Sonntag, 28. August 2016

Dialektischer Materialismus und subjektive Relevanz in der Postmoderne

Sie wissen doch überhaupt nicht, was diese Überschrift bedeuten soll, oder?!

Blogstuff 64
„The medium is massage“ (Marshall McBonetti, der große Navigator von Bonetti Media Unlimited)
Die Frau im gepunkteten Kleid. Ich muss an REWE denken. „Sammeln Sie Punkte?“ Ich traue mich nicht, ihr diese Frage zu stellen. Eine echte Übung in Selbstdisziplin.
Das Problem des Berliner Politikbetriebs ist, dass der lokale Nachwuchs in die Bundespolitik geht und nicht in die Landespolitik. Neuestes Beispiel: Der Ortsverband Moabit der Berliner Jusos fordert ein „Gesetz gegen die Schwerkraft“, um sozialen Abstieg zu verhindern.
Ich sehe „Big Bang Theory“ am Nachmittag und schlafe mal wieder praktisch sofort ein. Ich träume, ich säße auf eine Wiese und würde „Family Guy“ sehen. Die Sonne scheint und rechts neben mir fließt ein Bach. Ich halte die Hand ins klare Wasser und finde es toll, mitten in der Natur meine Lieblingsserie zu sehen. Ich schlafe ein und wache erst wieder auf, als der Abspann läuft. Ich ärgere mich und wache auch im wirklichen Leben auf. Der Abspann von BBT läuft – mal wieder. Und ich muss nicht auf die Toilette, obwohl ich von Wasser geträumt habe!
Familienministerin Manuela Schwesig hat ein ehrgeiziges Ziel: Bis zum Ende des Jahrzehnts soll die erste Frau auf den Mond gebracht werden.
Kennen Sie das Geheimnis von Andy Bonettis unerschöpflicher Kreativität? „The Content Machine“, wie ihn die Weltpresse (u.a. die heutige Morgenausgabe des Bad Nauheimer Abendblatts) gerne nennt, legt sich frisch gebackenes, knuspriges Brot auf den Schreibtisch, dessen Duft ihn zu literarischen Höchstleistungen inspiriert. Schiller und seine faulenden Äpfel in der Schreibtischschublade? Vergessen Sie es. Greifen Sie zu leckeren Backwaren!
Wie viele Menschen erfüllen sich den alten Kindheitstraum und rennen den ganzen Tag in einer Schlafanzughose durch ihre Wohnung? Und dann nennen sie das Ding auch noch „Jogging“-Hose.
Gespräch bei Lachs und Weißwein über nervtötende Opener wie die unsinnige Frage „Wie geht’s?“ und die besten Antworten. Ruhrgebiet: „Muss“ oder „Muss ja“. Remscheid: „Beschissen“. Rheinhessen: „Schleschde Leud geht’s immä guud.“ Schön sind auch die Antworten „Weiß nicht, gestern ging’s noch“ oder – in aggressivem Tonfall vorgetragen – „Das geht dich doch ’n Scheißdreck an!“
Andy Bonetti ist ein sehr einflussreicher Mann in Bad Nauheim. Ihm gehören der Nord- und der Südbahnhof, das Wasserwerk, die Goethe- und die Theaterstraße – und natürlich auch die Schlossallee.
O, diese Armbanduhr. Meine herrliche Uhr, die ich so liebe und schätze. Ich schätze sie auf hundert Euro, wäre aber auch bereit, sie für fünfzig Euro in bar zu verkaufen.
„Bad Nauheim, dunkel lockende Welt“ von Johnny Malta wurde in Rüdesheim am Rhein mit dem Goldenen Korkenzieher 2016 ausgezeichnet.
Das quengelnde Baby hörte sich an wie eine ungeölte Tür.
Ich trainiere derzeit Zen-Minigolf. Konzentriere dich, achte auf deine Atmung - und dann machst du das Hole-in-one mit verbundenen Augen ...
Das Gottesgnadentum unserer kindlichen Kaiserin Angela I.
Der Pflanzenfresser denkt sich: Ess ich das Grasbüschel noch oder nicht? Er legt sich neben dem Grasbüschel zur Ruhe und isst es eben zum Frühstück. Es kann ja nicht weglaufen. So entsteht kein Ehrgeiz. Und darum haben es die Kühe auch nicht bis zum Mond geschafft.
Die Liebe ist eine Falle. Am Ende brüten zwei Menschen über ihrer Steuererklärung oder der Hausfinanzierung.
Nagelstudios sind ein Phänomen der wachsenden sozialen Ungleichheit. Früher haben sich die Menschen ihre Nägel selbst geschnitten und lackiert. Heute schneidet die eine Hälfte der Menschheit der anderen Hälfte die Nägel.
Wie man aus Scheiße Geld macht: die Plasmatoilette. http://www.3sat.de/page/?source=/nano/umwelt/157827/index.html
Gilbert O’Sullivan – Get Down. https://www.youtube.com/watch?v=fdd7W-jP2GQ

Samstag, 27. August 2016

Das gottverdammt beste Zitat des Monats

„Am Ende wird es heißen: In diesem Jahrzehnt ging der Handel mit Illusionen von den alten Medien auf das Internet über.“ (Marylou Weatherhoney)

Lehrlingsmangel???

So, so, Ihr Arschkrampen im Management, Ihr findet kein Personal mehr. Hättet gerne mehr Köche und Verkäufer, oder? Euch fehlt auch Personal im Büro? Leute, die Deutsch in Wort und Schrift beherrschen? Leute, die wissen, wie man es schafft, pünktlich um neun Uhr im Büro zu sein? Lehrlingsmangel, mhm …? Wie wäre es mit Leuten über fünfzig, die demnächst noch zwanzig Berufsjahre vor sich haben. Scheiß auf die Lehrlinge, es gibt da draußen genug qualifizierte Leute. Aber Ihr geföhnten Susis wollt ja den perfekten Azubi im Supermankostüm. Nehmt doch mal die nette Dicke oder den sympathischen Kettenraucher aus dem Bereich „Gebraucht“! In diesem Land gibt es Millionen großartiger Menschen, die auf einen kläglichen Haufen von Witzblattfiguren treffen, die sich „Arbeitgeber“ nennen.

Das Haus der Zukunft

„Bin ich verantwortlich für den Geist des Zeitalters? Ich nehme die Zeit, wie sie ist, und behalte mir nur vor, im Stillen meine Beobachtungen zu machen.“ (Robert Walser: Jakob von Gunten)
Emma ist fünf Jahre alt und steht in ihrem neuen Zimmer. Sie schaut auf ihr Handy und sagt: „Vor dem Fenster ist Lars. Der darf zu mir reinkommen.“ Ich schaue aus dem Fenster und sehe tatsächlich Lars, der gerade sein Fahrrad abschließt. Lars ist Emmas großer Bruder. Ich bin immer noch verblüfft über die neue Technik.
Kurze Zeit später sitzen wir Erwachsenen im ersten Stock und beraten, wer von uns Zugang zu welchem Zimmer hat. Das Mehrfamilienhaus ist vor einigen Wochen fertiggestellt worden. In einigen Räumen fehlen noch die Möbel, aber wir können bald einziehen. Küchen, Bäder und die Hauselektronik sind eingebaut. Das Haus hat hohe und helle Zimmer mit großen Glasflächen und -türen, die im Erdgeschoss in den Garten und im ersten Stock auf die umlaufende Veranda führen.
Im Prinzip sollen alle Mitglieder der vier Familien Zugang zu allen Räumen haben. Im Prinzip. Aber Max ist Rechtsanwalt und möchte, dass sein Arbeitszimmer aus Sicherheitsgründen gesperrt bleibt. Er bewahrt vertrauliche Unterlagen auf und möchte bei der Arbeit auch nicht von den Kindern gestört werden, wenn ihn z.B. ein Mandant besucht. Wenn er in seinem Arbeitszimmer ist, kann man anklopfen und per Handy oder am PC öffnet er die Tür für den Besucher. Nachts sind die Türen zwischen den vier Wohnungen grundsätzlich geschlossen, die Außentüren sind ohnehin elektronisch gesperrt. Per Mausklick lassen sich die Türen von Badezimmern und Schlafzimmern jederzeit einzeln sperren, um die Privatsphäre zu gewährleisten.
Klingt eigentlich ganz einfach, ist aber doch ziemlich kompliziert, wie wir bei der Besprechung merken. Die Eltern von Thorsten und Steffi wohnen in der Nähe und kümmern sich gelegentlich um die Kinder. Sie erhalten die Zugangscodes zur Außentür ihrer Wohnung, aber sie haben keinen Zugang zu den anderen Wohnungen. Den Kindern wollen wir natürlich tagsüber erlauben, überall im Haus zusammen zu spielen. Sie dürfen in die anderen Wohnungen, die Großeltern aber nicht. Sie könnten im Zweifelsfall den Enkelkindern nicht folgen, denn sie würden einen Alarm auslösen, wenn sie ohne Zugangscode eine der anderen Wohnungen betreten. Die Hauselektronik registriert ihre Position automatisch über das GPS des Handys. Ohne Handy könnten sie aber den Enkelkindern durchs Haus folgen und damit die Vereinbarung umgehen.
Was dürfen welche Menschen zu welcher Uhrzeit in unserem Haus, was die Bewohner, was ihre Besucher? Wie vielen Menschen gewähren wir Zugang zu unserem Haus? Können die Kinder Besucher per Handy auf der Toilette einsperren? Wer ruft wen an, wenn eine Tür sich nicht öffnen lässt oder der Akku gerade leer ist, wenn man am Morgen aufsteht? Das Haus der Zukunft soll einfach sein, ist aber in Wirklichkeit eine Herausforderung. Am Ende meines Traums laufe ich alleine durch die leeren Zimmer des neuen Hauses und suche die anderen Menschen. Ich wache schweißgebadet auf. Kein Witz.
Fiction Factory - Feels Like Heaven. https://www.youtube.com/watch?v=bXfT-LVFPsk

Offizielle Wahlempfehlung von Bonetti Media Concept & The Gang

An alle Berliner! Schaut auf diesen Blog!
Der Emir der Empfehlung, der King of klare Kante, der Zar der Zerstörung, der Attila der Analyse, der Fürst der Verdammten, der Herzog der Hermeneutik, der Wortführer der Wahlbeteiligten, der Schrecken aller Scheißpolitiker hat sich die Unterlagen zur Berliner Landtagswahl kommen lassen. Denn auch in Schweppenhausen wird über das Schicksal der gescheiterten Metropole an der Spree entschieden. Warum? Weil Andy Bonetti als studierter Politikfuzzi die Lizenz hat, an allen Wahlen teilzunehmen. Dieser Mann wird überall gebraucht.
Der ursprüngliche Plan war, ein großes Anarcho-A auf den Wahlzettel zu malen plus einen coolen Spruch, der die Wahlhelfer in Berlin echt aufrütteln und zum Nachdenken bringen sollte. Ungültige Stimme ist das neue Nicht-Wählen! Aber was sehen meine von der Politik enttäuschten Augen auf Platz 24 des Stimmzettels?
„Menschliche Welt – für das Wohl und Glücklich-Sein aller“
Mööönsch, denke ich, das ist doch haargenau die Partei, nach der ich Aldi Jahre gesucht habe. Ich clicke ihr Programm an. Sie fordern die Verbesserung der gesellschaftlichen Systeme, eine Wirtschaft, die nicht auf Profitmaximierung aus ist, Frieden, Umweltschutz und die Überwindung der globalen Armut. Meine Rede! Und bei dieser Partei kann man sogar ein „Freiwilliges Spirituelles Soziales Jahr“ machen. Wie geil ist das denn?
Die Methode ist auch klar: Yoga und Meditation. Erst mal ’ne solide Reinigung der Chakren, Erdogan. Damit dir klar wird, wie uncool Kriege sind. Ein bisschen Ayurveda-Öl ins Toupet einmassieren, Trump. Und du wirst sehen: Mexikaner sind auch Menschen. „Bei der Verwirklichung unserer Ziele nutzen wir die sozio-ökonomische Theorie PROUT (PROgressive Utilization Theorie) des indischen Philosophen Prabhat Ranjan Sarkar.“ Die nehme ich schon seit Jahren, auch bei hartnäckigen Flecken. „Das Ziel von PROUT ist das Wohlergehen und Glücklich-Sein aller. (…) Spiritualität bedeutet die Anerkennung von Bewusstsein und dessen Entfaltung. (…) Neohumanismus.“ Total abgefahren.
Liebe Berliner! Wenn wir alle die „Menschliche Welt“ wählen, dann wird die Welt menschlicher.

Freitag, 26. August 2016

Ja, es ist wahr

-scheinlich wieder mal Zeit für eine neue Wundertüte:

Blogstuff 63
„Als er aber vernahm, dass ich ein wenig locker lebte, verwies er mir meine Lebensart mit solcher Heftigkeit, dass mir die Haare zu Berge standen und mir alle Glieder zu zittern anfingen. Als er aber so gewaltig auf mich loswetterte, leerten wir indessen einen Krug nach dem andern aus, bis wir endlich alle beide dermaßen bezecht waren, dass wir rücklings miteinander zu Boden fielen und von den herbeilaufenden Einwohnern halb tot nach Hause geschleppt wurden.“ (Ludwig Holberg: Niels Klims unterirdische Reise)
Erst Burka-Verbot. Dann Burkini-Verbot. Was wird aus Burkina Faso?
Am Strand von Büsum wurde ein Weihnachtsmann gesichtet. Total vermummt wie ein Taliban. Kommt jetzt das Nikolini-Verbot?
Aushilfsrapper Kay One hat ein Lied über Wladimir „Wanja“ Putin geschrieben. Zur Melodie von „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“ singt er: „Wanja hat die Krim gestohlen, gib sie wieder her, gib sie wieder her. Sonst muss ich den Ami holen mit dem Schießgewe-he-her.“
„Der große RTL II-Promi-Nasenbohr-Abend“. Mit ehemaligen Kandidaten vergessener Sendungen und ihren unbekannten Lebensabschnittsgefährten.
Gourmet-Tipp: Die Weißwurst-Sashimi im Konfuzius-Stüberl in Amberg.
Seit zwei Jahren versuche ich jetzt, mein Kampfmeerschweinchen Bruce abzurichten. Aber Karate sieht mit seinen kurzen Beinen einfach Scheiße aus.
Der neue Longdrink von Wodka Bonettikov heißt „Holiday on ice“.
Ich hätte es ahnen können, ich hätte es wissen müssen. Aber ich musste natürlich die Tür mit dem großen roten Schild „Geheimgang“ öffnen und hindurchgehen.
Der Türsteher ist der Schließmuskel des Clubs.
Wenn es jemals einen literarischen Helden gegeben hat, der mir persönlich bis aufs Haar gleicht, dann ist es Ignaz Reilly, der adipöse Don Quichotte, der geniale Faulpelz, der promovierte Versager und wirre Literat aus „Ignaz oder Die Verschwörung der Idioten“ von John Kennedy Toole. Ich habe dieses Meisterwerk des absurden Romans gerade zum dritten Mal gelesen. Als ich es 1982 zum ersten Mal in der Hand hatte, konnte ich nicht ahnen, dass ich mich einmal in den hünenhaften Protagonisten dieser Erzählung verwandeln würde, dessen Bleistift sein „Schwert der Wahrheit“ ist. Toole hat nur diesen Roman geschrieben, der lange nach seinem Tod veröffentlicht wurde. 1969 beging er im Alter von 32 Jahren Selbstmord, seiner Mutter gelang es schließlich, einen Verleger von seinem vergilbten Manuskript zu überzeugen. Aber auch bei Georg Bleistein aus „Ein Unding der Liebe“ von Ludwig Fels aus dem Jahre 1981 habe ich Anleihen genommen, wie ich durch die erneute Lektüre erkannt habe. Fremder im Paradies, Stammgast in der Hölle.
Ein alter sowjetischer SF-Film, „Planet der Stürme“ von 1962 (großartige Schwüre der Kosmonauten gegenüber dem Sowjetvolk und der Partei!), hat die schwarzen Balken links und rechts. Die Amerikaner haben sie immer oben und unten. Typisch Kommunismus: immer alles anders machen wollen!
Ich glaube ja immer noch, dass man einen Flaschenöffner auf eine Reise zu fernen Planeten mitnehmen sollte. Vielleicht braucht man ihn ja doch, er wiegt nicht viel und hinterher ärgert man sich, weil man ihn nicht eingesteckt hat.
Der Name ist wichtig. Wir stellen uns anderen Menschen zunächst mit unserem Namen vor. Erst dann nennen wir Wohnort und Beruf. Würden Sie einem Experten trauen, der Kasper von Jodelbums heißt?
Manche Männer nehmen ihren Ehering auf Reisen ab, um die Frauen über ihren Familienstand zu täuschen. Johnny Malta machte es umgekehrt.
In der Nähe von Schweppenhausen gibt es einen winzigen Ort namens Kreershäuschen. Aber die Eingeborenen des Soonwalds nennen ihn nur Ugga Ugga.
Rastlos unterwegs, jagend und fliehend zugleich.
„Senk ju 4 schuhsing Deutsche Bahn.“
Es heißt jetzt nicht mehr Graffito, sondern Wandtattoo.
The Police - Synchronicity II. https://www.youtube.com/watch?v=jGLWyrX06NY

Keine Arbeit, kein Geld, kein Druck

„Bildung wird nicht in stumpfer Fron und Plackerei gewonnen, sondern ist ein Geschenk der Freiheit und des äußeren Müßigganges.“ (Thomas Mann: Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull)
Die Klage über die Armut in unserer Gesellschaft basiert auf derselben Grundlage wie die Verschwendung und die Gier der Reichen: Materialismus. Die Armen können sich den Kinobesuch, das Steakhaus, die Italienreise und die neueste Schuhmode nicht leisten. Ich war selbst vor zehn Jahren Hartz IV-Empfänger und habe die immateriellen Vorteile genossen: die Freiheit und die Unabhängigkeit. Ich durfte liegenbleiben, wenn die Wecker klingelten. Ich bin in die Bibliothek gegangen und habe die Klassiker der Literatur gelesen. Ich bin bei schönem Wetter stundenlang spazieren gegangen. Ich konnte mit Muße einkaufen und kochen. Ich konnte Freunden zuhören. Ich habe bis heute keine Ahnung, was im Kino läuft oder welche Klamotten gerade angesagt sind. Ich habe immer noch kein Auto und kein Smartphone. Aus dem Verzicht kann man nicht nur Bitterkeit, sondern auch Kraft schöpfen, gerade weil man die Mittel nicht besitzt, um den ubiquitären Verlockungen der Warenwelt zu erliegen. Besitz und Geld sind nicht die Maßstäbe – und wenn Besitz und Geld umverteilt werden sollen, was ich übrigens großartig fände, dann nicht zwischen reichen und armen Deutschen, sondern zwischen reichen Deutschen und den Armen in Afrika und Indien.

Donnerstag, 25. August 2016

Ein Bild ohne Farben

„Ein Tourist, befragt, welche deutschen Städte er kenne, sagte lakonisch: Dachau, Sachsenhausen, Buchenwald, Flössenbürg, Gardelegen, Ravensbrück.“ (Josef W. Janker: Der Umschuler)
Tat ein Jahr geplant, Vorbilder, Zeitungsausschnitte über vergangene Amokläufe und Fotos, die er im Vorjahr an Orten des Amoklaufs von Winnenden aufgenommen hatte, verfasste ein Manifest, der 18-jährige Schüler soll unter Depressionen gelitten haben, Eltern des Täters noch nicht vernehmungsfähig, Waffe im Darknet beschafft, Angststörung, in stationärer und ambulanter Behandlung, Medikamente, von Mitschülern massiv gemobbt, am Tage des Amoklaufs durch eine Schulprüfung gefallen, zehn Tote und 35 Verletzte, Panik in anderen Teilen der Stadt.
Tat am Tag der letzten schriftlichen Abiturprüfungen, zieht in der Herrentoilette eine schwarze Gesichtsmaske über den Kopf, erschoss die stellvertretende Schuldirektorin und die Sekretärin, erschoss vor den Augen der Schüler den anwesenden Lehrer, „Herr Heise, für heute reicht’s“, der Amoklauf dauerte vom ersten Schuss bis zur Selbsttötung höchstens 20 Minuten, Motiv war der aus Sicht des Täters ungerechtfertigte Schulverweis und die damit verbundene berufliche Aussichtslosigkeit, Gedenkfeier, Kerzen, Gesetzesänderungen.
Tötete 15 andere Menschen, mehrstündige Flucht, schoss mit einer Pistole auf die anwesenden Schüler und Lehrerinnen, Autohaus, Schusswechsel, insgesamt gab der 17-Jährige an den beiden Tatorten 112 Schüsse ab, tötete sich schließlich gegen 13:00 Uhr durch einen Schuss in den Kopf selbst, nach dem Amoklauf verließ die Familie des Amokläufers ihren bisherigen Wohnort, neue Identität, von Hass und Gewaltphantasien besessen, bipolare affektive Störung, verabschiedet sich in die Scheinwelt des Computers, beschäftigte sich intensiv mit Schulmassakern und dem Amokläufer von Erfurt, der im Jahr 2002 insgesamt 17 Menschen erschoss, nach dem Amoklauf begann eine politische Diskussion, ein Jahr nach dem Amoklauf forderte Bundespräsident Horst Köhler in einer Gedenkveranstaltung, „wirklich alles Menschenmögliche“ zu tun, um derartige Taten in Zukunft zu verhindern.
Joachim Witt - Goldener Reiter. https://www.youtube.com/watch?v=j0UAXn2lq3A

Mittwoch, 24. August 2016

Wie ich zum Rebellen wurde

“Liang Shan Po, Symbol der Hoffnung für ein Volk unter dem Joch einer Regierung ohne Anstand und Moral.”
Das war der Anfang. So ging es los. Lange bevor ich von Leuten wie Che Guevara, Luke Skywalker oder Malcolm X überhaupt gehört habe. Ich war schon als Kind ein Rebell. Meine Lehrmeister hießen Lin Chung, der tapfere Krieger, Hu San-Niang, die Frau mit den zwei Schwertern, und Lu Ta, der trinkfreudige Kampfmönch. Neun Dutzend Helden, die gegen die finsteren Schergen einer korrupten Regierung kämpfen. Ihr Lager ist in den undurchdringlichen Sümpfen und Dschungeln des Liang Shan Po. Man nennt sie
Die Rebellen vom Liang Shan Po
Und mit diesen Worten beginnt jede Folge dieser japanischen Fernsehserie aus den siebziger Jahren, die in Deutschland im Dezember 1980 zum ersten Mal ausgestrahlt wurde:
„Es heißt in den Schriften der Weisen: Ihr sollt die Schlange nicht deshalb gering achten, weil sie keine Hörner hat. Niemand weiß, ob aus ihr nicht einst ein Drachen wird, wie auch aus einem einzelnen Mann eine ganze Armee werden kann.“
So wie die Filme von Akira Kurosawa („Die sieben Samurai“, „Yojimbo - Der Leibwächter“, „Das Schloss im Spinnwebwald“) mich in meiner Kindheit zum Japan-Fan machten, machte mich diese Serie nach einer wahren Begebenheit, die bis heute in den chinesischen Volkssagen weiterlebt, zu einem Fan des alten China.
Die Luxus-Box aus schwarzem Holz, die neben den DVDs auch Aufkleber, Postkarten, ein Booklet, ein Hörspiel, eine Rebellenflagge, ein Poster und ein T-Shirt enthält, habe ich mir zum fünfzigsten Geburtstag geschenkt. Die Familienfeier ist am Wochenende, damit enden die Saturnalien zu meinem Jubiläum.
Wenn ich demnächst in diesem Blog zur Rebellion aufrufe, trauen Sie mir einfach. Finden Sie sich im Liang Shan Po aka Hunsrück ein. Wir schaffen das!
So, der Riesling ist offen. Folge 1: „Neun Dutzend Helden und ein Bösewicht.“ Das Abenteuer beginnt …
„Der Weg zum Ruhm führt durch den Palast, der Weg zum Reichtum führt über den Markt, der Weg zur Tugend führt durch die Wüste, der Weg des Gerechten führt durch die Schuld. So steht es geschrieben.“
https://www.youtube.com/watch?v=IMOK_gdb-W4

Blogstuff 62

„Der Mensch wird geboren mit der Forderung nach Gerechtigkeit – wie er sie versteht. Da sein Begehren unerfüllt bleibt, entfaltet sich in ihm allmählich ein weites Verständnis für den willkürlichen Ablauf des Daseins.“ (Hans Henny Jahnn: Fluss ohne Ufer)
In der Empörung über den Kontrollverlust der Bundesregierung während der „Flüchtlingskrise“ zeigt sich das starke Autoritätsbedürfnis der deutschen Bevölkerung.
Schlechte Nachricht: Es gibt jetzt Psycho-Strahlen, die durch Aluminiumfolie durchgehen.
Welche Folgen Onanie haben kann, sehen wir an Peter Altmaier.
Gebt mir Krisen, gebt mir Skandale, gebt mir Weltuntergänge! Schließlich habe ich Eintritt bezahlt.
Rucksäcke sollen verboten werden, aber Golftaschen und Diplomatenkoffer bleiben erlaubt. Quo vadis, Klassengesellschaft?
Statt der Burka sollte man die Jogginghose verbieten.
Menüvorschlag: „Käsespätzle Hanoi“ – mit Zitronengras statt Petersilie und Original-Wasserbüffelmozzarella. Nachtisch: „Snickers Fidel Castro“ – mit Rohrzucker und Rumaroma.
Eine schwere Epidemie wütet in der Stadt, ganze Viertel sind vom Geldfieber betroffen, das die Menschen dahinrafft.
Hatten Sie auch schon mal den Mund voller Kartoffelchips und mussten dann niesen? So entstand die moderne Kunst.
„Und da kommt die Kellnerin über links, meine Damen und Herren! Es ist das fünfte Bier in diesem Spiel und sie stellt es vor Michelangelo Marmeloni auf den Tisch, eine Standardsituation.“
Die Ökonomen versuchen, die Praxis der Wirtschaft mit naturwissenschaftlichen Methoden zu erklären, so als wären es nicht Menschen, die das Geschehen bestimmen, sondern kugelförmige Objekte in einem Vakuum.
Sensationell: Das Rhabarber-Rinderspucke-Sorbet im „Do You Really Like My Eis“ in der Schönhauser Allee 99.
1974 konnte man im deutschen Fernsehen zum ersten Mal zwei junge Männer mit nacktem Oberkörper zusammen in einem Bett sehen: Uli Hoeneß und Paul Breitner in ihrem Doppelzimmer während der Fußball-WM. Die süße Unschuld vergangener Tage.
„Wenn du in deines Nächsten Weinberg gehst, so magst du Trauben essen nach deinem Willen, bis du satt habest, aber du sollst nichts in das Gefäß tun.“ (5. Mose 23, Vers 24) Diese Regel gilt nach etwa dreitausend Jahren immer noch in meiner rheinhessischen Heimat. Du kannst Weintrauben, Kirschen und Mirabellen essen, wenn du durch diesen fruchtbaren Garten am Rheinufer gehst und Hunger hast, aber du darfst dir nicht Plastiktüten oder Säcke mit Obst füllen, um es nach Hause mitzunehmen oder um es zu verkaufen – das ist strafbar.
Wäre es nicht schön, wenn es einen Fußballspieler mit dem Nachnamen „Elfmeter“ gäbe? Das würde die Fernsehübertragungen etwas interessanter machen.
Die aus dem Sprachschutt leerer Parteitagsfloskeln zusammengebastelten Reden eines Joachim „Jogi“ Gauck. Eine Freundin von mir kennt den Redenschreiber des Bundespräsidenten persönlich und charakterisiert ihn als ängstlichen und einsamen Menschen.
Die Fernbedienungen von Fernsehern und Stereoanlagen werden offensichtlich von Männern entworfen, denn sie haben immer die Länge von erigierten Penissen.
Der Augenblick des Abschieds ist nur darum so kostbar und schön, weil wir wissen, dass auf ihn der Schmerz folgen wird.
Warum trugen die kleinen Jungs zur Kaiserzeit Matrosenanzüge? Weil die Marine damals so hip war wie heute das Internet.
Er hatte ein ausgezeichnetes Versteck gefunden, sorgfältig alle Spuren verwischt und wartete nun mit klopfendem Herzen. Aber niemand suchte ihn.
Die dritte Generation der RAF, die noch irgendwo da draußen ist, überfällt Banken und Geldtransporter. Politisch sind sie erloschen, es geht nur noch ums Kapital. Was für eine Ironie. Am Ende sind diese Witzblattfiguren so geldgeil wie die Karikatur eines Bonzen.
FAZ.NET, 23.8.16: „Nur 36 Prozent sehen den kommenden zwölf Monaten hoffnungsvoll entgegen; das ist einer der geringsten Werte in der Nachkriegsgeschichte.“ Das Land der Jammerlappen …
Zur Frage der Hygiene: Andy Bonetti wird täglich entlaubt, gekärchert und geföhnt.
Im Traum fahre ich mit dem Zug nach Bremen und betrete ein Schildergeschäft. Ich kaufe das Schild „Kein Giraffenparken vor dem Haus. Klaus“. Was bedeutet dieser Traum?
Zu guter Letzt: Für sog. „trockene“ Alkoholiker bietet Bonetti Unlimited jetzt ein Bierpulver in Tütenform an.
She Past Away – Sanrı. https://www.youtube.com/watch?v=Zwi4BHMnJvg

Ernst Nolte

In der vergangenen Woche starb der Historiker Ernst Nolte, der 1986 mit seiner These, der Holocaust sei nur eine Reaktion auf die Verbrechen der Bolschewisten in der Sowjetunion gewesen, den sogenannten „Historikerstreit“ ausgelöst hatte.
Nolte, wie alle Revisionisten, machte den Kardinalfehler, die Systeme nur auf der Basis ihrer Resultate und ihrer Methoden zu vergleichen. So kommen die Relativierer zu dem Ergebnis, auch Stalin und Mao seien für den Tod von Millionen verantwortlich und seien daher mit Hitler auf eine Stufe zu stellen. Die Methode KZ hätten die Briten im Burenkrieg entwickelt.
Der entscheidende Punkt ist jedoch, die Systeme nach ihrer Weltanschauung zu vergleichen. Das NS-Regime basierte auf Rassismus. „Der Jude“ muss als Rasse ausgerottet werden, er kann als Mensch nicht verändert werden – daher die industriell betriebene Ermordung in KZs. Die sozialistischen Staaten basierten auf Marxismus, der Mensch ist prinzipiell veränderbar, sein Charakter ist nicht genetisch geprägt, sondern durch seine Klassenlage definiert („Das Sein bestimmt das Bewusstsein“). Daher auch die Umerziehungslager, die Propaganda. Im Sozialismus hat es keine industriell geplanten und durchgeführten Massenmorde gegeben.
Der Nationalsozialismus wollte mit seinem Vernichtungsfeldzug in Osteuropa „Lebensraum“ für die eigene Rasse erobern, die Sozialisten und Kommunisten wollten andere Menschen überzeugen. Und wenn man bedenkt, was die Rote Armee auf ihrem Weg von Stalingrad nach Berlin alles sehen musste (Auschwitz ist da nur ein Detail der Hölle), ist ein es Wunder, dass die Nazi-Generation nicht kollektiv für ihre Verbrechen gerichtet wurde. Deswegen ist das Dritte Reich singulär, sind seine Verbrechen bis heute einzigartig.
Im Jahr 2000 bekam Nolte den Konrad-Adenauer-Preis der rechtsradikalen Deutschland-Stiftung des Altnazis und Gestapo-Denunzianten Kurt Ziesel. Die Deutschland-Stiftung war ein organisatorisches Bindeglied zwischen dem rechten Flügel der CDU und Rechtsextremisten mit NS-Vergangenheit. Auch Helmut Kohl zählt zu den Preisträgern.
Noltes Geist lebt leider immer noch, aus seiner Asche wächst ein ganzer Schwarm Phönixe wie die NPD, AfD, NSU, Sarrazin, Seehofer, Buschkowsky e tutti quanti.

Dienstag, 23. August 2016

Die längste Woche

„Wenn wir das Oktoberfest absagen würden, wäre das eine Einschränkung der Freiheit.“ (Thomas de Maizière)
Sie haben sicher auch gelacht. Die Bundesregierung fordert uns dazu auf, Notvorräte anzulegen. Mitten im Frieden sind wir von Horrorszenarien umgeben. Droht ein Krieg? Werden islamistische Terroristen sämtliche Supermärkte abriegeln? Kommt der Iwan doch noch, dessen Einmarsch der brave Michel seit Jahrzehnten erwartet?
Ich habe auch gelacht. Es droht kein Krieg. Aber was machen wir bei einem Stromausfall? Nehmen wir an, unsere Stromversorgung bricht für eine ganze Woche zusammen. Kein Problem, denkt jeder. Dann trinke ich eben Leitungswasser. Aber es kommt kein Wasser mehr aus dem Hahn in Ihrer Küche und in Ihrem Badezimmer. Baden und Duschen ist auch vorbei. Die Anlagen der Wasserversorger werden elektronisch gesteuert, es gibt keine mechanischen Pumpen in Ihrer Stadt oder in Ihrem Dorf (ich kenne Notbrunnen nur aus Berlin, z.B. in der Trautenaustraße).
Was ist mit dem Essen? Unsere Kühlschränke und Tiefkühlfächer sind gut gefüllt. Kein Thema. Ohne Strom sind die Sachen aber in kürzester Zeit nicht mehr essbar, es sei denn, der Stromausfall trifft uns im tiefsten Winter und wir können unsere Vorräte auf den Balkon schaffen oder in einer Plastiktüte ans Fenster hängen. Oder wir lassen sie, wo sie sind, denn die Heizung wird auch nicht mehr funktionieren. Bei einem längeren Stromausfall bleibt uns nur der Vorrat an Konserven. Dann gibt es einen ganzen Tag nur Mais, Erbsen und Möhren für die Familie. Natürlich kalt, denn der Herd und die Mikrowelle können ebenfalls nicht mehr benutzt werden.
Na und? Gehen wir in den Supermarkt. Abgesehen von der Finsternis in den fensterlosen Geschäften haben wir auch hier das Problem faulender Tiefkühlkost und verwelkender Salate. Die Kassen funktionieren nicht, die Verkäuferin muss alles per Hand addieren. Ihre Kreditkarte funktioniert weder im Supermarkt noch am Bankautomat. Wieviel Bargeld haben Sie gerade in der Brieftasche? Jetzt denken Sie, dass uns Lastwagen mit Essen versorgen werden. Aber die Tankstellen funktionieren auch nur mit Strom, ohne Energie kann man das Benzin nicht aus den unterirdischen Tanks pumpen und die Zapfsäulen bedienen.
Wie geht es weiter? Fernsehen, Radio, Internet und auch Ihr Smartphone funktionieren nicht mehr. Sie haben keinerlei Informationen über Ihre Zukunft. Nach einer Woche, spätestens nach zwei Wochen ohne Strom bricht die Zivilisation, so wie wir sie kennen, zusammen. Sie werden für sich und Ihre hungernden Kinder kämpfen – und das meine ich nicht im übertragenen Sinne.
Woher habe ich dieses Szenario? Es gibt vermutlich kein Blog, das in der absurden Welt der deutschen Politik so exzellent vernetzt ist wie Bonetti Media Umlimited. Mein Gewährsmann in dieser Frage nimmt regelmäßig an Sitzungen des Bundesinnenministeriums zu Fragen der Versorgungssicherheit teil, die gemeinsam mit dem zuständigen Minister in Berlin stattfinden. Was ich von ihm persönlich off the record erfahre, gebe ich der geneigten Leserschaft gerne zur Kenntnis.
Also: keine Panik. Ist noch nie passiert, passiert auch nicht. Aber Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, wie mein Opa immer zu sagen pflegte. Und wer sich richtig gruseln will, dem empfehle ich zu diesem Thema den Roman „Blackout“ von meinem Kollegen Marc Elsberg.
Urge Overkill - Girl You'll Be a Woman Soon. https://www.youtube.com/watch?v=JAHA4Jh5jkw

Montag, 22. August 2016

Im Zauberkreis der Maschinen

„Das Ungewisse ist wie flüssiges Metall, es kann uns sengend durchlöchern.“ (Hans Henny Jahnn: Fluss ohne Ufer)
Das silberne Funkeln der Wellen. Sonnenaufgang über der Spree. Fortuna, die blinde Göttin des Zufalls, hatte das Rad des Schicksals gedreht und seine Privatapokalypse heraufbeschworen. Er überquerte den Fluss und ging die Friedrichstraße entlang.
Der Mann mag mittleren Alters gewesen sein. Kein Gesicht, an das man sich erinnern muss. Die Farbe seines Anzugs erinnerte an das Fell eines Maulwurfs. Er taumelte, er fühlte sich schwach und war müde. Zu Tode erschöpft. Aus den Wagen, die an ihm vorbeifuhren, trafen ihn erschrockene, besorgte und amüsierte Blicke. War er krank, hatte er einen Unfall gehabt oder kam er gerade von einer nächtlichen Tour durch die Berliner Kneipen?
Blut sickerte aus einer Wunde an seiner Stirn, ein Ärmel seines Jacketts war eingerissen, das schmutzige und zerknitterte Hemd hing ihm aus der Hose. Die zerschlissene Krawatte baumelte offen um den geöffneten Kragen, die Schuhe waren abgewetzt und löchrig. Sein Gesicht war aschfahl, seine Lippen blutleer. Während er sich mühsam vorwärts schleppte, schien sein Blick in weite Ferne zu schweifen. Wusste er, wo er war? Wusste er, was er tat? Eine ältere Frau, die ihm mit ihrem Hund entgegenkam, verzog angewidert das Gesicht und machte einen Bogen um ihn.
Endlich stand er vor dem Haus in der Torstraße. Im obersten Stockwerk des Gebäudes brannte schon ein schwaches Licht. „Pelzer & Söhne“, sein Arbeitsplatz. Galanteriewaren en gros und en detail. In den Stockwerken darunter schien die lärmende Jugend, die in Start-Ups beschäftigt war, eine Party zu feiern. Hatten sie seit gestern durchgearbeitet oder fingen sie gerade an? Er begriff die moderne Welt nicht.
Er betrat die Eingangshalle und fuhr mit dem Aufzug nach oben. Müde ging er über den Flur und öffnete die Milchglastür, die den altehrwürdigen Firmennamen in Buchstaben aus Blattgold trug. Der riesige Büroraum, der dahinter lag, hatte sich nicht verändert. Klimm, Pfeiffer und Sattelmann saßen an ihren schweren Schreibtischen aus dunklem Holz, an den Wänden die Aktenschränke mit endlosen Reihen von prallgefüllten Ordnern voller vergilbter Papiere. Mechanische Schreibmaschinen klapperten träge, Pfeiffer spannte gerade zwei leere Blätter Papier in seine Maschine, zwischen die er schwarzes Durchschlagpapier gelegt hatte. Auf jedem Tisch stand ein Telefonapparat aus schwarzem Bakelit.
Die lähmende Langeweile, die alte Menschen verbreiteten. Fräulein Gisela, die greise Sekretärin des Bürovorstehers, war an ihrem Tisch eingeschlafen. Niemand nahm von ihm Notiz, als er sich an seinen Tisch setzte und die kleine Lampe einschaltete. Im Eingangskorb lag die Post, die er abzuheften und in ein Empfangsbuch einzutragen hatte. Er stellte das Datum des Stempels neu ein und begann, die Briefe mit einem Brieföffner aufzuschneiden. Dann stempelte er die Briefe und ordnete sie anschließend alphabetisch, um sie in den entsprechenden Ordnern abzuheften. Wie lange arbeitete er schon bei „Pelzer & Söhne“?
Ein helles Glöckchen ertönte. Mechanisch stand er auf und ging zur Tür, die ins Büro des Bürovorstehers führte. Er klopfte zaghaft an und öffnete die mit grünem Leder ausgeschlagene Tür, ohne eine Antwort abzuwarten. Sein Vorgesetzter thronte in einem weißen Himmelbett. Er hatte pralle Seidenkissen im Rücken und eine Schlafmütze auf dem Kopf. Er trug eine dicke Hornbrille, vor ihm lagen zahllose Akten, die über das ganze Bett verstreut waren.
Der Chef nahm die Brille ab, seine kleinen Augen hatten die Farbe von Pflaumenkernen. „Mir ist ein Schriftstück unter das Bett gerutscht. Seien Sie bitte so freundlich und holen Sie es mir hervor.“
Der Mann begann augenblicklich, unter das Bett zu kriechen. Er kroch immer weiter, inzwischen konnte man seine Beine nicht mehr sehen. Er lag in völliger Finsternis und hatte die Orientierung verloren. Von wo war er gekommen? Er rief den Bürovorsteher, aber er bekam keine Antwort. Also tastete er sich mühsam weiter durch den Staub.
Seine Hände griffen ins Leere. Der Untergrund wurde abschüssig und er kam ins Rutschen. Er versuchte, Halt zu finden, doch jetzt ging es immer schneller abwärts. Es war eine Art Rampe und einen Augenblick später war er in freiem Fall. Er schrie und seine Stimme hallte an den Wänden wider, als wäre er in einer Kathedrale.
Er fiel überraschend weich. Er war in einen Bottich gefallen, unter ihm lag weiße Wäsche. Tischdecken und Laken. Vielleicht vom Hotel nebenan? Dann setzte sich der Wäscheberg in Bewegung. Er hob den Kopf und sah hinaus. Er saß in einer Art Lore und vor ihm lag ein Schienenstrang in der Dämmerung. Es ging hinauf und hinab, durch niedrige Gänge und Höhlen, in engen und weiten Kurven.
Schließlich flog er in den hellen Tag hinaus. Die Lore überschlug sich in der Luft und er fiel hinaus. Er landete zwischen den Mülltonnen eines Hinterhofs. Erschöpft und zerschlagen blieb er eine Weile liegen. Dann kroch er aus dem Müll und torkelte auf die Straße.
Das silberne Funkeln der Wellen. Sonnenaufgang über der Spree. Fortuna, die blinde Göttin des Zufalls, hatte das Rad des Schicksals gedreht und seine Privatapokalypse heraufbeschworen. Er überquerte den Fluss und ging die Friedrichstraße entlang.
Crosby, Stills, Nash & Young – Carry On. https://www.youtube.com/watch?v=HocfN2gvgto

Sonntag, 21. August 2016

Das digitale Tabernakel

… ist das Kiezschreiber-Blog. Willkommen zu …

Blogstuff 61
„Was macht ein Affe mit einer Milliarde Bananen?“ (Rolando von Curtzweyhl)
Die mächtigste Waffe der Amerikaner ist ihre Sprache. „Cowboy“ klingt einfach cool, „Hirtenjunge“ klingt unkühl.
Die Gesellschaft der Freunde der Erdrotation e.V. lädt Sie herzlich zu ihrer Hauptversammlung im Hotel Madison Garni in Bad Nauheim ein. Prof. Dr. Reinhold Klöhdenjohann wird einen Vortrag zum Thema Hitzeentwicklung bei Lichtgeschwindigkeit in nicht-euklidischen Systemen halten.
Eine Kirche in Neapel. Es ist kühl und ruhig, du kannst aufatmen. Das Gegenteil der Stadt, dieser nervtötenden Furie unter einer erbarmungslosen Sonne. Hier sitzen Menschen entspannt auf den Bänken, manche lesen Bücher, andere schließen einfach nur die Augen. Eine Versammlung ohne Priester, ohne Rituale. Die Gemeinde der Erschöpften.
Bei einem Späti sehe ich das Angebot: „Sternburg 0,5 52 Cent“. Das ist Berlin.
Der Schein heiligt die Mittel (Grundsatz der Neureichen).
Auf lange Sicht ist der Mangel an Geduld das Hauptproblem der EU. Als nach dem Ende des Sozialismus die Länder Osteuropas in die EU eintraten, waren sie noch nicht bereit, die neu gewonnene Souveränität gleich wieder an eine höhere Instanz abzugeben. Das ist verständlich. Die alten EU-Mitglieder waren aber nicht bereit, ihre Pläne zur Vertiefung der Union zu verschieben. Und so ging ein wesentliches Grundprinzip der Union – alle Mitglieder machen jeden Schritt zusammen – verloren. Die EU wurde gleichzeitig erweitert und vertieft, anstatt erst die Erweiterung und dann die Vertiefung zu bewältigen. Der Teufel hat die Eile erfunden und die Gründungsstaaten der EU plus einige willige Länder haben mit dem Euro vorschnell eine gemeinsame Währung geschaffen, die aber die Hälfte der Mitgliedsstaaten der Union ausschließt. Hätte man sich mehr Zeit für die gemeinsame Entwicklung gelassen, stünde Europa heute besser da. Der ewige Fluch der Beschleunigung.
Warum sollte ich eigentlich Müsli mit Sojamilch zum Frühstück essen, wenn die Welt doch sowieso demnächst untergeht?
K. arbeitet in der Nähe des Wirtschaftsministeriums und berichtet, das Wissen der Behörde und die Weisheit des Ministers strahlten über das gesamte umliegende Viertel und ermöglichten ihm erst seine Arbeit als Rechtsexperte. Seine Aufgabe ist es, die unerforschlichen Beschlüsse der Ministerialbürokratie zu interpretieren. Oft sind in einem Gesetzestext nur wenige Worte verändert worden. Nun muss er, so wie ein Orakelpriester die Eingeweide einer geschlachteten Ziege zu deuten weiß, den Text des Gesetzes auslegen und seine Auslegung mit den Ergebnissen anderer Experten vergleichen, um zu ergründen, was die Veränderung der Worte für die Welt außerhalb der Behörde bedeuten mag.
Kennen Sie das berühmte Foto „ARTACK“? Es zeigt Andy Bonetti, der mit gesenktem Haupt und beiden Fäusten an der Stirn, die Zeigefinger ausgestreckt, scheinbar wie ein Stier auf Andy Warhol losgeht, der – auch scheinbar – mit zwei Essstäbchen auf seinen Nacken einsticht. Es hängt in der Tate Gallery in London.
Wer sich mit der Genderia auf eine Diskussion einlassen will, muss zunächst ihre ideologische Kernprämisse akzeptieren: Der Grundwiderspruch der modernen Gesellschaft ist nicht der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, sondern der Widerspruch zwischen Mann und Frau. Nicht der Kapitalist ist der Gegner, sondern alle Männer, selbst die Obdachlosen und Behinderten. Die drei Stigmata des neuen Klassenfeinds: Penis, Hoden, Vollbart. Biologie als Ideologie. Und da die Genderia die Linke dominiert, hat die Linke den Klassenkampf völlig aus den Augen verloren. Deutsche Bank und CDU freuen sich.
P.S.: Lupo Laminetti wurde für die Hörbuchversion seines herzzerreißenden Sozialdramas „Gina Lisa“ (nicht zu verwechseln mit Heinz Pralinskis „Gina & Lisa – die Mördertitten von Wyoming“) jetzt von einer Autofahrerin verklagt, die am Steuer in Tränen ausbrach, als sie der Lesung von Til Schweiger lauschte, und einen Auffahrunfall verursachte.
The Easybeats - Friday on My Mind. https://www.youtube.com/watch?v=3iW2_Ec3uEU

Samstag, 20. August 2016

Traumparty

„Wer ist da? Niemand, mein Freund. Nur Schritte in der Nacht.” (Raymond Chandler: Playback)
Großes Comcizeichnertreffen in Berlin. Die Männer tragen lange Kunstledermäntel oder Irokesenfrisuren, die Frauen sehen noch verwegener aus. Eine Frau hat ihr Konterfei als Comicfigur auf den linken Oberarm tätowiert. Es ist eigentlich eher eine Party, es läuft laute Musik.
Ich unterhalte mich mit einem Zeichner namens Ralf. Er bittet mich, ihn in meinem Comicstil zu zeichnen. Aber ich schaffe es nur, ganz langsam seinen Namen in Druckbuchstaben auf ein Blatt Papier zu schreiben. Er hat auf seinem Körper Wörter tätowiert, die zu den Geräuschen passen, die dort entstehen. Auf seiner Nase steht „Nies“, neben seinem Mund „Laber“ und er sagt, auf seinem Hintern stehe „Furz“.
„Aber auf deinem Ellenbogen steht nichts“, sage ich zu ihm.
„Der macht ja auch kein Geräusch“, antwortet Ralf.
„Doch, mein Ellenbogen kann zum Beispiel knacken“, gebe ich zu bedenken. „Leider ist die Musik so laut, sonst könntest du es hören.“
Nach der Party fahren alle nach Hause. Ich sehe sie auf dem Parkplatz, als sie in ihre Wagen steigen. Ein braun-metallic-farbener Opel GT, eine aufgemotzte Ente, ein 1968er Pontiac Firebird. Kein einziges normales Auto. Ich bin vermutlich der einzige, der mit dem Zug angereist ist.
Ich träume sehr oft von Partys.
Bay City Rollers - Keep On Dancing. https://www.youtube.com/watch?v=O4qQp1QNQnM
P.S.: Mein Leben als Musik-Fan begann 1975, als ich zum ersten Mal die Bay City Rollers gehört habe. In dieser Zeit war ich außerdem Fan von Borussia Mönchengladbach, Rainer Bonhof, Niki Lauda und Enid Blyton.

Die neuen Märtyrer

Die Menschen, die im 22. Jahrhundert heilig gesprochen werden, leben heute unter uns:
Kurt, der krebskranke Bettler vom Prenzlauer Berg.
Sujarta, die Näherin aus Bangladesh, die bei einem Fabrikbrand ums Leben kam.
Alana, das Flüchtlingsbaby, in den Fluten des Mittelmeers getauft.
Der alte Mohammed, das blinde Bombenopfer aus Bagdad.
Ihr Vorschlag: …

Lob und Tadel

„Manchmal stelle ich mir vor, wie der Kantinenkoch die Schnitzel in seinen Achselhöhlen paniert, damit dieser einzigartige Geschmack entsteht.“ (Horst Hutzel)
Restaurant-Tipp: Der begnadete Koch und Entertainer aus Niederbayern heißt Bauer mit Nachnamen und hat sein Restaurant konsequenterweise „LandWirt“ genannt. Kleine Karte, großartige Zutaten, selbstgebackenes Brot und selbstgemachte Butter als Gruß aus der Küche – und plötzlich wird ein schlichtes Butterbrot zur Delikatesse. Das ist Understatement und zugleich die wortlose Präsentation der kulinarischen Philosophie des Lokals: Wenn man ganz einfache Dinge hervorragend zubereitet, hebt man sie aus ihrer unverschuldeten Banalität empor. Falscher Hase und Ochsenbäckchen, Wirsingroulade und Merguez. Keine Pommes frites, keine Kroketten, keine Country Potatoes. Zum Nachtisch gibt es selbstgebackenen Kuchen. Ludwig Bauer hat früher im „Brecht’s“ für Leute wie Claus Peymann oder Helmut Schmidt gekocht, der sich nach dem Essen eine Zigarette angezündet hat. Was macht man in diesem Fall? Einen Aschenbecher bringen. Helmut Schmidt, der letzte echte Raucher, der überall in Deutschland geraucht hat - der John Wayne der Mentholzigarette. Wulff kam als Bundespräsident, drei Security-Typen checkten die Küche und die Fluchtwege, bevor Prinz Valium sich einen Teller Gnocchi bringen ließ. Mir kredenzt der „LandWirt“ Steinpilze mit Scampi auf schwarzen Linsen mit hausgemachtem Knoblauchöl. So gut habe ich in diesem Jahr noch nicht gegessen. Regensburger Straße im Norden Schönebergs, einen oder zwei Steinwürfe vom KaDeWe entfernt.
Restaurant-Warnung: Das „Ming-Dynastie“ an der Jannowitzbrücke gegenüber der chinesischen Botschaft gilt als eins der besseren China-Restaurants Berlins. Daher dachte ich, man kann mit der Filiale im Europa-Center am Breitscheidplatz nichts falsch machen, zumal ein günstiges Mittagesbuffet für 9,80 € angeboten wurde. Doch, man kann. Fehler süß-sauer! Fehler kantonesischer Art! Gong Bao-Fehler! Schlechtes Fleisch voller tückischer Knochensplitter (auf diese Weise habe ich mal in der Chinatown von San Francisco ein Stück Zahn verloren, schießt es mir nach dem ersten Bissen durch den Kopf), selbst die Nudeln sind mies und das Tofu nicht zum Aushalten. Und dann pflaumt mich dieser kaum tischhohe, steinalte REISFRESSER in seinem Lakaienkostüm noch an, ich solle die Knochen, den Atommüll und andere nahrungsferne Gegenstände, die ich im Essen finde, nicht auf eine Serviette legen, sondern mir einen Extra-Teller holen! Kann es noch schlimmer kommen? Ja, es kann. Denn in diesem Augenblick betritt eine chinesische Reisegesellschaft das Lokal. Anyone left in Shanghai? Und schon kämpfe ich Mann gegen Mann mit dem Leiter der Traktorenfabrik „Roter Oktober“ um das letzte Stück Wassermelone. Am Ende werde ich beim Wechselgeld noch um einen Euro beschissen, aber da war mir auch schon alles egal.
P.S.: Ganz ausgezeichnet war jedoch das Tagliata di manzo auf Rucola mit Parmesan, das ich im Rahmen einer privaten Grillparty in Kreuzberg genossen habe.
Nick Straker Band – A Walk In The Park. https://www.youtube.com/watch?v=NT4zZLlmiwc

Freitag, 19. August 2016

Drei Gedanken zur aktuellen Politik

Wir erwarten lebenslange Dankbarkeit, wenn wir jemandem das Leben retten. Im Rausch der Nächstenliebe, der im Herbst 2015 das ganze Land erfasst zu haben schien, haben wir genau diese Erwartung gehegt – jetzt sind wir enttäuscht, wenn die jungen Männer aus dem Orient nicht mehr die Opferrolle spielen wollen und im Einzelfall sogar zu Tätern werden. Und ich rede nicht nur von den „turboradikalisierten“ IS-Terroristen, sondern von der alltäglichen Gewalt in den Flüchtlingsunterkünften gegen Andersdenkende, Frauen, Christen, Kinder und Homosexuelle.
Die Mafia hatte früher einen eisernen Grundsatz: Ziehe Frauen und Kinder nicht in eine Auseinandersetzung hinein. Die Gangster erschossen sich gegenseitig – aber niemand griff die Familien seiner Gegner an. Das galt in kriminellen Kreisen als schäbig. In der Politik ist das anders: Gernika, Rotterdam, Coventry, London, Dresden, Hiroshima, Nagasaki. In unserer Zeit Aleppo, Bagdad, Paris usw. Jede Regierung – ob demokratisch, faschistisch, islamistisch oder sozialistisch - hat Mörder produziert, die dem Verhaltenskodex der Mafia diamteral widersprechen.
Es wird gerne über die Angepasstheit der jungen Generation gelästert. Von älteren Generationen, die in ihrer Jugend genauso angepasst waren. Es gab in Deutschland überhaupt immer nur angepasste Generationen. Daran ändert auch eine Handvoll selbstverliebter „68er“ nichts. „1968“ gab es in Berkeley und Paris, aber nicht in Itzehoe.
https://marx-wirklich-studieren.net/marx-engels-werke-als-pdf-zum-download/

Donnerstag, 18. August 2016

Blackout im Outback

„Im Innern ist bei allem Geschöpf die gleiche warme Finsternis.“ (Hans Henny Jahnn: Fluss ohne Ufer)
Emmanuel Piehl, Privatdetektiv und Best Boy der Unterwelt: so hart wie ein Drei-Stunden-Ei und die vollendete Mischung aus Anmut und Scharfsinn. Aber sein letzter Fall lag eine Weile zurück. Der Überfall auf die Postkutsche mit den Lohngeldern für die Minenarbeiter.
Broken Hill: Heruntergekommene Holzhäuser voller Mundgeruch und Vorstrafen. In den verwahrlosten Vorgärten lagen ausgeschlachtete Autowracks und Gartenzwerge mit abgeschlagenen Köpfen. Die ganze Szenerie war so traurig wie der Anblick einer leeren Weinflasche.
Hier lebten Jake Loman und Wallace „Wally“ Fielding. Jake und Wally machten der Abstammungsgeschichte Australiens alle Ehre. Die meiste Zeit standen sie extrem lässig vor Billardsalons herum, kauten an einem Zahnstocher herum, schnickten Münzen in die Luft und kämmten sich die nächste Tube Wetgel ins Haar. Sie hatten über einen Kollegen, der mit ihnen im Knast gesessen hatte, von einem unbekannten Auftraggeber den Tipp mit dem Herointransport bekommen. Fifty-fifty, wenn sie ihm die Lieferung nach Melbourne bringen würden. Die Drogen waren in Eierbecherform gepresst und mit einer dünnen weißen Lackschicht überzogen worden.
Jayaprakash Rajchandra war der Fahrer des Lieferwagens, um den es beim Überfall gehen sollte. Er trug einen Turban, der mit einem Plastiksmaragd geschmückt war, und einen gewaltigen schwarzen Schnurrbart. Er hatte in jungen Jahren etliche ayurvedische Pornos in Bollywood gedreht und war anschließend nach Australien ausgewandert. Die Straße wand sich durch die Hügel des Outbacks, links und rechts sah er nur Buschgras und vereinzelte Felsbrocken.
Eike, der kleine Eierbecher, Held unzähliger Geschichten, hatte sich unter die Ladung des gutbestückten Inders gemischt. Er trug einen GPS-Sender und ein senfkorngroßes Mikro. Er konnte sich auf Mister Piehl verlassen. Der erfahrene Privatdetektiv, der bis zu seinem Prozess wegen Bestechlichkeit für die Polizei in Brisbane gearbeitet hatte, würde ihn retten, wenn er in wenigen Minuten in die Hände der Ganoven fiel.
Rauchfarbene Augen betrachteten die Szene in alle Ruhe durch das Fernglas. Der Lastwagen des Schmuddel-Hindus wurde gerade auf die Ladefläche eines Abschleppwagens gehievt. In einem Versteck würde man das gepanzerte und mit kugelsicheren Scheiben ausgestattete Fahrzeug des Sydney-Kartells, das laut Aufschrift angeblich der Firma „Gilmore Logistics“ in Wollongong gehörte, mit Schneidbrennern und notfalls mit Plastiksprengstoff öffnen.
Als der Abschleppwagen verschwunden war, stieg Piehl mit aller gebotenen Gelassenheit in seinen unauffälligen Holden und folgte dem GPS-Signal. Auf dem Beifahrersitz lag seine Glock 17 mit Schalldämpfer. In seinem früheren Job hatte er beide Rollen gelernt: böser Bulle und richtig böser Bulle.
Der Abschleppwagen stand vor einer verlassenen Farm. Sie bestand aus einer offenen Scheune mit Wellblechdach, in der alte Fässer und Maschinenteile vor sich hin rosteten, einer riesigen Garage und einem Farmhaus mit einer verfallenen Holzveranda. Mit Merino-Wolle war schon lange kein Geld mehr zu verdienen.
Piehl stellte seinen Wagen einen Kilometer von der Farm entfernt ab und schlich sich durch ein Wäldchen auf die Rückseite des Hauptgebäudes. Währenddessen hatten es Wally und Jake gerade geschafft, die gepanzerte Fahrertür zu öffnen. Piehl erwischte Wally, als er gerade den Fahrer im ehemaligen Wohnzimmer fesselte.
Wie alle Amateure redete Wally zu viel. Er erklärte seinem Gefangenen, sie würden der Polizei einen Tipp geben, sobald sie in Sicherheit wären. Er würde hier nicht elendig im Outback verdursten, Mord wäre nicht ihr Ding. Dabei bleckte Wally seine eitergelben Pferdezähne wie eine alte Frau beim Wasserlassen.
Piehl schlich über den Flur, immer an der Wand entlang, wo die Holzdielen nicht knarren würden. Zwei Kugeln. Dem gefesselten Fahrer sagte er, Big Earl hätte ihn geschickt und es sei gleich vorbei. Dann musste er nur noch auf Jake warten.
Es dauerte etwa zehn Minuten, die er hinter der Tür verbrachte. Dann wurde Jake misstrauisch und kam ins Haus. Er rief nach Wally, aber er bekam keine Antwort. Mit gezogenem Revolver kam er ins Zimmer. Helle Linien zeichneten sich auf Jakes rotem T-Shirt ab, die Salzränder alter Schweißflecken sahen aus wie Küstenlinien. Es machte Piehl nichts aus, auch ihm in den Rücken zu schießen.
Fünfzehn Minuten später war Jayaprakash wieder auf der Straße und fuhr seinem Ziel entgegen. Piehl kassierte 50.000 australische Dollar Honorar von Big Earl in Sydney. Diese Jobs waren wesentlich besser als die Nächte, die man sich im Auto mit Thermoskannenkaffee und aufgeweichten Sandwiches bei der Überwachung ehebrüchiger Zahnärzte um die Ohren schlagen musste.
10.000 Dollar gingen an Eike, den kleinen Eierbecher. Er verbrachte die nächsten vier Wochen auf Tahiti mit eisgekühlten Cocktails und karamellfarbenen Porzellanschönheiten, während man einen geheimnisvollen Tippgeber, dem die Zunge fehlte, aus dem Hafen von Melbourne fischte.
Cream – Sunshine Of Your Love. https://www.youtube.com/watch?v=qwTRl3-nRyQ

Mittwoch, 17. August 2016

La Sehnsucht - das Schiff in meinem Herzen

Was für eine unglaublich bescheuerte Überschrift. Sie klicken aber auch alles an. Nix los im Büro? Oder in Ihrem Leben?

Blogstuff 59
„Es ist nie zu spät für eine schöne Kindheit.“ (Linda, 12)
Als ich noch in Berlin gelebt habe, hat der Pizzaservice bei mir angerufen.
Hamburg: neun Monate Regen, drei Monate Scheißwetter.
Hätten Sie’s gewusst? Erdogan hat früher als Schnurrbartdarsteller in italienischen Slapstickkomödien gearbeitet.
Ein Kumpel von mir ist Geldeintreiber. Seit er in Hamburg lebt, behauptet er jedoch, er würde im „Forderungsmanagement“ arbeiten. Verdammt vornehm, diese Hanseaten! Dabei kommt er aus Marxloh. Das Ruhrgebiet ist die dritte Welt von Deutschland, Duisburg ist die dritte Welt des Ruhrgebiets und Marxloh ist die dritte Welt von Duisburg.
Es ist die Gnade des Alters, dass man die Jauche der Charts nicht mehr kennen muss.
Werbung: „Luderfest in Budapest“ von Andy Bonetti. Jetzt neu!
Die Dünne: „Hinter der fetten Kreuzung musst du links abbiegen.“ - Der Dicke: „Die Kreuzung ist nicht fett, die ist höchstens vollschlank. Manche Kreuzungen sind eben größer und breiter als andere Kreuzungen. Was hast du denn gegen die Kreuzung? Ich finde sie voll in Ordnung, so wie sie ist!“
25.7.16: Selbstmordsanschlag eines syrischen Terroristen am Wochenende in Ansbach! Mich trifft fast der Schlag, als ich davon höre, denn demnächst werde ich dort sein. Ich spreche mit der Friseurin beim Haarschnitt über den Terror, den man eigentlich in den Metropolen wie Berlin erwartet. Den Anschlag auf das Mykonos in der Prager Straße kennt sie nicht, da war sie noch ein Baby. Dafür erzählt sie mir die Geschichte von dem Mann, der 1998 auf dem Hohenzollerndamm um die Ecke mit einer Kettensäge unterwegs war, aber niemand verletzt hat.
Rigaer Straße 94: Nach dem Mittagessen in den Prager Hopfenstuben um die Ecke laufe ich an dem umkämpften Haus vorbei. Kein Polizist, kein Demonstrant zu sehen. Ich bin ein wenig enttäuscht.
Das Delphintierchen ist etwa drei Zentimeter lang und ernährt sich von Buchstaben, die aus Büchern herausgefallen sind. Es ist von dunkelblauer Farbe und sein Kopf erinnert stark an einen Delphin, daher der Name. Es hat zwei gelbe Fühler auf der Stirn, die schnell abbrechen können, aber ebenso schnell wieder nachwachsen. Männliche Tiere hören auf den Namen Fridolin, weibliche Tiere auf den Namen Natalie. Bei Bedarf kann das possierliche Tierchen davonfliegen (aus einem Traum).
P.S.: Nachtrag zu meinen angekündigten Restaurantabenteuern vom 22. Juli (# Sommerpause). Das Philly Cheese Steak Sandwich war lecker, aber der Laden ist viel zu Mitte- und Hipster-mäßig (Bedienung mit Basecap, die sich gleich anwanzt und am Ende zu mir als Novize „Bis bald, mein Lieber“ sagt – dann aber: Bier nur aus der Flasche + Selbstbedienung), außerdem waren die Preise zu hoch (12,50 für ein Gericht, das ich als Burger de luxe bezeichnen würde). Auch bei Francucci waren die Preise nicht angemessen, eine Pizza Frutti di Mare für 16 Euro – sorry, auch wir werden uns nicht wiedersehen. Meyan Berlin hatte das avisierte Auberginengericht nicht mehr auf der Karte, dafür habe ich eines meiner Lieblingsgemüse als „Shahi Baingan“, gefüllt mit Gemüse, Nüssen und Rosinen, im „Spice of India“ in der Uhlandstraße sowie im „Vipan“ in der Trautenaustraße gegessen und war sehr zufrieden.
Das Pastrami-Sandwich habe ich nicht in Kreuzberg, sondern in einer Bierkneipe namens „The Pier“ in der Invalidenstraße gegessen. Vor mir auf der Straße - während ich mit Gleichgesinnten Craftbiere mit abgefahrenen Namen trinke - die gezeichneten Umrisse eines Körpers, ein kürzlich verstorbener Radfahrer, dahinter auf dem Bürgersteig Blumen und Kerzen. Ich kenne die Gegend noch aus den frühen Neunzigern, als es hier verschlafen und ostig aussah. Damals lebte G. in der Schlegelstraße, ein Freund aus Ingelheimer Jugendtagen, aus der Manteuffelstraße in Kreuzberg hierher gezogen – inzwischen mit Frau und drei Kindern als Buchhändler im Saarland ansässig. Jetzt wirkt die Invalidenstraße wie ein kaltes Stück New York.
Es gibt also kein neues Restaurant in Berlin, das ich empfehlen kann – bis auf eins. Der Tipp einer alten Freundin, aber dazu in den nächsten Tagen mehr.
P.P.S.: Ich möchte an dieser Stelle des Berichts nicht leugnen, dass die gastronomische Situation in Rheinland-Pfalz ähnlich deprimierend ist. Am 15. August komme ich um 12:30 Uhr in Mainz an und suche eine renommierte Gaststätte der Landeshauptstadt, das „Pomp“, auf. Im sommerlich-luftigen Außenbereich gibt es keinen freien Platz, also ziehe ich mich in die dunkle Höhle des eigentlichen Gastraums zurück. Nach zehn Minuten gelingt mir der Erstkontakt mit einer Bedienung. Ich gebe ein Bier und Weißwürste in Auftrag. Nach weiteren fünfzehn Minuten kommt das Bier, eine halbe Stunde später kommen die Würste. Offenbar braucht man in der Landeshauptstadt glatte dreißig Minuten, um ein paar Würstchen heiß zu machen. Und ich muss der anscheinend neuen Bedienung noch beim Abräumen des Tabletts helfen, da sie mir bereits Pfeffer und Salz in den Schoß wirft.
The Police - De Do Do Do De Da Da Da. https://www.youtube.com/watch?v=7v2GDbEmjGE

Dienstag, 16. August 2016

Pulsgeworden

Siebzig Blicke auf Berlin. Siebzig Autoren, siebzig Texte. Prosa und Lyrik. Mit dabei: der Kiezschreiber mit seinem Text „Berlin“, den Sie vielleicht als Gastbeitrag aus dem LandLebenBlog kennen.
http://landlebenblog.org/2015/01/03/berlin/
Das war am 3. Januar 2015. Jetzt ist der Text, leicht gekürzt und mit neuem Titel, im Band „Pulsgeworden: Stadt schlägt Sinn in Dir“ erschienen. Den Herausgeberinnen Stephanie Mattner und Jennifer Hilgert möchte ich an dieser Stelle danken.
http://www.sternenblick.org/publikationen/sonderbaende/pulsgeworden
Falls Sie die Anthologie kaufen, unterstützen Sie mit drei Euro das Projekt „Make-a-wish“, das Kindern mit lebensbedrohlichen Krankheiten einen Herzenswunsch erfüllt.

Offizielle Presserklärung

Liebe Fans,
bevor die Saison und die Länderspiele bald wieder starten, wollte ich euch etwas mitteilen: Ich habe dem Bundestrainer gesagt, dass ich ab sofort nicht mehr für die Nationalmannschaft zur Verfügung stehe. Ich trete kürzer und widme mich mehr anderen Dingen. Am meisten natürlich meiner Ernährung. Darauf freue ich mich sehr.
Die Entscheidung ist mir sehr schwer gefallen. Für mich ist dieser Abschied sehr emotional. Ich bin stolz darauf, was ich mit dem DFB erleben durfte. Vom lahmarschigen Pummelchen aus Bad Nauheim zum Weltmeister – das ist mehr, als ich mir erträumen konnte.
Ich habe auf dem Sofa neue Länder und Städte kennengelernt, aber auch auf der Toilette viel erlebt. Ich habe Freunde an der Theke gefunden und viel getrunken. Danke, DFB! Danke, Trainer! Danke, Spieler! Der größte Dank gilt aber Euch, liebe Fans. Ihr habt immer zu mir gehalten, auch in schlechten Zeiten.
Ich wünsche der Nationalmannschaft eine erfolgreiche Zukunft
Eure Nummer 487.963
Andy Bonetti

Montag, 15. August 2016

Eins dieser Gespräche

Bevor ab morgen früh die Stalinorgel der Geschwätzigkeit wieder ihr gewohntes tägliches Programm aufnimmt, möchte ich kurz Hallo sagen. Und: Ja, ich habe Ansbach überlebt! Ja, ich bin wieder zu Hause! Ja, ich bin fünfzig! Ja, ich fühle mich alt! Ja, das Leben ist so herrlich beschissen wie seit Anbeginn der Zeit!
UFO – Star Storm. https://www.youtube.com/watch?v=mugs3NEpsRs
Sie: „Was heißt eigentlich ‚HQ‘?“
Er (stutzt): „Head Quarter? High Quality? Hugo Quastenflosser?“
Sie: „Du weißt es also nicht.“
Er: „Jetzt mal was Grundsätzliches: Du solltest solche technischen Fachausdrücke nicht hinterfragen. Damit nimmst du ihnen den Zauber. Mach einfach mit, okay? Das Lied ist Äidsch-Kju, verstanden!?!“