Mittwoch, 20. Mai 2020

Gespräch mit dem Lektor


Lektor: Guten Morgen, Herr Kafka. Ich habe Ihr Manuskript gelesen, es hat mir sehr gut gefallen.
Kafka: Danke, das freut mich.
L: Ich hätte noch ein paar Anmerkungen. Fangen wir mit dem ersten Satz an: „Als Nepomuk Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Wellensittich verwandelt.“ Der Vorname des Protagonisten ist doch etwas gewöhnungsbedürftig. Könnten Sie den vielleicht ändern?
K: Ein Kollege von mir heißt Gregor. Wäre dieser Name besser?
L: Ausgezeichnet. Auch die Verwandlung in einen Wellensittich finde ich etwas unglücklich. Wie wäre es, wenn wir diesem Vorgang etwas mehr Schrecken verleihen? Irgendetwas Ekelhaftes vielleicht?
K: Ungeziefer?
L: Ja, sehr gut. Ein ungeheures Ungeziefer. Dann wäre da noch der Punkt mit den Mitbewohnern.
K: Was stimmt mit den Figuren nicht?
L: Thomas Mann und Charlie Chaplin? Der Leser könnte diese Personenkonstellation unglaubwürdig finden. Lassen wir die Untermieter doch mehr im Anonymen.
K: Gut, ich werde es ändern.
L: Das Ende der Erzählung ist mir etwas zu optimistisch. Der Wellensittich fliegt nach Paris und fängt ein neues Leben an. Wie wäre es, wenn wir etwas Ungewöhnliches wagen und auf ein Happy End verzichten?
K: Kein Happy End? Auf diese Idee bin ich noch nie gekommen.
L: Versuchen Sie es doch mal. Womöglich könnte der Hauptdarsteller sogar sterben?
K: Meinen Sie? Das wäre ja unerhört!
L: Das Publikum liebt unerwartete Wendungen.
K: Dann schreibe ich das Ende komplett um.
L: Ja, tun Sie das. Sie werden sehen, es wird der Geschichte insgesamt guttun. Kommen wir zum Titel.
K: Er gefällt Ihnen nicht?
L: „Ich kaufe mir ein rotes Moped“ passt nicht ganz. Warum nennen wir es nicht einfach „Die Verwandlung“?
K: In Ordnung. Vielen Dank für Ihre Hilfe. Sonst noch was?
L: Vielleicht ändern Sie noch den Ort der Erzählung. Warum Honolulu? Man sollte keinen Ort auswählen, den man persönlich gar nicht kennt, sondern die eigene Ortskenntnis nutzen. Ich freue mich auf die Überarbeitung der Erzählung. Bis bald.
Freundeskreis - Halt dich an deiner Liebe fest. https://www.youtube.com/watch?v=uW3jOKzSzx8

Samstag, 16. Mai 2020

Du bist wieder da


Ich habe dich vermisst. Jetzt kommst du zurück. Du zelebrierst deine Kunst. Du tanzt mit dem Ball. Du bringst Sonne in unser Leben. Du besänftigst unsere Corona-Angst.
Alles Leiden ist vergessen. Die vergebliche Suche nach Klopapier. Das Rätsel um Mehl und Hefe. Die doofe Maske, die mich mit meinem eigenen Mundgeruch eingekerkert hat. Das Gelaber der Virologen. Die ewigen Sondersendungen und Programmverschiebungen. Der erste Höhepunkt ist das Spiel Düsseldorf gegen Paderborn. Was bedeutet dieser Tag für uns alle?
Der Papa sitzt mit seinen Freunden auf dem Sofa und bei jedem Tor gibt es ein High Five. Danach wird zusammen gegrillt. Endlich hat er Fußball. Er verprügelt seine Frau nicht mehr. Seine Kneipe ist verboten. O wie schön ist Bundesliga! Was für ein wunderbares, beruhigendes Mittel ist dieser Sport.
Papa guckt Fußball und freut sich. Es ist großartig, dass Sky die Spiele im Free-TV zeigt. Alle Papas können zuschauen. Die Mamas machen die Hausarbeit und kümmern sich um die Kinder. So wie Gott und Uli Hoeneß es gewollt haben.
Herzlichst
Ihr F.J. Bonetti
Stereo MC’s – Elevate My Mind. https://www.youtube.com/watch?v=feW1kHyNSpI
So muss ein echtes Geisterspiel aussehen: https://www.youtube.com/watch?v=71l1KytVNcY

Dienstag, 12. Mai 2020

Götze und Vettel


2020 ist auch das Jahr, in dem zwei Sportstars, trotz ihrer Jugend, schon am Ende ihrer Karrieren sind. Mario Götze machte mit 17 Jahren sein erstes Bundesligaspiel, schoss mit 18 sein erstes Tor als Profi und hatte es mit 22 in die Geschichtsbücher geschafft: Das Siegtor im Finale 2014 gegen Argentinien. Sein Vertrag beim BVB läuft Ende Juni aus, er ist dann 28 – Zukunft ungewiss.
Sebastian Vettel fuhr mit 19 Jahren seinen ersten Formel 1-Grand Prix, gewann mit 21 das erste Rennen und wurde mit 23 Weltmeister (jüngster Weltmeister aller Zeiten). Mit 26 Jahren hatte er schon vier Titel geholt, das war 2013. Am Jahresende verlässt er Ferrari, dann ist er 33. Ob er noch einmal um Siege und Titel kämpfen kann, ist fraglich.

Sonntag, 10. Mai 2020

Begegnung mit Gerber


In der Ferne sehe ich Gerber. Ich erkenne ihn an seinem Hut. Er läuft auf mich zu. Jetzt hat er mich auch erkannt. Er schwenkt einen Arm. Ich winke zurück. Er schreit etwas, aber ich kann ihn nicht verstehen. Jetzt sehe ich den roten Bart und seine markante Lederjacke. Er ruft, aber er ist immer noch zu weit weg. Er kommt näher. Mit jedem Schritt wird er größer. Er sagt etwas, aber die Worte bleiben unverständlich. Ich erkenne noch nicht einmal die Sprache. Ich lege eine Hand an mein Ohr und beuge mich leicht nach vorn, um ihm anzudeuten, dass ich nichts verstehe. Er kommt näher und näher. Schließlich ist er da. Wir schweigen.
Little Richard - Long Tall Sally. https://www.youtube.com/watch?v=eFFgbc5Vcbw

Die Prozession


Es ist ein endlos scheinender Zug, der den Berg zur Villa Bonetti hinaufkommt.
Am Anfang der Prozession läuft der Hausvirologe des Meisters, der das Kreuz trägt.
Es folgt ein Arzt, der den Impfstoff bringt, welcher wiederum auf ein Brokatkissen gebettet ist.
Dann kommen die Krankenschwestern in blütenweißer Tracht.
Hinter ihnen gehen die Bäcker mit Körben voller duftendem Brot und ofenwarmen Brötchen in allen Sorten.
Die Metzger mit Schubkarren voller Steaks und Würsten, Rind, Schwein, Lamm und Huhn.
Die Fischer mit Bottichen und Zubern voller Karpfen und Forellen, Garnelen und Krebse, Lachs und Thunfisch.
Die Bauern mit frischem Obst, Gemüse und Kartoffeln.
Winzer und Braumeister rollen ihre Fässer herbei.
Es folgen die Köche und ihre Gehilfen.
Kellnerinnen und Kellner mit bunten Schürzen.
Schließlich der Gäste hundertfache Schar in festlicher Garderobe.
Hinter ihnen, fröhlich hupend, das Kokstaxi aus Berlin.
Sie alle werden zunächst geimpft und begeben sich sodann in den prächtigen Garten, wo an langen Tafeln vom Mittag bis in die tiefe Nacht gefeiert und gelacht wird, gesoffen und gevöllt, wie es sich für diesen Anlass geziemt.
Little Richard - Good Golly Miss Molly. https://www.youtube.com/watch?v=ZVQV-1Fzl3w

Samstag, 9. Mai 2020

Die Party des Jahres


Heutiger Traum: Wir feiern mit einem paar Freunden in meinem Wohnzimmer in Schweppenhausen den Geburtstag von D. Es klingelt und weitere Freunde von D. kommen. Es werden immer mehr. Eine Filmleinwand wird aufgebaut, auf dem Balkon ein Grill. Jemand trägt einen ganzen Dönerspieß herein. Schließlich ist eine riesige Party im Gange, es sind hunderte junge Leute im ganzen Haus. In jedem Zimmer wird gefeiert. Ich gehe von Gruppe zu Gruppe, überall bekomme ich etwas zu essen und zu trinken. Zwischendurch auch mal eine Zigarette. Schöne Frauen flirten mit mir – aber nur für eine Minute, dann gehen sie wieder. Es ist ein wilder Rausch, durch den ich stundenlang taumele. Dann wache ich auf. In Schweppenhausen, in meinem Bett. Ich denke, dass ich alles nur geträumt habe, und stehe auf. Auf dem Schreibtisch liegt ein fremdes Handy. Ich habe einen Verdacht und ziehe meine Brieftasche aus der Jeans, die über dem Stuhl hängt. Das ganze Geld ist weg, dafür steckt ein handgeschriebener Zettel im Geldfach. Ein Gutschein über tausend Partydollar, in die man mein Geld (ein paar hundert Euro) eingetauscht hat. Ich denke: Scheiße, wie sieht unser Haus aus? Es muss ein Schlachtfeld sein. – Und dann wache ich wirklich auf. Es ist Samstagnachmittag und alles ist wie immer. Alter Finne, war ich erleichtert. Die Träume, die ich nach dem Essen habe, sind besser als das ganze Abendprogramm im Fernsehen.

Freitag, 8. Mai 2020

Was geschah am 8. Mai 1945?


Den ganzen Tag denke ich mir: Reg dich nicht auf, es ist die Sache nicht wert, es ist so viel Dummheit und Niedertracht in der Welt, es hilft ja nix. Aber jetzt muss es doch raus.
Zunächst mal das Datum. Am 7. Mai 1945 kapitulierte das Deutsche Reich gegenüber den Westalliierten, am 9. Mai gegenüber der Sowjetunion. Am 8. Mai war eigentlich gar nix. Daher feiern die Russen den Sieg über den Faschismus auch am 9. Mai und die Westalliierten haben noch ihren besonderen Erinnerungstag am 6. Juni: D-Day, Landung in der Normandie 1944.
Bundespräsident Richard von Weizsäcker prägte in seiner Gedenkrede 1985 den Begriff „Tag der Befreiung“, der jetzt vom Berliner Senat für einen Sonderfeiertag in der Hauptstadt verwendet wurde. Es ist dieselbe Lebenslüge, mit denen die Österreicher seit Kriegsende hausieren gehen. Der Deutsche als Opfer, den man von den bösen Nazis befreien musste. Aber Nazis und Deutsche waren keine verschiedenen Gruppen. Sie waren identisch. Meine Vorfahren haben bis zum bitteren Ende für den Nationalsozialismus und seine Welteroberungspläne gekämpft. Die wenigen, die es nicht taten, wurden erschossen oder erhängt. Es gab keine deutsche Résistance, es gab keine deutschen Partisanen.
Keine Siegermacht sprach 1945 von Befreiung. Befreit wurde Europa von den Deutschen. Befreit wurden Lager- und Gefängnisinsassen, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter. Kein Deutscher sprach von Befreiung. Es war der totale Zusammenbruch des Dritten Reichs und als Besiegter wartete man ängstlich auf die Bestrafung, die im Anschluss recht milde ausfiel, wenn man an die deutschen Kriegsverbrechen und den Holocaust denkt. Aber mit dem Begriff der Befreiung können sich die Deutschen ein bisschen wie die Sieger fühlen, schließlich sind wir als treues und braves NATO- und EU-Mitglied längst rehabilitiert. Ein wenig rhetorisches Lametta an Gedenktagen und die Scheckbuchdiplomatie regeln den Rest. Wenn ich noch einmal „Heimat“ höre, ziehe ich den Revolver.

Freitag, 1. Mai 2020

Daten, Daten, Daten


Am 29. April starb weltweit alle 16 Sekunden ein Mensch an Covid-19, Tendenz steigend.
Es ist schon auffällig, wie wenig Daten uns in der Corona-Krise zur Verfügung stehen. Wir bekommen jede Woche von mehreren Meinungsforschungsinstituten mitgeteilt, wie sich die Wählergunst auf die Parteien verteilt, aber wir wissen nicht, wie viele Menschen bereits gegen das Virus immun sind. Für die Umfragen von Forsa & Co. reichen 2000 befragte Bürger, um die Zahlen auf das ganze Land hochzurechnen. Warum machen wir das nicht einfach mit Corona? Seit Wochen sprechen wir über Antikörpertests in großem Maßstab. Eine ausreichende Testkapazität haben wir längst, aktuell wird sie nur zu 55 Prozent ausgeschöpft.
Beispiel Kita. Folgende Hypothese: Die Kinder waren jetzt wochenlang zu Hause und sollten in die Kita dürfen, wenn sie keine Symptome zeigen. Die geschätzte Zahl der Infizierten, die noch nicht wieder gesund oder verstorben sind, liegt in Deutschland aktuell bei etwa 40.000. Das ist ein halbes Promille der deutschen Bevölkerung, also einer von zweitausend. Das Restrisiko könnte man also eingehen und die Kinder wieder miteinander spielen lassen. Kindergärtnerinnen und Kindergärtner, die zur Risikogruppe gehören, bleiben zu Hause, die anderen werden vor Öffnung der Kitas getestet. Um diese Hypothese zu überprüfen, testet man in den zehn größten Städten jeweils tausend Kinder. Eine Sache von wenigen Tagen. Dann hat man ein Ergebnis. Kitas öffnen – oder eben nicht. Trial and error.
Ohne ausreichende Datenbasis keine Analyse, ohne Analyse keine fundierte Entscheidung. Politik kann nicht ewig im Blindflug gemacht werden. Sie braucht empirische Grundlagen. Es ist schwer genug, unter hohem Zeitdruck Entscheidungen in einer Situation zu treffen, mit der keiner von uns Erfahrung hat. Ohne ausreichende Informationen und ohne die Gewissheit ihrer korrekten Interpretation sind wir hilflos und unsicher. Erst jetzt erkennen wir, dass die Wissenschaftler denselben Lernprozess durchlaufen wie die Politiker und wir Bürger. Das ist im Ausnahmezustand der Normalfall. Klingt komisch, ist aber so. Covid-19 ist eben keine Grippe, keine Routine – es ist Terra incognita.
P.S.: Der Text entstand am 28. April. Jetzt gibt es eine erste Studie von der Berliner Charité zu diesem Thema. Zwar mit geringer Fallzahl (37 Kinder im Kita-Alter und 90 Schüler), aber ein Anfang ist immerhin gemacht. Das Team um Professor Drosten rät zur Vorsicht bei der Öffnung von Schulen. Andere Studien, Z.B. aus den Niederlanden, kommen zum Ergebnis, dass von den Kindern eine geringe Ansteckungsgefahr ausgeht. Möglicherweise als Ergebnis des wochenlangen Lockdowns. Wir sehen: Es ist noch viel Forschungsarbeit nötig.
The B-52s - 6060-842. https://www.youtube.com/watch?v=hik5y1lNGbY