Montag, 30. Januar 2017

Für eine Handvoll Schrauben

„Wenn mich jemand fragt, ob ich Wasser zu meinem Scotch möchte, antworte ich, dass ich durstig bin und nicht schmutzig.“ (Joe E. Lewis)
Es war kurz nach Mitternacht, als es an der Tür klopfte. Fünf- oder sechsmal.
Dann öffnete ein hagerer Mann in einem hellblauen Bademantel.
„Was wollen Sie?“
Der breitschultrige Riese antwortete: „Wir haben keine Zeit. Die Polizei kann in jedem Augenblick hier sein.“
Ohne nachzudenken, packte der hagere Mann seine wichtigsten Habseligkeiten in einen Koffer und verließ seine Wohnung.
***
Auf dem Schiff nach Bad Gotham war er als einfacher Bauer verkleidet: Hercule Porridge, der berühmte irische Detektiv, der inzwischen auf die dunkle Seite gewechselt war. Ein ungelöster Mordfall, der fälschlicherweise ihm angerechnet wurde – aber das ist eine andere Geschichte.
***
„Extrablatt! Extrablatt!“ schrie der Zeitungsjunge an der Straßenecke. „Der Schraubenzieher-Man ist im Urlaub! Die Stadt ist völlig schutzlos!“ Kurze Hosen, aufgekrempelte Ärmel, Hosenträger, Schiebermütze – wie die Karikatur aus einem Dickens-Roman. „Große Juwelenausstellung in der Stadthalle!“
Aber es war niemand anderes als Kreuzschlitz-Boy, der das Hotel beobachtete, in dem Mister Porridge abgestiegen war.
Tatsächlich kam der dicke Ire, der einen hellgrünen Tweedanzug und eine Jagdmütze mit Ohrenklappen trug, neugierig aus dem Gebäude und stapfte zu ihm hinüber, um sich eine Zeitung zu kaufen. Hämisch grinsend las er die Schlagzeilen.
***
Bonetti machte sich Gedanken. Immer, wenn ein Gedanke fertig war, schrieb er ihn auf einen Zettel und warf ihn zu den anderen Zetteln. Inzwischen hatte er einen großen blauen Müllsack voller Notizen, der er irgendwann einmal sortieren wollte.
Gerade schrieb er einen besonders schwierigen Satz auf. Drei schwarze Vögel saßen auf diesem Satz. Da klingelte das Notfalltelefon mit dem Paisleymuster.
Schurken in Bad Gotham! Er quetschte sich in seinen Schraubenzieher-Man-Anzug, wobei er die Luft anhalten musste, als er den Reißverschluss der Hose hochzog.
Dann rutschte er auf dem Treppengeländer hinunter zur Schraubenzieher-Cave und plumpste dort mehr oder weniger elegant auf den Boden.
***
Erneuter Szenenwechsel. Wir befinden uns in der Stadthalle von Bad Gotham, meine Damen und Herren. Es ist Mitternacht und geradezu unheimlich ruhig. Singvögel werden vom Ordnungsamt nach ihren Ausweisen gefragt, wenn Sie verstehen, was ich meine.
Von der Decke lässt sich Mister Porridge hinab. Er schwebt an einem Seil nur wenige Zentimeter über dem Boden der Halle und ist mächtig aufgeregt. Tom Cruise nix dagegen. Aber es ist völlig unnötig, denn für eine Laser-Überwachungsanlage fehlt der Stadt das Geld.
Und jetzt halten Sie sich fest. Es ist auch deswegen gar nicht nötig, weil die jährliche „Juwelenausstellung“ nur ein Trick ist, um in einem Fischzug möglichst viele Gangster in den Knast zu bringen. Clever, oder? Hätten Sie nicht gedacht.
Die Schaukästen der Ausstellung sind mit besonderen Schrauben gesichert. Sie geben ein Signal, das Schraubenzieher-Man in der Kneipe gegenüber empfängt.
Wissen Sie, warum der Schraubenzieher-Man in seinem Kostüm nicht auffällt? Weil gerade Karneval ist und deswegen einige andere Leute in der Kneipe oder anderswo in einem Schraubenzieher-Man-Kostüm rumlaufen. In dieser Zeit ist also ein solches Kostüm die beste Tarnung, okay?
Der Rest ist schnell erzählt. Lautlos wie fallender Schnee betritt der Schraubenzieher-Man die Juwelenausstellung und macht Hercule Porridge dingfest. Und glauben Sie nicht, dass die Begriffe „Bewährung“ oder „Resozialisierung“ eine Rolle in dieser Erzählung spielen. Das ist heute völlig aus der Mode. Porridge klopft Steine auf dem Mars und endet als Organspender für die Vorstandsetage von Apple.
Mike Batt - Ride to Agadir. https://www.youtube.com/watch?v=b7_y-F8VtSo

Sonntag, 29. Januar 2017

Van Loon

„Wein und Würfel herbei! Fahr' hin, wer um morgen sich kümmert! Lispelt der Tod doch ins Ohr: ‚Lebet, ich komme gewiss.‘“ (Vergil)
Ich kann mich noch genau an die Szene erinnern. Es ist ein Sommernachmittag und ich sitze mit einer Freundin auf dem Restaurantschiff „Van Loon“ im Urbanhafen in Kreuzberg. Wir trinken Kaffee und essen Kuchen. Ein extrem entspannter Moment, manche Deutsche benutzen für diese Augenblicke die Formulierung „die Seele baumeln lassen“. Ich habe nie verstanden, wie das genau gemeint ist. Wie fühlt sich eine Seele an? Wann baumelt sie? Was macht sie sonst? Ist sie manchmal auch „gespannt wie ein Flitzebogen“? Egal.
Ich blinzele in die Sonne. Der Kuchen schmeckt. Eine schöne Frau sitzt mir gegenüber und wir führen ein interessantes Gespräch. Und dann stellt sie diese Frage. Ich war überhaupt nicht vorbereitet. Auf diese Fragen kann man sich gar nicht vorbereiten. Ich wusste auch überhaupt keine Antwort. Es ist jetzt fünfzehn Jahre her und ich wüsste auch heute nicht die Antwort. Es ist keine fiese Frage. Nicht böse oder so. Aber sehr klug. Und einfach formuliert. Ich starre sie einfach nur an, während sie an ihrem Kaffee nippt und unschuldig auf das Wasser blickt.
„Willst du das jetzt den Rest deines Lebens machen?“ Meine Güte, ich bin 35 Jahre alt und Wissenschaftler. Ich habe mich auf das Thema „Zeit“ fokussiert. Ich schreibe Bücher, halte Vorträge, treffe Fachkollegen und gebe gelegentlich ein Interview zu diesem Thema. Zeit. Das ist ein weites Feld. Man könnte viel zu diesem Thema sagen und ich absolviere ganze Forschungsprojekte, um meine Fragen zu diesem Objekt meiner geistigen Begierde zu beantworten. Ich lese, ich führe selbst Interviews mit vielen Leuten, um ihren Umgang mit der Zeit und ihre Sichtweise auf das Thema zu begreifen.
Und dann diese Frage. Will ich das für den Rest meines Lebens machen? Immer dieses eine Thema? So vielschichtig es auch sein mag? Ich habe nur dieses eine Leben. Will ich nichts anderes mehr machen? Ein „vernünftiges“ Leben als Wissenschaftler führen? Werden mir irgendwann die Fragezeichen ausgehen und es bleiben nur noch Punkte? Plötzlich werde ich unsicher. Die Frage reißt mich aus der Selbstgewissheit eines angenehmen Lebens und eines angenehmen Nachmittags heraus. Was will ich eigentlich vom Rest meines Lebens? Die Frau gegenüber ist Redakteurin beim Fernsehen. Jeden Tag neue Themen. Sie muss sich nicht festlegen. Sie lässt in aller Ruhe ein Stückchen Käsekuchen auf der Zunge zergehen und sieht mich mit ihren großen blauen Augen fragend an.
Ich weiß es nicht, sage ich schließlich. Ganz schwache Antwort. Ich weiß. Aber ich weiß es wirklich nicht. Ein Jahr später bin ich arbeitslos. Ein weiteres Jahr später wird die „Agenda 2010“ in Kraft gesetzt und noch ein Jahr später bin ich Sozialhilfeempfänger.
Will ich den Rest meines Lebens schreiben? Bloggen? Keine Ahnung. Was ist in einem Jahr? Wir treiben wie ein Papierschiffchen auf den Wogen des Zufalls und bilden uns ein, Antworten auf die wirklich wichtigen Fragen zu haben. Wir könnten nicht falscher liegen.
Grace Jones – Walking In The Rain. https://www.youtube.com/watch?v=VZO2xx2jk0g

Samstag, 28. Januar 2017

Blogstuff 110

„Möge dein Glas immer voll sein, und das Dach über deinem Kopf immer fest sein. Und mögest du schon eine halbe Stunde im Himmel sein, wenn der Teufel merkt, dass du tot bist.“ (irischer Trinkspruch)
Kennen Sie die Falknerei? Andy Bonetti geht mit zwei Geparden in der Fußgängerzone Tauben jagen. Das ist jetzt allerschwerstens angesagt.
In den Begriffen „Hausherr“ und „Hausfrau“ steckt die ganze Machtverteilung der letzten Jahrtausende.
Es gibt Leute, der sehr viel zu tun haben. Denken Sie nur mal an die Kassiererin im Supermarkt, die pausenlos Fressalien am Scanner vorbeizieht. Und es gibt Leute, die sehr wenig zu tun haben. Die trifft man in den „sozialen“ Medien (ein ähnlich irreführender Begriff wie Sozialdemokratie). Aber es ist doch besser, sie reagieren ihren Hass im Internet ab als im Straßenverkehr oder im Kinderzimmer. Wer sich für die offene Aggression zu fein ist, spielt mit gönnerhaften Tonfall die Rolle des Lehrers oder des Richters.
Baron Eugen von Vaerst unterscheidet in seiner Schrift „Gastrosophie oder Lehre von den Freuden der Tafel“ von 1851 drei Arten von Essern: den Feinschmecker (Gourmet), den Vielfraß (Gourmand) und den Gastrosophen, der bei der Auswahl der Speisen nicht nur auf Qualität, sondern auch auf Gesundheit und andere Aspekte (z.B. Art der Erzeugung eines Lebensmittels, Stichworte: Massentierhaltung, Gentechnik, Pestizide usw.) Wert legt. Schon Epikur erklärte den Bauch zur Wurzel des Guten.
Die Pressekonferenzen der Trump-Regierung erinnern mich an die Zeiten von Leonid Breschnew in der Sowjetunion. Mit Fragen erfährst du gar nichts, es werden auch keine Journalisten zu Audienzen eingeladen. Und deswegen entstand damals die Figur des „Kremlastrologen“, der die Entscheidungen der Sowjetregierung interpretierte. Demnächst haben wir den „Trumpastrologen“, der die Twitter-Messages und Statements des US-Präsidenten interpretiert.
Andy Bonetti fliegt morgen mit seinem Privatjet nach Miami zu einem Charity-Dinner, bei dem es um die Rettung des brasilianischen Regenwalds geht.
Mein peinlichster Moment? Da bin ich in einer Krabbelröhre auf einem Spielplatz in Berlin-Schöneberg steckengeblieben – mit 45 Jahren.
Herbivoren – das ist der Fachausdruck für Pflanzenfresser. Vielleicht könnten sich die Veganer in Zukunft so bezeichnen?
Haben Sie schon mal versucht, eine Kuh zu verkaufen, die keine Milch gibt, aber trotzdem jeden Tag Heu frisst? Ministerpräsidentin Manu Dreyer steht mit dieser Nummer seit Jahren auf dem Drahtseil. Ein einziger potenzieller Käufer für den Flughafen Hahn ist noch übrig.
Projekt Wortschatzerweiterung: Serendipität bezeichnet eine zufällige Beobachtung während einer Suche, bei der man etwas völlig anderes findet. Sie suchen eine z.B. Büroklammer und finden ein Mittel gegen Hodenkrebs. So wurde übrigens auch Andrea Nahles entdeckt.
Linke Gruppierungen funktionieren nach dem Prinzip des Spiels „Reise nach Jerusalem": Du vertrittst einmal die falsche Meinung und du bist für immer draußen.
Hätten Sie’s gewusst? Nicht nur Donald Trumps Vorfahren sind aus der Pfalz, sondern auch die Vorfahren von Marlon Brando (alter Familienname: Brandau).
So Typen wie Jesus gibt es heutzutage im Nahen Osten gar nicht mehr. Der Jesus von 2017 würde seine Jünger bewaffnen und die Häuser der amerikanischen und israelischen Besatzer in die Luft sprengen.
Spliff – Heut Nacht. https://www.youtube.com/watch?v=bfw-Ye0t938

Donnerstag, 26. Januar 2017

Ein paar Fragen zu später Stunde

Warum weiß ich es, wenn im britischen Königshaus ein neues Kind geboren wird? Warum? Es interessiert mich. Nicht! Warum belästigt man mich mit all diesen Informationen? Warum wird meine Zeit mit Belanglosigkeiten verschwendet, während ich dafür sorgen soll, dass dieses Leben immer länger dauert? Warum habe ich aufgehört zu rauchen? Warum trinken wir nicht mehr, bis wir völlig sinnlose Sachen machen? Seit wann bedeutet es, funktionstüchtiger zu werden, wenn man älter wird? Schon immer? Warum sind wir so? Es ist diese Stunde in tiefer Nacht, in der die Vernunft in den Keller hinabsteigt und das alte Tier sieht, das an seinen Ketten zerrt.

Spiele meiner Jugend

Berlin ‘85
https://boardgamegeek.com/boardgame/4839/berlin-85-enemy-gates
Fulda Gap
https://boardgamegeek.com/boardgame/4235/fulda-gap
Reise nach Moskau
https://www.ravensburger.de/spielanleitungen/ecm/Spielanleitungen/Reise_Nach_Moskau.pdf

Mittwoch, 25. Januar 2017

Zahlen – Realität, Magie oder einfach nur Bullshit?

Vor acht Jahren habe ich dieses Blog begonnen. Was waren die Artikel mit den meisten Lesern? Es sind Texte, die ich alle nicht zu meinen besten Arbeiten zähle. Verstehe einer die Welt.
Auf Platz 1 ist „Wir sehen uns im Mauerpark“ aus dem Jahr 2012. Sie werden nicht glauben, wie viele Seitenzugriffe dieser Text hat: 272.585. Mehr als eine Viertelmillion. Der Abstand zu allen anderen Texten, die ich in meinem Leben geschrieben habe, ist so unglaublich, dass ich diese Zahl, die mir die „Beitragsstatistik“ von Google präsentiert, in Zweifel ziehe. Es ging zwar um den umstrittenen Bebauungsplan zum Mauerpark, der in Berlin hohe Wellen geschlagen hat, aber das ist einfach too much. Ich denke mir, dass sich in diesem Textfeld des Nachts heimlich (russische?) Socialbots treffen, um digitalen Sex zu haben und irgendwelche Cyberdrogen zu nehmen.
Auf Platz 2 kommt „Zum Ende der Hundstage“ mit 4864 Zugriffen und auf Platz 3 „We’re only in it for the stulle“ mit 4375 Zugriffen. Beide Texte sind ebenfalls aus dem Jahr 2012. Auf Platz 4 kommt ein Text aus neuerer Zeit: „Der Kiezneurotiker wird gezüchtigt“, vor drei Wochen veröffentlicht. 3495 direkte Seitenaufrufe. Das sind realistische Zahlen, wenn man sich die täglichen Zugriffe anschaut. Natürlich muss man auch die Leser dazurechnen, die nicht den einzelnen Text, sondern den Blog aufgerufen haben. Und man muss wiederum die Zahl der Bots abziehen, die durch das Netz wandern. Aber das Geheimnis hinter dem statistischen Ausreißer der Mauerpark-Zahlen hätte ich schon gerne gelüftet …

Dienstag, 24. Januar 2017

Revenge of the Schraubenzieher-Man

Die Sonne scheint friedlich über dem Spielplatz von Bad Gotham. Die kleine Melanie sitzt im Sandkasten und ist völlig in ihr Spiel versunken. Sie backt einen Sandmuffin, den sie ihrer Mutter schenken möchte. Der wird total super! Die Mama freut sich bestimmt.
Der Sand beginnt zu vibrieren. Erst ganz sanft, dann stärker.
Melanie schaut auf. Was ist das?
Der Sand beginnt zu pochen. Es ist, als würde von unten mit einem Hammer gegen den Sandkasten geschlagen werden.
Melanie springt schreiend auf und läuft zu ihrer Mutter, die auf einer Bank sitzt und auf ihr Smartphone starrt.
„Was ist denn los?“
„Mami, Mami, der Sand macht so böse Sachen.“
Die Mutter schaut zum Sandkasten hinüber. Alles ruhig.
„Das hast du dir nur eingebildet. Komm, wir gehen einen Rhabarbersaft trinken.“
***
Ein Mann rennt den Flur der Polizeibehörde entlang. Der Schlips flattert über seiner Schulter.
„Herr Präsident! Kommen Sie schnell. Das müssen Sie sich ansehen.“
Polizeipräsident Göbelmann blickt verärgert von seinen Akten auf. Was kann so wichtig sein, dass er sich selbst darum kümmern muss? Aber der entsetzte Blick des Abteilungsleiters IT & Filterkaffee überzeugt ihn, den Aktendeckel zu schließen und aufzustehen.
Im Serverraum des Polizeipräsidiums zeigt sich ihm ein Bild des Grauens: überall blinken rote Lichter, Dampf zischt aus den Computern, hie und da sind kleine Explosionen zu hören.
Göbelmann folgt seinem Abteilungsleiter in die Teeküche. Verschmorte und halbgeschmolzene Kaffeevollautomaten und Kaffeekannen. Überall müde Gesichter von Polizeibeamten, die zu keiner Ermittlung mehr fähig sind.
Der Präsident trifft eine Entscheidung.
„Bringen Sie mir das Notfalltelefon mit dem Paisleymuster. Wir brauchen den Schraubenzieher-Man.“
***
Der Schraubenzieher-Man liest gerade einen Artikel über „Fat Shaming“, als das Telefon klingelt. Muss man denn jetzt auch noch die Dicken diskriminieren? So wird Gabriel doch nie Bundeskanzler.
Wenige Minuten später ist er im Polizeipräsidium von Bad Gotham. Konzentriert schraubt er Server und Computer auf. Überall rieselt ihm Sand entgegen. Auch in der Teeküche sind die Maschinen vom Sand zerstört worden.
Ein Beamter der Abteilung „Linksextremismus“ kommt mit heruntergelassenen Hosen in die Küche getorkelt.
„Die Toiletten! Die ganzen Toiletten sind mit Sand verstopft.“
Der Schraubenzieher-Man sieht den Polizeipräsidenten grimmig und entschlossen an. „Es ist der Sand-Man.“
***
Jetzt muss schnellstens gehandelt werden. Sonst ist als nächstes das Elektrizitätswerk dran, dann fällt das Fernsehen aus, die Mikrowelle, der Kühlschrank – und eine Revolte ist praktisch nicht mehr zu verhindern.
Schraubenzieher-Man rennt durch das Treppenhaus auf das Dach des Gebäudes, wo ein riesiger Wassertank steht. Er schraubt den Boden ab und lässt eine gigantische Flutwelle durch das Polizeipräsidium schwappen.
Der Sand-Man verwandelt sich in Schlamm. Er ist zu schwer, um sich bewegen zu können und wird mit Schaufeln auf einen Lkw geschippt.
Er kommt in ein Verließ, dessen eiserne Tür der Schraubenzieher-Man persönlich zuschraubt.
Zum Glück hat die kleine Melanie niemals etwas von der Bedrohung der Stadt durch dieses Monstrum erfahren.
P.S.: Wo ist Kreuzschlitz-Boy? Er macht gerade einen Weiterbildung bei OBI.
Heaven 17 – Lady Ice And Mr. Hex. https://www.youtube.com/watch?v=-0FMzKdDlMw

Sonntag, 22. Januar 2017

Kiez-Business

Was ist Schein, was ist Wirklichkeit? Was ist Wahrheit, was ist Lüge? Was ist Übertreibung, was ist Phantasie? Welchem Zweck dient es? Der Unterhaltung, der Intrige? In der Welt der Medien bewegen wir uns durch ein Labyrinth aus Spiegeln und Schatten, Wege enden im Nichts oder in der Erkenntnis. Wir gehen über doppelte Böden und wissen nicht wirklich, wem wir vertrauen können und wem nicht.
Bonetti Semiprofessional Content & More hat diese Thematik schon vor einigen Jahren aufgegriffen, lange bevor sich die Mainstreammedien mit Fake News und Troll-Kampagnen befasst haben. Ernste Betrachtungen und Satire, Information und Phantasie werden immer wieder neu gemischt, die Leser dieses Blogs kennen es. Die beliebte Rubrik „Hätten Sie’s gewusst?“ in der Serie Blogstuff enthält zum Beispiel teilweise nützliche Informationen oder blühenden Unsinn. Es empfiehlt sich immer, die Informationsgehalt und die Intention der Texte zu hinterfragen.
Der Grund ist einfach: Ich möchte den Leser dazu bewegen, kritischer mit seinem Lesestoff umzugehen. Dazu habe ich verschiedene Figuren entwickelt. Mein großes Vorbild Andy Kaufman hat sich Tony Clifton erschaffen, um seiner fiesen Seite ein Gesicht zu geben. Ich habe Andy Bonetti aus einem Klumpen Lehm geformt, einen unsympathischen und größenwahnsinnigen Erfolgsautor, der mit Schundromanen für Bahnhofsbuchhandlungen ein Vermögen verdient hat. Wenn sie ihn hassen und nichts mehr von ihm lesen wollen, habe ich als Autor alles richtig gemacht. Daneben gibt es Lupo Laminetti, den dauerhaft vom Leben enttäuschten Altmarxisten und Gegenspieler Bonettis, Johnny Malta, der es als Schriftsteller nie schaffen wird, und Heinz Pralinski, den ewigen kleinen Verlagsangestellten.
Warum erzähle ich Ihnen das alles? Es geht natürlich um einen Kollegen aus dem Bloggerland, den wir unter wechselnden Namen im Internet kennen. Nennen wir ihn doch einfach Mike. Er steht bei Bonetti Media seit seinem Abitur 1996 an der Pippi-Langstrumpf-Gesamtwaldorf-Schule in Bad Nauheim (Abschlussnote: noch ausreichend) unter Vertrag. Er begann in seiner Zeit in der JVA Kassel zu bloggen, damals noch unter seinem Knastnamen „Angelsnake“. Den Namen hatte er bekommen, weil er sehr freundlich sein kann, um kurz darauf wie aus dem Nichts zuzubeißen. Außerdem häutet er sich alle paar Jahre und beginnt einen neuen Blog.
Viele Leser schreiben unserem Verlag, weil sie die Texte aus dem letzten Blog „Kiezneurotiker“ vermissen. Dazu kann ich Ihnen heute folgendes mitteilen: Falls es eine Buchveröffentlichung der besten Texte dieses Blogs – und ich äußere mich an dieser Stelle rein hypothetisch – als E-Book bei Kindle geben sollte, werden Sie es in diesem Blog erfahren. Die Leser von Kiezschreiber Plus™ erhalten zu diesem – rein potenziellen! – Sachverhalt am 26.1.2107 exklusive Informationen und haben die Möglichkeit, zum Subskriptionspreis von 9,99 € ein Exemplar zu erwerben. Alle anderen Leser bitte ich, die Pressekonferenz am 31.1.2107 abzuwarten, die live auf n-tv, CNN und BBC übertragen wird.
Bleiben Sie dem Unternehmen Bonetti auch weiterhin gewogen
Ihr Colonel Clickbait

Andy Bonetti spricht zu seinem Volk

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Bloggergemeinde, liebe Bonettistas!
Wir, die Mediennutzer, sind nun in einer großen nationalen Anstrengung geeint, unsere Medienlandschaft wieder aufzubauen und die Hoffnung für unser ganzes Volk wiederherzustellen. Gemeinsam werden wir den Kurs Deutschlands und der Welt für viele, viele Jahre lang bestimmen. Es wird Herausforderungen und schwierige Situationen geben, aber wir werden es schaffen.
Die heutige Zeremonie jedoch hat eine ganz besondere Bedeutung. Denn heute übergeben wir die Medienmacht nicht nur von einem Medienimperium an das andere oder von einer Zeitung an die andere, sondern wir nehmen die Macht von Springer, Bertelsmann und Burda und geben sie an euch, das Volk, zurück. Zu lange hat eine kleine Gruppe in den Mainstreammedien unseres Landes profitiert, und das Volk hat die Kosten getragen. Bild, Spiegel und Stern blühten, aber das Volk hat nichts von dem Reichtum gehabt. Das Establishment schützte sich selbst, aber nicht die Bürger unseres Landes. Ihre Siege waren nicht eure Siege, ihre Triumphe waren nicht eure Triumphe.
All das ändert sich hier und jetzt. Denn dieser Augenblick ist euer Augenblick. Er gehört euch. Er gehört allen, die heute hier versammelt sind, und allen, die uns gerade zuschauen. Dies ist euer Tag, dies ist eure Feier, und dies ist eure Medienlandschaft. Der 20. Januar 2017 wird als der Tag in der Erinnerung bleiben, an dem die Leser wieder zu den Herrschern am Zeitungskiosk, in Radio und Fernsehen und im Internet wurden. Die vergessenen Abonnenten unseres Landes werden nicht mehr vergessen sein. Alle hören jetzt auf euch. Im Zentrum dieser Bewegung steht die entscheidende Überzeugung, dass die Medien da sind, um ihre Leser unvoreingenommen zu informieren. Die Mediennutzer wollen tolle Zeitungen, Fernsehsendungen und Blogs. Doch für zu viele unserer Bürger gibt es eine andere Realität: Fake News, Propaganda, Gossip, kritiklose Hofberichterstattung und Kungelei zwischen Medienvertretern, Politikern und Wirtschaftsbossen.
Dieses Massaker an unserer Intelligenz endet hier und jetzt. Jetzt blicken wir nur in die Zukunft. Wir sind heute hier zusammengekommen, um ein neues Dekret zu erlassen, das man in jeder Stadt, in jeder ausländischen Hauptstadt und in jedem Machtzentrum hören soll. Vom heutigen Tag an wird eine neue Vision unser Land regieren. Vom heutigen Tag an wird es nur noch Wahrheit zuerst heißen, Wahrheit zuerst. Ich werde mit jedem Atemzug meines Körpers für euch kämpfen, und ich werde euch nie hängenlassen. Wir werden unsere Meinungsvielfalt und die Qualität zurückbringen. Und wir werden unsere Träume zurückbringen. Wir werden neue Zeitungen und Sender gründen, wir werden neue Blogs eröffnen – ohne Catcontent und Foodporn, ohne den Informationsmüll der alten Medien, die unsere Jugend der Kritikfähigkeit und des Wissens beraubt haben. Wir streben nicht danach, jemandem unsere Themenauswahl und unseren Schreibstil aufzuzwingen, sondern sie als Beispiel leuchten zu lassen. Wir werden leuchten, damit uns alle folgen.
Die Zeit für leeres Gerede ist vorbei. Nun kommt die Stunde des Handelns. Erlaubt niemandem, euch zu sagen, dass es nicht zu schaffen ist. Keine Herausforderung kann sich mit dem Herz und dem Kampfeswillen und dem Geist Bonettis messen. Wir werden nicht scheitern. Unsere Medien werden wieder blühen und gedeihen. Wir alle genießen dieselbe Meinungsfreiheit und wir alle salutieren der gleichen, großartigen Flagge von Bonetti Media Unlimited. Alle Bonettistas in jeder Stadt, nah und fern, groß und klein, von Berg zu Berg, von Ozean zu Ozean, hört diese Worte. Ihr werdet niemals mehr ignoriert werden. Eure Stimme, eure Hoffnungen und eure Träume werden unser mediales Schicksal bestimmen. Und euer Mut und eure Tugend und Liebe wird uns für immer auf diesem Weg leiten. Gemeinsam werden wir unsere Medien wieder stark machen. Gott schütze unser Unternehmen und unsere Leser.

Samstag, 21. Januar 2017

Eine Hippie-WG in den Siebzigern

Kinder, Kinder, das waren noch Zeiten. Da könnt Ihr Euch alle eine Scheibe abschneiden, die Ihr heute einen ökologischen Fußabdruck wie ein Elefant hinterlasst. Es waren die siebziger Jahre und ich trug die Haare schulterlang, rauchte Selbstgedrehte und hatte einen Schnurrbart wie jeder junge Mann. Ohne den Schnurrbart wurde man gar nicht in die Disco gelassen. Meine Vorbilder waren Che Guevara und John Travolta.
Damals kannte ich ein ausgeflipptes Pärchen, das auf dem Land lebte. Heute würde man solche Leute Aussteiger nennen, aber in meiner Jugend hat man nicht nach Begriffen gesucht, sondern einfach anders gelebt als die blöden Spießer. Dieses Pärchen lebte in einem kleinen Haus auf dem Land. Sie bauten ihr Gemüse selbst an und hatten ein paar Hühner, die sie mit Eiern versorgten. Fleisch gab es höchstens einmal die Woche, sie kochten jeden Tag selbst und gingen nie in Restaurants. Sie tranken Leitungswasser, das nicht in so einem Sprudeldingsbums aufbereitet wurde.
Sie hatten kein Auto, nur Fahrräder. Sie sind nie auf Reisen gegangen, noch nicht mal auf Hochzeitsreise. In ihrem ganzen Leben waren sie nie im Ausland, sie haben nie in einem Flugzeug gesessen. Gelegentlich haben sie Freunde und Verwandte besucht oder die Leute kamen zu ihnen. Dann gab es selbstgebackenen Kuchen.
Sie haben kaum Müll produziert, weil sie keinen abgepackten Kram oder Konserven gekauft haben. Was an Altpapier anfiel, kam in den Ofen und heizte die Küche. Das war der einzige Raum, der während der Woche geheizt wurde. Sonntags auch das Wohnzimmer. Wenn du bei diesen Leuten übernachtet hast, war es im Winter in den Schlafzimmern so unglaublich kalt – das glaubt Ihr jungen Leute gar nicht. Die Federbetten waren praktisch aus Eis und man hat sich eine Viertelstunde warmgezittert, bevor man überhaupt ans Einschlafen denken konnte.
Die Frau hat Löcher in den Strümpfen gestopft, anstatt die Strümpfe wegzuwerfen und neue zu kaufen. Alle Klamotten wurden so lange geflickt, wie es nur irgendwie ging. Der Mann hatte, neben seinen Arbeitsschuhen und seinen Hausschuhen, nur ein „gutes Paar“ Schuhe. Die wurden von einem Schuhmacher im Dorf gemacht und regelmäßig gepflegt. Wenn die Absätze abgelatscht waren oder die Sohle sich gelockert hatte, ging man zum gleichen Schuhmacher und ließ sich die Schuhe wieder reparieren. So hielten die Schuhe Jahrzehnte.
Die Möbel waren nicht aus irgendeinem Wegwerfmöbelhaus, sondern von Handwerkern aus solidem Holz gemacht. Sie waren schwer und gingen auch bei einem Umzug nicht kaputt. Solche Möbel bekam man vielleicht sogar vererbt und konnte sie weitervererben. Sie waren massiv und aus Nussbaum oder Kirsche. Ein guter Tisch kann nicht kaputt gehen. Den kauft man einmal und hat ihn dann sein ganzes Leben.
Wenn ein Nachbar, ein Freund oder ein Verwandter Hilfe brauchte, ging man eben hin. Man half sich bei Umzügen, Reparaturen im Haus, beim Kinderhüten oder beim Kartoffelschälen vor großen Feiern wie Geburtstag oder Hochzeit. Solche verrückten Freaks gibt es heute gar nicht mehr. Sie haben keine Mails geschrieben oder getwittert. Sie haben überhaupt wenig geschrieben, weil sie es nicht so gut konnten. Sie haben sich lieber mit den Leuten unterhalten.
Sie haben ihr ganzes Leben gearbeitet. Ein Maurer und eine Krankenschwester. Sie bekamen am Ende gut tausend D-Mark Rente im Monat. Zusammen. Aber sie haben deswegen nicht rumgejammert. Sie hatten kein Telefon, keinen Computer und kein Smartphone. Wenn man sie erreichen wollte, musste man bei den Nachbarn anrufen. Dann wurden von Haus zu Haus die Nachrichten durch die offenen Fenster herübergerufen. Das Radio in der Küche war oft an, der Fernseher im Wohnzimmer fast nie.
Wisst Ihr inzwischen, von wem ich spreche? Wer diese durchgeknallten Freaks in der Hippie-WG in den siebziger Jahren waren? Mein Großeltern. Die haben über Ökologie und Nachhaltigkeit nicht gequatscht, sie haben es gelebt. Schade, dass sie längst gestorben sind. Von diesen Leuten hätten die Grünen, die Linken und all die anderen selbstgefälligen Schwätzer einiges lernen können. Aber sie hätten vermutlich nicht zugehört.
Sade - No Ordinary Love. https://www.youtube.com/watch?v=_WcWHZc8s2I

Freitag, 20. Januar 2017

Aus gegebenem Anlass

"Ich weiß gar nicht, warum einige Leute so negativ drauf sind. Das Dschungelcamp läuft auf RTL, Trump ist Präsident und heute geht auch endlich die Fußballbundesliga wieder los. Pessimismus ist nur ein Mangel an Dummheit." (Lupo Laminetti)
Zur Inauguration des 45. US-Präsidenten und zur Installierung seiner Oligarchenregierung hier die wichtigsten Erwerbsregeln der Ferengi:
Wenn Sie erst einmal das Geld der anderen haben ... geben Sie es nie wieder her.
Sex und Profit sind zwei Dinge, an denen man sich nie lang genug erfreuen kann.
Wenn Sie einen Vertrag nicht brechen können, interpretieren Sie ihn.
Ein Ferengi, der keinen Profit macht, ist kein Ferengi.
Stellen Sie niemals Freundschaft über Profit.
Angst ist ein guter Geschäftspartner.
Moral wird von dem definiert, der an der Macht ist.
Wenn Sie Profit durch eine Reise erwarten, unternehmen Sie sie.
Frieden ist gut für das Geschäft.
Krieg ist gut für das Geschäft.
Hohes Alter und Gier werden immer Jugend und Talent übertreffen.
Kaufen Sie nie, was gestohlen werden kann.
Macht ohne Profit ist wie ein Schiff ohne Antrieb.
Tun Sie nie etwas, was ein Anderer für Sie tun kann.
Behandeln Sie Leute, die in Ihrer Schuld stehen, wie Familienangehörige ... beuten Sie sie aus.
Alles ist käuflich, auch Freundschaft.
Eine Lüge ist gar keine, solange, bis jemand die Wahrheit kennt.
Vor dem Gesetz ist jeder gleich, Gerechtigkeit aber geht an den Meistbietenden.
Wettbewerb und Fairness schließen sich gegenseitig aus.
Töten Sie nie einen Kunden, außer Sie machen mit seinem Tod mehr Profit als mit seinem Leben.
Wissen Sie wer Ihre Feinde sind ... und machen Sie immer mit ihnen Geschäfte.
Legen Sie keinesfalls ein Geständnis ab, wenn es eine Bestechung auch tut.
Supertrump - It's Raining Again. https://www.youtube.com/watch?v=YZUE4_PtOk0&spfreload=5

Die verdrehte Welt politischer Ideen

„Ich verstehe nicht, weshalb man so viel Wesen um die Technik des Komödienschreibens macht. Man braucht doch nur die Feder in ein Whisky-Glas zu tauchen.“ (Oscar Wilde)
Nehmen wir für einen Augenblick an, ich sei kein bedeutender und erfolgreicher Medienunternehmer, sondern ein orthodoxer Marxist. Ein richtiger Hardcore-Linker, der bei jeder Gelegenheit auf Fidel Castro und die leninistische Erbmonarchie in Nordkorea anstößt. Einer, der es unter Weltrevolution nicht macht und zu Hause auf dem Sofa in Recklinghausen auf den Startschuss wartet. Dann mache ich doch nichts, was dieses neoliberale Ausbeutersystem stabilisiert und es am Leben erhält, oder? Ansonsten kann ich ja noch lange auf den Aufstand der pauperisierten Massen warten und währenddessen wird vielleicht der Kaffee kalt.
Dann muss ich mich doch über jede Gehaltserhöhung irgendwelcher Leute ärgern. Dann ist „Wohlstand“ nur Opium für das Volk, dann ist Konsum per se etwas Schlechtes. Ich ärgere mich, dass es in Indien oder China keine Hungersnöte mehr gibt, sondern die Leute jetzt Autos und Stereoanlagen haben und sich sogar über diesen ganzen Krempel freuen. Mit jedem Euro, den ich einem Bettler in den Hut werfe, unterstütze ich den Kapitalismus. Denn wenn die Leute genug zu essen haben, machen sie ja keine Revolution. Aus marxistischer Sicht muss das neoliberale Ausbeutersystem also immer schlimmer werden. Sonst nix Revolution, nix Diktatur des Proletariats, nix Kommunismus.
Daher muss ich als echter Linker, der das alles verstanden hat, das Geschäft des politischen Gegners betreiben. Ich muss daran arbeiten, den Menschen das Leben zur Hölle zu machen. Ich muss ihnen ihren Krempel wieder wegnehmen und ihnen das Gesicht in den Dreck drücken. So betrachtet hat Gerhard Schröder ja als SPD-Politiker alles richtig gemacht. Sozialabbau, Hartz IV, Leistungsverdichtung und der Typus des Selbstoptimierers als Vorbild. So wurde mit einer Politik, die eigentlich aus dem Bilderbuch von McKinsey sein könnte, die Unzufriedenheit im Volk geschürt. Für den Marxisten auf dem Sofa in Recklinghausen rückt die Weltrevolution gefühlt ein paar Jahre näher. Der Marxist hat es einfach, denn laut dem Drehbuch eines toten Hippies aus Trier, der im vorletzten Jahrhundert gelebt hat, muss er nur auf den naturgesetzmäßigen Automatismus der Weltgeschichte warten, während sich die Sozialdemokratie mühsam damit plagen musste, durch die Agenda 2010 erst die Bedingungen für den Sozialismus zu schaffen.
Umgekehrt funktioniert das auch. Mit Trump ist der größte Vorzeigekapitalist seit Dagobert Duck zum Präsidenten gekürt worden. Wir erwarten vier Jahre neoliberale Politik. Aber was plant dieser Mann tatsächlich? Es ist keine rechte Politik, wie man sie vom Frontmann der Republikaner verlangt, sondern linke Politik. Mit protektionistischen Maßnahmen will er der Liberalisierung der Weltmärkte, der Globalisierung, Grenzen setzen. Er will sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze in den USA schaffen und Ausbeutungsverhältnisse in der Dritten Welt reduzieren. Durch Rückverlagerung von Industriearbeitsplätzen nach Amerika werden Transportwege zwischen Produzent und Konsument verkürzt, das schont die Umwelt. Sein Ziel ist es, mit solchen klassisch sozialdemokratischen Maßnahmen den Wohlstand der unzufriedenen Bevölkerung in der Kernzone des Kapitalismus zu erhöhen.
Durch die Globalisierung sind viele gutbezahlte Industriejobs verloren gegangen, die jetzt wiederkommen sollen. Wir sprechen hier nicht von den prekären McJobs im Niedriglohnsektor, die Schröder den Deutschen brachte, sondern über gute Jobs z.B. in der Automobilproduktion. Wissen Sie, was ein Fließbandarbeiter inklusive Schichtzulage bei Opel in Rüsselsheim verdient? Netto 3500 Euro, das entspricht dem Einstiegsgehalt eines FH-Profs. Schichtarbeit bedeutet auch: feste Arbeitszeiten, keine unbezahlten Überstunden. Außerdem gibt es am Band keine unbezahlten Praktika. Das weiß der Marxist natürlich alles nicht, weil er keinen Arbeiter persönlich kennt. Auf diese Weise wendet man als Konservativer mit linker Politik den Aufstand ab. Schließlich ist die solide Industriebasis ja das Erfolgsrezept des Exportweltmeisters Deutschland, das haben die Amis inzwischen auch kapiert.
Mit Trump kommt auch das Primat der Politik zurück – ganz modern per Twitter. Er setzt Unternehmer unter Druck. Sie sollen Arbeitsplätze schaffen. Er droht mit Strafzöllen, er lockt mit Steuererleichterungen. Ganz unverblümt tut der Präsident Trump das, was sich der Unternehmer Trump verbeten würde: Er mischt sich massiv in die Wirtschaft ein. Nicht über Gesetze oder die Medien – er spricht die Bosse direkt auf Investitionen an und versucht, Einfluss auf ihre Entscheidungen auszuüben. Der Mann propagiert Protektionismus und das bedeutet übersetzt: weniger Wettbewerb. Und keiner schreit empört: „Das ist Kommunismus!“ So verdreht ist die Welt der Politik in diesem Jahrhundert.
The Untouchables - Wild Child. https://www.youtube.com/watch?v=KTXY1xDy95s

Donnerstag, 19. Januar 2017

Die Morphiumpraline

Ich nenne sie Strickliesl, obwohl sie sicher einen anderen Namen hat. Sie trägt immer eine lange Strichjacke, hellbraun oder grau. Eine dieser Farben, mit denen man sich vermutlich perfekt im Wald oder einem Moorgebiet tarnen kann. Ihr Haar hat die Farbe von Wüstensand und ist von grauen Strähnen durchzogen. Ich glaube, sie ist jünger als ich, aber sie wirkt, als wäre sie jetzt in einer Phase ihres Lebens, in der man dreißig Jahre lang sein Aussehen nicht verändert.
Hagebuttentee. Darauf kann man sich verlassen. Sie hat eigentlich immer Hagebuttentee in ihrem Einkaufswagen, wenn ich sie bei Edeka sehe. Wollte man diesem harmlosen und stillen Menschen eine Falle stellen, müsste man sich eigentlich nur neben dem Hagebuttentee in der Abteilung Heißgetränke auf die Lauer legen. Oder man legt eine Spur Teebeutel vom Parkplatz in eine dunkle Gasse. Leider fehlt mir der Mut für solche Experimente, aber nicht die Phantasie.
Von was lebt so eine verhuschte Existenz? Gibt sie Klarinettenunterricht an der örtlichen Musikhochschule? Kindergärtnerin? Ihr Gesicht verrät nichts. Es ist immer ausdruckslos. Sie beschwert sich auch nicht, wenn sie in ihrer Kassenschlange zu Äonen der Bewegungs- und Hoffnungslosigkeit verdammt wird. Nur manchmal bewegen sich ihre schmalen Lippen, wenn sie das Kleingedruckte auf einer Verpackung zu entziffern versucht.
Heute hat mich die Strickliesl richtig geflasht. Das gibt’s nicht! Wäre ich bei Twitter oder hätte ich überhaupt ein Smartphone, hätte ich es der Welt sofort mitgeteilt. Es gibt so einen Grabbeltisch mit Sonderangeboten, der gleichzeitig unseren Sammeltrieb und unsere Sparwut ansprechen soll. Sie werden lachen: es funktioniert. Ich besitze seit einer Stunde kunstfellgefütterte Fäustlinge, die jetzt neben meinen Handschuhen an der Garderobe liegen und die ich vermutlich nie anziehen werde. Aber wissen Sie, was die Strickliesl gekauft hat? Da kommen Sie nie drauf.
Eine ABBA-CD. Greatest Hits. Sie legt sie mit der Selbstverständlichkeit eines antiken Stoikers auf das Laufband. Neben all das Gemüse und das Obst, das ich namentlich nicht identifizieren könnte. Natürlich kauft sie keine Kartoffelchips und Bierschinken, wie ich und jeder normale Mensch es tut. Nein, sie hat eine ABBA-CD ausgewählt. Und ich komme ins Träumen. Die Strickliesl. Nachher geht sie nach Hause - sie lebt allein, da bin ich ganz sicher, allerallerhöchstens eine Katze -, verstaut ihre Einkäufe in ihrem monströsen Gemüsefach und legt die ABBA-CD auf.
Können Sie es sehen? Jetzt tanzt die Strickliesl. Ganz allein. Vielleicht summt sie in einem Augenblick höchster Ekstase auch die Melodie mit. Sie tanzt in ihrem Wohnzimmer, auf dem Fensterbrett steht stumm eine Reihe Kakteen, auf dem Sofa sitzt eine alte Puppe mit einem selbstgehäkelten Kleid. Tränen der Rührung schießen mir augenblicklich in die Augen. Ich möchte die Frau in den Arm nehmen und lange an mich drücken. Dieser gute Mensch. Früher habe ich über die Strickliesl nur gelacht, aber heute ist sie für mich zu einem liebenswerten Wesen geworden. Ich habe über ABBA gelacht. Jetzt habe ich es verstanden.
ABBA – Dancing Queen. https://www.youtube.com/watch?v=yhqV49us4J8

Mittwoch, 18. Januar 2017

Vor vierzig Jahren: Mescalero

Kinder, Kinder, die Zeit rast und Grandpa Bonetti muss mal wieder eine Schote aus seiner Jugend erzählen. Jetzt nicht abschalten, young folks, nur weil im Dschungelcamp wieder Silikonbrüste und Botoxvisagen präsentiert werden.
1977 wurde ein Text legendär, den man heute als das Produkt eines anonymen Bloggers bezeichnen würde. Damals hatten gerade Terroristen – doch, doch, die gab es auch schon zu „meiner Zeit“ – den Generalbundesanwalt umgebracht, was natürlich auch in den siebziger Jahren bereits unter Strafe stand.
Der Autor bezeichnete sich als „Stadtindianer“ vom Stamme der Mescalero und empfand beim Tod von Siegfried Buback „klammheimliche Freude“. Seine Begründung: „Ich habe diesen Typ oft hetzen hören. Ich weiß, dass er bei der Verfolgung, Kriminalisierung, Folterung von Linken eine herausragende Rolle spielte.“
Zwar beinhaltete sein Pamphlet, das die Presse nicht abdrucken durfte, auch eine klare Absage an Gewalt - „Unser Weg zum Sozialismus (wegen mir: Anarchie) kann nicht mit Leichen gepflastert werden“ -, aber da war es schon zu spät. 1977 war heißer als 2017, das kann Euch Grandpa Bonetti versichern.
Zwei Jahre später, als sich der anonyme Autor nochmal über seine persönlichen Verhältnisse in „Konkret“ äußerte, sanken die Sympathien für diesen Mann ganz erheblich. Er war, wie er selbst schrieb, „während jener Zeit braver Insasse einer Schlafsiedlung, der niemandem unangenehm auffiel, war biederer Hundeliebhaber und Waldgänger, verzweifelter Schuldner vieler Gläubiger, Sammler und Händler von Trödel und Nippes, Skatspieler, Fernseher, durch und durch mitten drin und nicht alternativ, eingesessen und gut genährt und Mitglied eines politischen Männerstammtisches, der seine windigen Zelte an einer starken Neigung zur Trunksucht aufgeschlagen hatte.“
Weitere zwanzig Jahre später hat er sich sogar geoutet und sich schriftlich beim Sohn von Buback entschuldigt. Es war ein Deutschlehrer. So revolutionär war meine Jugend. Alles klar, Ihr Smartphone-Luschen! Wir haben für die Revolution gekämpft – Ihr wollt nur neue Saftschorlen mit coolen Namen!

Dienstag, 17. Januar 2017

Entwertung der Arbeit

„Nichts ist eines Kulturvolkes unwürdiger, als sich ohne Widerstand von einer verantwortungslosen und dunklen Trieben ergebenen Herrscherclique ‚regieren‘ zu lassen.“ (Sophie Scholl: Flugblatt I)
Die alt gewordenen Freunde der marxistischen Arbeitswerttheorie haben das moderne Spiel der Finanzmärkte nie begriffen. Nicht nur die menschliche Arbeit schafft einen Wert, auch in der Petrischale der Spekulation entstehen Werte. Wer beispielsweise mit einem Optionsschein auf die Wertentwicklung einer Aktie spekuliert, muss noch nicht einmal einen Anteilsschein eines Unternehmens und damit einen Anteil an der Wertschöpfung durch menschliche Arbeit erwerben. Auf diese Weise entstehen jedes Jahr neue Billionen an Dollar, Euro oder Yen. Und dieses virtuell erzeugte Geld kann ich jederzeit in Grundstücke, Autos oder Goldbarren umtauschen.
Geld, das mit menschlicher Arbeit nichts zu tun hat, wird real – und alle Leute, die tatsächlich den Buckel für Geld krumm machen, schauen natürlich blöd aus der Wäsche. Es sind inzwischen Derivate, also Wettscheine auf die Entwicklung von Aktien, Zinsen, Rohstoffpreisen usw., auf dem Markt, die dem Zehnfachen der tatsächlichen weltweiten Wirtschaftsleistung entsprechen. Mit Arbeit erwirbt man in dieser Welt nur noch das Brot zum täglichen Überleben, die Spekulanten kaufen derweil mit ihren Casinogewinnen, was immer sie haben wollen.
Während eine unlustige Schar von Marxisten noch immer auf das im 19. Jahrhundert prophezeite Endes des Kapitalismus wartet – Fall der Profitrate und tralala -, schafft sich die Zockeria fröhlich eine neue Welt. Die Produktion von Waren und ihr Konsum – das läuft nebenher. So wie man vielleicht einen Teil seines Villengrundstücks einem Kräutergarten gewidmet hat. Das richtige Geld wird im Casino produziert. Nicht nur durch Derivate, auch durch Kredite – gerne an die lieben, aber etwas ärmlich lebenden Erfüllungsgehilfen von der Politik, die munter neue Staatsschulden produzieren.
Geld wird aus Geld geschöpft, liebe Freunde der Weltrevolution, und nur noch zu einem geringen Prozentsatz aus Arbeit. Und diese Arbeit überlassen wir, gemeinsam mit dem Müll und den Abgasen, den Chinesen und ihren Nachfolgern in der industriellen Nahrungskette. Euer revolutionäres Subjekt sitzt gerade in Shanghai und freut sich über den riesigen neuen Flachbildschirm. Nächstes Jahr geht es mit einer Reisegruppe zum Schloss Neuschwanstein und nach London. Mit dieser Mastkur hat man in den fünfziger und sechziger Jahren auch das europäische Proletariat domestiziert.
Das Theater, in dem die Inszenierung des sozialistischen Siegeszugs aufgeführt wurde, ist längst leer. Die Darsteller haben die Bühne verlassen und auch das Publikum ist gegangen. Der Mensch kann dem Siegeszug des Kapitalismus nichts mehr entgegensetzen, nur noch die Natur. Erst ihr Kollaps wird die Wende bringen. Ich werde es zum Glück nicht mehr erleben.
Murray Head – Say It Ain’t So. https://www.youtube.com/watch?v=-enIN21BWWI

Sonntag, 15. Januar 2017

Wie Bonetti zu seiner Biographie kam

„Würden wir wissen, würden wir nicht schreiben (…), alles, was geschrieben wurde, wurde aus Unwissenheit geschrieben, aus der Qual des Unwissens, alle Bibliotheken der Welt sind die Summe des Unwissens der Menschheit, und je besser ein Buch ist, umso mehr ist es aus der Qual des Nichtwissens geschrieben worden, denn nur (…) die Idioten meinen, sie wüssten. Je heller ein Geist brennt, umso mehr verdunkelt sich um ihn die Welt.“ (Karlheinz Deschner: Die Nacht steht um mein Haus)
Kennen Sie Reinhard Aschenbrenner? Große Persönlichkeit, legendärer Verleger. Hat sein Handwerk beim alten Aschenbrenner gelernt und dem konnte man bekanntlich nichts vormachen.
Zu Beginn der folgenden Szene betritt der junge Bonetti, ein völlig unbekannter Lokalredakteur Anfang zwanzig, das gigantische, fußballfeldgroße Büro von Herrn Aschenbrenner. Ein Ventilator surrt, möglicherweise auch eine lästige Mücke am Fenster. Aschenbrenner scheint ihn gar nicht zu hören. Er ist über ein Manuskript vertieft, murmelt Flüche, streicht wild mit einem Rotstift auf einer Seite herum und schreibt Anmerkungen.
***
Vorsichtig, langsam einen Fuß vor den anderen setzend, näherte sich Bonetti dem mächtigen Mahagonibollwerk des Verlegers.
Aschenbrenner nahm ihn gar nicht war, eine Zigarre glomm in seinem Mundwinkel. Schließlich stand Bonetti vor ihm und wartete geduldig.
Nichts passierte.
Bonetti setzte sich auf den winzigen und harten Holzstuhl vor dem Schreibtisch des Verlegers.
„Habe ich Ihnen erlaubt, sich zu setzen?“ donnerte die Stimme Aschenbrenners durch den Flugzeughangar von Büro.
Bonetti sprang – wie von der berühmten Tarantel gestochen, die wir aus zahlreichen Redewendungen der Gebrauchsliteratur kennen – vom Stuhl hoch. „Äh … nein … ich fürchte, Sie haben …“.
„Ruhe!“ brüllte der Verleger und las ungerührt weiter.
Nach einer Viertelstunde, die Bonetti wesentlich länger vorkam, legte Aschenbrenner das Manuskript zur Seite und sah den jungen Mann vor ihm verständnislos an.
„Wer hat Sie überhaupt hereingelassen und warum?“
„Ja, das war so … äh … ich habe gedacht …“
„Sie haben gedacht. Da haben wir ja schon mal die Fehlerquelle“, sagte Aschenbrenner und lachte dröhnend. „Sie sind Bonetti und haben bei mir eine Kurzgeschichte eingereicht.“
Bonetti lächelte schüchtern. „Das ist richtig. Haben Sie denn schon einmal reingeschaut?“
Der Verleger schob das Manuskript über den Tisch und nickte. „Ich habe schon beschissenere Sachen gelesen, wesentlich beschissenere. Sie liefern mir innerhalb von drei Monaten ein Romanmanuskript auf der Basis dieser Geschichte ab. Geben Sie den Figuren einen Hintergrund, geben Sie ihnen Tiefe, bauen Sie ein paar Nebenhandlungen ein. Wir haben uns verstanden?!“
„Sehr wohl, Herr Aschenbrenner.“ Bonetti nahm das Manuskript und wollte den weiten Weg zum Ausgang auf sich nehmen.
„Da wäre noch was“, brummte der Bass des Verlegers durch den Raum. „Um ein Buch verkaufen zu können, brauchen wir eine Biographie.“
„Na ja“, bekannte Bonetti, „ich bin noch sehr jung. Ich war auf der Schule und habe mir gerade meine erste eigene Wohnung genommen.“
„Das kriegen wir schon hin. Wo sind Sie geboren?“
„In Bad Nauheim. Das ist in Nordhessen.“
„Sie sind also auf einem Biobauernhof aufgewachsen und haben früh Ihre Liebe zur Natur erkannt“, konstatierte Aschenbrenner ungerührt.
„Eigentlich war mein Vater Finanzbeamter und meine Mutter Musiklehrerin.“
„Großartig. Also haben Sie eine musische Begabung, die schon in Ihrer Familie liegt.“
„Ich weiß nicht, Herr Aschenbrenner.“
Der Verleger machte sich bereits Notizen. „Haben Sie Bad Nauheim denn schon einmal verlassen?“
„Ich habe mit meinen Eltern früher immer Urlaub auf Mallorca gemacht. Und die Klassenfahrt mit der Oberstufe ging nach Lübeck.“
„Ausgezeichnet, Bonetti. Es gibt also einen starken Einfluss der iberischen Literatur und von Thomas Mann. Was haben wir noch?“
„Wenn Sie so fragen, Herr Aschenbrenner. Ich gehe gerne mit meinen Freunden ins Lokal ‚Waldfrieden‘ am Minigolfplatz.“
„Also haben Sie auch Autoren wie Charles Bukowski und Malcolm Lowry maßgeblich beeinflusst. Sie treiben außerdem regelmäßig Sport. Das reicht mir, den Rest erfinde ich dazu.“
Und so endete Bonettis erstes Gespräch mit seinem Verleger und haargenau so ist auch seine Biographie entstanden – oder der Blitz möge mich treffen.
The Allman Brothers Band – Pegasus. https://www.youtube.com/watch?v=gOKzSGa-u3Y
P.S.: Stellen Sie sich zu dieser Szene eine Fotografie von Andy Bonetti vor, auf der er nachdenklich und geheimnisvoll aus dem Fenster blickt. Für die Inspiration zu diesem Text bedanke ich mich bei Carlos Ruiz Zafón, Heinz Ohff und meinem treuen Leser Harri.

Samstag, 14. Januar 2017

Die Diktatur des Kapitals

„Angela trank ihren Cocktail aus und spürte den Nebel in sich hochsteigen.“ (Evelyn Waugh: Mit Glanz und Gloria)

Blogstuff 107
2017: Erreicht mit Sigmar Gabriel jetzt der Fachkräftemangel auch den Bundestagswahlkampf?
Mit Gott ist es wie mit Broccoli: manche Menschen lieben Broccoli, manche Menschen hassen Broccoli, manchen Menschen ist Broccoli einfach egal.
Welchen Medien kann man noch trauen? Welche Quelle ist zuverlässig? Was stimmt, was stimmt nicht, was ist nur gefühlte Wahrheit in den ungefähren Sphären des Postfaktischen? Die Russen haben erst zwei Wochen nach uns Weihnachten gefeiert. Wer hat Recht?
In Deutschland herrscht wieder Ordnung. Schlechter Ausländer: Nafri. Guter Ausländer: Gemüsetürke umme Ecke.
Die Zehnerjahre neigen sich dem Ende entgegen, bald beginnen die zwanziger Jahre. Werden es „goldene Zwanziger“ wie im vergangenen Jahrhundert (Inflation, Börsencrash, Hitlers Aufstieg)? Silberne Jahre würden mir schon genügen.
Genossen! Ziel unseres Kampfs muss es sein, die EU durch die UdSSE (Union der sozialistischen Sowjetrepubliken Europas) zu ersetzen. „Wer sagt, die Lage sei hoffnungslos, lügt. Pessimisten und Skeptiker sind aus den Reihen des Proletariats wie die Pest zu verjagen. Die inneren Kräfte des deutschen Proletariats sind unerschöpflich. Sie werden sich Bahn brechen.“ (Leo Trotzki)
Was wurde eigentlich aus Heinz Pralinski? Er ist jetzt zum Assistant Deputy Manager Internal Navigation (Admin) bei Bonetti Media befördert worden.
Hat Jesus Miete gezahlt? Hatten er oder seine Jünger eine Eigentumswohnung? Früher hat man sich diese Fragen nicht gestellt, die heute den kapitalistischen Alltag dominieren.
Ich sitze in meiner Ecke, die Menge tobt wie entfesselt, der Trainer fächelt mir mit einem Handtuch Luft zu und schreit mir etwas ins Ohr, das ich nicht verstehe, während ich Blut in einen Eimer spucke. Da kommt der Gong. Erst jetzt beginnt der Kampf.
Gibt es heute noch einfache Arbeiter, die Marx oder Lenin zitieren können? Es gibt nur noch Salon-Bolschewisten, da der Sozialismus ausschließlich im snobistischen Bildungsbürgertum existiert. In meiner Jugend gab es ja wenigstens noch die Saloon-Bolschewisten, die man Samstagabend in der Kneipe am Tresen treffen konnte.
Überall sieht man junge Menschen mit winzigen Geräten, einer Art gizmologischen Gadgets, die sich mit drahtloser Telegraphie beschäftigen. Wohin das einmal führen wird?
Was die neue Bewegung „No Wasabi, No Pain“ eigentlich will, ist mir noch nicht so klar.
In moralischer Hinsicht neigen die Deutschen traditionell zu Übertreibungen. Sei es im Guten (ein Monat Sommermärchen 2006, drei Monate Willkommenskultur 2015) oder im Schlechten (NS-Zeit, Wilhelminismus).
Warum kann man Äpfel und Birnen eigentlich nicht vergleichen? Der Vorgang des Vergleichs setzt ja noch nicht voraus, dass ich zwei Dinge als gleich ansehe. Ich sage: Ja, denn beides ist Kernobst, und ich sage nein, denn beide schmecken unterschiedlich, sehen unterschiedlich aus und wachsen auf verschiedenen Bäumen. Nächste Woche: Zebras und Pferde – kann man sie vergleichen?
Die Ausrottung dieses Tiers, dessen Gene ich möglicherweise in mir trage, ist eine der großen Tragödien der Naturgeschichte. Ich spreche natürlich vom Riesenfaultier. Die Indianer, oft fälschlich als edle Wilde apostrophiert, haben diese wunderbare und friedliche Gattung grausam dahingemeuchelt. Vor zehntausend Jahren waren sie vom amerikanischen Kontinent verschwunden. Die letzten Exemplare des einst so stolzen Megatherium wurden um 1550 auf den karibischen Inseln Kuba und Hispaniola getötet. Im Mythos vom Mapinguari lebt dieses Tier bis heute fort, möglicherweise gibt es tatsächlich auch noch lebende Exemplare im Amazonasdschungel.
XTC - Living Through Another Cuba. https://www.youtube.com/watch?v=AZFCyMPvLd8

Mittwoch, 11. Januar 2017

Brunnengebet

Am Zugang zum Platanenhain der Darmstädter Mathildenhöhe stehen zwei Pfeiler. Auf einem der Pfeiler ist ein steinerner Leopard, die Inschrift lautet:

Du süßer Brunnen
Für den Durstenden
In der Wüste
Er ist verschlossen für den
Der redet
Er ist offen für den
Der schweigt
Kommt der Schweigende
So findet er den Brunnen

Das Brunnengebet stammt aus der Zeit des Pharao Merenptah (13. Jhd. v.Chr.)

Dienstag, 10. Januar 2017

Werden Sie Politikwissenschaftler!

Dies sind die drei schwierigsten Fragen, die Ihnen in der Prüfung gestellt werden.
1. Welches Autokennzeichen hat Angela Merkel offiziell als Bundeskanzlerin?
Antwort: 0 – 2.
2. Seit 1871 gibt es einen Kanzler in Deutschland. Welche Kanzlerschaft war die kürzeste?
Antwort: Die Kanzlerschaft von Joseph Goebbels. Er wurde testamentarisch von Adolf Hitler am 30. April 1945 zum Nachfolger bestimmt. Am 1. Mai 1945 beging Goebbels ebenfalls Selbstmord. Nachfolger wurde Admiral Dönitz (1. – 8. Mai 1945).
3. Was bedeutet die Abkürzung Navi?
Antwort: Nordafrikanischer Vergewaltiger im Abschiebeverfahren.

Horizonte

„Invasionen fegten über China hinweg. Das Reich zerfiel in einander befehdende Königreiche. Die Gelehrten führten ihr einfaches und idyllisches Leben ungestört weiter, gelegentlich produzierten sie einen hervorragenden privaten Scherz, den sie auf Blätter schrieben und flussabwärts treiben ließen.“ (Evelyn Waugh: Glanz und Gloria)
Wir leben nicht nur im Informationszeitalter, sondern auch im Zeitalter der Sorgen. Vielleicht hängt beides ja auch miteinander zusammen. Weil wir so viel über die Welt erfahren, machen wir uns Sorgen.
Zunächst einmal machen wir uns jedoch Sorgen über das Naheliegende. Wir sorgen uns um uns selbst, um unsere Familie und unsere Freunde. Eltern sorgen sich um ihre Kinder wie der Kaufmann sich um seinen zukünftigen Profit sorgt. Man könnte in diesem Zusammenhang auch von biologischem und ökonomischem Egoismus sprechen, wenn man es böse formulieren will.
In der Politik treffen wir auf drei Formen der Besorgtheit. Da haben wir den Politiker, der zum Repertoire seiner Rhetorik, zu seinem Berufsbild auch die Rolle des sorgenden Hausvaters bzw. der sorgenden Mutti zählt. Der „Kümmerer“, der sich Sorgen um seine Schäfchen macht (wie weiland die Pfaffen auf ihren Kanzeln), gehört zum Schauspiel einer Sonntagsrede unbedingt dazu, den salbungsvollen und besorgten Tonfall bekommen wir bei der Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten und der Neujahrsansprache der Bundeskanzlerin in Reinkultur serviert.
Die beiden anderen Phänotypen treffen wir im Bürgertum. Da ist der „besorgte Bürger“, der sich um den Bestand seiner Kultur Sorgen macht. Er macht sich in erster Linie um sein eigenes Leben Sorgen, um den Bestand seiner alltäglichen Routinen, um seinen Besitz, um seine Sicherheit. Er macht sich keine Sorgen um Menschen, die er nicht kennt. Der Sprengstoffanschlag in Bagdad? Die Meldung klickt er nicht an. Frauen werden von dunkelhäutigen Menschen in Köln belästigt? Darüber kann er sich wochenlang Sorgen machen, ohne müde zu werden.
Bevor wir jetzt den Stab über diesen Typus brechen, sollten wir bedenken, dass sich die Menschen in Bagdad genauso wenig Gedanken über die Menschen in Köln machen wie umgekehrt. Egoismus ist menschlich, nicht nur deutsch. Altruismus ist die Ausnahme, egal wohin wir schauen. Ich sehe auch nicht, dass sich dieses Verhalten jemals ändern wird. Wenn wir uns unsere Sorgen als Landschaft vorstellen, erscheinen uns die naheliegenden Sorgen (um unsere eigene Gesundheit, den Arbeitsplatz, den Parkplatz in der Innenstadt usw.) größer als die Sorgen, die sozial, geographisch, kulturell und ökonomisch weiter entfernt sind.
Der letzte der drei Phänotypen ist der ökologisch sensibilisierte, global denkende Angehörige des Bildungsbürgertums. Früher nannte man sie „Linke“ oder etwas abfällig „Gutmenschen“. Sie machen sich grundsätzliche Sorgen um den Fortbestand des Lebens auf diesem Planeten. Sie machen sich Sorgen um den Klimawandel, um aussterbende Tierarten, um unseren Umgang mit dem Schlachtvieh, um Kriege in fernen Ländern, um den Hunger in Afrika. Unausgesprochen machen auch sie sich Sorgen um sich selbst. Um ihre Rolle in diesem Sündenpfuhl namens Kapitalismus. Um ihre moralischen Werte, deren Verfall sie täglich beobachten müssen. Um ihr schlechtes Gewissen, weil sie ihre Kinder über die Widerlichkeit des Menschengeschlechts – vom Holocaust bis zur Umweltzerstörung, vom wechselseitigen Abschlachten der Menschen bis zur perfiden Grausamkeit gegen jede Art von Kreatur – so lange im Ungewissen lassen wie es nur irgend geht.
Sich Sorgen machen und sich um andere sorgen – das sind zwei verschiedene Dinge. Wir geben unseren Sorgen gerne Ausdruck, wir sprechen gerne über Sorgen. Sich sorgen im Wortsinne, im Sinne von tätiger Hilfe und Wunsch nach konkreter Veränderung, um Arbeit am Systemwechsel, sehen wir auf dieser Welt herzlich wenig. Die meisten gehen höchstens mal auf eine Demo, dokumentieren mit ihrer physischen Anwesenheit zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort ihre Meinung, oder sie unterzeichnen Online-Petitionen, spenden Geldbeträge, die ihnen nicht weh tun und ihren Lebensstil nicht ändern, zeigen sich in Diskussionen auf redliche und fleißige Weise besorgt.
Diese Sorgen können uns zerfressen, wenn wir uns zu lange mit ihnen beschäftigen. Ich habe keine Lösung für dieses Problem, nur einen persönlichen Ausweg. Er wird Sie enttäuschen, ich nenne ihn trotzdem. Weil er mir hilft. Ich verkürze meinen Horizont, ich blende das Weltganze aus und konzentriere mich auf das Unmittelbare. Das ist meine Form von Egoismus. Schon klar. Aber mein Horizont beruhigt mich, der Blick auf den Ozean voller Sorgen zieht mich nur runter. Terror, Trump, schließlich der eigene Tod. Ich habe einen Horizont, der dem kleinen Tal entspricht, auf das ich von meinem Schreibtisch aus blicke.
Ich bin jetzt fünfzig Jahre alt. Wie viele Jahre bleiben mir noch? Nehme ich die Sterbetafeln der Statistiker (ein fabelhafter Begriff), meinen Lebenswandel und meine Lebenszufriedenheit als Faktoren, die ich meiner Rechnung zu Grunde lege, bleiben mir vielleicht noch zwanzig oder dreißig Jahre. So lange wird diese Welt, die wir kennen, noch Bestand haben. Wenn nicht, habe ich die Mehrzahl der Jahre als gute Jahre auf der Habenseite. Aber schon in meiner Pubertät dachte ich, der Laden macht es nicht mehr lange. Stichworte: Waldsterben, Atomkrieg. Die älteren Leser werden sich erinnern.
Außerdem habe ich keine Kinder. Ich muss mir also um kommende Generationen keine Sorgen machen. Auch das ist egoistisch, aber damit befinde ich mich in guter Gesellschaft, liebe Kolleginnen und Kollegen der Gattung Homo. Ich glaube auch nicht an ein Leben nach dem Tod. Wenn es vorbei ist, ist es nach meiner Vorstellung definitiv vorbei. Wenn ich mich bis dahin durchgeschlagen habe, ohne erwischt worden zu sein, wird es keine himmlische oder höllische Strafe für meinen Eskapismus und meinen Hedonismus geben. Ich werde, so ist meine Hoffnung, friedlich und satt mit dem Geschmack von Rotwein und Schokolade im Mund einschlafen.
Für Sie mag diese Lösung unbefriedigend sein, für mich nicht. Ich habe auch nicht für uns alle gesprochen, sondern nur für mich. Selbstverständlich verfüge ich prinzipiell über das messianische Genie, die ganze Menschheit in ein neues Zeitalter zu führen. Aber ich ziehe es vor, mein einfaches und idyllisches Leben ungestört weiter zu leben und gelegentlich einen hervorragenden privaten Scherz zu produzieren, den ich in mein Blog schreibe und flussabwärts treiben lasse.
Ennio Morricone – My Name Is Nobody (Main Theme). https://www.youtube.com/watch?v=iGZDKuDl3jc

Montag, 9. Januar 2017

Arbeit und Brot

Die Arbeit ist die Quelle alles Reichtums (...). Aber sie ist noch unendlich mehr als dies. Sie ist die erste Grundbedingung alles menschlichen Lebens, und zwar in einem solchen Grade, dass wir in gewissem Sinn sagen müssen: Sie hat den Menschen selbst geschaffen." (Friedrich Engels: Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen)
Mit diesem Zitat wollte ich einen Text über die Zukunft der Arbeit beginnen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Arbeit durch die Digitalisierung weniger werden wird. Ohne Arbeit kämen die Leute auf dumme Gedanken, denken sich die Herrschenden. Ohne Geld und damit ohne Nahrung würden sie den Gehorsam verweigern. Aber dann bin ich auf folgende Zeilen im Text von Engels gestoßen, die ich meinen lieben Freunden von der linksalternativen Veganerfraktion nicht vorenthalten möchte:
„Die Arbeit fängt an mit der Verfertigung von Werkzeugen. Und was sind die ältesten Werkzeuge, die wir vorfinden? Die ältesten, nach den vorgefundenen Erbstücken vorgeschichtlicher Menschen und nach der Lebensweise der frühesten geschichtlichen Völker wie der rohesten jetzigen Wilden zu urteilen? Werkzeuge der Jagd und des Fischfangs, erstere zugleich Waffen. Jagd und Fischfang aber setzen den Übergang von der bloßen Pflanzennahrung zum Mitgenuss des Fleisches voraus, und hier haben wir wieder einen wesentlichen Schritt zur Menschwerdung. Die Fleischkost enthielt in fast fertigem Zustand die wesentlichsten Stoffe, deren der Körper zu seinem Stoffwechsel bedarf; sie kürzte mit der Verdauung die Zeitdauer der übrigen vegetativen, dem Pflanzenleben entsprechenden Vorgänge im Körper ab und gewann damit mehr Zeit, mehr Stoff und mehr Lust für die Betätigung des eigentlich tierischen (animalischen) Lebens. Und je mehr der werdende Mensch sich von der Pflanze entfernte, desto mehr erhob er sich auch über das Tier. Wie die Gewöhnung an Pflanzennahrung neben dem Fleisch die wilden Katzen und Hunde zu Dienern des Menschen gemacht, so hat die Angewöhnung an die Fleischnahrung neben der Pflanzenkost wesentlich dazu beigetragen, dem werdenden Menschen Körperkraft und Selbständigkeit zu geben. Am wesentlichsten aber war die Wirkung der Fleischnahrung auf das Gehirn, dem nun die zu seiner Ernährung und Entwicklung nötigen Stoffe weit reichlicher zuflössen als vorher, und das sich daher von Geschlecht zu Geschlecht rascher und vollkommener ausbilden konnte. Mit Verlaub der Herren Vegetarianer, der Mensch ist nicht ohne Fleischnahrung zustande gekommen, und wenn die Fleischnahrung auch bei allen uns bekannten Völkern zu irgendeiner Zeit einmal zur Menschenfresserei geführt hat (die Vorfahren der Berliner, die Weletaben oder Wilzen, aßen ihre Eltern noch im 10. Jahrhundert), so kann uns das heute nichts mehr ausmachen. Die Fleischkost führte zu zwei neuen Fortschritten von entscheidender Bedeutung: zur Dienstbarmachung des Feuers und zur Zähmung von Tieren. Die erstere kürzte den Verdauungsprozess noch mehr ab, indem sie die Kost schon sozusagen halbverdaut an den Mund brachte; die zweite machte die Fleischkost reichlicher, indem sie neben der Jagd eine neue regelmäßigere Bezugsquelle dafür eröffnete, und lieferte außerdem in der Milch und ihren Produkten ein neues, dem Fleisch an Stoffmischung mindestens gleichwertiges Nahrungsmittel. So wurden beide schon direkt neue Emanzipationsmittel für den Menschen.“

Samstag, 7. Januar 2017

Die lustige Jungfrau

„Auch Schulbildung war nur eine Falle. Das bisschen Bildung, das zu mir durchgedrungen war, hatte mich nur noch misstrauischer gemacht. Was waren denn Ärzte, Anwälte, Wissenschaftler? Doch auch nur Menschen, die sich die Freiheit nehmen ließen, selbständig zu denken und zu handeln.“ (Charles Bukowski)
Wir machen uns immer wieder über die 72 Jungfrauen lustig, die im Paradies auf die Terroristen warten. Diese Deppen, diese Loser. Wie kann man nur so blöd sein? Du sprengst dich selbst in die Luft, weil du an irgendwelche Jungfrauen im Paradies glaubst. Jeder Kabarettist der westlichen Welt hat diese Nummer drauf. Es sind Idioten, die gegen uns kämpfen.
Mit solchen verwirrten Gestalten muss man sich nicht weiter beschäftigen. Aber es ist doch mehr, oder? Es sind junge Menschen, die gegen ein Imperium rebellieren. Gegen den Imperialismus des Westens, weniger gegen dessen religiöses Mäntelchen, sonst wären Kathedralen die Ziele und nicht Einkaufszentren, Veranstaltungsorte und Verkehrsknotenpunkte.
Die Terroristen sterben während des Selbstmordattentats ganz bewusst als Einzelperson, die ihren Ruhm durch eine Tat begründet – daher die am Tatort zurückgelassenen Dokumente, Personalausweise und Handys. Und ihren Familien sichern sie durch ihr Märtyrertum finanzielle Versorgung durch reiche Araber und andere Sponsoren. Der Ruhm und das Geld erzeugen neue Freiheitskämpfer oder „Terroristen“. Von diesem Business leben ganze Clans in Nordafrika und im Nahen Osten.
Wenn wir über die 72 Jungfrauen reden, haben wir in unserer selbstverliebten Oberflächlichkeit gar nichts begriffen. Es geht nicht um das Paradies, es geht um Macht. Ein paar Dutzend RAF-Terroristen haben das Deutschland meiner Kindheit in Aufruhr versetzt. Jetzt reden wir von hunderten oder tausenden „Gefährdern“, also potenziellen Terroristen. Da sind die „turboradikalisierten“ Jungs noch nicht mal eingerechnet.
Deutschland hätte vor fünfzehn Jahren, als seine Armee in Afghanistan einmarschiert ist, nicht das Tor zur Hölle öffnen dürfen. Der Kriegseintritt im Dezember 2015 in Syrien - gegen den IS – wird sich für die Deutschen ebenso als Fehler herausstellen wie der Irakkrieg von Bush 2003. Aber bis alle das begriffen haben, werden die Kabarettisten und Kommentatoren noch eine Menge Witze über die wartenden Jungfrauen reißen können. Ali ist ja bekanntlich so blöd wie Iwan und keiner ist so schlau wie Fritz Müller.
Fad Gadget - Collapsing New People. https://www.youtube.com/watch?v=tLb9IvqxdH8

Freitag, 6. Januar 2017

Die neue Rechte und der Kulturkampf: Verdrängt das U-Hemd wieder das T-Shirt?

„Totgesoffen ist besser als totgehungert.“ (Hans Fallada: Bauern, Bonzen und Bomben)


Blogstuff 104
Er ging nach Kiel, um Möwenbändiger zu werden.
Die Inflation steigt wieder. Damit steht die EZB vor einem interessanten Problem: Schlagen wir uns auf die Seite der Banken oder schlagen wir uns auf die Seite der Regierungen? Die Banken brauchen dringend mehrere Zinserhöhungen. Die aktuellen Nullzinsen reduzieren ihre Gewinne, Nullzinsen kennen wir nur aus dem Kommunismus und dem Frühchristentum. Die Regierungen fürchten Zinserhöhungen, denn ihr Schuldenberg würde plötzlich wieder zur drückenden Last. Wenn wir wieder fünf Prozent Rendite auf deutsche Staatsanleihen hätten wie vor zehn Jahren, dann hätte Schäuble keine „schwarze Null“, sondern hundert Milliarden Euro Zinszahlungen an der Backe – ein Drittel des Bundeshaushalts.
2017 muss ich Sie vor Reisen in alle Länder mit Ü warnen: Türkei, Sürien, Agüpten, Tünesien, Ürak, Paküstan, Afghanüstan, Südafrika, Ündoesien, Kolümbien, Südtirol, Südkorea, Süddeutschland …
Wann habe ich zuletzt das Wort „Mitbestimmung“ gelesen oder gehört? Arbeitnehmer, die im Unternehmen mitbestimmen dürfen. Das klingt so lächerlich, so 1972, es klingt nach Willy Brandt und IG Metall-Senioren-Tanztee. Der Aufsichtsrat ist paritätisch mit Vertretern der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite besetzt. Wird das noch in Schulen gelehrt? Heute ist der Aufsichtsrat der Schuttabladeplatz für das ganze Gendergedöns, wir reden nur noch über die Frauenquote.
Hätten Sie’s gewusst? Der letzte Henker der DDR hieß Hermann Lorenz und starb 2001 in Leipzig. Seine letzte Hinrichtung vollzog er 1981, pro Exekution bekam er 150 Mark (Ost).
Neulich kam raus, dass Kinder-Überraschungseier von Kindern in Rumänien hergestellt werden. Es läuft inzwischen alles so beschissen, da wundert es mich nicht, warum Fake News so erfolgreich sind. Was ist noch Satire, was ist Realität, was ist böswillige Falschmeldung? Diesen Irrsinn kann doch keiner mehr sortieren.
Nicht jeder Mensch hält dem Reichtum stand. Viele von uns würden von einer großen Summe Geld antriebslos gemacht, schwach, faul und dekadent. Dekadenz bedeutet Verfall. Davor beschützen uns die Reichen, in dem sie uns die Mittel knapp bemessen. Das erhält unsere Vitalität. Wir sollten der Oberschicht dankbar sein und die wachsende Ungleichheit, die zwangsläufig mit dem wachsenden Reichtum der Gesellschaft entsteht, freudig begrüßen.
„Andy Bonettis Prosa ist so reich an Ideen und brillanten Formulierungen, dass er eigentlich Vermögenssteuer für seine Texte zahlen müsste.“ (Daily Observer, Birmingham)
Während sie ihm endlos Vorhaltungen machte, starrte er fasziniert auf den Spinat zwischen ihren Schneidezähnen. Er konnte es kaum abwarten, bis die dunkelgrünen Blattreste wieder auftauchten.
So manche Debatte in linken Kreisen erinnert mich an die Auseinandersetzung der Fans von Rot-Weiß Essen und Schwarz-Weiß-Essen in den Siebzigern.
Das gibt wieder Ärger. Er ist männlich, weiß, nicht homosexuell, nicht behindert und er bekommt kein Hartz IV. Der Schneemann ist der rassistische Ausdruck dieser Unterdrücker- und Ausbeutergesellschaft. Ich hoffe, die feministische Antifa zerstört so viele Schneemänner wie möglich.
Das Kindergeld steigt 2017 um zwei Euro. Das sind bei zehn Kindern schon zwanzig Euro im Monat und insgesamt also 240 Euro pro Jahr!
“I’m straighter than the pole your mom dances on.” Chief Moving Pictures, der Produzent des neuen Bonetti-Films, bei einer Pressekonferenz in Hollywood. Im Film geht es um Bonettis Studienzeit und insbesondere um seine bemerkenswert amüsanten Erlebnisse als Steuermann des Cambridge-Achters.
Belfegore - All That I Wanted. https://www.youtube.com/watch?v=NKxMueL61z0

Donnerstag, 5. Januar 2017

Der Kiezneurotiker wird gezüchtigt

Wer bisher geglaubt hat, der Kiezneurotiker sei nur ein weiteres Alter Ego des Borderline-Rekordweltmeisters Kiezschreiber alias Bonetti alias Johnny Alias, dürfte nun endlich vom Gegenteil überzeugt sein. Denn heute hat dieses bisexuelle polnische Halbblut es gewagt, die Hand seines Meisters zu beißen.
Der Züchtigung erster Teil
Ironie ist sein Problem. Ironie mag er nicht. Was ihn jedoch nicht daran hindert, jeden Beitrag seines eigenen Blogs mit der immer gleichen Form der Ironie vollzubrunzen. Beispiel aus seinem Text über mein neues Buch gefällig?
„Blöde Wichser mit Dutt, die Iced Woccochino mit Zimtsirup und Amarettoschokoladeflocken bestellen. (…) Das gehört zu den Dingen, die ich vermisse, seit dieser Brecher von Eigenheimwelle, flankiert von den Chiasamenbagels, Rucolatellern mit Açai-Goji-Topping, Kichererbsen-Quinoa-Suppen und dem verschissenen Basilikum-Birne-Gorgonzola-Eis vom Irrenhauscafé Annamaria ums Millennium herum über meinen Kiez geschwappt ist und alle noch halbwegs geerdeten Menschen mitgenommen hat. (…) ich aus meinem bachblütenverseuchten Strickliselterrormütterdreieck zwischen Kollwitz-, Helmholtz und Teutoburger Platz.“
Das ist nicht witzig, das ist die immer gleiche Leier, seit es dieses völlig überschätzte Amateur-Schreiber-Blog gibt.
Aus seinem öden, penetrant gleichförmig formulierten Hass auf den eigenen Wohnort, den Prenzlauer Berg, hören wir die Sehnsucht nach Authentizität, nach dem einfachen Leben mit Schnitzel und Bier heraus: „Ich fühle mich sofort wohl“, schreibt er zu einem Besuch im „Deichgraf“ Im Wedding. „Den Mentalitätswechsel, wenn Sie aus Prenzlauer Berg anreisen, können Sie fühlen. Leute, die hereinkommen, sagen guten Tag. Und Tschüß, guten Rutsch. Zu mir am Tresen. Dem Typen, den sie nicht kennen und der sie nicht kennt. Ich sitze quasi in einem zu groß geratenen Wohnzimmer voller normaler Menschen (…).So ist der Wedding. Hier wohnen solche Menschen. Das gehört zu den Dingen, die ich vermisse.“
Auch das ist wiederum an Ironie nicht zu überbieten, denn er gehört als karrieregeiler Schlipsschnösel natürlich genau zu den Leuten, die wir „gescheiterten Existenzen“, die Glumms und Eberlings dieser Welt, an ihrem Tresen nicht sehen wollen. Es ist die Polarexpedition eines arroganten weinerlichen Konzernknechts in die Welt der normalen Menschen. Ob er es in stillen Stunden merkt, dass der angebliche Ex-Punk – ich vermute, er hatte ein Sex Pistols-Poster aus der Bravo in seinem Kinderzimmer hängen und verwechselt da was – an diesem Ort nur stört? Menschen wie der Kiezneurotiker, die auf der Suche nach authentischen Orten sind, zerstören diese Orte. Mit ihrer eiskalten Überheblichkeit, mit ihrem Spott, mit ihren höhnischen Kommentaren, die von Altherrenmenschenblasiertheit nur so triefen.
Niemand möchte einen Typen wie den Kiezneurotiker persönlich kennenlernen. Niemand will ihn in seiner Stammkneipe haben. Er ist der ewige Fremde, der fliegende Holländer, der von Kneipe zu Kneipe zieht, von Restaurant zu Restaurant, und nirgendwo ein Zuhause findet. Weil ihn keiner mag. Weil er sich selbst nicht mag. Und weil er darum seine narzisstische Kränkung in die Welt hinausbrüllen muss, mit seinen Beschimpfungen, seinen Hasstiraden, seiner Weinerlichkeit.
Der Züchtigung zweiter Teil
Ich bin also gescheitert? Als Schriftsteller? Wer sagt das? Wer hat die Kompetenz und den Überblick, um einen anderen Menschen als gescheitert zu diffamieren? Ein Mensch aus Schwabylon, der sein eigenes Leben als Borgdrohne verachtet, der seine Nachbarn und Kollegen verachtet, der jedes menschliche Wesen in seiner näheren und weiteren Umgebung mit seinem Hass überzieht. Für mich sind es Menschen wie der Kiezneurotiker aus der Armee des Teufels, die mittlerweile Anzüge von Hugo Boss trägt, die das Scheitern dieser Gesellschaft repräsentieren – und nicht die Lebens-Künstler wie Glumm oder ich. Ein geldgeiler Selbstoptimierer mit Laufzwang, der seine Seele an die Deutsche Bank oder Siemens verkauft hat. Danke für dein Urteil über mein Leben. Es sagt mehr über dich selbst aus, als du glaubst.
Zu den geäußerten Vermutungen über meinen Lebensstandard: Was glaubt diese Arschmade von Mieter eigentlich, wer ich bin? Ein Sozialhilfeempfänger? Wie ist es möglich, dass ich zugleich eine Villa am Rhein und eine Eigentumswohnung in einem luxussanierten Altbau in Wilmersdorf bewohne? Da ich auf materielle Dinge keinen gesonderten Wert lege, hier nur kurz die Fakten. Bis auf ein einziges Jahr in einer Studenten-WG habe ich in meinem Leben nie Miete gezahlt. Das nur als kleiner Hinweis an die Heulsuse, die bei jeder Mieterhöhung wieder sein Blog vollflennt und uns stolz von seiner armseligen Rache am Miethering erzählt. Du hast den Müll falsch getrennt. Donnerwetter! Dieser Tausendsassa. Che und Gandhi wären stolz auf diesen mutigen Akt des Widerstands gewesen.
Ich lebe in finanzieller Unabhängigkeit, weil ich in Forschung und Beratung gut verdient und das Geld solide angelegt habe. Es gibt kein Erbe, von dem ich lebe, da mein Vater glücklicherweise noch lebt. Ich habe die Freiheit, jeden Tag das zu tun, was ich möchte. Es gibt keinen Druck zum Broterwerb wie bei dem armseligen Bürolurch, der seinen Selbsthass mit einem Blog kompensieren muss. Ich darf das Leben führen, von dem der Kiezneurotiker nur träumen kann. Es klingelt kein Wecker, es gibt keine Termine. Wenn ich aufwache, beginnt mein Tag. Wenn ich Lust habe zu lesen, lese ich. Wenn ich Lust habe, dröhnend laut Musik zu hören, dann tue ich es. Ich schreibe, wenn mir danach ist. Kein Vorgesetzter oder Chefredakteur gibt mir ein Thema vor, ich wähle aus der bunten Pracht des Lebens aus, wonach mir ist. Ich muss mit Veröffentlichungen nichts mehr beweisen. Ein E-Book hochzuladen macht keine Arbeit. In diesem Monat erscheint übrigens schon das nächste – weil ich Lust dazu habe. Wenn ich auf Reisen gehen möchte, tue ich es einfach. Ich kann jeden Tag nach Frankfurt fahren und mich in ein Flugzeug nach New York oder Sydney setzen. Ich nehme einfach etwas Geld aus meiner Schatulle wie Pippi Langstrumpf.
Wenn Scheitern so aussieht, möchte ich nie etwas anderes machen.
Der Züchtigung dritter Teil
Das ist der lustigste Punkt am Text des „Kiezneurotikers“. Er selbst versteckt sich krampfhaft und ängstlich hinter einem Pseudonym, mir wirft er aber die Existenz von Alter Egos wie Andy Bonetti vor. Vielleicht hast du auch eines Tages den Mut, mit deinem eigenen Namen für deine Texte gerade zu stehen?
Wenn man unter seinem echten Namen schreibt, liegen die Dinge anders, als wenn man sich in der Finsternis der Anonymität versteckt. Bei mir lesen meine Familie, Freunde und Nachbarn mit. Da ist der von dir geforderte Seelenstriptease nicht ganz so einfach, vor allem hier auf dem Land, wo die Menschen sich kennen. Aber Diskretion ist natürlich ein Fremdwort für einen kleinen Kläffer wie dich. Das ist ja auch kein Kunststück, wenn man sich hinter einem Pseudonym versteckt.
Kommen wir zum Schluss: Es ist leider kein Management-Sandwich aus Lob, Tadel und wieder Lob geworden, weil ich so eine abgewichste Scheiße für ewige Nachwuchsführungskräfte nicht nötig habe. Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Du gibst mir Tipps, über welche Themen und in welchem Stil ich schreiben soll?! Bist du Power-Point-Penner aus dem Trump Tower irgendwo in Arschfotzenhausen jetzt größenwahnsinnig geworden? Hast du schon mal was veröffentlicht? Hast du überhaupt schon mal den Mut gehabt, dich mit deinem eigenen Namen vorzustellen? Irgend so eine geföhnte Susi, die tagsüber Versicherungen verhökert oder einen Hedgefonds managt, gibt einem Schriftseller jetzt gute Ratschläge? Du tickst doch nicht mehr richtig, Alter. Besprich das mit deinem Therapeuten. Obwohl ich bei einem unheilbaren Fall von Klugscheißertum wie dir wenig Hoffnung habe.

Die Katzenmenschen vom Prenzlauer Berg

„Sie gebären rittlings über dem Grabe, der Tag erglänzt einen Augenblick, und dann von neuem die Nacht.“ (Samuel Beckett: Warten auf Godot)
Wenn man Fisch in einer Pfanne brät, riecht es nach Fisch. In der Küche, im Esszimmer und wenn Sie nicht aufpassen, riecht es in der ganzen Wohnung nach Fisch. Wenn Sie Fisch dünsten oder kochen oder im Ofen zubereiten, ist es dasselbe. Genauer gesagt riecht es nicht nach Fisch, es stinkt. Es ist ein Gestank der sich überall in der ganzen Wohnung festsetzt, in den Kleidern, in den Haaren. Irgendwann stinkt man nach Fisch und selbst wenn man unter der Dusche steht, stinkt es nach Fisch und es hört nicht auf. Vor allem, wenn man den ganzen Tag nichts anderes gemacht hat, als in der eigenen Wohnung Fisch zu verarbeiten. Lachs, Kabeljau, Thunfisch, Forelle. Alle Arten von Fisch. Gerne auch Innereien wie Dorschleber.
Wie konnte ich soweit sinken? Ich stank so unglaublich übel nach Fisch, dass mich die Menschen in der U-Bahn böse ansahen. Manche standen auf und gingen weg von mir. Studenten hoben erschrocken den Blick von ihren Smartphones, weil mein Gestank sie aus der digitalen Trance geholt hatte. Aber ich brauchte das Geld. Ich hatte Schulden und jetzt musste ich von morgens bis abends für Alois Ranzinger Fisch zubereiten. Dazu Geflügel aller Art: Huhn, Pute, Truthahn, Gans, Ente. Ich füllte das ganze Zeug in kleine Portionsdosen und klebte Etiketten auf den Deckel: „Gourmet-Menü Ente“, „Gourmet-Menü Thunfisch“ usw. Es gab sogar Tofu-Menüs, was ich gar nicht so übel fand, denn das Zeug stank wenigstens nicht.
Jeden Morgen schleppte ich die Dosen kartonweise in den Laden von Alois Ranzinger, einem ehemaligen DJ mit Bierbauch und eisengrauem Pferdeschwanz. Dieser verlogene Vertreter des pseudo-ökologischen Bionade-Biedermeier aus Ingolstadt führte auf der Schönhauser Allee einen gutgehenden Laden mit dem Namen „Catcontent“. Hier konnten sich die Besserverdienenden unter den Hipstern, die homöopathisch oder esoterisch angehauchten Rechtsanwälte und Zahnarztgattinnen exklusive Menüs für ihre Katzen kaufen. Garantiert aus ökologischer Zucht, mit Gemüse aus der Region, nachhaltig, Bio und Fairtrade und überhaupt alles ganz wunderbar. Für 4,99 Euro pro Portion. Ranzinger verdiente, ich verdiente und bis auf den Gestank in meiner Wohnung und in meinem Leben war alles gut.
Bis ich auf die Idee kam, noch ein bisschen mehr Fisch und Geflügel in kleine Tupperdosen zu füllen. Warum nicht einen Lieferservice für Haustiere organisieren? Dachte ich. Es war doch ohnehin schon alles egal. Und so habe ich von 18 bis 23 Uhr auch noch die Abende mit Katzenfutter verbracht. „Catweazle“ nannte ich meinen Lieferdienst. Schließlich sahen mich die Leute auf der Straße auch genauso an wie meinen Namenspatron.
„Gott sei Dank, dass Sie endlich da sind“, sagte die Frau mit den kurzen roten Haaren und den viel zu engen Jeans. „Sissi ist schon ganz hungrig.“
Sissi war ein etwa dreißig Pfund schweres Monstrum mit hellbraun und weiß geschecktem Fell. Ihre Halterin war angeblich Künstlerin, aber vermutlich lebte sie von den Unterhaltszahlungen irgendeines Trottels oder einer Erbschaft, denn im Internet tauchte ihr Name nirgends auf und dieser luxussanierte Altbau in der Kopenhagener Straße sah ziemlich teuer aus.
„Sissi ist schon fünfzehn Jahre alt. Sie ist sehr wählerisch, müssen Sie wissen. Aber dieser schonend gegarte Delikatess-Thunfisch, den Sie im Angebot haben, hat sie überzeugt. Gell, Sissi?“
Sissi antwortete nicht, wie immer. Ich bekam mein Geld und fuhr weiter zur Katzenlady in der Kastanienallee. Eine pensionierte Lehrerin, „Oberstudienrätin“, wie sie immer betonte, die mit sieben Katzen in einer Zwei-Zimmer-Wohnung lebte. Meine beste Kundin.
Dann das schwule Pärchen in der Danziger Straße, das versuchte, seinen Kater vegan zu ernähren. Ich mischte dem armen Tier immer Thunfisch unter den Tofu- und Gemüsebrei, weil ich Mitleid hatte. Im Prenzlauer Berg haben die Menschen entweder jede Menge Kinder oder Katzen. Ein Leben als Single, als Einzelgänger, kurz ein Leben in Würde, wie ich es führte, war offenbar in diesem Teil Berlins nicht möglich. Okay, mehr oder weniger in Würde.
Schließlich gab es auch noch jede Menge reinkarnierte Buddhisten, die mir vom früheren Leben ihrer Siamkatzen erzählten. Genervte Büroangestellte, die mit dem Handy am Ohr die Tür öffneten, mich hektisch hereinwinkten und mit dem Zeigefinger auf einen Geldschein deuteten, der auf einer Kommode lag. Die Klugscheißer, denen ich Quittungen und ordentliche Rechnungen ausstellen musste, weil sie tatsächlich glaubten, mein Katzenfutter unter der Rubrik Bewirtungskosten von der Steuer absetzen zu können. Mir aber gleichzeitig misstrauische Fragen stellten, ob ich mein Gewerbe auch ordnungsgemäß besteuere.
Und dann gab es diese abgefuckten Typen, denen ich nie abgenommen habe, eine Katze zu besitzen. Die haben das Zeug entweder selbst gegessen oder einen altersschwachen Pflegefall im Hinterzimmer damit gefüttert. Was ja auch irgendwie ein Kompliment für meine Kochkünste war.
Es war die Hölle. Ich muss raus aus diesem Job, ich muss raus aus dem Prenzlauer Berg, dachte ich. Ich stinke nach Fisch. Ich habe seit zwei Jahren keine Frau mehr gevögelt. Sobald ich meine Schulden los bin, haue ich ab. Aber immer wenn ich dachte, in ein paar Monaten ist es soweit, erhöhte mir der Hausbesitzer, eine Immobilienfirma aus London, wieder die Miete oder die Lachspreise stiegen.
Das Ende kam, als ich begann, meine Kosten zu senken. Ich füllte einfach billiges Katzenfutter aus dem Supermarkt in die Tupperdosen. Irgendwann kam mir der alte Ranzinger auf die Schliche, weil sich die Kunden beschwert hatten. Sissi begann zu streiken und dann habe ich eines Morgens einfach diese gottverdammte Scheißstadt verlassen.
Beth Hart - Broken and Ugly. https://www.youtube.com/watch?v=OevFJPG_5xk

Dienstag, 3. Januar 2017

Route 65

Ich hatte die Route 65 noch nicht lange. Luigi Imbarazzante ist die Route ein paar Jahre gefahren und hatte überraschend gekündigt. Ich war bisher im Süden der Kreisstadt unterwegs gewesen, jetzt ging es nach Wichtelbach.
Eigentlich eine schöne Tour. Keine miesen Hochhäuser mit zerkratzten Klingelschildern, keine Industriegebiete, wo man endlos unterwegs war, bis man schließlich das verdammte Päckchen los war. Wichtelbach besteht aus einer Dorfstraße mit Kirche, einem Neubauviertel auf der dunklen Seite des Tals und einem Villenviertel auf der Sonnenseite des Tals.
Ich mochte die Tour von Anfang an. Auf der Fahrt von der Zentrale nach Wichtelbach und zurück konnte ich in Ruhe Radio hören, es gab auf der kleinen Landstraße keinen Stau und keine Ampeln. Es blieb immer genügend Zeit für eine ausführliche Mittagspause und die Zahl der Pakete hielt sich in Grenzen.
Die meisten Pakete musste ich ins Villenviertel liefern. Das Problem war, dass die Leute dort eigentlich nie zu Hause waren. Selten öffnete mal eine Hausfrau oder eine Putzfrau die Tür, um eine Lieferung entgegenzunehmen. Es dauerte also immer, bis man sein Päckchen losgeworden war und seine Unterschrift hatte.
Bei Earl Hickey war es anders. Er war niemals zu Hause und keiner hat jemals die Tür geöffnet. Er wohnte am Ende einer Straße und von seinem Haus konnte man das ganze Tal überblicken. Der letzte Punkt meiner Route. Aber Mister Hickey hatte einen riesigen Briefkasten, also steckte ich ihm die Pakete, die regelmäßig für ihn aufgegeben wurden, einfach in den Briefkasten und hoffte, dass alles gut ging.
Ich hörte nie irgendwelche Beschwerden von ihm, also hatte ihn seine Paketpost offenbar erreicht. Es war kurz nach Weihnachten, als ich wieder vor seinem Haus stand. Ich war überrascht, als er – noch bevor ich überhaupt geklingelt hatte – plötzlich aus der Haustür trat und auf mich zukam.
Er war ein baumlanger Kerl mit breiten Schultern, schwarzem Haar und einem dicken Schnurrbart. Zu den hellgrauen Jogginghosen trug er ein Unterhemd und Filzpantoffeln. Am Handgelenk hatte er eine dieser Armbanduhren für Sehbehinderte, groß wie eine Pizza und vermutlich sechs Pfund schwer. Hickey grinste mich an und ich sah, dass ihm ein oberer Schneidezahn fehlte.
„Schön, dass ich Sie mal treffe“, sagte er zu mir und nahm das Paket entgegen. „Freut mich, dass die Post so pünktlich kommt. Das ganze Jahr habe ich meine Pakete im Briefkasten gefunden, ohne dass es irgendwelche Probleme gab.“
„Sehr gerne, Mister Hickey“, sagte ich und lüpfte meine Firmenkappe.
Er zückte seine Brieftasche, die mit Hundertern und Fünfzigern prall gefüllt war. Er drückte mir einen Fünfzig-Euro-Schein in die Hand und sagte: „Früher hat man den Postboten zu Weihnachten Geld gegeben. Ihnen gebe ich es zum Jahreswechsel.“
„Danke, Mister Hickey.“ Ich konnte den Blick kaum von der dicken Brieftasche abwenden, dann sah ich zu seiner riesigen Villa hinüber. „Man muss sicher hart arbeiten, um sich so ein Haus leisten zu können.“
Er lachte und klopfte mir mit der linken Hand jovial auf die Schulter. „Mit Arbeit kommt man zu nichts. Ich mache Geschäfte. Ich überführe Wagen, die in Tschechien und Polen angemeldet werden, nach Deutschland.“ Dann deutete er mit der rechten Hand auf die anderen Villen an der Straße. „Hier leben nur Geschäftsleute. Ankauf, Verkauf. Verstehen Sie?“
Ich nickte, obwohl ich nichts verstanden hatte.
„Ich könnte noch einen Fahrer brauchen. Sie müssen nichts anderes machen, als mit dem Zug nach Tschechien zu fahren, dort einen Wagen zu übernehmen und zu mir zu bringen. Manchmal ist auch eine kleine Lieferung inklusive, aber die ist sicher verstaut. Ich betreibe in Tschechien noch ein Labor.“
Ich sah ihn fragend an.
„Überlegen Sie sich die Sache in Ruhe und werfen Sie mir Ihre Antwort in den Briefkasten.“ Dann ging er zurück ins Haus.
Tangerine Dream - Tiergarten (Berlin). https://www.youtube.com/watch?v=GX_5Lxfsp-M

Montag, 2. Januar 2017

Es geht uns gut

„Die Mentalität der Menge: das ist eine Summe von Ziel- und Ratlosigkeit, von Verzweiflung und kleiner Courage, von Opportunismus und Weichlichkeit, von verkappter Sentimentalität und überhobener Arroganz.“ (Hugo Ball)
Die Sache mit dem Wohnungsmangel macht mir wirklich Sorgen. Meiner Frau geht es genauso. Seit vier Wochen hat man einen Special Agent vom Geheimdienst bei uns einquartiert.
Eines Abends stand er einfach in unserem Wohnzimmer. Mit dem Koffer in der Hand. Nachdem der Schreikrampf meiner Frau vorbei war – zum Glück hatte der Special Agent eine Betäubungsspritze griffbereit -, fragte ich ihn, wie er in die Wohnung gekommen sei. Ich habe einen Schlüssel, sagte er ganz ruhig.
Dann hat er mir die Lage erklärt. Wegen der großen Bedrohung durch Terroristen, Russen und Nordkoreaner habe der Staat massiv die Polizei, das Militär und die Geheimdienste verstärkt. Die Special Agents des Geheimdienstes müssten natürlich unauffällig operieren, daher seien sie vorübergehend in Privathaushalten untergebracht, bis genügend Wohnungen vorhanden seien, um allen Mitarbeiter ein eigenes Quartier zu geben. Das alles diene selbstverständlich nur unserer Sicherheit. Ich bin froh, dass der Staat auf diese Bedrohung von außen eine Antwort hat.
Der Special Agent, sein Name ist übrigens Müller 17, ist ein sehr ruhiger und angenehmer Mitbewohner. Er stört überhaupt nicht und ist sehr leise. Er hat seine Luftmatratze und seinen Schlafsack mitgebracht, die er jeden Abend in den Flur vor der Wohnungstür legt und jeden Morgen wieder im Einbauschrank verstaut. Allerdings muss man aufpassen, wenn man nachts auf die Toilette oder an den Kühlschrank gehen möchte, denn das geringste Geräusch weckt ihn und augenblicklich spürt man den kühlen Lauf seiner Pistole an der Schläfe. Diese Leute sind wirklich großartig ausgebildet.
Müller 17 ist auch sehr diskret. Heute zum Beispiel sitze ich gerade auf der Toilette, als er nach Hause kommt. Ich habe ihn gar nicht kommen hören. Plötzlich steht er im Badezimmer, aber er sieht mich gar nicht an. Er geht zum Waschbecken, wäscht sich etwas Blut von den Händen, trocknet sie sorgfältig ab und geht, ohne ein Wort zu sagen. Ich weiß nicht, ob jede Familie so viel Glück mit ihrem Special Agent hat.
Als ich ins Wohnzimmer komme, sitzt er auf dem Sofa neben meiner Frau. Wir haben gerade zu Abend gegessen. Sie hatten Steak, sagt er mit einem Lächeln. Ja, antworte ich, woher wissen Sie das? Er schweigt, lächelt aber weiter. Es war nicht perfekt, sagt er, es hat eher mittelmäßig geschmeckt. Ja, sage ich verblüfft, genau das habe ich vorhin zu meiner Frau gesagt. Es war mittelmäßig. Die Bohnen und die Kartoffeln waren ebenfalls mittelmäßig. Er schaut mich gar nicht an, während er das sagt. Ich nicke nur.
Dann erklärt er uns die Sache mit dem Essen. Die Bevölkerung ist in drei Gruppen eingeteilt: Die Exzellenten, die Mittelmäßigen und die Minderleister. Allen drei Gruppen bekommen ihr eigenes Essen, ihre eigene Kleidung, ihr eigenes Fernsehprogramm, ihre eigene Zeitung usw. Wir gehören zu den Mittelmäßigen, daher ist auch unser Essen mittelmäßig, der Pullover kratzt, aber nur ein bisschen, der Sommerurlaub an der Ostsee war eher durchwachsen und jetzt, wo ich darüber nachdenke, fallen mir viele weitere Beispiele ein.
Warum denn nicht alle Bürger exzellentes Essen haben können, frage ich. Dem Staat müsse das doch möglich sein. Es ist eine Kostenfrage, antwortet der Special Agent, und deutet auf mein Bier, das auf dem Wohnzimmertisch steht. Wir haben nicht unbegrenzt hervorragenden Hopfen und ausgezeichnete Braugerste, alle Zutaten für die Nahrungsmittel und Getränke seien daher auch in drei Klassen eingeteilt. Das klingt vernünftig.
Gestern hat mein Sohn, er ist jetzt vierzehn und in dieser lästigen Trotzphase, die man als Teenager durchläuft, Müller 17 angegriffen. Er hat ihn von hinten angesprungen und seinen Schädel mit einem Messer und einem Hammer traktiert. Der Special Agent hat ihn einfach abgeschüttelt wie ein lästiges Insekt und ihm seinen Stiefel auf den Nacken gestellt, um ihn zu beruhigen. Dann hat er ihm erklärt, seine Haut sei aus einem neuartigen Material, das praktisch unzerstörbar sei. Er könne ihn mit einem Messer oder einer anderen Waffe nicht verletzen. Mit solchen Geheimagenten müssen wir keine Angst mehr haben.
Meine Frau und ich sind uns einig: Es ist wunderbar, dass sich der Staat auf diese Weise um unsere Sicherheit sorgt und weder Kosten noch Mühen scheut, uns das Leben so angenehm wie möglich zu machen.
The Untouchables - What's Gone Wrong. https://www.youtube.com/watch?v=xIYMvVQ0kwE&spfreload=5
P.S.: Das war mein Jahresausblick 2016 vor einem Jahr ... Gruselig und immer noch aktuell. http://kiezschreiber.blogspot.de/2016/01/munchen.html