchsagen.
Zweiter Akt
Aus den Augenwinkeln sehe ich das Entsetzen in ihren Augen. Langsam verwandelt sich ihr Gesicht in eine Maske des Zorns. Äußerlich unbewegt drehe ich mich zum Fenster.
Innerer Reichsparteitag.
Jubelschreie aus hunderttausend Kehlen. Es ist ergreifend. Gänsehaut. Feuchte Augen.
Nächste Szene: Maracana-Stadion. Verlängerung gegen Argentinien. Ich mache das 1:0 und renne in die Fankurve.
Brülle meinen Jubel hinaus.
Die Fans drehen völlig durch. Rasten komplett aus. Ich sehe die Plakate. „Karma hat einen Namen: Deutsche Bahn“. „DB rulez“.
Die alte Vettel ist in Frankfurt gestrandet.
Ich schäme mich der Emotionen nicht, die mich in diesem Augenblick überwältigen, liebe Lesende. Die Schadenfreude ist maßlos, unbeschreiblich. Sie durchströmt mich wie Champagner.
Ich unterdrücke das unbändige Verlangen, gleich jetzt, wo sie neben mir sitzt, die Geschichte aufzuschreiben. Einfach das Notizbuch und den Stift aus meiner Jackentasche zu holen, um diesen Sturm aus Gefühlen und Gedanken für ewig festzuhalten.
Epilog
Endlich sind wir in Frankfurt. Ankunft auf Gleis 7. In Gedanken bin ich schon bei den Anschlusszügen und meiner triumphalen Ankunft im Hunsrück.
Dann sehe ich die vielen Teddys. Die Kerzen, die Botschaften. Natürlich. Hier ist vor einigen Wochen ein kleiner Junge ermordet worden. Auf Gleis 7 vom einfahrenden Zug überrollt. Auf den Schienen, über die wir gerade in den Bahnhof gekommen sind, ist er gestorben. Es ist etwas ganz anderes, an dem Ort zu stehen, als ihn nur in der Tagesschau zu sehen. Tränen schießen mir in die Augen.
In einer Nanosekunde bin ich aus meiner erbärmlichen Eitelkeit gerissen. Gleis 7. Ausgerechnet. Halt dein ungewaschenes Maul, Bonetti. Beschwer dich nie wieder. Sei froh, dass du heute nach Hause kommst, du dämlicher Schwätzer. Das Karma hat mir eine Lektion in Demut erteilt.
Mit leerem Kopf sitze ich in der S-Bahn von Frankfurt nach Mainz. Mir gegenüber sitzen zwei junge Leute, die über ihre Arbeit am Kindertheater sprechen. Froschkönig. Sie drehen sich ihre Kippen für den Augenblick, in dem sie den Zug verlassen können.
Die letzten Kilometer nach Bingen stehe ich in einem uralten Intercity, dessen Wagen mit Menschen vollgestopft sind, weil zwei komplette Wagen für die Passagiere gesperrt sind. Begründung: das Licht geht nicht. Am helllichten Tag im August. Ist mir egal. Bahnwahnsinn. Habe ich heute seit acht Uhr morgens. Es ist halb vier.
Ich lehne vor der Toilette an der Wand, auf dem Boden vor mir eine arabische Mutter mit ihren drei kleinen Kindern. Sie haben Buntstifte und Papier ausgebreitet. Die beiden Mädchen malen mit Rosa und Lila irgendwelche engels- oder prinzessinnenähnliche Figuren, der größere Junge macht auf seinem Smartphone ein Spiel. Die Mutter fragt mich, ob sie die Sachen beiseite räumen soll, damit ich überhaupt an eine der Türen komme. Ich sage, sie soll die Kinder ruhig spielen lassen, und gehe durch die beiden altertümlichen Türen, die sich noch nicht automatisch öffnen lassen, in den nächsten Wagen. Wir verabschieden uns mit einem Lächeln. Es kann so einfach sein.
Bingen. Ich sehe den Rhein, die Weinberge. Ich bin wieder da. Glücklich, traurig. Um eine Lektion reicher.
Sonntag, 18. August 2019
Hör! Mir! Zu!
Ich bin immer wieder erstaunt, mit welchem Detailreichtum und welcher Ausdauer manche Menschen ihr bedeutungsloses Leben beschreiben können. Ein Abend mit einer Berufsschullehrerin namens Sieglinde Dingsbums und ihrem Mann, der sich mit der Rolle des Stichwortgebers zufrieden gibt:
Zunächst geht es um die beiden Söhne. Es gibt nur einen Bereich, in dem der Narzissmus und das Eigenlob noch größer sind als im Beruf: die Familie. Die aktuelle Elterngeneration ist die beste aller Zeiten und ihre Kinder sind die tollsten, die es je gegeben hat. Schon klar. Bloß nix sagen. Widerstand ist zwecklos.
Sohn Nr. 1 studiert auf Lehramt. Er wohnt noch zu Hause, bekommt 400 € Taschengeld, seine Mutter macht ihm die Wäsche, aber er muss jede dritte Tankfüllung des Autos zahlen, das er mitbenutzt. Sohn Nr. 2 war gerade ein Jahr im Ausland und geht noch zur Schule. Sie hätte auch über Blattspinat sprechen können. Niemand interessiert sich für die langweiligen Kinder anderer Leute.
Aber man hat den Eindruck, hier spricht Heidi Klum über ihr Privatleben und ganz Deutschland hat auf diese Enthüllungen gewartet. Ich kann mich gar nicht daran erinnern, dass meine Eltern in solcher Ausführlichkeit über mich und meine Schwester gesprochen hätten. Den Kindern geht’s gut. Punkt. Nächstes Thema. Sieglinde hat nach den Kindern allerdings noch ihren Beruf, den Rentenbescheid und ihren Garten zu bieten. Es nimmt kein Ende. Jeder Anruf bei irgendeiner Behörde wird im Wortlaut wiedergegeben.
Ein weiteres Thema sind natürlich die ausgedehnten Reisen des Ehepaars, das sich immer wieder an den Händen hält, während Sieglinde erzählt und ihr Mann gelegentlich eine kleine Arabesque anfügt, ohne zu merken, dass seine haarige Wampe seit einer Stunde vom Nabel bis zum äußerst südlich gelegenen Hosenbund freiliegt. Eine Aufzählung von Orten in aller Welt, ausnahmslos wunderschön, aber keine einzige Erzählung, kein Erlebnis, eine endlose Fahrt ohne Inhalt. Ich werde unfreiwillig Zeuge einer in ihrer Unglaubwürdigkeit geradezu absurden Harmonieshow, weil es eine Reise ohne Streit und ohne Regen nun einmal nicht gibt. Jedenfalls nicht über Jahrzehnte. Nebenbei bemerkt: Wer gibt im Jahr 2019 noch mit Kreuzfahrten und Langstreckenflügen an wie ein Sack Mücken?
Ich empfinde es regelrecht als Drohung, als Sieglinde bemerkt, sie hätte inzwischen ihre Fotos pro Reise auf siebzig „eingedampft“, wie sie es ausdrückt, damit die Präsentation beim Dia-Abend nicht so lange dauert. Solche Selbstdarsteller pumpen auch siebzig Bilder auf mehrere Stunden tödlich langweiliges Geschwafel auf. Niemand interessiert sich für drittklassige Fotografien und ein paar Anmerkungen zu Restaurants, in denen man selbst nie gewesen ist. Diese Erinnerungen haben nur für die Reisenden eine Bedeutung. Wurde deshalb nicht Instagram als Schutthalde und Endlager für solche Nullinformationen erfunden? Vor langer Zeit habe ich mal drei Stunden auf einem steinharten Holzstuhl in Kreuzberg gesessen und die Ägyptenreise einer Kulturhistorikerin überstehen müssen, Diakasten für Diakasten. Nie wieder!
Alle Gäste, die nicht Sieglinde heißen, sind still geworden. Die Smartphones werden gezückt, ich setze mich einfach mal zehn Minuten zwischendurch auf der Gästetoilette, um mich zu erholen. Sie stellt anderen Menschen keine Fragen, zeigt keinerlei Interesse und es ist mühsam, ihren Monolog zu unterbrechen. Wir sitzen stundenlang zusammen, aber sie will nicht wissen, wer ich bin, woher ich komme oder was ich mache. Sie saugt den ganzen Sommerabend in sich hinein wie ein schwarzes Loch. Nach und nach verabschieden sich an diesem Samstagabend die Gäste, es ist noch nicht einmal elf Uhr. Aber selbst der Abschied von Sieglinde zieht sich auf quälende Weise in die Länge. Wieso kann sie nicht einfach „Auf Wiedersehen“ sagen und mich in die Nacht, in die Freiheit entlassen?
Ich verbuche den Abend unter der Rubrik „Studien zur Mikrosoziologie des Banalen“. Die humanitäre Katastrophe, dieser soziale Totalschaden ist in West-Berlin geboren und hat die Stadt eigentlich nie für längere Zeit verlassen. Nach zwei Monaten im Hunsrück komme ich in die große Stadt zurück und staune, wie unerträglich und penetrant die Hauptstadtmenschen in ihrer Eitelkeit sein können. Zum Glück kenne ich noch viele andere Exemplare. Sonst hätte ich nach einem Abend mit Sieglinde von Berlin für alle Zeiten die Schnauze voll.
P.S.: Und jetzt kommt noch mein persönliches Highlight. Sieglinde erzählt von einer Hochzeit, bei der sie neben Albrecht von Lucke gesessen hat. Dem berühmten Politologen, der auch regelmäßig in Talkshows eingeladen wird. Vermutlich will sie mit der Personalie angeben. Ich erwähne beiläufig, dass ich mit Albrecht in der Grundschule, im Gymnasium und im Handballverein (HSC Ingelheim) gewesen bin, was vermutlich über ein kurzes Gespräch bei einer Familienfeier hinausgeht. Trotzdem erklärt Sieglinde mir, dem ebenfalls promovierten Politologen, wer Albrecht eigentlich ist und welche Positionen er vertritt. Kannst du dir nicht ausdenken. Ich lasse es widerspruchslos über mich ergehen und schreibe eben hinterher darüber, liebe Freunde des gepflegten Wahnsinns.
David Gilmour - Raise My Rent. https://www.youtube.com/watch?v=IuqqyhNO0Dk
Freitag, 16. August 2019
Kein Platz den Hohenzollern
Überall in Deutschland erhebt der Faschismus sein hässliches Haupt. Die Feinde der Republik kommen aus ihren Löchern gekrochen und stellen unverschämte Forderungen. Die Reconquista ist in vollem Gange. Neben AfD, Werte-Union und Nazi-Organisationen jetzt also auch das Haus Hohenzollern. In der ganzen Stadt und im ganzen Land erheben sie haltlose Ansprüche.
Jetzt schlägt die Linksfraktion Charlottenburg-Wilmersdorf zurück. Der Hohenzollernplatz, nur wenige hundert Meter vom meiner Wohnung entfernt, soll umbenannt werden:
„Die Forderungen des ehemaligen Königshauses und seiner Sachwalter sind inakzeptabel und völlig maßlos. Die ganze Republik regt sich über den Gier-Adel auf. Keine Geschenke für die Hohenzollern!
Es ist historisch unbestritten, dass Teile der Familie den Aufstieg der Nationalsozialist*innen mitbereiteten. Auch die Errichtung von Kolonien in Afrika, der erste Völkermord der Geschichte sowie der Ausbruch des Ersten Weltkriegs mit Millionen Toten lasten auf den Schultern des Deutschen Reiches unter Herrschaft der Hohenzollern. Der Reichtum der Hohenzollern ist durch die Untertan*innen finanziert worden. Nun sollen Staatsbürger*innen erneut zur Kasse gebeten werden. Die Forderungen der Hohenzollern zeigen die Realitätsferne, in der der einstige Adel immer noch lebt.
Keine Ehrung für Nazi-Schergen! Wir wollen den Hohenzollernplatz umbenennen, die BVG soll die entsprechende U-Bahn- und Busstation umbenennen. Mehr als 100 Jahre nach Ausrufung der Republik und dem Erkämpfen demokratischer Rechte gegen den Hohenzollern-Clan, muss ihre besondere Ehrung im öffentlichen Raum überwunden werden.
Neu benannt werden soll der Platz nach einer Frau, die sich in besonderem Maße um demokratische Werte, soziale Gerechtigkeit und die Republik verdient gemacht hat, die gegen die Hohenzollern durchgesetzt werden mussten.“
(Presseerklärung vom 15.8.2019)
Das geht mir nicht weit genug. Es gibt weitere Hohenzollernplätze in Lichtenrade, Nikolassee und Hermsdorf. Weiterhin gibt es den Hohenzollerndamm, den Hohenzollernring und vier Hohenzollernstraßen in Berlin. Von den ganzen Straßen und Plätzen, die nach einzelnen Kaisern und Kaiserinnen benannt sind, ganz zu schweigen. Neue Namen gibt es genug: Rosa Luxemburg hat bisher nur in Mitte einen Platz und eine Straße, Bertha von Suttner und Sophie Scholl fehlen völlig, Simone de Beauvoir und Rosa Parks wären achtbare Namen, aber auch Künstlerinnen wie Marlene Dietrich oder Hildegard Knef, die beiden aus Berlin sind, verdienen Respekt.
Jagen wir den Adel endlich aus der Stadt!
Dienstag, 13. August 2019
Männerprobleme
Einladung zum Essen. Ich soll was Süßes mitbringen. Den Nachtisch. Für zehn Personen! Was macht man da? Schließlich die Idee: ein Kuchen. Das Problem: Ich kann nicht backen. Habe ich noch nie und ich will es auch eigentlich gar nicht. Ich habe weder Schüsseln noch ein Rührgerät in meinem Single-Malt-Haushalt. Als Kind habe ich meiner Oma oft beim Backen zugeschaut. Also nicht wirklich zugeschaut, sondern nur darauf gewartet, bis ich endlich die Schüssel in die Finger gekriegt habe, um sie auszuschlecken. Wie soll ich die ganzen Geräte und die Zutaten beschaffen, ein Youtube-Fernstudium absolvieren, den Teig machen und eine Stunde vor dem Ofen sitzen, wenn ich nur noch zwei Stunden habe, bevor ich los muss?
Was mache ich jetzt? Internet. Suchmaschine. Ich gebe „Kuchen kaufen Berlin“ ein, um wenigstens einen Einstieg in die Recherche zu bekommen. Ich kann Ihnen sagen, da gibt es tolle Sachen. Regelrechte Tortenmanufakturen. Man kann sich sogar einen Kuchen liefern lassen. Dann müsste ich das Teil nicht von Wilmersdorf nach Pankow schleppen, U 9 bis Wedding und dann mit dem Bus 255 in Richtung Schwarzelfenweg. Bescheuerter Name. Das Problem ist: Ich hätte den Kuchen schon einen Tag vorher bestellen müssen. Ich muss aber in einer Stunde los - eben waren es noch zwei!
Höre ich an dieser Stelle ein Frauenlachen? Ich kann gerne mal ein Gurkenglas holen und dann sehen wir, wer hier Recht hat! Was mache ich jetzt? Ich kann doch nicht zwei Tafeln Schokolade oder eine Packung Ferrero-Küsschen auf den Tisch legen. Ich kann das ganze Drama hier nur stichwortartig wiedergeben. Schließlich fasse ich den Beschluss, beim Bäcker zehn Berliner zu kaufen, die hier Pfannkuchen heißen, und habe mich, angesichts der erschöpfenden Aktivitäten, noch mal kurz aufs Sofa gelegt.
Fuck! Ich muss eingeschlafen sein. Bin zu spät dran. Komme gerade noch rechtzeitig zum Essen. Habe natürlich gar nichts mitgebracht. Muss mich entschuldigen. Macht aber zum Glück nix, denn Susi, die mit ihrem Mann ebenfalls eingeladen ist, hat Brombeeren aus ihrem Garten mitgebracht. Sie werden von Mona, der Gastgeberin, auf eine köstliche Art überbacken, zu deren Beschreibung mir die Vokabeln fehlen, da ich von diesen Dingen immer noch keine Ahnung habe, und kommen nach dem leckeren Tex-Mex-Essen – für das wir alle Bill und Ted zu Dank verpflichtet sind – heiß auf den Tisch. Ich bin begeistert. Beim nächsten Mal bringe ich wieder eine Flasche Ouzo mit.
Figure Study – Wait. https://www.youtube.com/watch?v=xHVL0glwVYQ
Montag, 29. Juli 2019
Die Sehnsucht nach der Opferrolle
Samstag, 27. Juli 2019
The Smiths
Der Bandname ist für jeden Nichtbriten eine Katastrophe. Ti-Äitsch – S – Ti-Äitsch –S. Innerhalb einer Sekunde fehlerfrei auszusprechen, wenn man sich nicht ewiger Verdammnis in Fankreisen sicher sein wollte. Zum Glück hatte ich ab der fünften Klasse eine echte Engländerin als Lehrerin, die uns am Gymnasium diese Feinheiten beigebracht hat.
1984 kam die erste LP der Gruppe raus. Ich bin eher zufällig an die Platte gekommen. Am Ingelheimer Bahnhof gab es zu jener Zeit einen kleinen Plattenladen, in dem ein adipöser Trinker aus meiner Stammkneipe seinen Jugendtraum wahrgemacht hatte. In den achtziger Jahren wollte man als junger Mensch entweder Musiker werden oder einen Plattenladen aufmachen. Die älteren Leser werden sich erinnern.
Dieser Laden, dessen Namen ich vergessen habe und der längst in die ewigen Jagdgründe eingegangen ist, war etwa zwanzig Quadratmeter groß. Die Wände waren schwarz gestrichen und mit Ramones-Postern und anderem Schmuckwerk verziert. Am Vormittag assistierte die Großmutter des Pächters, dessen fettige schwarze Haare bis über beide Bierbrüste hingen, wenn ich ihn am Abend vorher an der Theke gesehen hatte.
Ich war zu jener Zeit ein begnadeter Ladendieb. Ich stahl nicht nur für die eigenen ästhetischen und intellektuellen Bedürfnisse in Buchhandlungen, bei diversen Herrenausstattern und im einzigen Plattenladen der Stadt. Oft war ich auch im Auftrag unterwegs. Im Plattenladen war es ganz besonders schwierig. Es ist die Königsdisziplin der Ladendiebs: du bist allein mit der Verkäuferin in einem winzigen Laden. Es gehören Mut, Timing, Glück und Talent zu jedem gelungenen Beutezug.
Die alte Frau und ich kannten uns. Wir sprachen miteinander. Gelegentlich schickte ich sie ins Lager, um nach einer bestimmten Bestellung zu sehen, die ich nie aufgegeben hatte. Aber meistens genügte meine präzise Beobachtungsgabe. Man darf nicht vergessen, dass der Diebstahl einer LP schwieriger ist als der Diebstahl einer CD oder der illegale Download in heutiger Zeit. Die LP ist sperrig. Zum Glück verfüge ich über einen breiten Rücken. Und so schob ich die Schallplatten, eigenen Bedarf und Auftragsarbeiten aus meinem Freundeskreis, unter meine Jeansjacke und knöpfte sie vorne zu, damit die Beute beim Verlassen des Ladens nicht herausrutschen konnte.
Das Debütalbum der Smiths habe ich einfach so geklaut. Mir war so danach. Ich hatte noch nie von ihnen gehört. Nach dem Beutezug in der Freistunde hatte ich Kunstunterricht. Die Platte legte ich auf meinen Tisch. Der Kunstlehrer sah sie, hob sie hoch und lobte die Ästhetik der Platte. Ein nackter Oberkörper eines jungen Mannes. Es war mir damals peinlich. Die Schönheit eines männlichen Körpers, mein Diebesgut vor aller Augen – und damals wusste ich ja noch nicht einmal, dass es sich hier um die Musik von Homosexuellen handelt.
Warum erzähle ich die Geschichte? Heute war ich zum ersten Mal auf dem CSD. Die Demo war nur 500 Meter von meiner Berliner Wohnung entfernt. Ich war total begeistert. So viel Phantasie in Sachen Kostüm, davon ist der rheinische Karneval weit entfernt. Blickfang waren die Drag Queens, auf die sich die Hobbyfotografen rudelweise stürzten. Kenne ich von Partys auf St. Pauli. Aber auch die bayrische Abordnung in Krachledernen und mit Gamsbart am Hut hat viel Applaus bekommen und die Leute aus Venezuela und vom Amazonas. Die Musik der Smiths und auch die Soloprojekte von Morrissey finde ich bis heute phantastisch und höre sie regelmäßig.
The Smiths - The Smiths (1984). https://www.youtube.com/watch?v=1fitMGZhulM
Mittwoch, 24. Juli 2019
Dienstag, 23. Juli 2019
Harte Straßenlyrik und tanzbare Inhalte
Blogstuff 330
„Die Rechten kopieren die Strategie der Linken von 1968: Marsch durch die Institutionen. Parlament und Polizei, Verfassungsschutz und Bundeswehr.“ (Johnny Malta)
Viele glauben ja, das Berliner Märchenviertel läge rund um den Reichstag. Aber es ist in Köpenick, „Zu den sieben Raben“ ist der schönste Straßenname. Die Schmausstraße führt zum Essenplatz – leider gibt es dort kein Gasthaus.
Hätten Sie’s gewusst? Der Mensch produziert täglich 25 kg CO2 allein durch seine Atmung. Joggen ist vielleicht gut für Ihren Körper, aber nicht für die Umwelt.
Selbst in der Berliner Kommunalpolitik lässt sich gutes Geld verdienen. Ein Bezirksstadtrat bekommt 8484 € monatlich (Besoldungsgruppe B5).
Es gibt ja heute keinen Friseursalon mehr, der keinen komplett bescheuerten Namen hat. Alle Welt will ironisch sein. Wenn man jetzt einen Salon eröffnet, über dessen Eingangstür einfach nur „Friseur“ stünde, würden einem die Leute die Bude einrennen. Eine Sensation! Der Hubschrauber von CNN würde über dem Laden kreisen.
Moral und Umweltbewusstsein sind wie Doping für den Egozentrismus des Bildungsbürgers. Schaut mich an, ich esse Salat! Ich fahre mit dem Fahrrad. Hat das jeder gesehen? Wir müssen den Flüchtlingen helfen. Habe ich schon erzählt, dass ich eine Online-Petition angeklickt habe? Man pumpt sich mit seinen Ansichten und Lebensgewohnheiten auf wie ein Bodybuilder.
Warum bauen wir keine Kohlekraftwerke in der Arktis und in der Antarktis, in dem wir die Energie für tausende von Schneekanonen produzieren, um ein Abschmelzen der Polkappen zu verhindern? Dann wären die Arbeitsplätze in Deutschlands Braunkohlerevieren gerettet, die Energiekonzerne würden Geld verdienen und wir könnten aus dem Klimawandel eine Win-Win-Situation machen.
Dein Leben ist nur noch spannend, wenn der Akku deines Smartphones leer ist.
Von deutschem Boden kann nie wieder Krieg ausgehen. Die Truppenstärke sank von 700.000 Anfang der Neunziger auf 180.000, das Kriegsgerät ist größtenteils Schrott. Der Dank geht an alle Verteidigungsminister der letzten zehn Jahre.
Wenn man jeden Schwachsinn, der im Internet steht, löschen würde, den ganzen Müll auf Facebook, Twitter, Instagram usw., die ganze Werbung, den Propagandamüll, den Hass usw., kurz: wenn man alles Überflüssige löschen würde, verbrauchen wir so viel Energie, dass die Erde sich an diesem Tag um zwei Grad erwärmt.
Mondlandung 1969. Was wir oft vergessen: Auf dem Mond lebten keine Ureinwohner, denen wir Weißen das Leben versaut haben wie in Amerika, Afrika, Australien und Asien.
Rare Earth – Get Ready. https://www.youtube.com/watch?v=Yan9WilVmEg
Sonntag, 21. Juli 2019
Immer wieder Gandhi
13 Jahre nach meiner Gandhi-Biographie erreichen mich immer noch Anfragen zum Thema. Diesmal ein junger Journalist, der als freier Mitarbeiter bei SPON, FAZ, taz, Zeit-Online usw. arbeitet (was für eine Zusammenstellung!). Ich helfe ihm natürlich und erzähle meine Story:
„Die Frage an den Autor einer Gandhi-Biographie, welche Quelle man zitieren solle, quittiere ich mit einem amüsierten Lächeln. Nehmen Sie ein neueres Werk. Allerdings bin ich nicht mehr im Thema drin. Es war damals eine Auftragsarbeit für Suhrkamp. Die Lektorin rief mich an und fragte, was ich als Politikwissenschaftler über Gandhi wüsste. Ich antwortete wahrheitsgemäß: "Ich habe den Film gesehen." Mehr wusste sie auch nicht. Aber ich habe mich in nur einem Monat eingelesen und dann in 35 Tagen am Stück das Buch geschrieben, das rechtzeitig zur Frankfurter Buchmesse (2006: Indien als Gastgeber) fertig sein musste.“
Ich lese im Netz ein paar Texte zu den neuesten Forschungsergebnissen über Gandhi - und was muss ich feststellen: Der Mann war Rassist und Sexist. Die Sache mit der indischen Teilung in zwei Staaten hat er auch verbockt. Ich kann mich noch daran erinnern, dass die Lektorin gefragt hat, ob meine Biographie nicht zu affirmativ sei. Ich antwortete, Gandhi sei im Vergleich zu anderen Politikern eben ein Heiliger. Schließlich war er eine Ikone des gewaltfreien Widerstands in den 70ern und 80ern. So kann man sich irren.
Kool & The Gang - Summer Madness. https://www.youtube.com/watch?v=TjuorHVXgHw
Freitag, 19. Juli 2019
Was plant die Bundesregierung?
Offiziell möchte man den Bundestag vor Terroristen schützen. Aber womöglich will man sich auch einfach die Bürger vom Leib halten. Geplant ist jedenfalls etwas, dass man zur Zeit der Ritter Wall und Graben nannte.
Auf der Westseite des Reichstagsgebäudes, vor dem Haupteingang am Platz der Republik, soll ein 2,5 Meter tiefer und zehn Meter breiter Graben angelegt werden. Dazu kommt ein Sicherheitszaun. Wer denkt in diesem Augenblick nicht an die Berliner Mauer, die nur wenige Schritte entfernt gestanden hat? Werden Polizisten mit Schäferhunden in dieser Todeszone patrouillieren? Wird auf Grenzverletzer geschossen? Wird AKK dort ein Gardebataillon der Bundeswehr stationieren? Und warum schützt man nur den Reichstag vor Angriffen, nicht aber das Kanzleramt gegenüber?
Offensichtlich misstraut man dem eigenen Volk, denn es soll zukünftig das Parlament nicht mehr durch den Haupteingang betreten dürfen. Südlich des Gebäudes entsteht ein Besucherzentrum, von dem die Besucher durch einen Tunnel in den Reichstag gelangen sollen. Heimlich, unterirdisch, wie die Ratten in der Kanalisation. Welche Gesetze plant die Regierung? Tempolimit auf Autobahnen? Pflichtimpfung mit dem CDU-Parteiprogramm? Eine massive Erhöhung der CO2-Steuer auf Flugreisen, Heizung und Benzin? Es sind wahrlich keine schönen Zeiten für die Demokratie.
Sonntag, 14. Juli 2019
Verzicht
Verzicht, so heißt das Zauberwort
Wir geben uns bescheiden
Verlassen nie mehr uns’ren Ort
Weil sonst die Bäume leiden
Statt Bratwurst soll’s Gemüse geben
Drei Hosen sind genug
Nach Einfachheit wir alle streben
Kein Auto, nur noch Zug
Doch stirbt die Hoffnung erst zuletzt
Vegan sind Schnaps und Bier
Aus der Region wird Wein gepetzt
Wir bleiben alle hier
Sonntag, 7. Juli 2019
Orte der Trauer
Wenn man in Richtung Schweppenhausen fährt, steht am Ortsausgang von Langenlonsheim ein Kriegerdenkmal vor dem Friedhof, das an die Toten des Ersten Weltkriegs erinnert. Aufschrift: „Unsere Helden“, dann sind die Namen der Gefallenen aufgeführt. Manche Leute würden diese Denkmäler gerne abreißen, weil in ihren Augen der Krieg und die Monarchie verherrlicht werden. Es lohnt sich, über die eigentliche Funktion dieser Denkmäler nachzudenken. Viele Familien verloren damals ihre Söhne und erhielten lediglich eine Nachricht, wo und wann er verstorben sei. Im Regelfall bekamen die Familien den Leichnam nicht überstellt und konnten daher auch keine Beerdigung veranstalten, da die zerfetzten Leiber ihrer Kinder in irgendeinem Massengrab in Flandern verwesten. Es gab also für die Eltern und für die Geschwister keinen Ort, um zu trauern. Keine Grabstelle, auf die man Blumen legen konnte. Also wurden in den Dörfern diese Denkmäler errichtet, damit die jungen Menschen, die so früh und so sinnlos ihr Leben verloren hatten, nicht vergessen wurden, und die Familien einen Ort hatten, wo man gemeinsam mit anderen der Toten gedenken konnte. Es gehört leider zur Oberflächlichkeit und Hochnäsigkeit unserer Zeit, sich über diese Dinge lustig zu machen.
Genauso verhält es sich mit den katholischen Kirchen, die in den Augen mancher Leute kitschig ausgemalt sind. Sie machen sich besonders gerne über die pausbäckigen Engel lustig, die wie adipöse Kleinkinder aussehen. Auch diese Bilder haben eine Funktion. Früher starben viele Kinder bereits als Säugling oder als Kleinkind. Wie konnte es sein, dass Gott eine so unschuldige Seele vor der Zeit zu sich nimmt? Das eigene Kind beerdigen zu müssen, ist eine traumatische Erfahrung, die fast jede Mutter und jeder Vater zu erleiden hatte. Der Gedanke, es sei nun ein Engel im Himmel, tröstete die Menschen, denn da das Kind ohne Sünde gewesen ist, konnte es niemals in die Hölle kommen. Die Kirche war der Ort, wo man mit seiner Trauer, mit seinen Schmerzen und mit seinen Tränen allein sein konnte. Die Mütter und Väter betrachteten die glücklichen, wohlgenährten Engel, die lachend auf Wolken saßen, und stellten sich vor, es sei ihr Kind, das sie verloren hatten. Auch an diesem Punkt sollte man den Ort der Trauer nicht zum Gegenstand von Hohn und Spott machen. Diese Bilder, wie auch die Denkmäler, haben einen Sinn, auch wenn er sich nicht jedem Betrachter erschließen mag.
Peter Tschaikowsky – Tanz der Rohrflöten. https://www.youtube.com/watch?v=y4DeBcaktww
Mittwoch, 3. Juli 2019
Wir sind Rackete
Würde man diese Geschichte als Drehbuch beim ZDF einreichen, bekäme man den Namen der Hauptdarstellerin als erstes gestrichen. Rackete? Das ist übertrieben. Natürlich ist die Frau eine Rakete, aber der Name geht gar nicht. Wir sind ja nicht in Hollywood.
Sie ist die Jeanne d’Arc der Flüchtlinge. Sie rettet Menschenleben. Sie liefert uns eine Geschichte, die so schlicht ist, dass auch kleine Kinder sie verstehen. Das Licht kämpft gegen die Finsternis. Prinzessin Lea gegen Darth Vader. Eine furchtlose Kapitänin gegen den ruchlosen Faschisten Salvini.
Wer hier nicht auf der Seite der Guten ist, möge in der Hölle brennen. Jeder von uns, ausnahmslos alle, ich selbstverständlich auch, stehen auf ihrer Seite. Selbst die Abschiebe-Könige Seehofer und Maas. Endlich finden wir als Gesellschaft wieder zusammen. Klopfen uns gegenseitig auf die Schulter. Gemeinschaftserlebnis mit Gänsehautgarantie. Die Moral triumphiert über die Macht. Und bin ich mit meiner Zehn-Euro-Spender ein kleiner Teil einer großen guten Sache. Wir sind Rackete.
Auf diese Frau können wir Deutschen stolz sein. Die geretteten Afrikaner bleiben zum Glück in Italien. Wir haben schließlich genug getan. # Flüchtlingswelle 2015. Bei meinem Stammitaliener wäscht jetzt ein Togolese das Geschirr ab. Wir sind die Guten. In der Festung Europa brennt eine Kerze. Sie ist aus germanischem Wachs und leuchtet den Müden, den Armen, den geknechteten Massen dieser Welt – nach Lampedusa.
Sonntag, 2. Juni 2019
Nochmal Schwein gehabt: Klimawandel abgesagt
Blogstuff 312
„Ich hatte mich in meinen mitgebrachten Begriffen von dieser großen Stadt sehr geirrt. Das Äußerliche viel schöner, das Innerliche viel schwärzer, als ich mir’s gedacht hatte. Berlin ist gewiss eine der schönsten Städte in Europa. Aber die Einwohner? – Gastfreiheit und geschmackvoller Genuss des Lebens – ausgeartet in Üppigkeit, Prasserei, ich möchte fast sagen Gefräßigkeit. Freie aufgeklärte Denkungsart – in freche Ausgelassenheit, und zügellose Freigeisterei … Was Wunder, dass Goethe dort so sehr, so allgemein missfallen hat, und seinerseits auch mit der verdorbenen Brut so unzufrieden gewesen ist!“ (Georg Forster)
Das Internet ist heutzutage das, was in meiner Jugend die Schallplattenindustrie gewesen ist. Ein Stück Hoffnung. Du kannst ein Star werden, flüstert es den Menschen zu. Du musst nicht fünfzig Jahre als Fußpfleger in einem Seniorenzentrum arbeiten. Du kannst es schaffen.
Die SPD ist laut Umfrage bei 12 Prozent. Sic friatur crustulum, wie die gebildeten Stände sagen. So zerbröselt der Keks.
Vor dem Konrad-Adenauer-Haus wurden übrigens große Mengen an Kupferdraht, Transistoren und Lötzinn abgeladen. Es heißt, die CDU plane ihr eigenes Internet. Arbeitstitel: Deutschlandnetz 2000.
Fun Fact for Fans: Die Einladung zur CDU-Klausur am diesem Wochenende wurde per Fax verschickt. AKK – ganz unbefangen in ihrer Rückständigkeit. Wann schreibt sie zum ersten Mal LOL auf eine Postkarte?
Im Hunsrück gilt Fahrradfahren als sicheres Anzeichen für Homosexualität. Denken Sie doch nur mal an die Klamotten. „Hallöchen, ich trage in aller Öffentlichkeit hautenge Sache in schwarz und pink.“ Sehe nur ich das?
Das Telefongespräch mit Harpo Marx verlief sehr einseitig.
Besonders amüsant finde ich Menschen, die Klamotten aus Bangladesh tragen und gerade mit einem Smartphone aus China rumspielen, während sie anderen Menschen erklären, mit einer Bestellung bei Amazon unterstütze man einen Ausbeuterbetrieb.
„Er dachte, in dem schwarzen Lederkoffer, den er hinter einem Müllcontainer gefunden hatte, sei die Lösung. Aber das viele Geld wurde zu einem Problem. Und der Anruf von Renate machte die Dinge nicht einfacher.“ (Beginn einer Kurzgeschichte)
An der Supermarktkasse sage ich zur Mitarbeiterin Hallo und sie antwortet mir. Zum Abschied wünschen wir uns gegenseitig einen schönen Tag. Treffe ich dieselbe Verkäuferin in einem der Gänge des Markts, grüßen wir uns nicht. Auch außerhalb des Geschäfts ignorieren wir uns, z.B. wenn sie vor dem Markt eine Zigarette raucht oder wir uns in der U-Bahn begegnen. Trotzdem ist dieses Verhalten völlig normal. Oder?
Gab es jemals eine Wahl, die von den Medien nicht zur „Schicksalswahl“ erklärt wurde?
„Bonetti Media ist unbestritten der Vorreiter der Digitalisierung im Bereich des Verlagswesens. Hier wurde der Workflow schon bottom-up strukturiert und optimiert, als der SPIEGEL noch von Mönchen kopiert wurde. Bonetti Media ist die Zukunft. Oder wie die Mitarbeiter es nennen: New Work City.“ (Digitaler Journalismus 23/2019, S. 46).
Joe Jackson – It’s Different for Girls. https://www.youtube.com/watch?v=KLDFG5vm5kA
Samstag, 1. Juni 2019
Damals und heute – als Student in Berlin
Frühling 1989. Nach langen Monaten des Wartens bekommst du einen Wohnberechtigungsschein, ohne den in Berlin gar nichts geht. Jeden Morgen holst du dir um sechs Uhr die Tageszeitungen vom Kiosk und studierst die Wohnungsangebote. Dann telefonierst du mit den Vermietern. Schließlich ergatterst du eine Einzimmerwohnung in Moabit für neunzig Mark Kaltmiete im Monat. Vierter Stock Hinterhaus ohne Aufzug. Das Zimmer hat zehn Quadratmeter und ein Fenster zum Hof, dessen Scheiben vor Dreck blind sind. Dein Vormieter hat die Wände knallrot gestrichen. Die Küche ist halb so groß wie das Zimmer und mit einem uralten Herd und einer Spüle bestückt. Die Toilette ist auf der anderen Straßenseite, zum Duschen musst du ins Schwimmbad sieben U-Bahnstationen weiter. Im Winter merkst du, dass der Kohleofen gar nicht funktioniert. Bei Besuchen in der westdeutschen Heimat verschweigst du deinen Eltern die unappetitlichen Details deiner neu gewonnenen Unabhängigkeit.
Frühling 2019. Die Maschine landet am Morgen pünktlich in Tegel. Der Immobilienmakler erwartet dich schon. In seinem dicken Mercedes fahrt ihr ein paar Wohnungen ab, du hast dich für Prenzlauer Berg und Friedrichhain entschieden. Wohnung Nr. 5 ist es. Du hast dich sofort verliebt. Altbau mit Parkett und Stuck in der Husemannstraße, Nähe Kollwitzplatz. Die Wohnung ist gerade luxussaniert worden, zwei große Zimmer, eine komplett eingerichtete Küche und ein Badezimmer mit einem Whirlpool. Der Preis: eine halbe Million Euro. Monatliches Wohngeld: 250 Euro. Du gibst dem Makler eine mündliche Zusage und gehst erstmal in ein thailändisches Restaurant, um dich für deine gute Entscheidung zu belohnen. Dann rufst du deinen Vater in Westdeutschland an. Er ist Zahnarzt und freut sich, dass du so schnell was gefunden hast. Er verspricht, einen Notartermin zu machen, um den Kaufvertrag abzuschließen. Leuten aus deinen Abiturjahrgang, die auch nach Berlin wollen, aber nicht reich sind, empfiehlst du ein Studium in Saarbrücken oder Jena.
P.S.: Für Underdogs war es zu allen Zeiten schwierig. Mein Vater hat in den fünfziger Jahren studiert. Ohne Abitur, zweiter Bildungsweg, als gelernter Maler und Lackierer. Er lebte zur Untermiete auf einem Speicher, ohne Küche und Bad. Wenn er aus dem Fenster gucken wollte, hat er den Stuhl auf den Tisch gestellt und ist hinaufgeklettert. Auf dem Stuhl stehend konnte er die Düsseldorfer Altstadt sehen. Im Winter lag er mit seinem Mantel unter der Bettdecke. Viele Nebenjobs machte er nachts. Zeitungen falten, das war damals noch Handarbeit. Achtzig Pfennig die Stunde. Oder zu zweit einen Lkw mit 500 Sack Zement abladen. Den Schlaf hat man eben im Hörsaal nachgeholt. Das alles ohne Bafög und ohne eine einzige Mark Unterstützung von seiner Familie. Da musste man auch manchmal seinen Stolz überwinden und bei der Bahnhofsmission um einen Teller Suppe bitten.
Siouxsie And The Banshees – Dear Prudence. https://music.youtube.com/watch?v=M6rrTROoZIw&list=RDAMVMM6rrTROoZIw
Donnerstag, 30. Mai 2019
Mehrere Verletzte bei Inklusion an Berliner Schule
Blogstuff 311
„Unsere Systeme haben ungewöhnlichen Datenverkehr aus Ihrem Computernetzwerk festgestellt. Bitte versuchen Sie es später erneut.“ (Internet)
5.914.953 Wähler hatte die SPD bei der Europawahl. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung sind das 7,1 Prozent. Einer von vierzehn Menschen hat sich also für die Sozialdemokraten entschieden.
Er kam als Beschützer und blieb als Wärter.
Der General-Großmeister und oberste Zeremonienleiter des Ritterordens vom Heiligen Gral zu Wichtelbach Andy Bonetti gibt bekannt, dass sich Männer und Frauen, die sich um den Bonettismus verdient gemacht haben, in diesem Jahr als Ritter und Damen des Ordens bewerben können. Die Mitgliedschaft gibt Ihnen die Möglichkeit, den Premiumbereich des Blogs zu nutzen. Die ersten hundert Bewerber erhalten eine Flasche des weltberühmten Wichtelbacher Brombeerweins aus dem vielfach ungekrönten Weingut Klumfinger. Der Initiationsritus ist eigentlich relativ ungefährlich, erfordert aber einen stabilen Magen und gute Nerven.
Franzosen haben einen Salon, Italiener eine Loggia, Deutsche eine Waschküche. Das ist der ganze Unterschied.
Das Beste, das sich über Jens Spahn sagen lässt: Die Lauten stinken wenigstens nicht.
Werbung: Sie wissen, dass Ihre Internetaktivitäten sehr energieintensiv sind. Wäre das Internet ein Planet, wäre er der Fünftgrößte in der Milchstraße. Deswegen bietet Ihnen Bonetti Media zwei Möglichkeiten an. Sie können dieses Blog weiter kostenlos nutzen, wenn Sie Atomstrom wählen oder die Verbrennung von Hundewelpen in Braunkohlekraftwerken in Ordnung finden. Oder Sie zahlen 9,99 € im Monat und der Strom wird von fahrradfahrenden Prinzessinnen in silbernen Pantöffelchen erzeugt. Entscheiden Sie selbst!
Bei Sonnenschein spricht man von „schönem Wetter“, bei Regen aber nicht von hässlichem Wetter. Dann handelt es sich plötzlich um „schlechtes Wetter“. Aus einem ästhetischen wird also ein moralisches Urteil.
Als ich aufwache, fühle ich mich, als hätte ich in einem Gleisbett geschlafen.
Ob die uralte indigene Blasrohrtechnik auch heute noch im Klassenzimmer zum Einsatz kommt?
In den Supermärkten verschwinden die Einkaufstüten aus Plastik. Früher habe ich sie immer als Mülltüte wiederverwendet. Jetzt habe ich einen Stoffbeutel und kaufe im Supermarkt Plastiktüten für meinen Müll. Wir retten die Welt in Zeitlupe oder gar nicht. Schwer zu sagen.
Kennen Sie auch diese Jammerarien über den Untergang der Stadtzentren? Oh, der Laden für Droschkenbedarf hat seine Pforten geschlossen. Und war da nicht früher mal eine Wienerwald-Filiale? Wir sollten doch alle froh sein, dass die gruselige FuGäZo durch das Internet ersetzt wurde. Statt hunderter Autos, die in die Innenstadt rollen, um einzukaufen, fährt jetzt ein Lkw die ganzen Autistenbuden ab, wo unsereinszweidrei im Netz bestellt hat. Das ist der Fortschritt. Wacht mal auf, Leute!
Pre-Berghain-Party-Mucke: Tony Marshall - Heute Hau'n Wir auf die Pauke. https://www.youtube.com/watch?v=p_HCzqx6KHg
Mittwoch, 29. Mai 2019
Frühe Siebziger
Frühe Siebziger, das ist Frotteeschlafanzug und Rauchende Colts. Da gab’s bei Oma Schweinebraten und neidisch warst du vielleicht auf das Bonanza-Rad vom Nachbarjungen, aber der hatte keinen Vater mehr, also hielt sich das in Grenzen. Im Sommer zwei Wochen Campingplatz in der Eifel. Da ist man den ganzen Tag rumgestromert, es waren ja genug andere Kinder da. Die Zeit ging um und wenn es langweilig war, ist man selbst schuld gewesen. Die Erwachsenen waren froh, wenn man sich nicht blicken ließ. Für Notfälle gab es Heftpflaster. Bei Regen lag man einfach in dem niedrigen Zwei-Mann-Zelt und hörte dem schlechten Wetter zu. Als geistige Notration hattest du ein paar Micky-Maus-Hefte oder Asterix-Comics mit. Schön Graubrot mit dick Fleischwurst drauf, einmal am Tag wurde auf dem Propangaskocher eine Büchse Ravioli oder Pichelsteiner Eintopf warm gemacht. Da hat man gar nicht drüber nachgedacht, ob das Leben schön ist. Da gab’s auch keine Events, da war abends einfach der Tag um und Feierabend.
Dienstag, 28. Mai 2019
Die toten Augen von London
Während wir noch über das deutsche Wahlergebnis, über den Niedergang der GroKo-Parteien und die hysterischen Reaktionen der beiden Parteivorsitzenden Nahles und AKK, sprechen, wurde das britische Parteiensystem durch einen Enthauptungsschlag nahezu vollständig vernichtet. Ein Meteorit namens Nigel Farage schlug in London ein und die Dinosaurier sterben dort schneller als in Rom, Paris oder Berlin.
Zur Erinnerung: Bei den letzten Wahlen zum Unterhaus im Juni 2017 holten die Tories 42 Prozent und Labour 40 Prozent. Zusammen vereinten sie 82 Prozent der Stimmen auf sich. Bei der Zahl der Abgeordneten ist die Dominanz aufgrund des Mehrheitswahlrechts noch erdrückender. Bei der Europawahl holt die Brexit-Partei von Farage, von ihm erst Anfang des Jahres gegründet, mit 31,6 Prozent die Mehrheit. Die Tories fallen auf unfassbare neun Prozent zurück. Eine Partei, die seit fast zweihundert Jahren existiert und seither immer wieder den Premierminister stellt, wird in zwei Jahren von einem Nobody ohne Parteiapparat nahezu ausradiert.
Samstag, 25. Mai 2019
Eintauchen
Mitten in der Nacht springe ich ins Meer. Ich tauche in die Finsternis hinunter. Nach einigen Minuten sehe ich vor mir ein schwaches Leuchten. Das uralte Wrack eines Segelschiffs. Ich schwimme auf eine offene Luke zu. Es ist ein Traum, also brauche ich keinen Taucheranzug und keine Sauerstoffflasche.
Im Bauch des Schiffs sehe ich die alte Frau, die mir heute in der U-Bahn gegenüber gesessen hat. Sie ist ganz ruhig und schaut auf den Boden. Ihr Haar bewegt sich langsam in der Strömung, es sieht weich und seidig aus.
Dann sehe ich einen offenen Schrank, aus dem mich ein Augenpaar anstarrt. Es ist mein Chef, der mich beobachtet. Ich schwimme auf den Schrank zu und öffne ihn ganz. Aber es sind nur die Augen in ihm, sonst nichts.
Mit wenigen Armbewegungen bin ich im nächsten Raum. Dort ist das Raumschiff, das ich mir als Kind immer gewünscht habe. Ich sehe den blauen Teddybären, den mir meine Eltern geschenkt haben, als ich drei Jahre alt war.
Die Kajüte des Kapitäns ist voller Seekarten und anderer Pläne. Vor den Fenstern glitzert ein Schwarm kleiner Fische. Ich lege mich auf das Bett und schließe die Augen. Dann wache ich auf.
Gary Numan - M.E. https://www.youtube.com/watch?v=GVW8_lvs_vs
Mittwoch, 22. Mai 2019
Und wieder ist ein Problem gelöst
Die Zustände im Görlitzer Park sind unhaltbar geworden. Eine unüberschaubare Zahl von Drogenhändlern spricht wahllos jeden Passanten an. Das ist der deutschen Hauptstadt unwürdig, befand der Berliner Senat und veranstaltete einen Wettbewerb, wie man der Plage Herr werden könne. Es gewann die Firma Hornbach.
Der Baumarktriese baute ein zweckmäßiges Einkaufszentrum in den Park. Hier finden sie weiche Drogen, fein säuberlich nach Herkunftsgebieten geordnet: Holland, Marokko, Libanon, Afghanistan, Kalifornien. „Sie suchen roten Libanesen? Bitte gehen Sie in Gang 3“, heißt es jetzt im Info-Center. Afrikanische und arabische Fachkräfte, die ehemals bei Wind und Wetter im Freien ihren Geschäften nachgehen mussten, beraten Sie jetzt in Sachen Haschisch und Gras. Sie sind fest angestellt, krankenversichert und zahlen in die Rentenkasse ein.
Weiter hinten im Einkaufszentrum bekommen Sie Bongs und Pfeifen, Blättchen gibt es an der Kasse. Kartenzahlung ist selbstverständlich möglich, sie können auch Bonuspunkte sammeln. Im Garten-Center finden Sie Samen, Pflanzenerde, Beleuchtungsanlagen und anderes Zubehör.
Endlich hat alles seine Ordnung, selbst die CDU ist begeistert. Man kann wieder gefahrlos durch den Park gehen, ohne von wildfremden Menschen angesprochen zu werden. An der Kasse werden 19 Prozent Mehrwertsteuer fällig, da freut sich auch Vati Staat, und der Senat kassiert die Pacht für das Grundstück.
Görli goes Ganja. Love & Peace.
Alborosie – Kingston Town. https://music.youtube.com/watch?v=AmbN5CSDn8U&list=RDAMVMPhFmzmTbmmQ
Samstag, 11. Mai 2019
Künstlerkolonie Wilmersdorf
AUS DEM NICHTS SCHAFFT IHR DAS WORT,
UND IHR TRAGT’S LEBENDIG FORT,
DIESES HAUS IST EUCH GEWEIHT,
EUCH, IHR SCHÖPFER UNS’RER ZEIT.
(Inschrift auf dem Grundstein der Siedlung)
Die Künstlerkolonie Wilmersdorf wurde in den 1920er Jahren von der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA) und dem Schutzverband Deutscher Schriftsteller gegründet. Hier fanden im Laufe der Jahrzehnte zahlreiche Künstler und Intellektuelle bezahlbaren Wohnraum, darunter der Philosoph Ernst Bloch, der Autor Sebastian Haffner, der Kabarettist Dieter Hildebrandt, der Schauspieler Klaus Kinski und der Philosoph Manès Sperber.
Im März 1933 wurde die Kolonie von Polizei und SA umstellt und abgeriegelt. Alle Wohnungen wurden durchsucht, es kam zu zahlreichen Verhaftungen. Viele Bewohner verließen daraufhin Deutschland. Nach dem Krieg übernahm die landeseigene Wohnungsgesellschaft GEHAG die Künstlerkolonie. 1994 wurde die Siedlung an eine private Wohnungsbaugesellschaft verkauft und gehört heute der Vonovia, dem größten Wohnungsunternehmen Deutschlands.
Da die Mieten seither stark gestiegen sind, erwägt die Stadt Berlin aktuell einen Ankauf der Gebäude, um jüngeren Künstlern bezahlbaren Wohnraum bieten zu können. Allerdings zeigt Vonovia bisher kein Interesse am Verkauf.
The Ink Spots - Java Jive. https://www.youtube.com/watch?v=Nl-ZIt0p4xs
Freitag, 10. Mai 2019
Schreiben
Nach der Reform der Rechtschreibreform gibt es ja in vielen Fällen den faulen Kompromiss, dass es zwei Möglichkeiten gibt, ein Wort zu schreiben oder ein Satzzeichen zu setzen. Man kann den erweiterten Infinitiv mit einem Komma abtrennen oder man lässt es bleiben. Wo es früher eine klare Regel gab, hat man die Regeln jetzt aufgegeben. Aufwändig oder aufwendig – möglich ist beides. Man hat einen Riesenschlamassel angerichtet und anschließend einfach resigniert. Stellen Sie sich eine Reform der Ampel vor. Ergebnis: Sie dürfen jetzt bei Rot und bei Grün fahren. Ist Ihnen überlassen. Oder der Markt regelt das (FDP-Variante). Klingt erst mal gut, hilft aber im Straßenverkehr leider nicht weiter. Wie kommt man überhaupt auf die Idee, die Sprache von staatlicher Seite aus verändern und steuern zu wollen? Sie ist gewachsen, über lange Jahre ist sie zu dem geworden, was sie heute ist. Inzwischen überlässt der Staat die Einflussnahme den Medien und den Konzernen, der Duden nimmt jeden Schwachsinn kritiklos auf. #Wording #Framing
Fehlfarben - Tanz mit dem Herzen. https://music.youtube.com/watch?v=YLsaKJI_fFw&list=RDAMVMYLsaKJI_fFw
Montag, 6. Mai 2019
Unvergessen: Blind Kansas Jimi Blue
Blind Kansas Jimi Blue, sein bürgerlicher Name war Bernhard Kohlhammer, wurde 1962 als zwölftes von siebzehn Kindern eines Schuhverkäufers in den Slums von Offenbach geboren. Als er fünf Jahre alt war, wanderte seine Familie nach Oklahoma aus. Dort lernte er von Cold Hands Martha Rhymes Gitarre und Mundharmonika. Der Blues sollte sein Schicksal sein, das wurde ihm bereits in jungen Jahren bewusst.
Mit vierzehn Jahren lief er von zu Hause weg, weil er sich mit seinem miesen Schulzeugnis nicht nach Hause traute. Sein Vater schlug ihn regelmäßig, wenn er betrunken war. Und betrunken war er eigentlich immer. Blind Kansas Jimi Blue wanderte von Stadt zu Stadt und schlug sich mit Gelegenheitsjobs in Kaufhäusern, Werkstätten und Saloons durch. 1979 verlor er sein linkes Bein, als er nachts auf einen fahrenden Güterzug aufspringen wollte.
Blind war er eigentlich nie. Er nahm sogar regelmäßig an Orientierungsläufen teil und arbeitete einen Sommer lang als Seiltänzer und Seelöwenbändiger bei einem Wanderzirkus. Aber die schwarze Sonnenbrille war sein Markenzeichen und die angebliche Blindheit half ihm bei seiner Arbeit als Straßenmusiker. Einbeinige Blues-Musiker gab es damals in rauen Mengen. In Memphis spielte er dreißig Jahre auf dem Bürgersteig vor den großen Musikstudios, ohne jemals entdeckt zu werden.
Er jammte zusammen mit Filthy Fingers Frank, Mississippi Milly May, Doctor Bluegrass und Tricky Dick Nelson. Legendär sind seine gefühlvollen Interpretationen klassischer Speed Thrash Metal-Stücke und seine Blues-Variante von „Highway to hell“. Auf einem Live-Album von John Lee Hooker hört man ihn im Hintergrund fluchen, eine Stunde lang. Er starb 2015 während eines Schneesturms auf den Straßen von Chicago. Außer seiner Gitarre und seiner Mundharmonika hat er nichts hinterlassen, aber in unseren Herzen lebt er für immer weiter: Blind Dingsbums Jimi Habichvergessen.
https://www.youtube.com/watch?v=Sh3D9gbraXo&feature=youtu.be
Copyright für Musik und Cover sowie ein herzliches Dankeschön gehen an den fabelhaften Ackerboy. Lyrics & Gejaule: Andy Bonetti. Es lebe die Lausbübische Produktionsgenossenschaft (LPG). Im Herbst gehen wir dann auf Welttournee: Pankow, Wilmersdorf, Marzahn.
Die B-Seite: https://www.youtube.com/watch?v=YlYGoG5gmpg&feature=youtu.be
Samstag, 4. Mai 2019
Musik und Literatur zwischen Hunsrück und Berlin
Es ist erstaunlich, wen man alles bei seinem Winzer trifft. Heute Nachmittag gehe ich Wein kaufen, als ein älterer Herr mit seinem Sohn den Hof betritt. Wir plaudern eine Weile, alle haben Zeit, es ist Wochenende.
Es stellt sich heraus, dass der ältere Herr Heinrich Poos heißt und aus Seibersbach kommt, nur wenige Kilometer von Schweppenhausen entfernt. Er ist neunzig Jahre alt und Komponist. Als junger Mann ging er nach Berlin, wo er an der Kirchenmusikschule und der Hochschule für Musik Berlin studierte. Als Kantor und Organist war er anschließend in verschiedenen Berliner Gemeinden tätig. In dieser Zeit studierte er auch an der FU und wurde 1964 im Fach Musikwissenschaft zum Dr. phil. promoviert. 1971 wurde er Professor für Musiktheorie an der Hochschule der Künste Berlin, nach seiner Emeritierung 1994 nahm er einen Lehrauftrag der Universität Frankfurt an.
Er komponiert noch immer und lebt zugleich in Seibersbach und Berlin. Er führt ein Künstlerleben im Hunsrück und in der Hauptstadt. Das kommt mir irgendwie bekannt vor.
P.S.: Wir haben übrigens einen Cuvée aus Weißburgunder und Riesling getrunken. Jahrhundertjahrgang 2018, 13,5 % Alkohol und 102 Grad Oechsle. Der absolute Genuss.
https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Poos
Freitag, 3. Mai 2019
Algorithmus
Er hat keinen Namen
Und keine Erinnerung
So muss er endlos
Durch einen Garten wandern
Dessen Blumen Augen sind
Montag, 25. März 2019
Innovationsmaschine Kino
Freuen wir uns auf die folgenden Kino-Highlights der nächsten Monate und Jahre:
Avatar 2
Jurassic World 3
Toy Story 4
Fast & Furious 9
Men in Black: International
Jumanji 2
Suicide Squad 2
Pets 2
Mission: Impossible 7
Beverly Hills Cop 4
Fantastische Tierwesen 3
Dazu kommen selbstverständlich Fortsetzungen von James Bond, Batman und Star Wars. Nur bei Titanic hakt es etwas. Bonetti Media arbeitet aber an einem Drehbuch. Ich freu mich!
Dienstag, 12. März 2019
Die Dichter machen ernst
Letzte Woche fand in Frankfurt ein viertägiger Kongress zum Thema Lyrik statt. „Fokus Lyrik“ hatte „mehr als 100 Akteur*innen der Lyrikszene“ eingeladen und folgende Forderungen beschlossen:
• Mindesthonorar von 500 € pro Auftritt
• Mehr Preise für Lyrik-Übersetzungen
• Öffentliche Fördermittel für Lyrik
• Öffentliche Fördermittel für Lesungen in Buchhandlungen
• Öffentliche Förderung der Verlage durch verstärkten Ankauf von Lyrik in Bibliotheken und Stadtbüchereien
• Aktionstage für Lyrik
• Lyrik als Teil der Ausbildung von Lehrern und als Wahlpflichtfach an Schulen
• Festanstellung von Dichtern an Universitäten
• Zeilenhonorar von drei Euro bei Übersetzungen
https://www.frankfurt.de/sixcms/media.php/738/Frankfurter%20Positionen%20zur%20Lage%20und%20Zukunft%20der%20Lyrik.pdf
Donnerstag, 28. Februar 2019
Blogpost von Wagner
Beide sind Lebewesen, beide haben ihr Dasein auf dem Planeten Erde. Der gefährliche Dummschwätzer von der BILD-Zeitung und der von Stilblüte zu Stilblüte fliegende Blogger aus dem Hunsrück. Beide erzählen unser Leben.
Sülze und Salbader.
Der Dummschwätzer, der uns alle anödet. Und der Blogger, der die Leser erleuchtet.
Es ist großartig, dass sich die Lesenden für Bonetti Media entschieden haben.
Sie sind für weniger Verblödolin im Internet.
Giftstoffe, die Hirnzellen abtöten und die Bürger in Alkohol und Suizid treiben.
Und was machen wir mit dem bösen Wagner? Für mich ist er ein Lebewesen.
Er ist ein Schreibender, er ist ein Lebewesen wie ich. Lassen wir ihn in Grönland weiterschwafeln.
Herzlichst
F. J. Wurlitzer
Sonntag, 24. Februar 2019
Worte ohne Bilder
Ich möchte heute mal ein Problem ansprechen, dass wir vermutlich alle haben: die Urlaubsbilder anderer Leute. Neulich habe ich ein Ehepaar besucht, das mit seinen Kindern in kanadischen Nationalparks unterwegs gewesen ist. Tolle Bilder, keine Frage. Aber für mich sieht ein Berg wie der andere aus, ein Tal wie das andere und die Bäume sehen sowieso auf jedem Bild gleich aus, vor allem, wenn es ganz viele auf einmal sind. Sie kennen das. Man darf aber natürlich nichts sagen. Keiner sagt was. Warum? Weil wir alle so scheißhöflich zueinander sind. Entweder wird sind extrem höflich oder extrem aggressiv (Internet, Straßenverkehr). Normal sind wir eigentlich nie oder höchstens, wenn wir alleine auf dem Klo hocken.
Den größten Alptraum habe ich Anfang der neunziger Jahre in Berlin erlebt. Eine angehende Kunsthistorikerin war mit ihrem Freund in Ägypten. Die Diashow hat ungelogen drei Stunden gedauert. Ohne Pause. Ich bin ja kein Kunstbanause, aber für mich sieht eine Pyramide aus wie die andere. Dazu die ganzen Tempelanlagen. Diese Bilder haben alle die gleiche Farbe. Sandfarben. Übrigens auch die Bilder aus der Wüste. Noch ein Diakasten. Man wusste gar nicht, wie viele Kästen es insgesamt sind. Langatmige Erklärungen zu Ramses dem Einäugigen, während wir wie auf Steinen saßen. Küchenstühle. Holz. Kein Polster. Kein Sessel und kein Sofa in der Kreuzberger Studentenbude. Ich wäre am liebsten schreiend rausgerannt. Aber natürlich habe ich nichts gesagt. Ich habe es ausgehalten. Es war eine Zen-buddhistische Übung in Geduld. Heute würde ich gehen – oder besser: Ich würde erst gar nicht kommen. Oma gestorben, Bandscheibenvorfall, alles egal.
The Tornados – Telstar. https://www.youtube.com/watch?v=WPDvsLSnUGc
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