Dienstag, 31. Dezember 2013
2014
Ich lache über meine zehnjährige Pilgerschaft.
Verschossenes Gewand, zerschlissener Hut, Klopfen an die Tore des Zen.
In Wahrheit ist das Gesetz Buddhas so einfach:
Iß deinen Reis, trink deinen Tee, trage deine Kleider!
(Aus: Eiji Yoshikawa: Musashi, München: Droemer Knaur 1984, S. 1090. Übrigens ein sehr empfehlenswerter Abenteuerroman für lange Winterabende)
Der Traum als verschlüsselte Botschaft
Es war auf einer Konferenz in einem Landhotel. Zum Thema der Veranstaltung, die Altersvorsorge selbständiger Landwirte in Kleinbetrieben, hatte ich vor einigen Jahren Nachforschungen im Fichtelgebirge angestellt. Während die anderen Konferenzteilnehmer in kleinen Gruppen im Saal verteilt waren, stand ich allein am Fenster und blätterte in meinem Notizbuch. Manche Seiten enthielten kurze Sätze, andere Zeichnungen, wieder andere waren völlig leer. Ich erinnerte mich an einen Bauern, an dessen Tür ich damals geklopft hatte. Als er mir öffnete und ich meinen kaum mit einem Pepitahut bedeckten Kopf in sein Haus gesteckt hatte, war ich überrascht gewesen über die Winzigkeit seiner Stube und die karge Möblierung.
Da die Konferenz in zehn Minuten beginnen sollte, beschloss ich, die Toilette aufzusuchen. Der weiß gekachelte Raum der Herrentoilette war bereits mit vier Männern gefüllt, die vor zwei geschlossenen Kabinen warteten. Offensichtlich hatten wir alle die gleiche Idee gehabt. Ich stellte mich dazu und wagte es ebenso wenig wie die anderen, das Urinal in dem engen Raum zu benutzen. Ein junger Mann blickte mir ins Gesicht und sagte: „Sie sind früher mein Diakon gewesen.“ Dann fing er an zu weinen. Eine Kabinentür öffnete sich und ein beleibter Herr in einem Anzug trat heraus. Er warf mir einen fragenden Blick zu, während er den Raum verließ. Der zweite Wartende sagte zu mir: „Sie haben viel erreicht“. Der dritte schloss die Kabinentür hinter sich, während der vierte mit Tränen in den Augen sagte: „Das war vielleicht der wichtigste Augenblick dieser Konferenz.“ Auch ich kämpfte mit den Tränen, aber ich lächelte freundlich und nickte den hilfsbedürftigen Männern zu.(Literatur und Kunst waren zu allen Zeiten die besten Mittel, sich unbeschwert zu äußern - Agenten und ihren Computerprogrammen fehlt schlicht die Intelligenz zur Entschlüsselung komplexer Inhalte)
Samstag, 28. Dezember 2013
Ratschläge für das Leben im Überwachungsstaat im neuen Jahr
Planen Sie Ihren nächsten Terroranschlag nicht mehr am Computer, sondern benutzen Sie gewöhnliches Schreibpapier!
Recherchieren Sie die Themen Sprengstoffherstellung und Bombenbau nicht mehr online, sondern fragen Sie Teilnehmer des Zweiten Weltkriegs oder vertrauenswürdige Angehörige der Bundeswehr in Familie und Freundeskreis!
Treffen Sie die Mitglieder Ihrer Terrorzelle in handyfreien und abhörsicheren Räumen, beispielsweise in der Sauna oder einer Diskothek! Verabreden Sie sich hierzu mit Brieftauben!
Richten Sie Ihren Fremdenhass und ihre Aktivitäten im terroristischen Untergrund nicht mehr gegen Moslems, sondern gegen die angelsächsischen Feindstaaten!
Boykottieren Sie als verantwortungsbewusster Wirtschaftsbürger angelsächsische Unternehmen wie Coca-Cola und Apple! Machen Sie Ihre Online-Einkäufe nicht mehr bei Amazon, sondern bei Thalia oder anderen inländischen Anbietern! Weisen Sie bei Reklame-Mails freundlich darauf hin, dass Sie den Boykott aufheben, falls die Unternehmen Ihre Zusammenarbeit mit NSA und anderen Geheimdiensten einstellen und Ihre persönlichen Daten respektieren!
Freitag, 20. Dezember 2013
Stasi 2.0
Das größte Armutszeugnis 2013, in einem an solchen Dokumenten sicher nicht armen Jahr, haben sich die amerikanische und die englische Regierung selbst ausgestellt. Ihre Überwachung von Milliarden Computern und Mobiltelefonen, der Rechts- und Vertrauensbruch gegenüber der gesamten Menschheit (wer ist eigentlich nicht ein potentielles Opfer?) machen mich immer noch sprachlos. Den Kommunisten hat man ja viel zugetraut – aber die beiden ältesten Demokratien der Welt haben das noch übertroffen. Den feuchten Traum eines fanatischen Stasi-Generals, die lückenlose Überwachung jedes Bürgers und jeder Organisation, der unbemerkte Zugang zu allen Wohnungen und Büros, haben die NSA und der GCHQ wahr gemacht. Selbst in Online-Spielwelten waren sie auf der Jagd nach arabischen Terroristen, chinesischen Hackern und anderen Bedrohungen. Verdächtig war jeder Angehörige der Art Homo sapiens, selbst das Handy der Bundeskanzlerin und das Telefonnetz der Bundesministerien wurden jahrelang überwacht. Zeitungsredaktionen, die wie der britische Guardian ihre Leserschaft zu diesen Vorgängen informiert haben, wurden von Polizeieinheiten gestürmt und von demokratisch gewählten Parlamentariern unter Druck gesetzt. Das passiert, wenn man Geheimdienstfanatikern freie Hand lässt und unbegrenzte Mittel zur Verfügung stellt. Offensichtlich sind die angelsächsischen Schlapphüte völlig außer Kontrolle geraten. Gelernt haben wir alle bisher nichts daraus. Mit deutschem Untertanengeist wurde hierzulande die Debatte abgewürgt, bevor sie noch entstehen konnte. Ehemalige Verteidiger der Bürgerrechte in der Politik, FDP und Grüne, haben sich feige weggeduckt. Und der arglose Michel zuckt wieder einmal in seiner kindischen Einfalt mit den Schultern und freut sich auf Glühwein und Gänsebraten, iPhone 17 und Playstation 58. 2014 kann kommen – und mit uns kann man’s machen.P.S.: Man stelle sich nur mal den umgekehrten Fall vor: BND oder MAD hätten zehn Jahre lang das Weiße Haus und die Ministerien in Washington bis hinter die letzte Toilettentür belauscht. Dann würden amerikanische Panzer durch das Berliner Regierungsviertel rollen. Aber so wird mitten in Snowdens Enthüllungen über den Abhörskandal in Wiesbaden ein neues NSA-Abhörzentrum errichtet. Übrigens sind nur amerikanische Baufirmen beteiligt, selbst das Baumaterial stammt aus den USA. Seit 1945 haben die Amerikaner und ihre Alliierten das Recht, das später im Grundgesetz verankerte deutsche Brief- und Fernmeldegeheimnis zu brechen und ihre Geheimdienste nach Belieben schalten und walten zu lassen. Amerikanisches Militärgelände in Deutschland kann genutzt werden, als sei es amerikanisches Territorium. Diese Rechte sind in den Verträgen von 1955 durch Adenauer bis zu den Verträgen zur deutschen Wiedervereinigung durch Kohl immer wieder bestätigt worden und gelten bis zum heutigen Tag. Wir sind tatsächlich Untertanen, für die das Grundgesetz nur eingeschränkt und mit amerikanischer Erlaubnis gilt. Von der staatlichen Souveränität Luxemburgs oder Maltas können wir Deutschen nur träumen. Daher entschuldigen sich die Amerikaner auch nicht für die NSA-Aktivitäten und beenden sie selbstverständlich ebenso wenig. Unsere heutige Stasi spricht Englisch. Wer solche „Freunde“ hat, braucht keine Feinde mehr.
Montag, 9. Dezember 2013
Was Banker von Fußballern lernen können
Das Lieblingsargument jedes drittklassigen Banklobbyisten gegen die staatliche Regulierung seiner Geschäfte ist ja: „Die Politiker haben doch sowieso keine Ahnung von Wirtschaft.“ Mein Gegenargument ist noch schlichter: „Na und?“ Seit wann muss jeder Parlamentarier Ahnung von Wirtschaft haben? Es gibt schließlich wichtigere Themen. Wo steht geschrieben, dass jedes Regierungsmitglied die komplizierten Bescheißereien im Kleingedruckten der Anlageprospekte durchschauen muss? Der Mensch vom Gesundheitsamt, der die Gaststätten kontrolliert, ist ja auch kein ausgebildeter Koch und der Polizist, der eine Verkehrskontrolle durchführt, hat keine Lehre als Kfz-Mechaniker gemacht. Entscheidend ist die lückenlose Durchsetzung der Gesetze. Bei einem Fußballspiel – um ein einfaches Beispiel zu nennen - braucht man eben einen Schiedsrichter. Ohne Schieri kommen vielleicht die Kinder auf dem Bolzplatz aus, aber schon ein Punktspiel zwischen zwei Dörfern ist ohne neutrale Instanz unmöglich. Und wo es nicht nur um Punkte, sondern um viel Geld geht, steht nicht nur ein Schiedsrichter auf dem Platz, da gibt es auch zwei Linienrichter und inzwischen sogar einen „vierten Mann“, der die Trainer im Zaum zu halten versucht. Man stelle sich eine solche Banker-Argumentation bei einem Champions League-Finale vor: „Wir brauchen keinen Schieri, denn der hat sowieso keine Ahnung vom Fußball. Wir überlassen alles den 22 Profis auf dem Platz.“ Vielen Dank auch! Ein solches Finale würde im Chaos enden, im Stadion gäbe es Krawalle, diplomatische Verwicklungen bis hin zu Handelsboykotten zwischen zwei Ländern und internationalen bewaffneten Konflikten wären womöglich die Folge. Wem dieses Szenario übertrieben erscheint, sollte bei Wikipedia mal den Suchbegriff "Fußballkrieg" eingeben.
Soviel zum Thema Regulierung. Jetzt zum Thema Sanktion. Ein Schiedsrichter kann nicht immer nur mit Ermahnungen an das Fairplay reagieren. Spieler, die permanent foulen oder Elfmeter mit Schauspieleinlagen schinden wollen, müssen eben irgendwann vom Platz gestellt werden. Beim aktuellen Bankenskandal helfen die ausgesprochenen Geldstrafen nur wenig. Geld haben die Banken, auch dank der Flut billigen Geldes von den Notenbanken, wahrlich genug. Einem üblen Treter gibt man die rote Karte und schickt ihn einfach vom Spielfeld. Schon ist Ruhe. Einen Ferrarifahrer halten Sie ja mit Bußgeldern auch nicht von der Geschwindigkeitsübertretung ab, sondern nur mit Führerscheinentzug. Für die verantwortlichen Banker muss es also Haftstrafen geben. Man stelle sich vor, ein Zockeridol wie Josef Ackermann würde fünf Jahre im Zuchthaus sitzen. Eine ganze Generation von Investmentbankern und Finanzberatern wäre ein für alle Mal von Habgier und Spielsucht geheilt.P.S.: Der Autor dieser Zeilen hat in seiner Jugend für die Spielvereinigung Ingelheim und später für den TuS 09 Schweppenhausen als Linksaußen auf dem Fußballplatz gestanden.
Sonntag, 8. Dezember 2013
Neuanfang: Der erste Text des Dorfschreibers von Schweppenhausen
An den Banken können wir exemplarisch erklären, wie Marktwirtschaft eigentlich funktioniert und wie deren Spielregeln aktuell manipuliert werden. Schon bei den alten Griechen, etwa in Platons „Staat“, können wir die Regeln des Marktes und deren Schutz nachlesen: Auf dem freien Markt kommen Käufer und Verkäufer ins Geschäft, in dem sie im Wechselspiel von Angebot und Nachfrage die Preise von Gütern und Dienstleistungen ermitteln. Dem Staat, der sich nicht in diesen Markt einmischen darf und dessen Vertreter darum auch nicht gleichzeitig professionelle Marktteilnehmer sein dürfen, obliegt die Aufgabe, den Markt vor Gewalt zu schützen (so dass nicht das Recht des Stärkeren gilt, sondern über Marktpreise angstfrei verhandelt werden kann), die Einhaltung der Spielregeln zu gewährleisten und alle Maßeinheiten der Handelsgüter zu kontrollieren. Soviel zur theoretischen Grundlage, die seit tausenden von Jahren bekannt sein dürfte.
Nun zur Praxis: Jeder einfache Metzger weiß bis zum heutigen Tage, dass er seine Waage nicht selbst justieren darf, sondern sein Messinstrument von einem amtlich bestellten Eichmeister regelmäßig kontrolliert wird. Würden wir es den Metzgern selbst überlassen, die Waage einzustellen, würden wir sie einer Verlockung preisgeben, denen die charakterlich schwächsten unter ihnen nicht widerstehen könnten. Die „schwachen“ Händler würden die Waage und damit den Kaufpreis zu ihren Gunsten ändern und die Kunden um ihr Geld betrügen (und den ehrlichen Kollegen auf dem Markt schaden). Darum legt der Staat nicht nur fest, wie viel ein Kilogramm ist, sondern auch, wie es auf den Messinstrumenten der Marktteilnehmer exakt angezeigt werden kann. Hätten Käufer und Verkäufer ihre eigenen Waagen, würden die endlosen Debatten um das tatsächliche Gewicht einer Ware nur die Geschäfte stören.
Dieses Grundprinzip ist in der Finanzwirtschaft zerstört: Die Banken, also die Marktteilnehmer, legen inzwischen den Libor (Zinssatz im Geldgeschäft zwischen den Banken) und die Referenzwerte für Währungen und Gold fest, nicht mehr der neutrale Staat. Und offensichtlich sind die charakterlich schwächsten unter ihnen der Verlockung erlegen und haben diese Werte zu ihren eigenen Gunsten manipuliert. Die Deutsche Bank und andere Unternehmen der Branche sind gerade dabei erwischt worden. Ähnlich wie ein Metzger, der seinen Daumen auf der Waage hat und uns hundert Gramm Wurst für den Preis von zweihundert andrehen will, steht das Frankfurter Wettbüro nun am öffentlichen Pranger. Traurig ist in diesem Zusammenhang nicht die Dreistigkeit, mit dem die Oberbuchmacher wie Fitschen auf diese Enthüllungen reagieren, anstatt bußfertige Reue zu zeigen, sondern die Schwäche des Staates, der seiner elementaren Ordnungsfunktion für das Funktionieren der Marktwirtschaft nicht mehr nachzukommen vermag. Und darum regen sich die Menschen zurecht nicht nur über einzelne betrügerische Banken, sondern auch über unsere gewählten Volksvertreter auf, die ihre Pflichten nicht erfüllen wollen.
Samstag, 28. September 2013
Abschied
Das Schreiben und meine Berliner Wohnung waren der Schildkrötenpanzer, der zwanzig Jahre lang mein Leben zusammen gehalten hat. Jetzt wohne ich aufgrund einer schweren Krankheit bei meiner Familie am Rhein und habe meine Lebens- und Schreiblust verloren. Und so endet nach fünf Jahren dieser Blog. Den Kiezschreiber gibt es nicht mehr. Ich bedanke mich bei allen Lesern für die Aufmerksamkeit.
Lebenslauf
Es war ein schöner Sommermorgen, als ein markerschütternder Schrei die sonntägliche Stille einer rheinhessischen Kleinstadt durchbrach. Seitdem war nichts mehr wie es einmal war. Als Schicksalstag hatten die grausamen Götter den 14. August 1966 gewählt, als Schicksalsort das unschuldige Ingelheim am Rhein. Nach dem Erwerb der Sprache und der Grobmotorik trug er dreizehn Jahre tapfer und demütig das Joch der Scholaren. Es folgten der Zivildienst und ein Studium diverser Möglichkeiten der selbstbestimmten Verelendung, das mit einem Meisterbrief in Politikwissenschaft endete. Berlin wurde 1991 seine Heimat und ist ihm seither ein stetiger Quell der Inspiration und des Zorns gewesen. Als Zeitforscher und Politikberater hat er zehn Jahre in den Denkfabriken der Hauptstadt gearbeitet, als Kiezschreiber aus dem Brunnenviertel im Wedding berichtet und sich als Schriftsteller dem Kriminalroman gewidmet.
Donnerstag, 19. September 2013
Eine kleine Erzählung
In diesem Monat habe ich ein weiteres Buch veröffentlicht. „Rheinkind“ ist die Geschichte eines vierzehnjährigen Jungen, der in einer rheinhessischen Kleinstadt aufwächst. Es ist eine Zeit, in der es weder Internet noch Smartphones gibt. Das Leben spielt sich 1979 auf der Straße, auf dem Schulhof und in den Ferien bei den Großeltern ab. Dort zieht ein fremder Mann in die Nachbarschaft, mit dem sich der Junge anfreundet. Er ahnt nicht, wie schnell er in eine spannende Kriminalgeschichte hineingezogen wird.
„Rheinkind“ kann unter der Internationalen Standard Buch Nummer 9783732261888 bestellt werden und ist auch als e-book erhältlich.
Donnerstag, 5. September 2013
Wahlen 2013
Der Biologe hat es nicht immer leicht, wenn es um die Klassifizierung von Tieren und die Zuordnung der Gattungen und Arten geht. Das Schnabeltier beispielsweise löste bei seiner Entdeckung vor einigen Jahrzehnten eine kontroverse Debatte aus, weil es Eier legt, die daraus schlüpfenden Jungen jedoch säugt. Man hat es schließlich aufgrund dieser letztgenannten Tatsache und vielleicht auch wegen des hübschen Fells den Säugetieren zugeordnet. Für den Laien sind aber Verwandtschaften im Tierreich ungleich schwerer zu erkennen. Oder können Sie auf Anhieb die Unterscheidungsmerkmale von Neuwelt- und Altweltaffen benennen? In der Politik ist es ähnlich. Für den Politikwissenschaftler sind die oft nur graduellen oder gar subtilen Unterscheidungen von Parteien eine ebenso schwierige Aufgabe. Was will die CDU? Was davon ist von der SPD? Was will die SPD? Was klingt davon nach CDU? Der Forscher behilft sich bei seiner mühseligen Arbeit mit dem Parteibuch: Wer ein schwarzes Parteibuch hat, gehört zur Christdemokratie, wer ein rotes Parteibuch hat, zur Sozialdemokratie. Es ist wie beim Schnabeltier: Man könnte endlos diskutieren. Der Laie hat nun bei den kommenden Wahlen die qualvolle Entscheidung zu treffen, welcher Gattung er zuneigt. Es wird nicht einfach, soviel steht fest.
Mittwoch, 4. September 2013
Ein neuer Roman
Kiezdetektiv Jan Mardo aus dem Brunnenviertel ist wieder im Einsatz. Nach dem „Weißen Wedding“ von 2011 gibt es endlich die Fortsetzung. Der Kampf um knappen Wohnraum hat ein Todesopfer gefordert – Gentrifizierung als Mordgrund? „Berliner Asche“ ist ein original Berliner Regionalkrimi. Der Klappentext hört sich so an:
Jede Nacht brennen Autos in der deutschen Hauptstadt. Ganze Hundertschaften der Polizei suchen seit Monaten fieberhaft nach dem Brandstifter. Aber was passiert, wenn bei einem dieser Brände ein Mensch ums Leben kommt? Und was passiert, wenn es den Falschen trifft? Dann entfesselt dieser Feuerteufel ein Inferno der Gewalt, in dem alsbald Linksradikale, Neonazis, ein österreichisches Killerkommando und ein paar sehr wütende Russen mit Messern, Pistolen und Panzerfäusten übereinander herfallen. Und was wäre, wenn eigentlich alles ganz anders ist, als es scheint? Jan Mardo, Privatdetektiv aus dem Wedding, und Kommissar Leber von der Mordkommission stürzen sich in ein Berliner Kriminalabenteuer der besonderen Art.
Der geneigte Leser kann das Buch unter der ISBN 9783732255863 online bestellen (auch als e-book erhältlich) oder seinen lokalen Buchhändler unterstützen. Viel Vergnügen!
Donnerstag, 1. August 2013
Gentrifidingsbums
Möchtegernkanzler Steinbrück ist in den Sprengelkiez gezogen - genauer gesagt hat er sich dort eine Zweitwohnung genommen. So kann man seine Verbundenheit mit einem sozialen Brennpunkt und dem kleinen Mann auf der Straße (so wird er die neuen Nachbarn im Wedding vermutlich bei abendlichen Runden im heimischen Bonn bezeichnen) auch ausdrücken. Hut ab!
Samstag, 27. Juli 2013
"Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis"
Der japanische Anime-Film „Hotaru no haka“ („Die letzten Glühwürmchen“) erzählt das Schicksal eines Geschwisterpaars im Zweiten Weltkrieg. Dieses Meisterwerk ist wie das Leben selbst: schön und traurig, grausam und voller Poesie. Für viele Menschen ist es der traurigste Film der Welt. Ich glaube, diese Zuschauer sind deswegen so erschüttert, weil sie den Film durch „westliche“ Augen sehen. Aus Sicht eines aufgeklärten, rational denkenden und materialistisch orientierten Europäers ist der Film eine reine Passionsgeschichte – im Gegensatz zur biblischen Erzählung gibt sie uns jedoch keine Hoffnung und kein Happyend. Eine lineare Abfolge von Unglücken, an dessen Ende der Tod einer kompletten Familie steht. Eine fürchterliche, eine unerträgliche Katastrophe, die uns sprachlos und mit Tränen in den Augen zurück lässt, und die sich für alle Zeiten in unser Gedächtnis einbrennt. Dass es im Kern eine wahre Geschichte ist und keine Erfindung eines Drehbuchautors, macht es noch viel trauriger.
Was wäre, wenn wir diesen japanischen Film durch die Augen eines Japaners betrachten würden? Was wäre, wenn wir ihn nicht analytisch in seine Einzelteile zerlegen, sondern seine Geschichte ein paar Tage auf uns wirken ließen? „Die letzten Glühwürmchen“ hat eine philosophische Botschaft, die auf den Lehren des Buddhismus und Shintoismus beruht. Für einen Buddhisten bedeutet Leben Leiden. Unsere Emotionen, unser Ich verhindern eine harmonische Verbindung mit dem Kosmos und müssen überwunden werden, um das Leiden überwinden zu können. Mit der körperlichen Hülle lässt man auch die Leiden der Welt hinter sich – um womöglich als neues Lebewesen wiedergeboren zu werden. „Shinto“, der Weg der Götter, ist der alte Naturglaube Japans. Im Shinto ist alles beseelt und miteinander verbunden. Die ganze Natur ist göttlich, alles kann ein Gott sein: ein Wasserfall, ein Baum oder ein Berg. Mensch und Natur sind eine harmonische Einheit. Shinto kennt kein Jenseits, sondern nur die unendlichen Metamorphosen der materiellen Erscheinungen. Ein ewiger Kreislauf, symbolisiert in den Tempelbauten, die alle zwanzig Jahre abgerissen und detailgetreu wieder aufgebaut werden. Die kleine Setsuko ist nun ein Kami, ein unsterblicher Geist geworden. Wir sehen sie am Ende glücklich in ihrem Zaubergarten, in dem sie einen wunderbaren Sommer der Freiheit verbracht hat. Ihre gute Seele lebt in allen Glühwürmchen fort.
Setsuko fragt ihren Bruder Seita einmal, warum die schönen Glühwürmchen so früh sterben müssen. Niemand weiß das. Warum leben Glühwürmchen nur kurz und Schildkröten so lange? Wer kann das sagen? Die Natur ist weder gerecht noch ungerecht. Gerechtigkeit ist keine Kategorie der Natur. Setsukos Leben war nach westlichen Maßstäben nur kurz, aber – und das mag überraschen – auch sehr schön. Sie ist in der Geborgenheit einer glücklichen Familie aufgewachsen, auf dieser Basis hat sie Vertrauen zur Welt entwickelt. Sie klagt nicht und sie empfindet ihr Leben auch nicht als Schicksalsschlag, sondern hilft mit ihren winzigen Händen und ihrem erwachenden Verstand, wo sie nur kann. Sie ist bereits sehr selbständig und die Einsamkeit erträgt sie ganz tapfer, während sie alleine auf ihren großen Bruder wartet. Wir hören kein böses Wort von ihr, immer ist sie freundlich und mit allem zufrieden. Ein hässlicher Bunker wird zu ihrer neuen Heimat und sie verwandelt den öden Ort durch ihre bloße Existenz für einen kurzen Augenblick in ein göttliches Paradies. Ein Bonbon oder der Anblick der Glühwürmchen am Abendhimmel machen sie so glücklich, dass sie zu tanzen beginnt.
Und natürlich gibt es für diesen liebenswerten Menschen eine Erlösung. Das Ende des Films ist gut. Sie schläft friedlich ein. Sie bemerkt nicht einmal ihren eigenen Tod. Sie muss nicht die Angst vor dem Sterben aushalten, die wir Erwachsenen alle in uns tragen, obwohl sie den Tod längst kennen gelernt hat. Gibt es für ein Kind einen größeren Verlust als die Mutter? In ihren letzten Augenblicken halluziniert sie ein Glühwürmchen. Ihre Seele gleitet in ein neues Leben hinüber. Ihr Körper ist vom Leiden der Welt erlöst. Sie wacht als guter Geist auf dem Schoß ihres großes Bruders, der immer alles für seine kleine Schwester getan hat, über unsere Gegenwart. Das ist der große Trost der letzten Szene dieses Films. Und danach sollte man sich noch einmal die Anfangsszene anschauen, als ein Fremder die Bonbonbüchse mit ihren sterblichen Überresten auf eine Wiese wirft. Glühwürmchen steigen aus der Wiese in den Himmel empor und Setsuko erscheint. Dazu die schlichte und schöne Kindermelodie. Alles fließt ineinander, alles ist in einem Kreislauf harmonisch miteinander verbunden. Die Gegensätze von Leben und Tod, von Leid und Glück sind aufgehoben.
Ihr kleiner zarter Körper hat der Grausamkeit des Krieges und der Erbarmungslosigkeit dieser Welt nicht lange standhalten können. Ihr Geist lebt jedoch für alle Zeiten fort. Ihr Sanftmut, ihre Freude am Leben, ihre Bescheidenheit, ihre Unschuld und ihre Freundlichkeit fallen wie ein Bündel Sonnenstrahlen in die Finsternis unseres westlichen Denkens und in unseren trostlosen Lebensalltag. Setsuko ist unsterblich geworden. Als Mensch und als Filmfigur. Ich denke oft an sie. Was sie wohl jetzt gerade macht? Spielt sie mit ihrer Puppe oder ist sie am Strand? Ob sie immer noch so gerne Fruchtbonbons lutscht? Sie ist mitten unter uns. Weine nicht um Setsuko, nimm sie einfach auf deinen Arm. „Seita!“ Kannst du ihre Stimme hören? „Lass mich nicht allein.“
Donnerstag, 25. Juli 2013
Schattenleben, zweiter Teil
Mit dem Geld ist es ganz einfach: Viele haben in ihrer Wohnung Geld und Gold versteckt. Schmuck meide ich, denn er ist sehr schwer in Geld zu verwandeln. Dazu müsste man einen Hehler kennen und ich mag keine Kriminellen. Ich nehme an, die Wohnungsbesitzer werden kaum Anzeige erstatten, da es sich im Regelfall um Schwarzgeld handelt und die Versicherung es sowieso nicht glauben würde. Die Geprellten glauben vermutlich an einen normalen Einbruch. Dazu passt auch das zerwühlte Bett, das den Eindruck erweckt, nach Beute abgesucht worden zu sein. So ist im Laufe der Zeit ein schönes Sümmchen zusammen gekommen, alles in allem Goldbarren, Dollar und Schweizer Franken im Wert von über hunderttausend Euro.
Zum Mittagessen gehe ich in ein Edelrestaurant auf der Französischen Straße. Nach diesem armseligen Frühstück brauche ich etwas Anständiges. Zunächst ein paar gebratene Garnelen mit Salat, danach ein saftiges Entrecote und zum Abschluss zarte Crepes. Danach möchte ich noch eine neue Jacke kaufen. Es ist Frühling und der Wintermantel gefällt mir nicht mehr. Er wird verschwinden müssen. Ich kann immer nur mehr als einen Koffer tragen, also brauche ich nicht viele Dinge gebrauchen. Eigentlich bin ich immer auf Reisen wie einer dieser Arbeitsnomaden, die von ihren Firmen durch die ganze Welt geschickt werden.
Aber ich bin nicht wie sie, ich bin der Schatten dieser Arbeitsnomaden. Alles begann mit Paul. Ich war damals in einer Cocktailbar gelandet und sog gerade an meinem zweiten Zombie, als sich zwei Typen in dunklen Anzügen an die Bar setzten. Sie unterhielten sich über ihre Arbeit und fluchten über die vielen Dienstreisen, die sie für ihre Firmen machen mussten. Einer der beiden hieß Paul und erzählte, seit seiner Scheidung würde er in einem Appartementhaus wohnen, in dem seine Firma ein Dutzend Wohnungen angemietet hätte. Für Gäste und für die eigenen Leute, die eine Unterkunft in der Nähe der Firma suchten. Am Ende des Abends hatte ich nicht nur Pauls vollen Namen und Adresse gehört, sondern dass er am darauffolgenden Tag nach London fliegen müsse. Er komme erst eine Woche später wieder.
Und so lebte ich ein paar Tage in Pauls Wohnung, ernährte mich aus seinem Kühlschrank, trank edelste Single Malts und genoss den Blick auf einen gigantischen Flachbildschirm. Das Leben gefiel mir, dass Paul führte. Nur seine Arbeit fand ich schrecklich. Aber die Wohnung, die teuren Klamotten, die DVD-Sammlung – genau mein Stil. Es war kein Problem gewesen, das Türschloss zu öffnen. Klugerweise hatte ich nach einem Semester BWL das Studium aufgegeben und für einen Schlüsselnotdienst zu arbeiten. Notfalls geht man eben mit seinen Arbeitsklamotten vom Schlüsseldienst in ein solches Haus.
Ich hatte mich ein wenig an den Luxus gewöhnt, konnte aber unmöglich bei Paul noch einmal wohnen. Er hatte es sicher gemerkt, dass jemand in seiner Wohnung gewesen war, auch wenn nur Nahrungsmittel fehlten. Persönliche Dinge wie Tagebücher und Briefe lese ich, aber ich stehle sie nicht. Also habe ich meine Methode systematisch ausgebaut: Am Anfang suche ich mir über das Internet die Namen von Managern heraus. Dann suche ich ihr Profil bei Facebook und überprüfte ihre Daten und Bilder auf Xing. Alle diese Trottel sind mit ihrem Bewerbungsfoto auf Xing. Wenn ich sie zweifelsfrei identifiziert habe, checke ich regelmäßig deren Seite. Wenn Sie eine Dienstreise ankündigen und sich beispielsweise über einen langen Trip in die USA lamentieren, sind also ihre Wohnungen frei. Dann die Adresse checken und wenn es sich um ein typisches Dienstwohnungskarussell handelt, wird der Fall interessant. Die Adressen der Dienstwohnungssilos, die von Konzernen angemietet werden, bekommt man über die Werbung im Internet.
Die zweite Wohnung gehörte einem IT-Schnösel namens Tom. Er war auf einer Weiterbildung und wollte anschließend auf Sardinien Urlaub machen. Er hatte einen grauenhaften Geschmack, aber die Wohnung in Dahlem war sehr schön. In wenigen Schritten war man im Grunewald und konnte an den vielen schönen Seen spazieren gehen. Und mit der U-Bahn war ich in einer Viertelstunde auf dem Ku’damm. Tom las keine Bücher, jedenfalls sah ich keine in der Wohnung. Es waren auch keine Bilder an der Wand. In den Schubladen seines Schreibtisches, ein nierenförmiges Stück bleicher Kunststoff mit verchromten Beinen, waren nur Schnellhefter mit Rechnungen und Gehaltszetteln. Er hatte nirgendwo seine persönliche Handschrift hinterlassen und der Computer war passwortgeschützt. Außerdem besaß er mindestens zwanzig Paar Turnschuhe in allen Leuchtfarben und ein altes Skateboard auf dem Schrank. Damals war ich noch sehr schüchtern. Nach zwei Wochen packte ich meine Sachen, putzte und räumte auf, um mir eine neue Behausung zu suchen. Heute würde ich ein schönes Bild kaufen und es an die Wohnzimmerwand hängen. Ich würde neue Bettwäsche kaufen und vielleicht sogar eine Schachtel Pralinen auf dem Kopfkissen hinterlassen. Aber damals wollte ich keine Spuren hinterlassen, sondern unsichtbar bleiben. Ich wollte nur die süßen Früchte ihres Lebens kosten, ohne an diesem Leben wirklich teilnehmen zu müssen, aber im Grunde waren mir diese Menschen vollkommen egal.
Das änderte sich, als ich zum ersten Mal bei einer Frau wohnte. Viele kleine Details fielen mir auf: eine elegante kleine Vase auf einem Fensterbrett, die Farbkombination der Kissen auf dem Sofa, ein Block voller Landschaftsskizzen im Schlafzimmer. Das Bild im Internet zeigte eine selbstbewusste Frau Mitte Dreißig, gutaussehend und alleinstehend. Ihr Name war Dina. Ich begann, ihr Tagebuch zu lesen, das ich in der Schublade des Nachtisches gefunden hatte. Als Studentin klang sie noch optimistisch, aber im Laufe der Jahre häuften sich die Klagen. In ihrer klaren Mädchenhandschrift begann sie, die Frage nach dem Sinn ihres derzeitigen Lebens und nach Alternativen zu stellen. Ich las stundenlang, tagelang in ihrem Leben und Gedanken. Aber wie konnte ich mich in das Leben einer Unbekannten einmischen?
Manchmal nehme ich mir eine Auszeit und gehe ins Hotel. Geld genug habe ich ja. Diesen ganzen Menschen haben ja viel zu viel Geld, mit dem sie aus Mangel an Phantasie oder Gelegenheit nichts anzufangen wissen. Dann hole ich etwas von dem Geld aus dem Bankschließfach und bleibe ein paar Tage in einem Hotel. In Berlin wird jede Woche ein neues Hotel eröffnet und ich wähle jedes Mal ein neues Haus. Ich bin jederzeit völlig frei in meinen Entscheidungen – diese Manager könnten soviel Freiheit gar nicht ertragen. Es würde sie nervös machen, einen ganzen Nachmittag die Zeitungen in einem Kaffeehaus zu lesen, so wie ich es zu tun pflege. Soll ich sie nun verachten oder soll ich mir Sorgen um sie machen? Und so lange ich diese Frage nicht hinreichend beantwortet habe, benutze ich sie einfach, so wie sie andere benutzen.
Schattenleben, erster Teil
Ich bin jetzt fünfundzwanzig Jahre alt und habe noch nie gearbeitet. Ich habe es auch nicht vor. Wenn ich am Fenster stehe und diesen armen Kreaturen zusehe, wie sie bei Sturm und Regen irgendwelchen kleinen und großen Transporthülsen entgegen eilen, die sie an Orte bringen, die ich gar nicht kennenlernen will. Fabriken, Büros und Geschäfte. Alles voller fremder Menschen, Lärm und greller Beleuchtung. Banale Plaudereien, Neonröhren, eingeschweißte Sandwichs. Es geht um öde Dinge wie Zahlenkolonnen, Handtaschen oder Tütensuppen. Die Menschen stehen im Dunkeln auf, obwohl sie noch müde sind, und ziehen sich alberne Sachen an, die sie freiwillig nie tragen würden. Sie kaufen Sachen, die sie nur für den Job brauchen. Wenn sie etwas machen, vergleichen sie sich immer mit ihren Kollegen oder Nachbarn. Sie haben vielleicht auch Eltern, denen sie etwas beweisen wollen. Sie beschäftigen sich seit ihrem zwölften Lebensjahr mit der privaten Altersvorsorge und wissen mit vierzig nicht, warum sie überhaupt leben. Ich brauche das alles nicht. Mir reicht es, hier am Fenster zustehen und den Leuten zuzuschauen. Ich werde nie zu diesen Kreaturen da draußen gehören. Ich kenne sie nicht und sie kennen mich nicht.
In der Küche habe ich die Kaffeemaschine zum Laufen gebracht. Diese Geräte werden immer komplizierter, aber ich habe die Gebrauchsanweisung in einer Schublade der schneeweißen Einbauküche gefunden. Leider gibt es hier kein Brot, daher begnüge ich mich mit einem Müsli. Die Küche wirkt nicht nur aufgeräumt, sondern auch unbenutzt. Der Mieter dieser Wohnung kocht offenbar nicht oder nicht oft. Im Vorratsschrank finde ich eine Dose Linsensuppe und eine Dose Pfirsiche. Im Kühlschrank ist etwas Käse, Milch und Ketchup. Wahrscheinlich wieder einer dieser Single-Manager, die diese Stadt bevölkern.
Nach dem Frühstück lege ich mich auf das schwarze Ledersofa und frage mich, warum ein einzelner Mensch eine Wohnung dieser Größe mietet. Das Wohnzimmer allein hätte genügt. Die Küche war eigentlich überflüssig, das Schlafzimmer war riesig. Und im dritten Zimmer, einem herrlichen hellen Raum mit Blick auf den Park, standen nur ein paar Kisten und eines dieser als Heimtrainer bekannten Fahrräder, mit denen man auf der Stelle trat. Nach den Sachen im Kleiderschrank zu urteilen, war der eigentliche Bewohner dieser Penthousewohnung einen Kopf kleiner. Aber er konnte ein paar neue Unterhosen und Socken gebrauchen. Er mochte es ohnehin nicht, mit den Jacken und Hosen fremder Leute gesehen zu werden. Jemand konnte sie vielleicht wieder erkennen, obwohl das extrem unwahrscheinlich war und die meisten Menschen sich unauffällig kleideten. Vor allem die Männer trugen praktisch farbfreie Kleidung von hellgrau über dunkelgrau bis schwarz. Dazu weiße Hemden und idiotisch bunte Krawatten, als sei ihr letztes bisschen Individualität in diesen erbärmlichen Stofffetzen geronnen.
Im Augenblick wohne ich am Tiergarten in Berlin. Ich bevorzuge Wohnungen ohne Concierge und ohne viele Kameras. Für die üblichen Kameras reichen Schirmmütze und Sonnenbrille, man wirkt dann auch gleich prominent. Die Luft im Park ist mild. Am späten Vormittag sind die lästigen Jogger mit ihrem beunruhigenden Schnaufen bereits verschwunden und junge Mütter mit Kinderwagen prägen das Bild. Das Leben ist ganz einfach: ausschlafen und frühestens um zehn Uhr das Haus verlassen, dann sind alle Manager schon im Büro. Die meisten kommen müde und mit gesenktem Kopf gegen zwanzig Uhr nach Hause und bei den seltenen Begegnungen im Fahrstuhl ist es von Vorteil, dass man sich in der Großstadt nicht kennt. Es reicht die Beachtung des Dresscodes in einem solchen Gebäude. Nachts kommen die Betrunkenen nach Hause, aber die hört man vorher. Und ich bin abends sowieso gerne zu Hause.
Zu Hause – ein Zuhause im eigentlichen Sinne habe ich schon seit einigen Jahren nicht mehr. Als ich von Zuhause fort ging, sagte ich, dass ich studieren würde. Bei meinen Anrufen erzähle ich meinen Eltern inzwischen, dass ich für eine amerikanische Management-Firma arbeiten würde und landesweit zum Einsatz käme. Wenn ich mit meinem Vater oder meiner Mutter skype, staunen sie immer über die schöne Wohnung, die sie im Hintergrund sehen können. Ich habe schon immer gut gelebt. Aber ich habe noch nie Miete gezahlt. Ich bin ein Mietfrei-Nomade.
Sonntag, 26. Mai 2013
Friedel Castor: Last Exit Dotzheim
Es folgt eine kurze marxistische Sonntagsmesse – ich bitte um Ruhe!
Ihr braucht Euch um die Gesundheit des Kiezschreibers keine Sorgen zu machen. Unsichtbar wacht aus der Ferne ein alter Held vergessener Tage. Unter einem albernen und völlig sinnlosen Pseudonym (nicht so voreilig Freunde! Die Überraschung kommt erst ganz am Schluss) muss er aufgrund seiner aufrechten Haltung in seinen Jahren als Jung-Siegfried das kostbare Wissen des deutschen Antifaschismus wie der letzte Druide unter der Geißel des römischen Imperialismus an eine neue Generation furchtloser Untergrundkämpfer weitergeben.
Ich bin auch jetzt noch nicht würdig genug, seinen Namen auszusprechen (zumindest nicht öffentlich). Jeder in unserer unbedeutenden Heimatstadt kennt ihn und dennoch würde keiner seinen Namen preisgeben. Damals nicht und heute nicht. Wir brauchen dafür auch keine Rituale, Orden und albernen Schwüre. Wir haben ganz einfach den Marxismus (kurze Zwischeninfo: die Uni-Bibliothek wird leider ab morgen bestreikt. Die Studienbedingungen sollen inzwischen auf dem Niveau von Albanien sein, aber immer schön weiter Atomkraftwerke in die bayrischen Urwälder bauen – Bäume können ja nicht schreien oder weglaufen … ganz toll. Aber ich spar mir jetzt einfach mal die Verbalinjurie).
Ungebrochen, schweigsam und allein ist er in diesem Augenblick irgendwo da draußen: Ein bescheidener Halt für seine nähere und ferne Umgebung und selbstverständlich ist er trotz seiner ungebrochenen Popularität zu keiner Zeit eine Gefahr für seine Mitmenschen. Ich muss seine neue Heimatstadt nicht nennen. Viele kennen sie und dennoch müssen wir wertlosen Erwerbsmenschen uns um die Ruhe dieses tapferen Einzelkämpfers nicht sorgen. Seine Karriere können wir aus Gründen der Sicherheit (ein verdächtiger Mann kommt gerade herein) nur in unverfänglichen Stichworten, mit denen unsere politischen Gegner nichts anfangen können (neue Liste ab 1. Juni in totem Briefkasten „hinter Rewe“), und diesmal wirklich ohne Rückfragen, weil es ja heute um was ganz anderes gehen soll: Startbahn West – Last Man Standing (ganz heiße Sache, bitte nicht mehr mailen, da sonst Server überfordert); sehr lange im Untergrund (und mehr sag ich echt nicht, Stefan); aktuelles Projekt seiner vollkommen autonomen Ein-Mann-Zelle: Anflug auf das böse Herz des Imperiums, die Frankfurter Börse (die Beta-Version ist echt krass, sieht aus wie in einem Kinofilm – zum Glück gibt’s die alten Klugscheißer mit den Schreibmaschinen nicht mehr! Stell dir mal vor, wir müssten alle drei Tage irgendwelche Farbbänder wechseln! Kein Wunder, dass es bei dieser Steinzeittechnik mit dem Sozialismus nicht geklappt hat. Oder war das Kommunismus? Naja, egal. Das mache ich nächstes Semester).
XY, wir folgen dir! Du bist unser Eisen- und Blutschild gegen Faschismus, Imperialismus, Fordismus, Kubismus und jetzt mal ganz konkret Wiesbaden-Dotzheim (nein, wir losen jetzt nicht noch mal, Rüdiger): Diese Pestbeule am Hintern des hessischen Finanz-, Turbo-, Mord-, Ausbeutungs- und Ikeakapitalismus muss ausgelöscht (bitte, Sven: „ausradieren“ gibt doch wieder Diskussionen) werden. Wir haben das wirklich alles sehr lange ausdiskutiert und das ist eben das Ergebnis. Tut uns leid! Ihr Dreckskapitalisten hattet im Beschleunigungszeitalter schließlich ausreichend Gelegenheit, euch begrifflich, inhaltlich, methodisch (ich kürze jetzt mal ab: Revolution ist wahre Beschleunigung, ihr Faschos!! Schon mal Delaforce gelesen, Schlafmütze? Ironie aus. Grüße auch an Oma99. Alles gut angekommen. Muss Schluss machen, eilige Sache und nachmittags Schwimmschule) auf den bewaffneten Kampf entschlossener Volksmassen (zu Fragen des Zivildienstes wird sofort nach Abschluss der Regierungsübernahme ein Ausschuss gebildet, er tagt vermutlich erst mal nicht öffentlich, Klaus, weil es sonst echt ein bisschen unübersichtlich wird) vorzubereiten.
Glaubt ihr echt, wir verschieben die Sache noch mal, ihr Schwachköpfe?! Glaubt ihr Bonzenschweine, Ihr könnt uns aufhalten? Ihr werdet unseren Anführer niemals finden! Obwohl wir ihn in ein weit entferntes Land bringen mussten, um ihn vor Interpol, Gestapo, Mossad, Kik und Uli Hoeneß zu schützen, ist er uns in unseren kleinen zerbrechlichen Hasenherzen doch immer nahe. Gegen seinen gut getarnten und weitläufig von undurchdringlichem Dornengestrüpp und wegloser Einöde umgebenen Unterstand ist mein antiker Pappkarton mit Holzbein ein geradezu palastartiges Anwesen. Frau und Kind werden ihm unter großen Entbehrungen und natürlich nur stundenweise von den allertreuesten Gefährten (keine Klarnamen!) mit verbundenen Augen zugeführt, die es in stummem Dienst an einer großen Sache, die weit über jedem einzelnen von uns steht, im Anschluss klaglos hinnehmen, als nahrhafte Speise für den weiteren Kampf gegen die Unterdrückung der Menschheit, ja – und jetzt scheue ich mich tatsächlich nicht, auch einmal pathetisch zu werden (man wirft uns Marxisten ja immer vor, nicht wahr, wir wären so gefühllos – schade, wäre eigentlich auch mal wieder ein gutes Thema gewesen, ich schreibe es irgendwo in eine Datei) für die Eroberung des gesamten Universums (Klingt blöd? Wenn alle Marxisten sind, gibt’s keine Faschos mehr, kapiert? Bitte noch mal auf Start und das nächste Mal genauer zuhören, bevor du hier einen endlosen Monolog hälst, der uns allen wirklich die letzten Energien raubt).
Ich komme zum Ende, da mein Wortschatz nicht ausreicht, die Kraft seiner strahlend blauen Augen zu beschreiben, denen der winzige Fingerzeit einer gequälten Kreatur genügt, um augenblicklich explosionsartig sämtliche Instinkte zu aktivieren und mit einer einzigen, erst mit modernster Technik optisch überhaupt erfassbaren Bewegung seines Schließmuskels für alle Zeiten die Ketten der Zensur, von Ausbeutung und Unterdrückung, von Faschismus und Feminismus, von Häusern und Türmen zu sprengen. (Apropos „gequälte Kreatur“: Ausnahmen wirklich nur in dringenden Fällen – und jetzt mal kurz was zur Frage der bewegungsinternen Frauensolidarität: Wegen dieser Pi-Mo, Po-Mi oder wie die heißt (die mit der Warze an der Nase) haben wir das reingenommen mit ihren Scheißallergien. Kommt heute nicht. Logo. Ist ja Samstagnacht. Kann man ja auch einfach mal woanders hinfahren. Wenn ich einen Schwerbehindertenausweis hätte, würde ich in so einer schönen Mainacht auch mehr unterwegs sein. Kost ja nix! Aber wenn man die Dinger fälscht, gibt’s Ärger, habe ich gehört).
Die Beschreibung seiner Ausbildung in einer eigens für ihn entwickelten Weltraumkapsel durch Elite-Ninja-Turtles erspare ich mir hier; Danke an Red Bull für die Solidarität, von der wiederum 7,3 Prozent als Spende (frag doch nicht immer so blöd, die Zahlen bestimmt unser Steuerberater) an die Welthungerhilfe in Offenbach überwiesen wird. Ihr braucht den Mann auch nicht jedes Mal mit Tränen in den Augen anzustarren, ey – kennt irgendjemand in diesem Ghetto die Worte „Inkognito“ und „Diskretion“? Wir haben hier 1765 am Hauptbahnhof gegen die Neonazis fast eine ganze Kommandostruktur verloren, als Tobias den Busfahrplan verloren hat und diese Schwachköpfe „einfach mal spontan“ in irgendeinen Bus gestiegen sind, ohne zu wissen, wo es hingeht. Bis alle wieder zu Hause ankamen, war es schon längst dunkel. Toll. Tag gelaufen. Nachts gehört die Gegend den Albanern. Ich würde besser nicht rausgehen, aber du kannst es gerne probieren. Ich wohne hier schon fast ein Jahr und brauch das nicht mehr. Aber wenn du als Pazifist nach 9 Jahren gewaltlosem Widerstand eine Messerstecherei mit Drogenhändlern und Zuhältern brauchst, nur um diesen ungesunden Kram zu kaufen. Da ist übrigens soviel Zucker drin wie in einem Zeppelin, aber du hörst mir ja nie zu. Wisst ihr Cyperface-Süchtigen überhaupt noch, was ein Zeppelin ist?
Wagt es nur, den Kiezschreiber (Adresse googeln, wir sind bei gutem Wetter vielleicht vegan grillen) blöd anzumachen! Dann wird’s richtig hässlich, Leute! XY war mit mir auf einer Schule, wir haben viel zusammen durchgemacht (repressives Milieu). Leute aus der „Szene“, für die echte Solidarität (nachschlagen, du Juso-Penner! Boah ey, sag bloß, du bist aus Schwaben? Bist du wenigstens schwul?) kein Fremdwort ist, brauchen kein Pfefferspray. Ihr habt nur die Gewalt, uns gehört die Zukunft. Lacht uns nur aus! Uns gehört nicht nur die gesamte Zukunft, sondern auch viele weitere Dinge, die derzeit noch in Arbeitsgruppen ausdiskutiert und dann einfach mal per Mail rumgeschickt werden, um der Burgeroisie mit seinen verstaubten Ansichten und bewegungslosen Hierarchien, die aus einer längst vergangenen Zeit zu stammen scheinen, etwas fundamental Neues entgegen zu setzen. Es reicht! Doch, Ulla. Wir haben lange genug diskutiert. Linke sind viel geduldiger als rechte. Und warum? Jetzt mal der Neue da hinten, der hat noch gar nichts gesagt! Ach so? Taubstumm und aus Albanien? DU HIER NIX SCHROTT VERKAUFE ! VERSTANDE ?!
Ich kürze das jetzt mal ab, weil wir in einer historisch so einmaligen Gesamtkonstellation wie heute ab 14 Uhr ausnahmsweise mal keine Zeit für Endlosdebatten und Protokollgefechte haben. Sein finanziell durch den jahrelangen und zermürbenden Prozess um die eigentlich hoffnungslos an Krebs erkrankte Tochter (Pharmaindustrie war schuld) ruinierter Vater (die kindle-Version seiner Memoiren kommt ab ca. 12. Juni in den Handel) hat sich schon vor vielen Jahren in Richtung Süden abgesetzt. Quellen, die so unglaublich wichtig sind, dass wir sie eigentlich gar nicht öffentlich Quellen nennen dürfen, weil wir uns natürlich auch nicht permanent in Gefahr begeben wollen (vor allem, wenn wieder Vollmond ist), haben uns mitgeteilt (nein, diesmal nicht im Hauptbahnhof, Frank! Warum willst du das eigentlich jedes Mal so genau wissen?), dass es ihm gut geht. Dicht hinter der Grenze wartet er auf einen günstigen Moment zum Angriff auf den Feind, dem er einen lebenslangen und überhaupt sehr hartnäckigen Fußpilz verdankt, den er sich auf der Flucht zugezogen hatte. Drei Tage lag er in Basel mit hohem Fieber in einem kaum faustgroßen und vollkommen lichtlosen Verschlag, wo er einsam, aber ungebrochen mit dem Tode rang. Darüber sollten diese angeblichen „Profis“ von den Medien mal schreiben, statt immer nur mit anderen Angehörigen ihrer parasitären und unglaublich herrschaftsstabilisierenden Kaste (DAS BLEIBT. Sollen mich die Drecksbullen doch einbuchten!) in uncoolen Raucherkneipen abzuhängen. Draußen scheint übrigens die Sonne, ihr Ignoranten. Schon mitgekriegt, dass der Frühling da ist? Oder soll ich euch erst den Rollator abstauben, ihr Langweiler? Typisch, Mann. Aber natürlich alle mit Festanstellung. Da hast du als Frau gar keine Chance. Ich habe es echt versucht. Aber die haben mich gleich am ersten Tag so fertig gemacht, das war eigentlich schon strukturelle Gewalt. Aber wenn in so einer Situation nicht zufällig eine andere Frau dabei ist, hast du keine Chance. Siehste ja an diesem Nuschelgreis und der Stern-Reporterin. Brauchste gar nicht erst klagen. Vor Gericht halten die Machos zusammen. Mauer des Schweigens. Ich bin dann auch einfach gegangen und habe das später in der Gender-Mainstreaming-Gruppe meines Studentenwohnheims aufgearbeitet, ohne dass ich gleich darüber einen fetten Artikel in der Uni-Zeitung schreiben musste wie Barbara.
Er ist einer dieser Menschen, von denen es einmal heißen wird: Wo endet seine Geschichte und wo beginnt sein Mythos? Alles verbindet sich in der Figur dieses modernen Helden zu einem Kosmos von großartiger Bedeutung, für die uns an dieser Stelle leider die nötige Zeit fehlt. Und kommt mir nicht mit dieser ewigen Leier von wegen der islamischen Feiertage, an denen ihr den Abschnitt nicht schreiben durftet. Toleranz hat Grenzen. Irgendwo ist das alles ja auch eine Ausrede. Statt am 1. Mai ein Subotnik zu machen, rennt ja alles gleich nach Öffnung der Türen in die nächstbeste Kaschemme, um sich volllaufen zu lassen.
P.S.: Hohe Orden und akademische Grade können nur ausnahmsweise und selbstverständlich auch erst postum entgegen genommen werden. Und Diskretion schreibt man nicht mit CK, Gundula! Wie oft soll ich dir das denn noch sagen? Noch ist es nur ein Praktikumsplatz …
P.P.S.: Letzte Warnung an alle Fanatiker da draußen! (Wo bleibt die Aufzählung, Ken?). Falls es irgendetwas gibt, dass auch nur entfernt nach einem Juristen oder Hessen aussieht und dass sich jetzt noch aus der Deckung wagt, spielt nicht nur mit dem eigenen Leben, sondern mit den gesamten zivilisatorischen Errungenschaften unserer Hauptstadt, wenn nicht sogar Europas. Toleranz hat Grenzen – treibt es nicht zu weit! Und das alles mit allem zusammenhängt und damit natürlich auch deine Scheißmalediven, wissen wir selbst, Uschi. Ich will hier nicht drohen, weil das sonst nicht unsere Art ist (eure schon), aber Fanfreundschaften kann man auch beenden. Hallo! Kapiert? Wie deutlich soll ich noch werden, „Sheldon“.
P.P.P.S.: Ach du Scheiße! Gendern vergessen. Das gibt’s doch nicht. Gibt’s da noch keine App? Typisch Microsoft. Lahmärsche. Aber Apple kaufe ich schon aus Prinzip nicht.
Ich komme nun wirklich zum Schluss: Es heißt, er sei noch bescheidener geworden. Er selbst würde übrigens solche überflüssigen Bemerkungen gar nicht kommentieren und nur mit stummem Blick auf Uhr, Picknickdecke und seinen Rikschamann den Aufbruch einleiten, um wortlos Taten wahrer Manneskraft folgen zu lassen, da es an diesem Ort nutzloser Geschwätzigkeit für ihn offenbar nichts mehr zu tun gibt.
Samstag, 25. Mai 2013
Samstagabendunterhaltung im Brunnenviertel
Zur allgemeinen Auflockerung für meine Leserschaft ein kleines Quiz zum Thema „Street Credibility“, das die Digital Natives uns älteren Semestern jetzt gerne als neuen Trend und als moderne Begrifflichkeit nahebringen möchten:
Was heißt „Street Credibility“ auf Arabisch?
Oder was heißt „Nicht nach der ersten Kanne Früchtetee am späten Vormittag übermütig werden und gleich dem ersten zufälligen pädagogischen Impuls nachgeben“ auf Russisch?
Sind Sie schon einmal ohne Pressebegleitung und nur aufgrund persönlicher Sympathie in eine türkische Wohnung eingeladen worden?
Welche großen Religionen werden in den türkischen Wohnzimmern angebetet? Nennen Sie mir bitte die nur die unbestritten wichtigste?
Kleiner Tipp: Es sind keine echten Religionen und die Anhänger dieses seltsamen Brauches, dessen historischer Ursprung und eigentlicher Sinn leider verloren gegangen sind, tragen in Deutschland bei jedem Wetter einen Schal um den Hals. Außerdem ist es eine Fangfrage und nur ein kleiner Spaß für die Jungs in den Teestuben.
Bonusfragen für Berliner:
Nennen Sie mir drei nicht-türkische Lieblingsclubs türkischer Fans in Ihrem Kiez und drei türkische Lieblingsclubs nicht-türkischer Fans innerhalb von sechzig Sekunden, ohne den Telefonjoker einzusetzen! Finger weg!! Konzentration …
Wo zieht man in einer syrisch-orthodoxen Kirche seine Schuhe aus? Am Eingang, kurz vor dem Altarbereich oder überhaupt nicht?
Zum Schluss nur noch eine kurze Bemerkung zu unserer deutschen Kultur, denn nachher spielt Kloppo im Champions League-Finale gegen das Reich der Finsternis und morgen ist auch noch der Grand Prix von Monte Carlo. In meinem Alter und bei meinem Zwei-Finger-Tempo auf diesen dankenswerterweise „verbesserten“ Tastaturen muss man einfach Prioritäten setzen. Früher war mehr Lametta! Wir Rheinhessen neigen gelegentlich zu derben Späßen, die man uns gerne mit gleicher Münze heimzahlen kann. Dann darf man uns auch gerne aus vollem Halse und vor möglichst vielen spottlustigen Zechern ins Gesicht lachen. Leider sind unsere Fähigkeiten, die eigene Kultur hier in der Hauptstadt sichtbar zu machen, offenbar beschränkt.
Ich weiß: Bei „deutscher Kultur“ ballt mancher Zeitgenosse reflexartig die linke Faust und der rechte Arm zeigt mahnend in Richtung einer bleiernen Vergangenheit. Ich kannte mal einen hessischen Notarsohn, der mir nach etlichen Bier auf einer Party mit tieftraurigem Blick und selbstverständlich unter vier Augen gestand, er sei Achteljude. Aus Gründen der Diskretion gegenüber meiner Familie habe ich auf seine Gegenfrage nicht geantwortet.
Freitag, 24. Mai 2013
Der SPD Berlin ins Gebetbuch geschrieben
Was ich – und das nicht nur im Wahlkampf, sondern ganzjährig – richtig innovativ fände, wäre eine Kennzeichnungspflicht für Politiker. Sie stehen in der Öffentlichkeit, sie werden von der Öffentlichkeit bezahlt und könnten auf diese Weise natürlich auch sehr leicht in der Öffentlichkeit angesprochen werden. Ich fand diese Namensschildchen am Jackett schon immer ganz toll, manchmal sieht man in Berlin ganze Rudel Menschen, die alle mit einem freundlichen kleinen Schild gekennzeichnet sind. Sie haben kein Problem, ihren Namen und ihre Funktion preiszugeben, wenn sie in der Tagungspause bei Vapiano essen gehen oder bei Starbucks einen Latte Haumichblau und ein phantasievoll benanntes Gebäckstück erwerben. Selbst wenn der Generaldirektor der Raiffeisenbank von Pirmasens im vollen Ornat und mit glänzendem Namensschild auf der Heldenbrust ins KaDeWe marschiert, um seiner Gattin einen platinveredelten Parmesanhobelhalter zu kaufen, und anschließend mit der U-Bahn durch ganz Neukölln zum funktionierenden, alten Teil des Flughafens Schönefeld fährt, ist es den Berlinern so egal wie der Kantinenplan von letzter Woche.
Warum also keine namentlichen Kennzeichen für Parteimitglieder? Es eröffnet ganz neue und überraschende Gesprächsperspektiven im Alltag, die Politik wäre buchstäblich bei den „Menschen draußen im Lande“ und man bekäme ein permanentes Feedback für die erbrachten Leistungen. Umständliche Marketingstudien würden entfallen und neue Ideen bekämen die Damen und Herren Volksvertreter quasi rund um die Uhr aus vollen Fässern gezapft – ohne teure Beratungsagenturen, Anwaltskanzleien, Menschenbeobachter in Geheimdiensten und Trendforschungsbüros, Heerscharen von fragwürdigen „Interessenvertretern“, Finanzberater der Berater, andere Berater, die wieder Berater beraten, die dann irgendwann natürlich ratlos sind, endgültig den Überblick verlieren und nicht mehr funktionieren – Last Exit Urnengrab, Nervenheilanstalt oder mit ein wenig Glück auch die Job-Center-Resterampe.
Man muss in diesen wunderbar duftenden Maitagen nur ein wenig vor die Tür gehen, durch die längst kotfreien Straßen vieler Bezirke spazieren und einmal den Mund halten – dann kommen die Menschen und Ideen wie von selbst auf Sie zu, meine Damen und Herren von den Parlamentsfraktionen. Man darf sich gerade im Wahljahr nicht vor den 82 Millionen Arbeitgebern im Reichstag verstecken, wenn man seinen Zeitvertrag noch einmal verlängert haben möchte. Also nicht übermütig werden und dem Chef auf der Straße auch mal zuhören. Übrigens ist jeder Obdachlose und jeder Hartz IV-Empfänger auch einer Ihrer Arbeitgeber. Bewerben Sie sich jetzt! Zur optischen Aufbesserung habe ich als alter Vereinsfußballer noch eine Idee. Auf der Rückseite des Politikers einfach ganz groß und im bewährten sozialdemokratischen Rot das Parteikürzel anbringen: SPD.
Übrigens ist der einzige sympathische Sozialdemokrat, den ich in meinen drei Jahren im Brunnenviertel persönlich kennen- und sehr schätzen gelernt habe, ein gebürtiger Syrer und gelernter Berliner. Von solchen stillen und aufrechten Parteimitgliedern, denen es der Stolz ihrer uralten Kultur und ihre tadellose Erziehung in einem anständigen Elternhaus schlichtweg verbietet, den Herrenmenschentonfall eines neuzugezogenen Jungakademikers anzuschlagen, können – und jetzt enschuldigen Sie bitte einen kurzen Moment des Zorns – sich Menschen wie dieses unreife Früchtchen, dessen Namen ich hier nicht nennen möchte, weil er vermutlich sonst mit dem Rechtsanwalt seines Vaters in Westdeutschland droht (schließlich weiß er als frischgebackener Politikwissenschaftler und kluger SPD-Stratege, dass er den arbeitslosen Fachkollegen mit einem einzigen Prozess finanziell ruinieren und obdachlos machen kann), eine ganze Scheibe abschneiden. Der Mann leistet seit vielen Jahren großartige Arbeit für die Jugend im Kiez, seine Frau ist Krankenschwester und die beiden haben zwei wirklich tolle Kinder, die jetzt schon besser erzogen sind, als es viele namenlose Karriere-Alpinisten in sämtlichen Altparteien dieser Republik je seien werden.
Donnerstag, 23. Mai 2013
Antwort an Jan Dzieciol, Quartiersrat des QM Brunnenviertel-Brunnenstraße
Auszug aus Ihrem Kommentar vom 23. Mai 2013: „Doch das Quartiersmanagement als Treiber der Gentrifizierung darzustellen, halte ich nicht nur für falsch, sondern auch für gefährlich. Vor einiger Zeit wurde auf das QM Brunnenstraße ein Anschlag verübt - das Bekennerschreiben enthielt die gleichen Vorwürfe.“
Ich finde es nicht nur traurig, sondern geradezu unverschämt, dass Sie einen Menschen, der aus Gewissensgründen im Kalten Krieg den Dienst an der Waffe verweigert und zwanzig Monate Zivildienst geleistet hat (Altenzentrum Ingelheim, Betreuung der Pflegestufe III), der bei dem bekannten Friedensforscher Prof. Dr. Ekkehart Krippendorff promoviert hat, der vom Suhrkamp-Verlag aufgefordert wurde, als Experte eine Gandhi-Biographie zu verfassen, in die Nähe von polizeilich gesuchten Gewalttätern stellen. Normalerweise antworte ich auf solche albernen Frechheiten von Mitarbeitern der Finanzbranche gar nicht, aber selbst der friedfertigste und geduldigste Mensch kommt an seine Grenzen. Verbreiten Sie Ihre Beleidigungen und Unterstellungen in Zukunft bitte an Orten, die zum Niveau Ihrer geistigen Ergüsse passen: Schreiben Sie etwas mit einem fetten Edding an irgendeine Scheißhauswand in Ihrem Viertel. Sie sind diesen Verbrechern, die Steine brauchen, weil sie nicht sprechen können, geistig näher als Sie denken.
Und noch eine kleine Info für Sie: Ich war 1999 wissenschaftlicher Experte des Deutschen Instituts für Urbanistik für das Thema Quartiersmanagement und kannte den großartigen und liebenswerten Herrn Häußermann selbst sehr gut aus der gemeinsamen Arbeit. Die entsprechende Senatsverwaltung hat mich regelmäßig zu den Beratungen eingeladen, ich kenne mich mit dem Thema schon ein klein wenig aus. Trotzdem freue ich mich natürlich über jede Form der unerwünschten Belehrung, weil ich dabei sehr viel über Menschen wie Sie lernen kann. Und noch eine nicht unwesentliche Information zur Person des ehemaligen Kiezschreibers im Brunnenviertel: Ich bin seit 2002 Mitglied der Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) in Hannover. Hinter der Berufung zum Akademiemitglied stehen weder der Zufall, mein blendendes Aussehen noch linksradikale Steinewerfer. Bitte antworten Sie mir nicht. Leben Sie wohl!
Quartiersmanagement und Zensur
Vor einem Jahr gab es im Brunnenviertel eine Diskussion um einen Artikel zum Thema „Gentrifizierung“, der im dortigen Kiezmagazin der beiden Quartiersmanagements erscheinen sollte. Die Entscheidung, den Artikel nicht abzudrucken, hat auch über die Kiezgrenzen hinaus für Gesprächsstoff gesorgt. Ich selbst habe drei Jahre im Auftrag einer Kulturinitiative mit beiden Quartiersmanagements im Brunnenviertel zusammen gearbeitet und gehöre zu den Gründervätern des Kiezmagazins „Brunnen ¼“ (leider habe ich mich bei der mehrmonatigen Namenssuche nicht durchsetzen können …). Allein die vielen Nachmittage, in denen fröhlich über das Pro und Kontra des großen I („Binnenmajuskel“ ist der hässliche Ausdruck, den Klugscheißer gerne dafür benutzen) gestritten wurde, werden mir unvergesslich bleiben. Diese Leidenschaft wünscht man sich im täglichen Umgang mit den Kiezbewohnern draußen vor den Konferenzzimmern. Richtig unangenehm war aber immer die Einflussnahme auf die Inhalte, so dass ich mich nach einem halben Jahr aus der Mitarbeit am Magazin zurückgezogen habe. Hier mein diesbezügliches Schreiben an eine Projektverantwortliche (redaktionsinterner Spitzname: „Margot“) aus dem Herbst 2009 in anonymisierter Form. Es ging darum, ob die Abbildung eines Sektglases auf einer Fotografie im Kiezmagazin bereits islamfeindlich und provokant ist. Das wurde sehr kontrovers und mit großer Schärfe diskutiert.
„Liebe X,
ich habe lange nachgedacht und mit drei befreundeten Redakteuren und einer deutsch-türkischen Journalistin diskutiert, nun habe ich beschlossen, mich nicht mehr am Kiezmagazin zu beteiligen. Der Streit der vergangenen Wochen ist mir auf den Magen geschlagen und ich liege nächtelang wegen dem Scheiß wach. Es verdirbt mir langsam den Spaß am Schreiben – und da hört der Spaß natürlich auch gleich auf.
(…) Es gibt nun einmal unterschiedliche Kulturen in den beiden QMs, das wird am Streit ums Sektglas sehr deutlich. Für uns alle war es kein Problem, fürs QM YZ offenbar ein großes, denn es kam der Vorwurf, die gesamte Redaktion sei nicht „kultursensibel“ genug. Eine große Keule, die gegen ein zerbrechliches Gläschen Blubberwasser geschwungen wird. Über das Sektglas habe ich am längsten nachgedacht, haben wir am längsten diskutiert. Es sollte eigentlich kein Problem sein, in einer deutschen Publikation ein in hiesigen Breiten geläufiges und auch von vielen Migranten hochgeschätztes legales Genussmittel abzubilden. Ich glaube kaum, dass islamistische Fundamentalisten die deutschen Tageszeitungen mit Leserbriefen bombardieren, nur weil sie derzeit zum Oktoberfest Biergläser in den Illustrationen zeigen. Wo zieht man da die Grenze? Müssen wir als nächstes eine Passantin im Mini-Rock retuschieren? Die Amish haben ein Problem mit elektrischen Geräten – was machen wir da? Wer redet mit den Zeugen Jehovas, deren Gefühle wir ja auch nicht verletzen wollen? In meinen Kurzgeschichten wird beispielsweise auch Alkohol getrunken. Darf ich das denn noch veröffentlichen? Also, bei allem Verständnis: Toleranz ist keine Einbahnstraße. Ich schreibe doch nicht für einen Kiez in Teheran. Wir haben ja schließlich keine Mohammed-Karikaturen veröffentlichen wollen, oder? Und ich merke langsam, wie sich dieses Gift der Zensur wie Säure durch meinen Kopf frisst. ‚Was darf ich, was darf ich nicht?‘ Und so möchte ich nicht arbeiten, ich will da jetzt auch gar keinen abgehobenen Dünnpfiff von künstlerischer Freiheit und Meinungsfreiheit oder so fabulieren. Ich habe einfach keinen Bock drauf. Ich bin sicher, dass du Verständnis dafür hast, dass ich an diesem Punkt auch solidarisch mit meinem hochgeschätzten & supernetten Förderband-Kollegen ZXY bin, der seinerseits den Bettel als Redaktionsmitglied hingeschmissen hat und bereits nicht mehr im Impressum der Erstausgabe steht.
Ich hoffe, unser freundschaftliches Verhältnis leidet nicht unter meinem Ausstieg. Ich verstehe mich mit allen im Team gut, alle anderen Projekte (Öffentlichkeitsarbeit, Weblog, Buch, Homepage) laufen ja auch. Der Stress kommt von außen und den bin ich jetzt los.
Viele liebe Grüße
Matthias“
P.S.: Da im Januar 2011 die Zahl der Redaktionsmitglieder des Kiezmagazins praktisch auf Null gesunken war, bin ich noch einmal in die journalistische Arbeit eingestiegen. Da war alles noch viel schlimmer. Die Quartiersmanager (d.h. die Herausgeber) waren inzwischen in einer eigenen Arbeitsgruppe eifrig damit beschäftigt, einen schriftlichen Kanon für dringend benötigte Gastbeiträge zu entwerfen (welche Worte erlaubt seien und welche nicht, wie der Plural zu formulieren sei, welche Themen, Organisationen und Personen tabu wären, „Gender“ und biographischer bzw. ethnologischer Hintergrund der Bewerber, Anzahl der Korrekturschleifen bis zur einer möglichen honorarfreien Veröffentlichung, in welchen Fremdsprachen sollen Abstracts zu den Artikeln ins Blatt, in welchen nicht und warum nicht, ist das schon Diskriminierung oder ist allein das deutsche Wort „Fremdsprache“ ein faschistischer Dämon, der uns mit maliziösem Lächeln und selbstverständlich alternativlos in den Orkus des Vierten Reiches hinab stößt usw. ad infinitum – das umfangreiche Konvolut ist bis heute unter Verschluss und ist von zahllosen Mythen und Legenden innerhalb des Berliner Projektuniversums umrankt), der dem „Neuen Deutschland“ in seinen erfolgreichsten Zeiten zur Ehre gereicht hätte. In einer Debatte mit den Quartiersmanagern (hauptsächlich Innen) ging es beispielsweise um die Formulierung „eine türkische Familie“ in einer Spielplatzbeschreibung. Total harmlos. Wir sind im Wedding. Das soll vorkommen, dass auch Menschen ohne Ariernachweis auf den hiesigen Spielplätzen anzutreffen sind. Ist das Adjektiv „türkisch“ schon für sich genommen eine Diskriminierung, eine Ausgrenzung, ein Zeichen von Unverständnis? Zehn Erwachsene streiten eine ganze Stunde lang, es wird laut, Tränen fließen. Wäre die Diskussion anders verlaufen und hätte es weniger Aufregung gegeben, wenn die Formulierung „eine schwedische Familie“ gelautet hätte? Keiner weiß das. Schließlich heißt es nur noch „eine Familie“, die betroffene Kollegin ist sprachlos. Das Quartiersmanagement hat gesprochen.
P.P.S.: Hatte ich schon erwähnt, dass ich auf meine Mail weder eine schriftliche noch eine mündliche Reaktion bekommen habe? Nur Schweigen. Merkwürdiges Volk.
Mittwoch, 22. Mai 2013
Quartiersmanagement und Gentrifizierung
Seit einigen Jahren schon sind die Berliner Quartiersmanagements in der öffentlichen Kritik, da sie angeblich zur Gentrifizierung der von ihnen betreuten Stadtgebiete beitragen. Fragt man einen Quartiersmanager, würde er den Zusammenhang zwischen den Maßnahmen des Quartiersmanagements und einer konkret zu beobachtenden Aufwertung des Viertels nicht sehen. Auch in den schriftlichen Selbstauskünften der verschiedenen Projektträger wird Gentrifizierung nicht als Ziel benannt und auch nicht in der Praxis als Ziel verfolgt. Dennoch ist die empirische Koinzidenz beider Prozesse seit Beginn der Implementierung dieses neuen Instruments der Stadtentwicklung im Jahre 1999 nicht zu übersehen. Fast überall, wo Quartiersmanagements tätig sind, sind nicht nur die Straßen sauber (den patrouillierenden Kiezläufern sei Dank) und mit Blumen zugepflastert (kenne ich aus meiner Kindheit, bei uns hieß das „Unser Dorf soll schöner werden“ und dann wurden wirklich die Geranienkästen gezählt …), sondern die Mieten steigen und zwangsläufig nimmt die Fluktuation der Wohnbevölkerung zu. Der Helmholtzplatz (Prenzlauer Berg) ist ein gutes Beispiel für diese Entwicklung. Ein zukünftiges Beispiel wird das Brunnenviertel sein, wenn etwa 1200 neue Bewohner in das Luxusghetto im Mauerpark einziehen und das Sozialgefüge im Kiez erheblich verändern werden. Quartiersmanagement hat die Aufgabe, in ausgewählten sozialen Brennpunkten für eine „bessere“ Mischung der Bevölkerung nach zuvor festgelegten Sozialkriterien zu sorgen. So ist es definiert. Wenn es in einem Viertel „zu viele“ alte, arbeitslose, arme oder migrationshintergründige Personen gibt, droht die Ghettobildung. Darum muss die Mischung der Bevölkerung angepasst werden. Wenn es in einem sozialen Brennpunkt also zu viele Angehörige der Unterschicht gibt, müssen Angehörige der Mittel- und Oberschicht dorthin. Solange bis die Mischung stimmt. Armut soll sich nicht verfestigen und in Arbeitslosigkeit und dauerhafter Abhängigkeit von Transferleistungen soll sich niemand behaglich einrichten. Die Menschen sollen in Bewegung gesetzt und anpassungsfähiger werden: Mobilität und Flexibilität lauten die Stichworte, die man in jeder Bewerbungsmappe finden kann. Also ist Gentrifizierung nur ein Kollateralschaden einer an sich tollen Sache wie den Berliner Quartiersmanagements. Sie selbst können ja irgendwie nichts dafür, diese lieben netten Sozialtanten und Erklärbären in den Stadtteilläden. Oder klingt das jetzt zu sarkastisch?
Mittwoch, 15. Mai 2013
Ein Tag im Leben der Menschheit
Was war denn heute eigentlich los?
Eine hochschwangere polnische Alkoholikerin bricht in einem Schnapsladen zusammen und kommt ins Krankenhaus. Das Baby hat bei der Geburt 4,5 Promille.
Formel 1-Impresario Bernie Ecclestone soll wegen Korruption in München vor Gericht gestellt werden (wie die Nazis und der FC Bayern).
Menschen können endlich geklont werden – Kaffee ist der lang gesuchte Beschleuniger des Verfahrens.
Auf Sylt schlagen zwei Handwerker einen japanischen Koch tot, weil ihnen das Essen nicht geschmeckt hat. Sie sind nicht festgenommen worden, sondern leben immer noch mitten unter uns.
Den Rest wollen wir doch gar nicht mehr wissen, oder? Kriegstote, Hungertote … - irgendwann sind es nur Statistiken, die unser Wohlbefinden und unsere Verdauung stören.
Tegernseer Tönnchen II
Nach über zwanzig Jahren Berlin denkst du dir: Ich habe alles erlebt. Ich habe Kate Winslet bei Dreharbeiten in meinem Kiez gesehen, am Nachbartisch von Otto Sander beim Italiener gegessen und mit Helge Schneider an der roten Ampel gewartet. Was soll denn jetzt noch passieren? Was könnte mich vom Hocker hauen? Es war Mittagszeit und ich sitze mit einem kühlen Engelhardt (ältere Berliner wissen, was gemeint ist) vor dem Gasthaus meiner heutigen Wahl, um dem Volk mal wieder auf’s ungewaschene Maul zu schauen, da der tatsächliche Informationsfluss aus den Medienkonzernen und Staatssendern immer dünner wird. Und was kommt in diesem Augenblick den Bürgersteig entlang gewatschelt? Eine Entenmutter mit ihren sieben Küken. Gehen wie selbstverständlich am Lokal vorbei und würdigen mich keines Blickes. Hinter ihnen hat sich ein kleiner Stau von Bürolurchen gebildet, die bei dem herrlichen Wetter ihre dunkelgrauen Anzüge gegen hellgraue Exemplare getauscht haben. Ehrfürchtig halten sie Abstand, auch die Jugendlichen hinter ihnen haben von ihren Smartphones aufgesehen und betrachten jetzt neugierig die Tiere. Womöglich gibt es eine Tiererkennungs-App, die ihnen weiterhilft. Selbst die Kellnerin, die seit Jahrzehnten im Beruf ist, hat so etwas noch nicht gesehen. Dit is Berlin, ey!
Montag, 13. Mai 2013
2013
Es ist wie in einem Schlauchboot, das ganz langsam und von allen unbemerkt im Laufe der Jahre seine Luft verliert. Es wird unangenehmer, wir merken es. Die Reise verläuft träge und es wird kalt am Hintern. Dann sagen sie uns, wir wären zu dick und deswegen würde das Boot so tief im Wasser liegen. Aber es ist wahr: Der ganzen Gesellschaft geht allmählich die Luft aus, wir sacken unaufhaltsam ab. Wer von deinen Freunden und Kollegen hat jemals ein Haus gebaut? Wer von ihnen hat sich in den letzten zehn Jahren einen Neuwagen gekauft? Unsere Eltern haben Häuser gebaut und die neuesten Autos gekauft, das war eine Selbstverständlichkeit und keine Ausnahme von der Regel. Wir leben gegenwärtig auf Pump, unsere Eltern und unsere Kinder zahlen für uns, und ich bin gespannt, wann die heiße Luft aus dem Schlauchboot endgültig verbraucht ist. Wenn wir erst mal wieder schwimmen lernen müssen, werden wir auf jeden Fall wach.
Montag, 6. Mai 2013
Berlin-Besucher
Ein langer Spaziergang durch den Tiergarten und ein anschließender Erfrischungstrunk im Schleusenkrug boten mir die willkommene Gelegenheit, meine langjährigen soziologischen Feldstudien zum Phänotypus des Berlin-Touristen unter freiem Himmel fortzusetzen. Ins Herz geschlossen habe ich dabei eine Frau um die sechzig mit offenbar frisch geschnittenen, kurzen, knallroten Haaren und einer nagelneuen Wrangler-Jeansjacke, der eigentlich nur noch das herabbaumelnde Preisschild zur optischen Vollendung fehlte. Sie heißt vermutlich Ursula, stammt aus Recklinghausen und hat ihr Berufsleben als Sachbearbeiterin im Jugendamt verbracht. Sie ist Gewerkschaftsmitglied und hat früher SPD gewählt (jetzt wählt sie grün, weil ihr für links der Mut fehlt), sie ist geschieden und die Kinder sind aus dem Haus. Sie ist auf den Punkt auf ihren Berlinbesuch vorbereitet und schaut sich die ganze Zeit um, wo denn die anderen Leute aus der „Szene“ sind, die zu ihr passen könnten. Eigentlich wird diese Frau nur noch von den Brandenburger Punks übertroffen, die sich einmal in der Woche einen Irokesen basteln, um dann am Samstagnachmittag unter den Gleisbrücken am Bahnhof Zoo rumzustehen (da wo zu Mauerzeiten mal die Drogenszene war) und jeden Passanten anzubrüllen, der sie ansieht oder nicht: „Seh ick aus wie’n Fernseher oder watt?!“
Sonntag, 5. Mai 2013
Taxi zur Bank
Ein Deutscher landete in Zürich, um sein Schwarzgeldkonto aufzulösen. Der Mann hatte ein schmales Gesicht und ein starkes Gebiss. Er hatte kein Gepäck und nahm sich ein Taxi, um vom Flughafen in die Stadt zu kommen. Der Taxifahrer – ein quirliger junger Mann – fragte ihn routinemäßig, ob er schon einmal in Zürich gewesen sei und wie es ihm gefiele. Der ältere Herr erzählte freimütig, dass er eine Million Franken loswerden müsse. Deswegen müsse er zu seiner Bank, allen Deutschen würde ja bekanntlich dieses Jahr ihr Konto gekündigt werden. Er wirkte gekränkt.
„Geld macht nicht nur glücklich, sondern auch jede Menge Sorgen“, sagte er nachdenklich.
„Na, ihre Sorgen möchte ich haben“, antwortete der Taxifahrer.
„Sie können sich den Druck gar nicht vorstellen, den ein Vermögen erzeugen kann. Ich liege oft nachts wach und kann nicht einschlafen. Das Geld ist wie ein Kind, um das ich mir Sorgen mache.“
„Haben Sie Kinder?“
„Ja, mein Sohn ist Rechtsanwalt und lebt in Hannover.“
„Was wollen Sie denn mit dem Geld machen? Ausgeben?“
„Geld ausgeben ist genauso schwer wie Geld verdienen. Mein Leben lang habe ich das Kapital vermehrt. Mir würde es körperlich Schmerzen bereiten, wenn ich sinnlos Geld ausgeben müsste.“
„Geld ausgeben ist doch kein Problem. Das ist viel leichter als Geld verdienen“, sagte der Taxifahrer und lachte in den Rückspiegel.
„Was würden Sie denn mit einer Million machen?“
„Na, ausgeben. Was denn sonst?“
„Junger Mann, eine Million können Sie nicht einfach so ausgeben. Eine solche Summe investiert man.“
„In was soll ich denn investieren? Ich bin Single, mein Taxi ist fast abbezahlt – also wie soll ich denn da noch investieren? Wo ist denn überhaupt der Unterschied zwischen investieren und ausgeben?“
„Bei einer Investition bekommen Sie etwas heraus. Im Idealfall mehr Geld, als Sie investiert haben.“
„Aber dann hätten Sie ja noch mehr Geld! Ihre Probleme würden größer werden.“
Der alte Mann schwieg eine Weile.
„Wissen Sie, was ich mit dem Geld machen würde? Ich würde nach Sils Maria fahren, das ist der schönste Ort in der ganzen Schweiz. Und ich würde mir im besten Hotel das schönste Zimmer nehmen. Kennen Sie das Waldhaus?“
„Nein, ich mache nie Urlaub in der Schweiz.“
„Das ist ein alterwürdiges Hotel, da haben schon Hermann Hesse und Thomas Mann gewohnt. Der Blick auf den See ist herrlich. Natürlich würde ich Halbpension nehmen. Tagsüber würde ich durch die Täler wandern oder am Seeufer.“
„Das sind ja sehr konkrete Pläne. Waren Sie denn schon mal da?“
„Ja, aber nur in einer kleinen Pension übers Wochenende. Aber ich will da unbedingt wieder hin.“
Der alte Mann schwieg wieder und schien nachzudenken. „Wenn ich Ihnen das Geld einfach schenken würde? Dann wäre ich das Schwarzgeld los und könnte das Konto schließen.“
„Schenken?“ Der Taxifahrer riss erstaunt die Augen auf. „Einfach so?“
„Warum nicht? Sie fahren mich wieder zum Flughafen zurück und anschließend weiter nach Graubünden zu Ihrem Hotel.“
„Wahnsinn. Super!“ Der junge Mann lachte laut auf und klopfte sich auf den Schenkel. „Warum kommen Sie nicht einfach mit?“
„Ich?“ fragte der alte Mann irritiert.
„Na klar! Wir nehmen uns jeder eine Suite und lassen es richtig krachen. Mit Roomservice und Champagner. Was meinen Sie?“
„Ich sehe gerade auf meinem iPhone nach, was der Spaß kostet.“ Er schwieg eine Weile. „Da brauchen wir ein halbes Jahr, bis das Geld ausgegeben ist.“
Der Taxifahrer schüttelte lachend den Kopf.
„Waren Sie schon mal in Tokio? Da wollte ich schon immer mal hin. Wir bleiben ein paar Wochen am Silser See, entspannen uns, und dann fliegen wir von Zürich nach Japan. Die Leute sollen dort total nett sein, dazu die vielen Wolkenkratzer in Tokio. Das wäre doch klasse, oder?“
Der alte Mann lächelte zum ersten Mal. „Ja, das wäre toll. Ich bin selbst noch nie dagewesen. Geschäftlich war ich immer nur in China und dort ist es nicht schön.“
„Also ziehen wir’s durch?“
„Ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen.“ Der alte Mann lächelte wieder und sah aus dem Fenster.
Freitag, 3. Mai 2013
1. Mai
Es ist immer interessant zu beobachten, gegen wen sich Volkes Zorn am ersten Mai richtet. Folgenden Einrichtungen wurden die Scheiben eingeschmissen bzw. die Fassade beschmiert: Job-Center (Steglitz, Lichtenberg, Johannisthal, Pankow, Charlottenburg, Reinickendorf), Banken (Neukölln, Wedding), SPD-Büro (Wedding), mehrere Bürogebäude und sämtliche Quartiersmanagements im Wedding. Gentrifizierung war das diesjährige Schwerpunkthema der Proteste, als Orte der Verdrängung und Aufwertung identifizieren Experten und Bewohner in Berlin auch das Brunnenviertel. Professor Harald Simons (empirica) antwortete auf die Frage „Wo sind die nächsten Gebiete in Berlin, die gentrifiziert werden, die also aufgewertet werden und in denen einkommensschwache Haushalte verdrängt werden?“ in einem Interview mit der Berliner Zeitung vom 27.8.2012: „Nach unseren Analysen wird es zum Beispiel das Brunnenviertel sein, das Gebiet rund um den Humboldthain, der Sparrplatz – der ganze südliche Wedding.“ Manja Ehweiner, die vor vier Jahren mit ihrer Familie aus dem überteuerten Prenzlauer Berg ins Brunnenviertel gezogen war, fragt sich in einem Artikel (Kieze im Dialog, 4.3.2013), wie lange sie sich ihre Wohnung noch leisten kann, und fürchtet sich vor einer neu entstehenden Gated Community im Mauerpark. Wer wohl in zehn Jahren in diesem Kiez wohnen wird?
Montag, 29. April 2013
Tegernseer Tönnchen (Berlin)
Als ich das Lokal betrete, empfängt mich trotz der frühen Mittagsstunde ein ausgelassenes Gelächter. An einer langen Tafel sitzt eine große Tischgesellschaft mittelalter bis älterer Herrschaften. Ich nehme an einem abseits gelegenen Tischchen Platz und bestelle meinen Schweinsbraten und mein Bier. Die Damen und Herren sind schon beim Kaffee und krähen fröhlich durcheinander. Ich höre Satzfetzen wie „Ick bin doch ooch erbberechtigt“ oder „Mutti hatte bloß een Girokonto“. Alle sind in schwarz gekleidet, schwarze Mäntel und Hüte hängen an der Garderobe. Bei der Verabschiedung eine Viertelstunde später bilden sich kleine, heiter plaudernde Grüppchen wie man sie von Gartenpartys kennt. Die liebe Gisela und der liebe Harald werden verabschiedet, eine Einladung für Helmuts sechzigsten Geburtstag sei bereits fix und fertig, könne aber (und hier wird die Stimme leiser und tiefer) unter diesen Umständen natürlich noch nicht verteilt werden, man sei aber selbstverständlich herzlich eingeladen, schon werden Mitfahrgelegenheiten organisiert. Ich frage beim Bezahlen – längst ist die lärmende Meute nebst Bewirtungsquittung von dannen gezogen - die Kellnerin, ob die Trauerfeiern in ihrem Lokal immer so lustig seien. Sie rollt die Augen und sagt: „Letzte Woche hatten wir eine Beerdigungsgesellschaft, die hat von zwei bis zwölf nur gesoffen.“ Die Generation der Erben betritt die Bühne …
Der Kalle
Natürlich. Der Kalle also auch. Wie sein Chef, aber natürlich im Kleinformat. „Hopsala! Da sind ja zwei Rolex in meinem Koffer. Ganz vergessen. Was macht das? Ja ja, hören Sie, ich hab’s eilig. Ich muss zu einer Konferenz, auf der ich einen Audi geschenkt bekomme. Schicken Sie den Strafbefehl einfach an die Rechtsabteilung des FC Bayern.“ Westerwelle hat als FDP-Chef mal vom „anstrengungslosen Wohlstand“ und der „spätrömischen Dekadenz“ der Hartz IV-Empfänger gesprochen. Und dann sieht man diese Multimillionäre im Fernsehen, wie sie durch ihre eigene Welt der VIP-Bereiche, Gratisdienstleistungen und sinnlos teuren Geschenke schweben. Wer schon alles besitzt, dem wird trotzdem noch ein zweites Mal alles hinterher geworfen. Als wären es Maharadschas, deren Wege wir noch mit Rosenblättern, Kaviar und Brillianten bestreuen müssten. Und wenn dann einer vom neuen Hochadel beim Gesetzesbruch ertappt wird, ist das Volk ein undankbarer Haufen, dass eine solche von Gott gesegnete Herrschaft in diesem blühenden Bayernland gar nicht verdient habe. Wenn Multimillionäre wie Rummenigge auf einer Konferenz in Katar einfach so zwei Rolex geschenkt bekommen, dann ist das für mich nichts anderes als anstrengungsloser Wohlstand und spätrömische Dekadenz. Und wer diese Art von Reichtum verspricht, lädt nach Westerwelles Worten zum Verfall der Sitten ein. Quod erat demonstrandum. Ich würde mich freuen, wenn ich dazu von den Freidemokraten mal ein klares Wort zu hören bekäme.
Sonntag, 28. April 2013
Viererkette: Söder – Hoeneß – Seehofer - Merkel
Folgendes Gedankenspiel: Hat vielleicht der Söder als Finanzminister das Steuergeheimnis vom Seehofer-Amigo gebrochen, um sich für seine Demontage als Kronprinz der CSU und die damit verbundenen Beleidigungen am Partei- und Regierungsboss zu rächen? Damit die Sache nicht auffällt, lanciert der Söder die Causa Hoeneß über einem Mittelsmann dem „Stern“. Jeder denkt natürlich gleich: Ein Skandal im „Stern“? Da muss die SPD dahinterstecken. Schließlich kaufen die Sozen ja die Steuer-CDs wie blöde und die CSUler schützen heldenhaft ihre Steuerflüchtlinge vor dem Zugriff des preußisch-protestantischen Kraken namens Deutschland. Die Daten von der Vontobel in Zürich, wo Hoeneß jahrelang gezockt hat, sind ja vermutlich ebenso auf dem Markt wie Daten der anderen eidgenössischen Banken. Da denken sich die Zeitungsleser und Fernsehzuschauer doch gleich: Die SPD will im Wahlkampf dem Regierungslager kräftig eins auswischen.
Der Nelson vom Tegernsee wäre dann nur ein willkommener Kollateralschaden in Söders Plan zur Rache an Seehofer. Ein medialer Konkurrent und lästiger Emporkömmling weniger. Einer, der als Hofnarr der Mächtigen glaubte, selbst mächtig zu sein, wird nebenbei entsorgt. Einer, der Wurst machen konnte und Stars. Wenn der Söder sich da mal nicht täuscht. Wenn der Hoeneß alles auspackt, was er über die Bussi-Mafia in Minga&Umgebung weiß, gibt’s pünktlich zur Bundestagswahl im September so heftige Kollateralschäden, dass Großkopferte wie Seehofer oder Söder gleich im Dutzend über die Klinge springen werden. Hoeneß wird alles tun um zu verhindern, dass sein kleiner Arsch demnächst die große Sensation in Stadelheim wird. Also wird man ihn wie Zumwinkel irgendwie durch seinen Prozess navigieren und er kommt mit einer Geldstrafe davon. Die hat er sich in einem Jahr locker wieder zusammenspekuliert. Zumwinkel zum Beispiel hat nach seiner Verurteilung zu einer Haftstrafe auf Bewährung das Land verlassen und sich eine Burg am Gardasee gekauft. Vielleicht zieht „der Uli“ ja zum Franz nach Kitzbühel?
Freitag, 26. April 2013
Sinnbild der Sinnlosigkeit
Gewinner und Verlierer sind in unserer Gesellschaft seit langem in Beton gegossen. Es ist, als ob es in einem Fußballspiel 12:0 steht und es wird niemals abgepfiffen werden. Irgendwann steht es 15:0, 18:0. Das Spiel wird langweilig – selbst für die Fans der überlegenen Mannschaft. Wir alle haben längst den Spaß an diesem Spiel namens „Wirtschaft“ oder „Arbeit“ verloren. Wir sind müde, aber es hört einfach nicht auf. Wir rotieren wie blöde, aber wir bewegen uns nicht von der Stelle.
Weltstars privat
„Als das Smartphone und der iPod noch nicht erfunden waren, galten Vier-Farb-Kugelschreiber und Taschenrechner als die ultimativen Statussysmbole im Klassenzimmer. Damit hast du in den siebziger Jahren jedes Mädchen rumgekriegt. Irgendwann später, ein Jahr oder so, haben uns dann die Jungs abgelöst, die sich eine Gitarre gekauft haben.“ (Ronaldo Pofalla)
Donnerstag, 25. April 2013
Feedback
So sieht uns die Welt: Bier und Fußball, Mercedes-Stern und Hakenkreuz, Merkel und Moneten.
Montag, 22. April 2013
War es so, Uli?
Die Geschichte von Ulrich Hoeneß könnte so gelaufen sein: Im Jahr 2012 wird das deutsch-schweizerische Steuerabkommen verhandelt. Der Bayern-Krösus ist längst Intimfreund der schwarzen Politgarde und nimmt regen Anteil an den Diskussionen. Schließlich verspricht er sich von diesem Abkommen ein elegantes Ende seiner dubiosen Karriere als Steuerhinterzieher. Dann platzt das Abkommen aufgrund der Ablehnung des Gesetzes durch Rot-Grün im Bundesrat. Hoeneß schäumt und schimpft auf die Politiker, derweil bekommt er in der Bevölkerung und in den Medien immer mehr das Image eines Säulenheiligen, eines „Vater Theresa“ (wie ein grenzdebiler Rummenigge es dereinst formuliert hatte). Das wiederum schmeckt der Politik nicht. Seit langem ist ihnen der Saubermann und Vorzeigeunternehmer mit seiner Stammtischpolemik ein Dorn im Auge. Die Hoheit über den Stammtischen gehört schließlich der CSU! Also steckt irgendeiner aus dem Regierungslager dem „Stern“, dass es einen dicken Finanzskandal in der Bundesliga gibt, in den ein Prominenter verwickelt ist. Es geht um Hunderte Millionen Euro, der Kreis der Verdächtigen ist klein. Die Stern-Reporter recherchieren den Fall. Dabei rufen sie auch Hoeneß an und fragen ihn, ob er was zu dieser Sache weiß. Dem selbstverliebten Moralapostel geht postwendend der Arsch auf Grundeis. Sie sind mir auf den Fersen! Er gibt eine ausweichende Antwort und bespricht die Sache mit seinen Steuerberatern, Anwälten und engen Familienangehörigen. Das Ergebnis: Am 17. Januar 2013 erstattet Hoeneß Selbstanzeige, am gleichen Tag veröffentlicht der „Stern“ die Story (interessanterweise wird die Geschichte medial von der gleichzeitigen Verpflichtung von Josep Guardiola durch den FC Bayern überlagert). Die Staatsanwaltschaft ermittelt nachlässig (Hausdurchsuchung erst im März), die CSU-Staatskanzlei ist über den Vorgang permanent informiert. Erst als die Müncher „Abendzeitung“ Wind von der Story bekommt (ein Leck beim zuständigen Finanzamt Miesbach oder ein freundlicher Sozialdemokrat bzw. Grüner in der Staatsanwaltschaft?), muss Hoeneß mit seinen Straftaten an die Öffentlichkeit. Dem FC Bayern-Aufsichtsratskollegen Markwort erteilt er die exklusiven Rechte an seiner Story, um sie wenigstens halbwegs unter Kontrolle zu halten. Der „Abendzeitung“ droht er mit dem Rechtsanwalt und hofft nun wie Guttenberg, dass die Zeit und ein wenig Heuchelei in Bayern alle Wunden heilen werden.
Sonntag, 21. April 2013
Du hast die Haare schön
Und wieder ist einer dahin gegangen. Einer aus der Phalanx der arroganten Erfolgsmenschen, einer dieser bajuwarischen Moralapostel, die anderen gerne lautstark die Welt erklären: Strauß, Stoiber, Seehofer, Guttenberg – und jetzt Hoeneß. Der nun folgende Shitstorm wegen seiner Steuerhinterziehung wird den Wurstmacher den Kopf als Unternehmer und FCB-Präsident kosten. Die Selbstanzeige belegt, dass der Steuerflüchtling keinen anderen Ausweg mehr sah. Von Ulrich Hoeneß bleiben vor allem zwei Momente in Erinnerung: wie er 1976 mit einem Elfmeter die Fußballeuropameisterschaft im Alleingang vergeigt und wie er mit moralinsauren Hetzkampagnen Christoph Daums Karriere öffentlich zerstört. Vielleicht ist in Guttenbergs amerikanischem Exil ja noch Platz. Geld hat der Uli ja.
Freitag, 19. April 2013
Blick aus dem Fenster
Unter meinem Fenster zieht die Welt dahin: lachende und weinende Kinder, schweigende und schreiende Erwachsene, manchmal eine ganze bulgarische Kapelle auf ihrem Weg zwischen den Restaurants dieser Stadt. Riesige Busse mit flacher Stirn hupen und drängen nach vorn, Kleinwagen schlüpfen wie Insekten aus schmalen Parkbuchten. Ein übergewichtiger Mann schiebt seinen Bauch mühsam in Richtung Einkaufszentrum und zieht ein zweirädriges Utensil mit absurder Schottenmusterung hinter sich her als wäre es ein altersstarrsinniger Rauhaardackel. Touristen aus dem nahen Hotel gehen an der Gedenktafel für die ermordeten Kurden vorüber. Manche bleiben stehen und lesen die Namen, andere streben aufgeregt schnatternd dem Ku’damm entgegen. Die Kraft der Stadt kann ich nur erahnen, wenn ich die Fenster öffne und mir das fröhliche Geschrei der spielenden Kinder am Prager Platz und der gegenüberliegenden Kita über die Tastatur fliegt. Nur aus diesen Kindern kann Berlin seine Energie schöpfen, die Zeit der alten Männer ist vorbei, ihrer lauwarmen Pläne von ach so tollen Flughäfen und anderer Betonfantasien von Leuten, die selbst kein Zuhause mehr kennen.
Samstag, 13. April 2013
11. April – ein schwarzer Tag für Berlin
“Man kann mit einer Wohnung einen Menschen genauso töten wie mit einer Axt”, hat Heinrich Zille einmal gesagt. Rosemarie Fliess hat den Kampf verloren, der auf dem Berliner Wohnungsmarkt tobt. Der Eigentümer ihrer Wohnung in Reinickendorf bestand, trotz Mietübernahmeerklärung des Sozialamts und einer ärztlichen Diagnose, die schwerbehinderte Frau sei durch die drohende Obdachlosigkeit gesundheitlich gefährdet, auf Vollstreckung der Zwangsräumung. 140 Polizisten hat der Staat geschickt, um die Zwangsräumung durchzusetzen. Zwei Tage später war die alte Dame tot. Ihr letzter Zufluchtsort, die Wärmestube „Wärme mit Herz“, wird am 19. April ebenfalls zwangsgeräumt. Für Rosemarie Fliess bleibt ein kleiner Flecken Erde, der ihr immer gehören wird: Ihr letzter Wille war es, nach dem Ritus ihres jüdischen Glaubens beerdigt zu werden. Der Berliner Senat wird es, all seiner Schamlosigkeit und Schäbigkeit zum Trotz, nicht wagen, dieser alten Frau den allerletzten Herzenswunsch zu verweigern und sie würdelos in einem anonymen Massengrab zu verscharren.
Mittwoch, 10. April 2013
Rätsel
Ein Volk von stummen Knechten und demütigen Mägden, die jedem Befehl gehorchen und jede Arbeit verrichten; ein Volk, dessen uralte Herrscherfamilien noch nicht einmal mehr die Zuchtknute schwingen müssen, denn es hat sich mit seinen falschen Idealen von Fleiß, Gehorsam und Bescheidenheit selbst eine Peitsche geschaffen, die es unaufhörlich vorantreibt; ein Volk, das im Zeitalter der Globalisierung die Blutsauger aller Länder geradezu magisch anzieht, denn dieser Mischung aus Wohlstand und Wehrlosigkeit kann niemand lange widerstehen; ein Volk von Weicheiern und geföhnten Susis, das auf der ganzen Welt für seine Erfolge verachtet und für seine Geschichte gehasst wird, und dem selbst neureiche Kleinststaaten wie Luxemburg, Zypern und Malta ihre Unverschämtheiten ins Gesicht brüllen können. Wer bin ich?
Dienstag, 9. April 2013
Aus dem Zettelkasten
Der Typ, der das # erfunden hat, ist inzwischen bestimmt steinreich. Ich habe schon Ende der achtziger Jahre das Wort „Hashtag“ erfunden und keinen Cent dafür gesehen. Die ursprüngliche Wortbedeutung war übrigens „Kollektives Kiffen ab den frühen Morgenstunden“, aber das ist im Laufe der vielen Jahre völlig verloren gegangen. Inzwischen gehört das Wort der Firma Twitter und für dessen einmalige Benutzung werde ich mit einem Dutzend Spam-Mails bestraft.
Grabinschrift (geplant):
Keiner weiß wohin er ging / Der gute alte Eberling
„Ob Gott oder der Teufel mich geschickt hat, weiß ich nicht. Ich kenne nur meinen Auftrag.“
Abstieg: In den Achtzigern hatten wir Bowie, jetzt haben wir Wowi.
Mach dich selbst so klein, dass die Schwerkraft ihre Bedeutung verliert.
Haben die Wikinger gespart, haben die Wikinger gearbeitet? Quatsch. Die sind in ihre Boote gesprungen, sobald der Suff alle war, und haben die nächstliegende Stadt überfallen.
Die Stufen der Wahrnehmung: Für das Kind besteht der Strand aus Sand, für den Bauingenieur aus Quarz und für den Wissenschaftler aus Siliciumdioxid. Wie war der Fall der Mauer für mich persönlich? Ich habe damals noch in Ingelheim gewohnt und die ganze Sache nur im Fernsehen gesehen. Es war sicherlich auch in meiner Stammkneipe ein Thema gewesen. Aber konkret kam die Veränderung erst vier Wochen nach dem 9.11.1989, als ich mit einer Zigarette in der Hand auf unserem Balkon stand. Da hörte ich plötzlich, wie aus Richtung City etwas sehr lautes die Rheinstraße entlang kam. So etwa wie ein Rasenmäher auf Koks. Und dann fauchte tatsächlich ein hellblauer Trabant aus der DDR vorüber, kleiner als gedacht und hinterließ beim Vorbeiknattern eine riesige Qualmwolke wie in einem Comicstrip. Das war mein erster Kontakt mit der neuen Realität.
Freitag, 29. März 2013
Karfreitagsgedanke
Diese amerikanische Fröhlichkeit, die Oberflächlichkeit und Verlogenheit eines angeblich permanent vorhandenen Lebensglücks, der verkrampfte Optimismus rund um die Uhr, der stereotyp dahin geleierte Wunsch, man möge noch einen schönen Tag, ein schönes Wochenende oder einen schönen Feierabend haben (jedoch keinesfalls ein schönes Leben – man wünscht uns das Glück in homöopathischen Dosen), passt gar nicht zu Berlin und zu den Deutschen ganz allgemein. Ich fand „Keep smiling“ schon immer so gruselig wie Kommunismus. Wer bei den Russen nicht mitmachte, bekam Knast, wer bei den Amis nicht mitmacht, bekommt Antidepressiva oder Hartz IV.
Dienstag, 26. März 2013
Die Krähen im Mauerpark
Vor ein paar Jahren gab es eine Krähe, die lebte auf der Karl-Marx-Allee in Berlin. Sie hatte sich in den dortigen Bäumen ein schönes Plätzchen gesucht und ein Nest gebaut. Der Verkehr auf der mehrspurigen Verkehrsachse und die vielen Fußgänger und Kaffeehausbesucher störten sie nicht. Das änderte sich, als die Krähe Kinder bekam. Nun, da die Bälger ganztägig und aus Leibeskräften nach Futter krähten, welches eilig von den dienstverpflichteten Eltern herbeigeschafft werden musste, war Familie Krähe komplett im Stress. Plötzlich störten die vielen Autos und Passanten. Was wollen all diese Leute hier in unserer Kinderstube? Eine Unverschämtheit! Und so griff die Krähe die Passanten tätlich an und schaffte es auf diese Weise bis in die Berliner Lokalpresse. Wir wissen nicht, wie diese Krähe hieß, aber wir wissen jetzt schon, dass die Krähen, die sich auf dem Grothschen Beton niederlassen werden, genauso auf die Menschen im Mauerpark reagieren werden.
Mittwoch, 13. März 2013
Gute und schlechte Europäer
Was haben die deutschen Nachbarn zu bieten? Fangen wir auf zwölf Uhr an und bewegen wir uns im Uhrzeigersinn:
Dänemark: Hot Dog
Polen: Wodka
Tschechien: Bier
Österreich: Schnitzel
Schweiz: Käse
Frankreich: Rotwein
Luxemburg: Weißwein
Belgien: Pommes frites
Niederlande: Gras
Was haben wir, der Ned Flanders Europas, zu bieten? Sparpropaganda, Maschinen und Waffen.
Donnerstag, 7. März 2013
Das kleine Schwarze vom Main
Der hessische Bonsai-Denker Schirrmacher macht aus der aktuellen Kapitalismuskritik ein flottes Geschäft, das muss man ihm lassen. Diese Spielart der „Dialektik der Aufklärung“ füllt jedenfalls die Kassen: Und wenn auch morgen die Welt untergeht (wahlweise durch Vergreisung, sintflutartige Informationsmengen oder unsere heimtückisch geplante Verwandlung in willenlose Konsumautomaten durch spieltheoretisch geschulte Wall Street-Physiker), so lasset uns heute mit einem Sachbuch noch ein Milliönchen mehr verdienen. Lösungen bietet das ehemalige Wunderkind der konservativen Medienindustrie (Spitzname: "Karlsson auf dem Dach") natürlich nicht an. Es sitzt längst viel zu tief drin, um noch rausgucken zu können. Aber wir nähern uns sicherlich der Lösung sämtlicher existenziell wichtiger Fragen mit jeder weiteren Hardcover-Selbstinszenierung an, die wir nach einem flüchtigen Durchblättern in unser gutbürgerliches Buchenholzregal stellen. Fortsetzung folgt.
Samstag, 2. März 2013
Der Lenz kommt
Dichter am Fenster: „Es ist Frühling! Was wohl die Amsel auf dem Ast dort drüben gerade denken mag?“ Und er hängt vielleicht noch einen erhabenen Gedanken an die ohnehin schon zartfühlende Frage: „Vögel sind die Philosophen der Tierwelt. Sie haben ihre Hände gegen die Möglichkeit zu fliegen eingetauscht.“
Amsel: „Schon Frühling? Verflucht! Dann muss ich wohl mal wieder ein verdammtes Scheiß-Nest bauen. Bescheuerter Instinkt, da machst du nix! Und das ohne Hände, nur mit meinem blöden Schnabel …“
Freitag, 1. März 2013
Die Mauer ist der Park
Die Wohnungsbaupolitik gehört zu den Stiefkindern der Bundes- wie auch der Landespolitik. In Berlin wird dieses Desaster aber noch potenziert, weil im Zuge einer verfehlten Politik Kultur und Natur geopfert werden. Ich bin auf die Überzeugungskünste zukünftiger Lehrergenerationen gespannt, die ihren Schülern erklären sollen, warum die East Side Gallery abgerissen und der Mauerpark bebaut wurden. Der ehemalige Todesstreifen, Ort der Erinnerung und der Begegnung, wird gerade flächendeckend mit Luxusimmobilien zugeschissen, sorry, anders kann man es nicht formulieren. Der Kampf gegen die Zerstörung der Berliner Mauer durch einen offensichtlich komplett durchgedrehten Senat in der Götzendämmerung seiner Macht ist die Generalprobe für den Kampf um den Mauerpark im nächsten Jahr. Die Mauer ist der Park ist die Mauer.
Samstag, 23. Februar 2013
Glückwunsch
Der Satz „Hannover wird oft unterschätzt“ ist gerade vom Bundesverband der Journalisten zum langweiligsten Artikelbeginn des Jahres gekürt worden.
Sein und Schein
Unsere Sprache enthüllt, welchem Medium die Zukunft gehört. Wir sitzen vor dem Fernseher, wir sehen fern. Aber wir gehen ins Internet und wir sind im Netz. Das Fernsehen nehmen wir nur wahr, aber das Internet ist eine Existenzform. Wer von uns ist schon im Fernsehen bis auf die unerlösten Seelen auf dem Fliegenden Holländer der Talkshowindustrie und ein paar schwer vermittelbare Moderatoren?
Die Katze
Viele sagen, die Katze lebe mit den Menschen, weil sie so schön, klug und geheimnisvoll sei. Das ist natürlich Blödsinn. Katzen gibt es wesentlich länger als Menschen und sie sind bei der Sesshaftwerdung des Menschen nur deswegen angeheuert worden, weil sie die besten Mäusejäger des Universums sind. Jeder, der einmal mit einem Elefanten oder einem Zebra auf Mäusejagd war, kann das bestätigen. Und das kam so: Die bescheuerten Erstmenschen (Beta-Version) sind die ganze Zeit durch die Gegend gelatscht und haben was zu essen gesucht. Das hat meistens den ganzen Tag gedauert und am Ende gab es nur Rote Beete zum Abendbrot. Und Geschichten von den Männern, die fast ein Kaninchen gefangen hätten. Jäger und Sammler nannte man die Leute und nach einer einzigen Umschulung kanntest du das ganze Business des Holozäns. Als sie sesshaft wurden und einfach alles, was man so braucht, um die eigene Bude herum angepflanzt haben, um weitere Sucharbeit zu vermeiden, wurden die Katzen rekrutiert. Ein Problem hatte man gelöst: Was gibt es zum Essen? Ein neues Problem kam dazu: Wie verteidigen wir Neo-Bauern die Vorräte, die wir aus unserer „Arbeit“ gewonnen haben, gegen die Vögel und Mäuse? Du hast einmal im Jahr eine große Ernte, aber du kannst nicht das Brot für ein ganzes Jahr backen. Oder den Kuchen und alles andere. Die Katzen haben uns geholfen. Sie bewachen unsere Nahrung, bewahren sie vor pestilenzförderndem Nagetierbesuch und sind selbst der Korruption völlig unverdächtig. Katzen mögen kein Getreide und im Übrigen auch kein Gemüse. Und unserem Geschwätz hören sie noch weniger zu als träumende Hunde.
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