Sonntag, 15. September 2024

Spaghetti

 

Es war ein kühler Herbstabend und ich war an meiner alten Wirkungsstätte in Kreuzberg unterwegs. Ich ging an meinem Haus in der Görlitzer Straße vorbei, fand meine alte Stammkneipe, das „Kloster“ wieder, das mit neuem Pächter und anderem Namen an der Skalitzer Straße liegt, und hing meinen Erinnerungen an die neunziger Jahre nach.

Da sah ich einen Mann, der im Lichtkegel einer Laterne stand und etwas an die Wand schrieb. Er war etwa in meinem Alter, trug einen grauen Anorak und braune Hosen. Nach einer Weile ging er weiter, ich trat aus dem Schatten und sah mir das Graffito an. Er hatte in tomatenroten Buchstaben „Spaghetti Bolognese“ geschrieben.

Ich beschloss, ihm zu folgen. Er schrieb an diesem Abend noch sechs weitere Male die beiden Worte an Wände und Bushaltestellen. Dann verschwand er in einem Haus in der Wiener Straße. War es ein Kunstprojekt? Der Werbeauftrag eines italienischen Restaurants? Oder war er verrückt? Von Spaghetti besessen? Warum nicht auch mal Spaghetti Carbonara oder Pizza Hawaii?

Am nächsten Abend wartete ich nach Einbruch der Dunkelheit auf der anderen Straßenseite seines Hauses. Gegen neun Uhr trat er auf den Bürgersteig und begann seine Tour. Sieben Mal „Spaghetti Bolognese“ in roter Farbe. Ich hätte ihn gerne angesprochen, aber mir fehlte der Mut. Vielleicht war er gewalttätig oder er hielt mich für einen Polizisten in Zivil.

Auch am dritten Abend verließ er um neun Uhr das Haus. Aber diesmal besuchte er ein italienisches Restaurant namens „Rocco und seine Brüder“, benannt nach einem alten Visconti-Film, am Lausitzer Platz. Ich sah durch das Fenster, wie er sich an einen Tisch setzte. Ich wartete ein paar Minuten, dann betrat ich ebenfalls das Restaurant.

Ich setzte mich an den Nachbartisch und wartete auf den Kellner. Als er mir die Karte geben wollte, sagte ich laut und deutlich: „Ich hätte gerne Spaghetti Bolognese und ein Glas von Ihrem roten Hauswein.“ Der Kellner nickte und ging.

Der Mann sah verwundert zu mir herüber und sagte: „Das habe ich auch gerade bestellt.“

„Wirklich?“ antwortete ich ihm. „Ist das Ihr Lieblingsessen?“

„Ja. Einmal die Woche komme ich hierher.“

„Ich habe in den letzten Tagen so oft ‚Spaghetti Bolognese‘ an den Hauswänden im Kiez gelesen, dass ich mir dachte, jetzt musst du es mal wieder essen. Als Kind habe ich es geliebt.“

Er lächelte mich an. „Wollen Sie sich nicht zu mir an den Tisch setzen?“

„Gerne.“ Ich stand auf und ging zu ihm hinüber.

„Wussten Sie, dass dieses Gericht überall auf der Welt Spaghetti Bolognese genannt wird, nur nicht in Bologna? Dort kennt man es als Penne al Ragù.“ Jetzt war er in seinem Element.

„Spaghetti sind ja auch aus Süditalien, nicht aus der Emilia-Romagna.“

Er strahlte glücklich. Es wurde noch ein schöner Abend. Wir treffen uns einmal pro Woche und ich zeige ihm Bilder von meinen Spaghetti-Graffiti in Wilmersdorf.

Freitag, 13. September 2024

Die gute alte Zeit

 


Früher gab es Begriffe wie Umwelt und Klima nicht.

Früher hat es im Winter geschneit und im Sommer brauchte man keine Sonnencreme.

Früher hat ein Tasse Kaffee fünfzig Pfennig gekostet und man bekam noch eine Mark raus.

Früher gab es Willy Brandt und keinen Lars Klingbeil.

Früher gab es keine Arbeitslosen.

Früher gab es weder RTL noch Talkshows.

Früher wurde in Fernsehserien und im „Frühschoppen“ geraucht und getrunken.

Früher war der Fußball besser und alle Bundesligaspiele am Samstag um 15:30 Uhr.

Früher gab es im Fußball echte Pokalwettbewerbe und keine Champions League bzw. Europa League.

Früher wusste man genau, ob es einen Elfmeter geben würde oder nicht.

Früher war die Musik besser.

Früher hat man Kartoffeln gegessen und keine Pommes.

Früher wurde richtig gekocht, TK-Pizza und Mikrowelle gab es nicht.

Früher hat nach acht Uhr abends niemand mehr angerufen.

Früher musste man nicht sofort auf WhatsApp-Nachrichten reagieren.

Früher ist man mit dem Auto in den Urlaub gefahren und hat Ansichtskarten geschrieben.

 

 

Donnerstag, 12. September 2024

Ist Bonetti der letzte Yedi?

 

Blogstuff 965

Du kommst nach Berlin, willst Künstler werden und kackst ab. Manche werden tatsächlich Künstler und kacken eben später ab. So läuft das hier, Freunde der Sonne und der Berge.

Es gibt Lieferjungen (Sushi, Pizza usw.), die älter sind als ich. Ich würde gerne mit ihnen über ihre Jugendträume reden.

An einer Ladesäule auf einer Autobahnraststätte irgendwo an der A 5 steht ein trauriger Luke Skywalker und wartet, bis sich sein Laserschwert wieder aufgeladen hat. Die Sith-Lords von der AfD sind harte Gegner. Ihre Kampfschiffe zerstören Hoffnungen, Solidarität und Träume. Werden sie die letzte Ordnung errichten? Oder setzt sich die alte Parole „Keine Böcke auf Höcke“ doch noch durch?

Imperator Palpatine erzählt derweil im amerikanischen Fernsehen, dass Einwanderer aus Haiti in Springfield (Ohio), Heimat der Simpsons, sämtliche Hunde und Katzen aufgefressen hätten. Bis dahin ist es für deutsche Radikalinskis noch ein weiter Weg.

Es gibt nichts Schlimmeres als den Sommer in Berlin. Außer dem Winter in Berlin. Über den Rest müssen wir gar nicht reden.

Sie sind alle geschieden, sie zahlen alle Unterhalt. Sie sind unglücklich und pleite. Sie nennen sich: „Die X-Man“.

Erst überbieten sich die Altparteien im Flüchtlingsbashing, jetzt auch noch der Bürgergeld-Spruch, es gäbe kein Recht auf Faulheit. Wenn man böswillig wäre, könnte man glauben, hier werden Brandmauern geschleift und jede Menge Koalitionen mit der AfD vorbereitet. Wer geht als erstes über die Ziellinie? Merz, Söder oder Klingbeil?

In diesem Jahr kam der Herbst überfallartig. Bis Sonntag über dreißig Grad im Schatten, dann nur noch fünfzehn. Letzte Woche lebte ich, als hätte es mich nach Marokko verschlagen. Morgens um acht Uhr einkaufen, den Rest des Tages vor dem Ventilator verbringen und endlos Siesta machen. Plötzlich bin ich in einer Übergangs- oder Untergangsjacke unterwegs.

Dazu kommt, dass seit meinem Umzug nach Berlin am 1. August der Fahrstuhl nicht mehr funktioniert. Dritter Stock Altbau. Das bedeutet: achtzig Stufen. Runter kein Problem. Aber beim Aufstieg muss ich bei Stufe vierzig biwakieren. Man trifft jetzt viele Nachbarn. Endlich hat die Hausgemeinschaft ein Thema, das alle verbindet. Wie lange wird es noch dauern? Optimisten glauben, dass es am Monatsende vorbei sein wird. Andere rechnen mit Weihnachten. Den Vogel schießt ein Handwerker aus Friedrichshain ab, der seit Dezember ohne Fahrstuhl leben muss – im siebten Stock.

Ninja: no income, no job, no asset.

Dienstag, 10. September 2024

Mit dir steht die Zeit still

 

Die Nacht verliert ihre Macht, die Sterne erlöschen. Bonetti, der Lyrik zu massiven Halsketten mit seinem Namenszug schmieden kann, erhebt sein gesalbtes Haupt. Während die ganze Republik die Hoffnung längst aufgegeben hat und sich beim Frühstück zwischen Illusion und Verzweiflung entscheiden muss, macht der Meister seine ersten Atemübungen, um sich der Geister seiner Zeit zu entledigen. 32 Grad im Schatten gemeldet? Jetzt an warme Schuhe für den Winter denken. Kalte Füße sind der Anfang. Dann kommt eine Erkältung und das Unglück nimmt seinen Lauf. Am Ende liegt sein asketischer Leib auf dem Totenbett, die Kerzen brennen und „November Rain“ von Guns N’ Roses läuft vom Band. Auf seinem Grabstein steht „Er hatte immer kalte Füße“.

Anderes Thema: Er hat mal an einem Samstagabend mit drei Pfeilen das Double Bull in der Dorfkneipe getroffen, als es notwendig war (150 Punkte). „Shanghai“ mit 18, 19, 20 und Bullseye. Er lebt in den Liedern und Dorflegenden weiter, wenn er schon längst gestorben sein wird.

Noch ein anderes Thema: In der Schule hätte ich es „Mein schönstes Weihnachtserlebnis“ genannt. Heute wäre der Titel: „Mit dir steht die Zeit still“. Es war Anfang der neunziger Jahre. Ich war mit einer Frau aus dem Bergischen Land zusammen. Damals gab es noch weiße Weihnachten und das Bergische Land war noch extrem bergig. Ich blieb folgerichtig mit meinem VW Golf an Heiligabend auf einer steilen Seitenstraße in dichtem Schneetreiben stecken. Handy und Navi waren noch nicht erfunden oder nicht bezahlbar. Also hielt ich an, stieg aus und klingelte am nächsten Haus. Ein Mann öffnete und ich fragte ihn, ob ich telefonieren dürfte. Er führte mich ins Wohnzimmer, wo seine Frau, seine halbwüchsige Tochter und eine Oma auf dem Sofa saßen. Weihnachtsbaum, Geschenke und ein Teller mit Plätzchen auf dem Tisch. Es gibt keinen falscheren Zeitpunkt, um als Fremder um Hilfe zu bitten. Das Telefon, ich weiß nicht mehr, ob mit Wählscheibe oder Tastatur, stand natürlich im Wohnzimmer. Ich rief meine Freundin an und schlug vor, draußen zu warten. Wegen des Schneetreibens wurde ich gebeten, zu bleiben. So saß ich mit ihnen im Wohnzimmer. Wir schwiegen verlegen. Der Smalltalk war noch nicht erfunden. Die Einnahme von Plätzchen verweigerte ich tapfer, weil ich der Mutter von D., die sicher auch Plätzchen gebacken hatte und die ich noch nie gesehen hatte, nicht gestehen wollte, dass ich bereits bei fremden Frauen Süßes gegessen hätte. Dann klingelte es endlich. Sie stand vor der Tür. Lange blonde Haare, vom Schnee bestäubt, große blaue Augen, die hohen Wangenknochen rot von der Kälte. Die Umarmung war der schönste Weihnachtsmoment. An den Rest, die Feier, die Geschenke und das Essen, kann ich mich bis heute nicht erinnern.   

Montag, 9. September 2024

Der Heiratsantrag

 

„Ich war durstig nach Leben, der Durst ist geblieben.“

Ich wollte eigentlich nie heiraten, aber neulich habe ich Lisa einen Heiratsantrag gemacht. Weil sie wissen soll, mit wem sie den Bund fürs Leben schließt, habe ich ihr von meiner Vergangenheit erzählt. Militante Antifa (wir haben nie diskutiert, wir waren wie die IRA in der irischen Unabhängigkeitsbewegung), Startbahn West. Für die Polizistenmorde, die dort geschehen sind, wurde ein Freund von mir von Interpol, BKA und XY ungelöst gesucht. Jahre später, der wahre Mörder saß längst im Knast, ist er wieder aufgetaucht. Er hat nie erzählt, wo er war. Er sagte nur, er könne jetzt sehr gut spanisch. Es waren die 80er. War er bei den Sandinistas in Nicaragua? Noch heute benutzt er keine Klarnamen und wir lassen die Handys im Auto, wenn wir spazieren gehen. Damals wurde ich das erste Mal observiert. Beim zweiten Mal ging es um einen Diamantenraub, 1,5 Millionen. Zwei Freunde wurden verdächtigt, ich habe ihnen für diese Nacht ein Alibi gegeben. Ich habe nicht gelogen, aber natürlich wurden wir alle stundenlang vom LKA in Mainz verhört und observiert, was in einer Kleinstadt sehr lustig ist. Zwei schweigende Kurzhaarige am Nachbartisch deiner Stammkneipe und du spendierst lauthals eine Runde Obstler auf die RAF. Ich habe Lisa auch von meiner Zeit als Drogenhändler erzählt. Für 3000 Mark hast du ein Kilo Dope in Maastricht gekauft und Piece für Piece verkauft. Für 10.000 Mark. Von diesem Geld habe ich die Vier-Zimmer-Altbauwohnung in Ku’damm-Nähe gekauft. Bis Maaßen beim Verfassungsschutz gefeuert wurde, hat man mich wegen meiner Vergangenheit und meiner linksradikalen Blogposts noch regelmäßig abgehört. Im Laufe der Jahrzehnte hört man es, wenn jemand anderes in der Leitung ist, obwohl ich das Telefon nur selten benutzt und nie mitgenommen habe, wenn ich das Haus verließ. Meine Waffen und die Munition habe ich der Polizei übergeben und behauptet, sie wären von meinem toten Vater. Ich habe niemanden getötet und niemals harte Drogen verkauft. Nur selbst genommen. Heute bin ich ein harmloser Mann mit einer dunklen Vergangenheit (Irrenhaus, Selbstmordversuch und Gefängnis habe ich bei meinem kurzen Geständnis weggelassen). Lisa hat geweint und mir gesagt, sie wolle sich die Sache mit der Hochzeit noch mal überlegen.   

Thunderstruck by Steve'n'Seagulls (LIVE) (youtube.com)

 

Sonntag, 8. September 2024

Saturday Night Live

 

Was habe ich Samstagabend gemacht? Fußballländerspiel gesehen? Nein. Ich habe Musik gehört. Schönes und Trauriges wie Tracy Chapmans „Baby Can I Hold You” und Adriano Celentano. Ich habe auch nichts bei Lieferando bestellt, sondern eine Riesentafel Milka gegessen, weil ich mich an diesem Abend nicht mit Wein betrunken habe, sondern mit polnischem Wodka von Aldi. Und dann, Bonitschka, werdet ihr jetzt fragen. Was hast du dann getrunken, Andrej Andrejewitsch? Ouzo. Ich habe auf die Demokratie und die Philosophie getrunken. Die alten Griechen wussten, wie man lebt. Endlich habe ich mal wieder eine Nacht durchgeschlafen und bin erst um halbzehn Uhr morgens aufgewacht – bei voller Beleuchtung. Und ich habe ich mich den ganzen Abend mit meiner imaginären Freundin Lisa unterhalten. Sie hat kurze schwarze Haare, grüne Katzenaugen, ist nur einssechzig groß und schlank. Weil sie mich an Holly Golightly in „Frühstück bei Tiffany“ erinnert, nenne ich sie Holly. Sie ist klug wie eine Eule und es macht ihr nichts aus, dass ich ein erfolgloser Schriftsteller namens Paul bin. Sie arbeitet als Kellnerin, ist aber eigentlich Schauspielerin. Eines morgens stand sie im Bademantel vor meiner Tür und klingelte. Ihre Dusche sei kaputt, ob sie bei mir duschen könne. In New York nichts Ungewöhnliches. Sie blieb zum Frühstück. Ich wage es bis heute nicht, nach der Dusche in ihrer Wohnung zu fragen. Sie mag Croissants und Orangensaft. Mehr muss ich nicht wissen. 

Samstag, 7. September 2024

Meine zwei Cent zu den Paralympics

 

Warum gilt Adipositas nicht als Behinderung? Ich fühle mich diskriminiert. Ich würde gerne in der Klasse BMI Ü40 die zwanzig Meter laufen. Oder den Adipositas-Triathlon mitmachen: fünf Minuten Duschen, 100 m Laufen, 500 m auf dem E-Roller (abschüssige Strecke).

Freitag, 6. September 2024

Mein Job ist nicht einfach


A.B.: „6. September: James Brown eröffnet die Internationale Funk-Ausstellung. Funk. Verstehen Sie?“

Pastewka (humorlos): „Ja. Und?“

A.B.: „Ich überlasse Ihnen die Pointe für fünfzig Euro.“

Pastewka: „Kein Interesse.“

A.B.: „Na gut, zwanzig Euro.“

Pastewka: „Würden Sie meine Frau und mich jetzt endlich in Ruhe essen lassen. Warum glaubt eigentlich jeder, er könnte mich im Restaurant anquatschen?“

A.B.: „Geben Sie mir wenigstens einen Obstler aus?“

Jetzt hat er eine einstweilige Verfügung und darf sich dem Schauspieler nicht auf weniger als hundert Meter nähern.

 

Donnerstag, 5. September 2024

Kleine Länder, große Sorgen

 

MC Kretschmer hat Kenia und Sachsen in die Scheiße geritten. Seine amtierende Koalitionsregierung kommt im Parlament nur noch auf 58 von 120 Sitzen. Entweder er geht einen diabolischen Bund mit einem populistischen Gemischtwarenladen mit einem breiten Ostalgie-Angebot ein oder er lässt sich tolerieren. So oder so sitzen Leute an seinem Tisch, denen er am liebsten aus dem Weg gehen würde. Aber wären denn Sozis und Gründe wirklich besser? So wie Kretschmer im Wahlkampf geredet hat, unterscheidet er sich höchstens in Nuancen von der AfD.

Noch schlimmer sieht es in Thüringen aus. Die westdeutschen Altparteien CDU und SPD kommen nur auf 29 von 88 Sitzen, Grüne und FDP wurden komplett eliminiert. Die Populisten kommen auf 47 Sitze. Wagenknecht kann sich die Koalition aussuchen und hat derzeit eine größere Schnittmenge mit der AfD als mit den einstmals mächtigen Westparteien. Sie wird in einer Koalition einen möglichen CDU-Ministerpräsidenten vor sich hertreiben können und damit auch die Bundespartei, die im nächsten Jahr viel Angriffsfläche bieten wird, wenn es ums Kanzleramt geht. Werden sich die CDU-Landesverbände an ein Machtwort aus dem Konrad-Adenauer-Haus halten? Schließlich haben sie schon einmal mit der Wahl eines FDP(!)-Ministerpräsidenten den Aufstand geprobt.  

Was hat Frau Wagenknecht eigentlich programmatisch im Gepäck? Ich halte mich an die Kurzfassung:

1.    Kritik an der Umverteilung von unten nach oben und der wachsenden sozialen Ungleichheit

2.    Kritik am autoritären Politikstil, der zu einem Vertrauensverlust in der Bevölkerung führt

3.    Wirtschaftlicher Abstieg

4.    Abrüstung, Antiamerikanismus

5.    Begrenzung der Einwanderung

Drei der fünf Punkte sind mit Unionsregierungen nicht zu machen. Mit der AfD ginge alles. Beide Parteien gehören zur fünften Kolonne Moskaus in der EU. Von Sahra W. habe ich noch nichts von Brandmauern gehört. Wie gelenkig sie auf dem politischen Parkett ist, hat sie bei SED/PDS/Linken bewiesen. Wie man geschmeidig die Fronten wechselt, hat sie von ihrem Mann Oskar Lafontaine gelernt. Wir werden uns über die Kapriolen der nächsten Wochen noch wundern.

(von meinem Nokia 1011 gesendet)

Mittwoch, 4. September 2024

Viva Maduro


Wahlfälschung, Wirtschaftskrise, Massenauswanderung? Socialismo o Muerte. Navidad o Muerte. Maduro hat eine geniale Idee. Weihnachten in Venezuela wird auf den 1. Oktober vorgezogen. Glühwein am Strand, Lebkuchen unter Palmen. 2020 und 2021 gab es dieses Weihnachtswunder schon einmal. Der Mann ist gut. Wäre er nicht 2025 eine gute Alternative zu Merz oder Söder? Ich habe übrigens morgen Geburtstag. Ich erwarte eine Torte mit 29 Kerzen, einen Ring Fleischwurst und eine Unze Kokain.

Dienstag, 3. September 2024

Das darf doch alles nicht wahr sein

 

Blogstuff 964

„I wanna bei an anarchist, get pissed, destroy.“ (Sex Pistols: Anarchy in the UK)

Dönerladen, elf Uhr. Ich bin der erste Kunde. Dönermann: „Hast du heute Nacht von Döner geträumt, weil du so früh kommst?“ Antwort: „Ich träume jede Nacht von Döner.“ Endlich wieder in Berlin.

Ich sehe das Qualifying in Monza und denke mit Wehmut an das vergangene Jahr, als ich selbst noch eine Einsneunzehnfünf in den Asphalt gemeißelt habe. 

Mein Lieferservice Underground Delights liefert jetzt auch polizeilich gesuchten Nudelsalat und extremistische Terror-Falafel. Bitte nur im Darknet bestellen und das täglich wechselnde Safeword beachten.

Ich treffe Axel Prahl vom Münster-Tatort auf der Straße. „Kann ich offen mit Ihnen über Ihre schauspielerische Leistung sprechen oder sind sie sensibel?“ Zwei Minuten später verspricht er mir, er würde sich beim nächsten Job-Center um einen neuen Beruf bemühen.

Bei der Bestellung im Internet lerne ich ein neues Wort: Hack-Salsa. Interkultureller Austausch at its best.

Die Thailänderin im vietnamesischen Sushi-Restaurant erzählt den Deutschen an ihrem Tisch, ihr Bruder hätte einen Wasserbüffel. Das ist Großstadt.

Ich habe in den letzten Monaten zwanzig Kilo abgenommen. Ich bin nur noch ein Balken in der Landschaft.

In den letzten dreißig Tagen haben 17 Leser den Text „Das Sandbuch“ von 2015 gelesen. Merkwürdig, dass es Leute gibt, die noch in den alten Blogposts rumstöbern.

Die Wahlergebnisse von Thüringen und Sachsen sind entsetzlich. Auf diesem Niveau waren die Nazis am Ende der Weimarer Republik auch. Sachsen wird wohl nicht mehr mit einer Kenia-Koalition weitermachen können, Sahra ante portas. Thüringen bleibt unregierbar, Ramelow hat fast 18 Prozent verloren. Welchem Ministerpräsidenten ist das jemals bei einer Wahl gelungen?

Ich verachte zutiefst Menschen, die Sand von einem Strandurlaub mitbringen. Aber meine Cola-Flasche mit schneeweißem Sand aus einer amerikanischen Wüste („White Sands National Monument“) ist einfach ein cooles Statement (White Coke, vastehste?). Hier wurde am 16. Juli 1945 die erste Atombombe gezündet.

A: Ich grille inzwischen auch Gemüse.

B: Seit wann?

A: Seit einem halben Jahr.

B: So lange ist deine Vasektomie schon her?

Montag, 2. September 2024

Bonetti findet die Bernsteintoilette

 

Blogstuff 963

Warum bekommt man zu Sushi immer diese Kinder-Drumsticks geliefert? Sushi ist Fingerfood! Komm damit klar, Yu-Gi-Oh.

Ich habe einen Bachelor in Reiki von der Volkshochschule in Bochum und einen Master in Gurkensandwichmachen von Tik-Tok.

In meinem alten Biologiebuch steht noch, dass man die Geschlechter an ihren Pizza-Präferenzen unterscheiden kann. Nur Frauen essen Ananas auf der Pizza, Männer nicht. Heute frage ich mich: Wie ist die Situation bei den Transmenschen?

Wenn man früher aus Westdeutschland nach Berlin kam, war der Bahnhof Zoo die Endhaltestelle. Düster, stinkend und furchteinflößend. Voller Nutten, Penner und Kleinkrimineller. Ein Höllenort. West-Berlin war eine sterbende Stadt. Der erste Eindruck ist immer prägend. Christiane F. Heroin. RAF. Kreuzberg. Langhaarige Bombenleger. Systemfeinde, soweit das Auge reicht. Heute kommt man am Hauptbahnhof an. Eine klinisch saubere Shopping-Mall mit Gleisanschluss. Kein Gesindel, nur Touristen. Keine Gerüche, keine Gefühle. Ein Verkehrsknotenpunkt, ohne Geschichte, so bedeutungslos wie ein Korkenzieher.

Hätten Sie’s gewusst? Wladimir Putin war früher Agent beim KaDeWe.

Gestern Abend Lieferservice. Ich habe unter Anmerkungen geschrieben: „Klingel ist rechts vom Namen – sonst wird die Nachbarin wütend.“ Ich war live dabei, als sie einen indischen Hünen mit Turban zusammengefaltet hat (sie ist Pädagogin). Gestern kam sie mit dem Lieferjungen die Treppe hinauf. Gutgelaunt, sie hatte gerade ihren 63. Geburtstag mit ein paar Freundinnen gefeiert. Wir unterhielten uns lange, schließlich umarmten wir uns zum ersten Mal seit zwanzig Jahren. Währenddessen hielt ich die Rechnung mit der erwähnten Anmerkung in meiner Hand.

Paris, Ende der siebziger Jahre. Bonetti, verletzlich, einsam und deprimiert, stirbt im Alter von 53 Jahren. Nie wieder hat man den faszinierenden Klang dieses stimmgewaltigen Kolosses auf den Opernbühnen dieser Welt gehört. Die Verfilmung seiner letzten Tage mit Reiner Calmund in der Hauptrolle wurde gerade bei den Filmfestspielen von Detmold mit dem goldenen Backstein ausgezeichnet.

Warum bin ich jeden Mittwoch im Casino in Monte Carlo? Weil es dann Gratisbockwurst gibt. GRATISBOCKWURST!

Alt sein heißt Überlebender sein.

Anfang der sechziger Jahre hatte der Berliner Senat die Idee, auf der Pfaueninsel ein Atomkraftwerk zu errichten. Berlin sollte energieautark werden, die Berlin-Blockade lag noch nicht weit zurück – schreibt Tanja Dückers in ihren Erinnerungen über das alte West-Berlin. Sie lebte damals bei mir um die Ecke, in der Schaperstraße, gegenüber der ehemaligen Freien Volksbühne, an der Erwin Piscator nach dem Zweiten Weltkrieg gearbeitet hatte.

Sonntag, 1. September 2024

Fundstücke

 


Ein großes Haus birgt viele Geheimnisse. Es gibt zum Beispiel einen Tresor, aber nur mein Vater wusste, wo der Schlüssel versteckt war. Im Alter war er vergesslich geworden und versuchte, mir Hinweise zu geben. Richtige und falsche Spuren, jedenfalls kam oft ein Aktenkoffer in seinen Erzählungen vor. Eines Tages fand ich ihn – aber keinen Schlüssel. Wochen später öffnete ich ihn noch einmal und bemerkte ein kleines Ledertäschchen, das im Deckel eingenäht war. Der Schlüssel! Es war mein großer Indiana-Jones-Moment. Endlich hatte ich den Schatz gefunden. Gold, Juwelen, ein Hinweis auf das verschollene Bernsteinzimmer. Mit klopfendem Herzen und zitternden Händen öffnete ich den Tresor. Natürlich war er leer.

***

Viele Hausbesitzer sind bewaffnet. Pfefferspray, Baseballschläger, Pistolen. Mein Vater hat den Vogel abgeschlossen. Im Schlafzimmerschrank fand ich eine Maschinenpistole der Marke Heckler & Koch. Zum ersten Mal im Leben rief ich die Polizei an. Kurze Zeit später hielt ein Streifenwagen vor dem Haus. Ich zeigte den beiden Beamten die Waffe. Eine hübsche kleine Polizistin mit türkisfarbenen Augen und einem hinreißenden Lächeln holte sie hervor, zog das volle Magazin heraus und prüfte, ob noch eine Kugel im Lauf ist. Als ich mich von ihr und ihrem hünenhaften Kollegen verabschiedete, machten wir Witze darüber, dass eine nicht registrierte Waffe und nicht registrierte Munition perfekt für einen Mord wären und was eine automatische Waffe im Darknet bringen würde. Das Bürgertum kauft derlei Gerät übrigens nicht bei Kriminellen, sondern bei diskreten Waffenhändlern in der Schweiz, auf deren Schießständen sie in die Handhabung ihrer Neuerwerbung eingewiesen werden und sie zum ersten und letzten Mal abfeuern, bevor die Erben sie schließlich finden. Merke: Feine Pinkel werden nur bei der Einreise in die Schweiz kontrolliert (#Geldköfferli), nicht aber bei der Ausreise.