Samstag, 23. Mai 2015
Waterloo
Heute ist ja wieder dieser unsägliche ESC. Als ich noch jung war – Achtung, Kinder, Grandpa Simpson setzt zu einem seiner gefürchteten Monologe an – hieß die Veranstaltung ja noch „Grand Prix Eurovision de la Chanson“. Auf Französisch klingt eben alles viel besser und damals haben auch noch nicht irgendwelche Heulbojen aus Aserbaidschan mitgemacht. Überhaupt war der ganze Ostblock noch nicht vertreten und die Sendung war noch recht überschaubar. „Douze points“ gab es damals ebenfalls noch nicht, das heutige System der Punktevergabe wurde erst 1975 eingeführt.
Ich erinnere mich noch ganz genau: 1974 habe ich zum ersten Mal zugeschaut. Zusammen mit meiner Oma und meinem Opa im schönen Klingelbach, einem Ortsteil von Katzenelnbogen. Wir saßen auf dem Sofa und ich war stolz, als Achtjähriger so lange aufbleiben zu dürfen. Jedem Lied habe ich eine Note gegeben und auf einem Zettel notiert. Nur die Schweden mit einer damals noch völlig unbekannten Gruppe namens ABBA bekamen von mir eine Eins. Besonders gut gefielen mir, abgesehen von dem Ohrwurm „Waterloo“, die glitzernde sternförmige Gitarre von Björn und die anbetungswürdige Anni-Frid. Also habe ich bei der Punktevergabe ABBA die Daumen gedrückt – und sie haben gewonnen! Ein großer Moment. Trotz meiner jungen Jahre hatte ich offenbar Geschmack bewiesen. Ich hätte Talentscout werden sollen, aber leider ging ich zu diesem Zeitpunkt noch in die Grundschule.
Ich bin dann 1974 allerdings nicht ABBA-Fan geworden, sondern war Anhänger der Gruppe Sweet. 1975 wechselte ich zu den Bay City Rollers und begann, regelmäßig die Bravo von meiner großen Schwester zu lesen. So wurde ich auch nebenbei aufgeklärt, aber das ist eine andere Geschichte. Den letzten Grand Prix Eurovision de la Chanson habe ich 1982 gesehen. Ich sage nur: Nicole. „Ein bißchen Frieden“. Ein bisschen Napalm wäre besser gewesen. Ein Jahr später haben wir sie für die Schülerzeitung interviewt, als sie bei uns in Ingelheim auf dem Rotweinfest aufgetreten ist. Unvergessen die Antwort auf die Frage nach ihrer Lieblingsplatte. Ihre eigene. Sie würde sie immer wieder gerne hören. Damit war ich für den deutschen Schlager und die Friedensbewegung verloren. Ich begann zu trinken, um alles zu vergessen.
Nur 1998 habe ich für den Rheinland-Pfälzer Guildo Horn und seine Band „die orthopädischen Strümpfe“ eine Ausnahme gemacht. Damals war schon die Postmoderne angebrochen, d.h. man hat noch dieselben Sachen gemacht wie früher, aber mit Ironie und augenzwinkernder Selbstbespiegelung. Der Wettbewerb hatte inzwischen einen englischen Namen bekommen: „Eurovision Song Contest“. Im Grunde ging damals der ESC-Hype in Deutschland los, der bis heute anhält. Aber „Guildo hat euch lieb“ schaffte nur den siebten Platz. Das Lied von Conchita Wurst, die im letzten Jahr gewonnen hat, habe ich noch nie gehört. Den heutigen Samstagabend werde ich meinem Alter entsprechend verbringen: mit ein paar Freunden, Bier, Chips – und einem anderen Fernsehprogramm.
ABBA – Waterloo. https://www.youtube.com/watch?v=3FsVeMz1F5c
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