Sonntag, 2. Juni 2019

Nochmal Schwein gehabt: Klimawandel abgesagt


Blogstuff 312
„Ich hatte mich in meinen mitgebrachten Begriffen von dieser großen Stadt sehr geirrt. Das Äußerliche viel schöner, das Innerliche viel schwärzer, als ich mir’s gedacht hatte. Berlin ist gewiss eine der schönsten Städte in Europa. Aber die Einwohner? – Gastfreiheit und geschmackvoller Genuss des Lebens – ausgeartet in Üppigkeit, Prasserei, ich möchte fast sagen Gefräßigkeit. Freie aufgeklärte Denkungsart – in freche Ausgelassenheit, und zügellose Freigeisterei … Was Wunder, dass Goethe dort so sehr, so allgemein missfallen hat, und seinerseits auch mit der verdorbenen Brut so unzufrieden gewesen ist!“ (Georg Forster)
Das Internet ist heutzutage das, was in meiner Jugend die Schallplattenindustrie gewesen ist. Ein Stück Hoffnung. Du kannst ein Star werden, flüstert es den Menschen zu. Du musst nicht fünfzig Jahre als Fußpfleger in einem Seniorenzentrum arbeiten. Du kannst es schaffen.
Die SPD ist laut Umfrage bei 12 Prozent. Sic friatur crustulum, wie die gebildeten Stände sagen. So zerbröselt der Keks.
Vor dem Konrad-Adenauer-Haus wurden übrigens große Mengen an Kupferdraht, Transistoren und Lötzinn abgeladen. Es heißt, die CDU plane ihr eigenes Internet. Arbeitstitel: Deutschlandnetz 2000.
Fun Fact for Fans: Die Einladung zur CDU-Klausur am diesem Wochenende wurde per Fax verschickt. AKK – ganz unbefangen in ihrer Rückständigkeit. Wann schreibt sie zum ersten Mal LOL auf eine Postkarte?
Im Hunsrück gilt Fahrradfahren als sicheres Anzeichen für Homosexualität. Denken Sie doch nur mal an die Klamotten. „Hallöchen, ich trage in aller Öffentlichkeit hautenge Sache in schwarz und pink.“ Sehe nur ich das?
Das Telefongespräch mit Harpo Marx verlief sehr einseitig.
Besonders amüsant finde ich Menschen, die Klamotten aus Bangladesh tragen und gerade mit einem Smartphone aus China rumspielen, während sie anderen Menschen erklären, mit einer Bestellung bei Amazon unterstütze man einen Ausbeuterbetrieb.
„Er dachte, in dem schwarzen Lederkoffer, den er hinter einem Müllcontainer gefunden hatte, sei die Lösung. Aber das viele Geld wurde zu einem Problem. Und der Anruf von Renate machte die Dinge nicht einfacher.“ (Beginn einer Kurzgeschichte)
An der Supermarktkasse sage ich zur Mitarbeiterin Hallo und sie antwortet mir. Zum Abschied wünschen wir uns gegenseitig einen schönen Tag. Treffe ich dieselbe Verkäuferin in einem der Gänge des Markts, grüßen wir uns nicht. Auch außerhalb des Geschäfts ignorieren wir uns, z.B. wenn sie vor dem Markt eine Zigarette raucht oder wir uns in der U-Bahn begegnen. Trotzdem ist dieses Verhalten völlig normal. Oder?
Gab es jemals eine Wahl, die von den Medien nicht zur „Schicksalswahl“ erklärt wurde?
„Bonetti Media ist unbestritten der Vorreiter der Digitalisierung im Bereich des Verlagswesens. Hier wurde der Workflow schon bottom-up strukturiert und optimiert, als der SPIEGEL noch von Mönchen kopiert wurde. Bonetti Media ist die Zukunft. Oder wie die Mitarbeiter es nennen: New Work City.“ (Digitaler Journalismus 23/2019, S. 46).
Joe Jackson – It’s Different for Girls. https://www.youtube.com/watch?v=KLDFG5vm5kA

Samstag, 1. Juni 2019

Damals und heute – als Student in Berlin

Frühling 1989. Nach langen Monaten des Wartens bekommst du einen Wohnberechtigungsschein, ohne den in Berlin gar nichts geht. Jeden Morgen holst du dir um sechs Uhr die Tageszeitungen vom Kiosk und studierst die Wohnungsangebote. Dann telefonierst du mit den Vermietern. Schließlich ergatterst du eine Einzimmerwohnung in Moabit für neunzig Mark Kaltmiete im Monat. Vierter Stock Hinterhaus ohne Aufzug. Das Zimmer hat zehn Quadratmeter und ein Fenster zum Hof, dessen Scheiben vor Dreck blind sind. Dein Vormieter hat die Wände knallrot gestrichen. Die Küche ist halb so groß wie das Zimmer und mit einem uralten Herd und einer Spüle bestückt. Die Toilette ist auf der anderen Straßenseite, zum Duschen musst du ins Schwimmbad sieben U-Bahnstationen weiter. Im Winter merkst du, dass der Kohleofen gar nicht funktioniert. Bei Besuchen in der westdeutschen Heimat verschweigst du deinen Eltern die unappetitlichen Details deiner neu gewonnenen Unabhängigkeit.
Frühling 2019. Die Maschine landet am Morgen pünktlich in Tegel. Der Immobilienmakler erwartet dich schon. In seinem dicken Mercedes fahrt ihr ein paar Wohnungen ab, du hast dich für Prenzlauer Berg und Friedrichhain entschieden. Wohnung Nr. 5 ist es. Du hast dich sofort verliebt. Altbau mit Parkett und Stuck in der Husemannstraße, Nähe Kollwitzplatz. Die Wohnung ist gerade luxussaniert worden, zwei große Zimmer, eine komplett eingerichtete Küche und ein Badezimmer mit einem Whirlpool. Der Preis: eine halbe Million Euro. Monatliches Wohngeld: 250 Euro. Du gibst dem Makler eine mündliche Zusage und gehst erstmal in ein thailändisches Restaurant, um dich für deine gute Entscheidung zu belohnen. Dann rufst du deinen Vater in Westdeutschland an. Er ist Zahnarzt und freut sich, dass du so schnell was gefunden hast. Er verspricht, einen Notartermin zu machen, um den Kaufvertrag abzuschließen. Leuten aus deinen Abiturjahrgang, die auch nach Berlin wollen, aber nicht reich sind, empfiehlst du ein Studium in Saarbrücken oder Jena.
P.S.: Für Underdogs war es zu allen Zeiten schwierig. Mein Vater hat in den fünfziger Jahren studiert. Ohne Abitur, zweiter Bildungsweg, als gelernter Maler und Lackierer. Er lebte zur Untermiete auf einem Speicher, ohne Küche und Bad. Wenn er aus dem Fenster gucken wollte, hat er den Stuhl auf den Tisch gestellt und ist hinaufgeklettert. Auf dem Stuhl stehend konnte er die Düsseldorfer Altstadt sehen. Im Winter lag er mit seinem Mantel unter der Bettdecke. Viele Nebenjobs machte er nachts. Zeitungen falten, das war damals noch Handarbeit. Achtzig Pfennig die Stunde. Oder zu zweit einen Lkw mit 500 Sack Zement abladen. Den Schlaf hat man eben im Hörsaal nachgeholt. Das alles ohne Bafög und ohne eine einzige Mark Unterstützung von seiner Familie. Da musste man auch manchmal seinen Stolz überwinden und bei der Bahnhofsmission um einen Teller Suppe bitten.
Siouxsie And The Banshees – Dear Prudence. https://music.youtube.com/watch?v=M6rrTROoZIw&list=RDAMVMM6rrTROoZIw