Als ich aufwachte, standen mir
die Schweißperlen auf der Stirn. Ich ging ins Bad und zog mein verschwitztes
Shirt aus. Die Klimaanlage funktionierte nicht. Stromausfall. Das dritte Mal in
dieser Woche. Niemand investierte Geld in diesen alten Wohnkomplex. Dabei
zahlte ich zwanzigtausend Dollar Miete im Monat, mehr als die Hälfte meines
Einkommens.
Ich zog mir ein frisches Shirt
an. Es hatte ein paar Löcher, aber ich hatte mein Kontingent an Bekleidung für
dieses Quartal schon zugeteilt bekommen. Baumwolle und Kunstfasern waren gerade
knapp, aber in Sektor 27 sollte ein neuer Komplex entstehen, in dem genügend Baumwolle
gezüchtet werden würde.
Mit dem Fahrstuhl fuhr ich von
meiner Wohnung im 58. Stock in den Keller. Auf dem Bahnsteig standen ein paar
andere Bewohner mit müden Gesichtern. Ohne Klimaanlage war die Hitze kaum
auszuhalten. Wie musste es erst außerhalb der Kuppeln sein? In der Wüste oder
in den Bergen? Die Magnetschwebebahn kam, ohne ein einziges Geräusch zu
verursachen. Ich hatte Glück und bekam einen Sitzplatz.
Im Arbeitskomplex 107 stieg ich
aus. Ich bin Macher und ich arbeite für einen Künstler, der Filme für die
Bewohner unserer Kuppelstadt programmiert. Ich mache für ihn die Recherche.
Wenn ein Film beispielsweise in der Vergangenheit spielt, sehe ich im Archiv
nach, wie die Menschen damals gelebt haben, damit die Handlung und der
Bildhintergrund authentisch wirken. Im Jahr 2000 hat man sich das Handy noch
ans Ohr gehalten, 2020 vor den Mund, als wolle man hineinbeißen, 2040 sprach
man ohne Gerät und 2060 sprach man gar nicht mehr.
Ich ging immer gerne ins Büro.
Hier funktionierte wenigstens die Klimaanlage und das Leitungswasser war
trinkbar. Wir durften so viel trinken, wie wir wollten, aber wir durften kein
Wasser mit nach Hause nehmen. Im Fahrstuhl von der Haltestelle im Keller in
mein Büro dachte ich daran, dass ich nur noch einen Monat arbeiten musste,
bevor mein Baccanal begann. Einmal im Jahr durften wir zwei Wochen lang leben
wie ein Seher. Ein Luxusapartment, der Besuch echter Gärten, köstliche Speisen,
Swimming-Pool, Massagen. Wir lebten nur für diese zwei Wochen im Jahr.
Unsere Gesellschaft besteht aus
wenigen, klar voneinander abgegrenzten Gruppen. Ganz oben gibt es die Seher.
Sie sehen zukünftige Profite und Geschäftsfelder, sie leiten die Gesellschaft.
Dann gibt es die Heiler, sie sind für unsere Gesundheit zuständig. Die Wächter
sorgen für Ordnung. Die Künstler unterhalten uns. Dann kommt die Masse der
Ernährer und Macher. Darunter gibt es nur noch die Verbraucher: Menschen, die
aufgrund ihres Alters oder einer Behinderung nicht arbeiten können. Die
Weltbevölkerung liegt derzeit stabil bei fünf Milliarden Menschen. Jede Frau
hat das Recht auf zwei Kinder. Diese Rechte sind verkäuflich und können an
andere Frauen abgetreten werden.
Da die Welt außerhalb der
Kuppeln nicht mehr zu retten war, werden die Nahrungsmittel in riesigen
Komplexen mit achtzig Stockwerken hergestellt. Getreide, Obst und Gemüse werden
ohne Erde angebaut. Fleisch, Fisch und Milchprodukte gibt es nur für die Seher.
Die Versorgung der Pflanzen mit Wasser und Nährstoffen sowie die Herstellung von
Proteinzellen ist vollständig automatisiert. Auch wenn wir Menschen von der
Erde verschwunden ist, leben sie weiter. Wir geben die Schöpfung so, wie Gott
sie erschaffen hat, an die Zukunft weiter.
Sören-Rambo
Nelkenthal, der Künstler, für den ich arbeitete, erwartete mich schon. Ich sollte
Frisuren und Bekleidung aus den 1980er Jahren recherchieren. Dazu ein paar
Modewörter, die aber heute noch verständlich waren. Krass ungeil, Alter!
P.S.:
Heute Abend um 23 Uhr kommt auf Arte „Zardoz“, einer der besten dystopischen
Filme aller Zeiten. Es geht nicht um Raumschiffe oder Außerirdische, sondern um
eine brutale Zwei-Klassengesellschaft. Die politisch korrekt (Ökologie,
Gleichberechtigung, Frieden) lebende Elite wohnt in Luxus-Enklaven von der
Masse getrennt, für die es nur Armut, Hunger und Gewalt gibt.