Donnerstag, 29. Februar 2024

29. Februar

 

Alle vier Jahre schenkt uns der Kalendergott einen zusätzlichen Tag. An diesem Tag dürfen wir machen, was wir wollen. Keiner muss zur Arbeit oder zur Schule gehen. Die Straßenverkehrsordnung gilt nicht mehr. Sie können nackt in Ihrem Porsche durch die Fußgängerzone brettern oder einfach mal mit Tempo 30 auf der linken Spur der Autobahn fahren.

Was kaum einer weiß: An diesem Tag darf der Staat keine Steuern eintreiben, weil er im Grundgesetz gar nicht erwähnt wird. Also kaufen Sie heute die Schweinenackensteaks zur Eröffnung der Grillsaison, zu der das frühlingshafte Wetter geradezu einlädt. Auch mal zwei Kästen Bier kaufen, nicht nur einen. Winzersekt statt Müller-Thurgau. Einfach mal größer denken.

Für Geburtstagskinder wartet eine besondere Überraschung: freie Fahrt auf allen Achterbahnen, Schiffsschaukeln und im Auto-Scooter. Nach Vorlage des Personalausweises gibt es zu jedem Döner einen Ayran gratis. Wie geil ist das denn? Außerdem gelten sämtliche Gesetze, die in Schaltjahren beschlossen werden, nicht für Menschen, die am 29. Februar geboren wurden.

Wieso gibt es diesen Tag eigentlich? Bekanntlich braucht die Sonne 365 Tage, um einmal das Zentrum des Universums, die Erde, zu umrunden. Aber alle vier Jahre braucht sie einen Tag länger. Das liegt an der Anziehungskraft der Sonnenmonde, die immer in Jahren, in denen es Olympische Sommerspiele gibt, besonders groß ist. Fragen Sie einfach nicht.

Mittwoch, 28. Februar 2024

The bloodsucking freaks of Wichtelbach


Blogstuff 924

“Je häufiger man auf die Uhr schaut, desto langsamer vergeht die Zeit.“ (Albert Einstein)

Heute beginnen die Dreharbeiten für Rambo 7. Bonetti befreit den letzten deutschen Kriegsgefangenen aus einem nordkoreanischen Lager. Schießereien, Explosionen, Autoverfolgungsjagden. Okay, es ist Nordkorea. Also Fahrradverfolgungsjagden.

Seit Barschel 1987 hat kein deutscher Politiker mehr sein Ehrenwort gegeben.

Ich bin so alt, ich habe noch einen Radiergummi und Streichhölzer in meiner Schreibtischschublade.

„Die ‚Dorfschänke‘ ist im dritten Stock des Goethe-Centers in Frankfurt. An den Wänden Wirtshausimitationen im Fachwerklook, die Tische und Stühle sind aus Plastik, die in Holzoptik laminiert wurden. Aus den Boxen dröhnt Autobahnlärm mit Gesang. Der Wirt heißt Rodrigo und es gibt spanischen Wein und Flensburger Pils. Diese Stadt macht es einem nicht leicht.“ (Heinz Pralinski: Von Punkfurt nach Bankfurt)

Alle reden über Minderheiten wie Schwarze oder Flüchtlinge. Aber auch wir Multimillionäre sind eine Minderheit. Was wird eigentlich für uns getan?

Der dümmste Name bei Star Wars: Hans Olo.

Wann wird endlich die Regierung privatisiert? Wir brauchen Dieter Bohlen, Carsten Maschmeyer und Oliver Pocher in hohen Staatsämtern. Bonetti macht natürlich den Kanzler. Ich hoffe, ich muss das nicht weiter begründen.

Seit 1974, also seit fünfzig Jahren, bin ich Formel 1-Fan. Zum ersten Mal in meinem Leben finden Rennen an einem Samstag und nicht am Sonntag statt, so wie Gott es gewollt hat. Warum? Weil am 10. März, der für den saudischen Grand Prix vorgesehen war, der Ramadan beginnt. Und weil zwischen zwei Rennen mindestens eine Woche liegen muss, wurde auch der Grand Prix von Bahrain auf einen Samstag gelegt (2. März). Bestimmen jetzt die Islamisten den Formel 1-Kalender? Dann kann der Papst ja auch gleich den Sonntag für den Rennsport verbieten. Ich glaub, es knallt!

Bevor jetzt einige Klugscheißer ihren Senf dazu geben. Okay. Der Grand Prix von Südafrika 1985 war auch an einem Samstag.

Solange in der Bundesrepublik Täter und Mitläufer die Mehrheit der Bevölkerung bildeten, haben Justiz, Medien und Politik die Nazi-Vergangenheit nicht wirklich aufgearbeitet. Vielleicht haben die Besatzungstruppen der Siegermächte schlimmeres verhindert, vielleicht war es auch nur der Umstand, dass man den alten Eliten ihre Privilegien und ihren Besitz gelassen hat. Noch in den Achtzigern konnte der CDU-Generalsekretär Heiner Geißler sagen, der Pazifismus habe Auschwitz erst möglich gemacht, ohne zurücktreten zu müssen.

Dienstag, 27. Februar 2024

Kampf der Arbeiterklasse

 

Beim Stöbern in meinen Bücherregalen fiel mir ein schmales Bändchen in die Hände: „Labilität des heutigen Imperialismus und Kampf der Arbeiterklasse“ von Dieter Klein (DDR 1976). Ich hatte es während der Klassenfahrt nach Berlin 1981 gekauft.

Eine Stimme aus längst vergangener Zeit, als der Untergang des Westens noch wissenschaftlich erwiesen war. Offensichtlich war der Mann nie in der Bundesrepublik gewesen, denn für ihn hatten die Arbeiter bei uns ein revolutionäres Potential und litten am „sozialen Elend“ der furchtbaren Ausbeutungsverhältnisse. Ich bin direkt neben einer Fabrik aufgewachsen. Ganz Ingelheim-West war damals ein Arbeiterviertel, das Anfang der sechziger Jahre entstanden war. Große helle Wohnungen (wir hatten 4ZKBB mit 100 qm), jede Familie hatte ein Auto und anstatt über die sozialistische Revolution und die Diktatur des Proletariats sprachen die Leute über Fußball und die nächste Urlaubsreise.

Ich musste lachen, als ich jetzt noch einmal lesen musste, wie schrecklich die Welt meiner Kindheit gewesen ist. Böser, böser Kapitalismus: „Seine Überreife zeigt sich in einer Vielzahl von Erscheinungen der Fäulnis und des Parasitismus. Die Entfaltung der Vorzüge des Sozialismus macht diese Situation noch deutlicher.“ Ist mir bis heute gar nicht aufgefallen. Soziale Ungleichheit wird mit folgenden Zahlen dokumentiert: Die Nettoprofite der 100 größten Industrie-Aktiengesellschaften der BRD stiegen zwischen 1966 und 1974 um 247 Prozent, die Nettolöhne aber nur um 186 Prozent. Die Löhne haben sich also in acht Jahren fast verdreifacht. Davon können wir heute nur noch träumen. Verelendung und tendenzieller Verfall der Profitrate? Ist der Autor ein verkappter Marxismuskritiker?

Dazu die „zyklischen Überproduktionskrisen“. Ist es nicht besser, zu viel zu haben als zu wenig? Ich habe in den achtziger Jahren achtmal das sozialistische Ausland besucht: DDR, UdSSR, CSSR, Ungarn. Was mir vor allem aufgefallen ist, war der Mangel. Meterlange Leere in den Regalen, dann kamen drei Dosen mit Bohnen aus irgendeinem Balkanland, dann wieder nix. Bekanntlich gab es keinen Kaffee und keine Bananen in den roten Supermärkten, aber auch banale Dinge wie Ketchup oder Schokoriegel suchte man vergeblich. Statt Überfluss lange Schlangen vor den Geschäften. Es war so deprimierend. Und trotz der geringen Produktion schafften es diese Länder, ihre Umwelt komplett zu verseuchen.

Aber was sieht der Autor jenseits der Mauer: „Labilität“ und „Perspektivlosigkeit“. Seit 57 Jahren lebe ich im „sterbenden Kapitalismus“ und ich lebe gar nicht mal so übel. Gab es in Leipzig vor der Wende einen Pizzaservice? Bin ich Unterdrückter oder Unterdrücker? Vielleicht sollte ich mir einen Job suchen, um es herauszufinden? Warum haben nicht große Teile der westdeutschen Bevölkerung unter „Führung der Arbeiterklasse“ die Produktionsmittel vergesellschaftet wie in der DDR? Ach nee, das waren ja die Russen. So viele Fragen und so viel Spaß.

 

Montag, 26. Februar 2024

Bonetti, Bloggerista der Herzen

 

Blogstuff 923

Die Bundesregierung legalisiert Cannabis. Wie soll ich künftigen Generationen noch meine wilden Abenteuer als internationaler Drogenhändler erklären?

Praktikum bei Bonetti: Putz sein Bad und schreib darüber, Sauge sein Wohnzimmer und schreib darüber, schieb die TK-Pizza in seinen Ofen, bring den Müll raus und schreib darüber.

Kroos kommt zurück in die Nationalmannschaft. Jetzt müssen nur noch Klinsmann und Briegel zusagen, dann sind wir im Sommer unschlagbar.

Die nächsten Termine: Am 2. März signiert Bonetti im örtlichen Baumarkt Zollstöcke, am 3. März findet der alljährliche Schwimmflossenwettlauf von Wichtelbach nach Baumweiler statt.

Deutsche tragen Hawaiihemden und Bermudashorts, um dann auf Büsum Urlaub zu machen.

Die jungen Leute wissen ja gar nicht mehr, was harte Arbeit ist. Wir hatten damals den Vietnamkrieg verloren und die Alliierten haben uns als Besatzungsmacht nur drei Fernsehsender erlaubt, die um Mitternacht den Betrieb eingestellt haben. Steinhartes Graubrot mit Margarine zum Frühstück, zum Mittagessen und zum Abendbrot. Außerdem Sonntagnachmittag zum Muckefuck bei Oma Erna. Gearbeitet wurde von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang – und in meiner Zeit ging auch im Winter die Sonne um fünf Uhr auf. Mit bloßen Fäusten haben wir in der Autofabrik das Blech zurechtgedengelt, während unsere Frauen am Fluss die Wäsche gewaschen haben und sie anschließend gegen einen Stein schlugen. Die Kinder haben wir auch bei Schnee und Eis barfuß zur Schule geschickt. Für jede Träne gab es eine Scheibe Graubrot weniger! Und? Hat es uns geschadet?  

Viele Leser fragen mich, woran man Andy Bonetti eigentlich erkennt. Schließlich gibt es im Internet kein Foto von ihm. Mein Tipp: Er hat auf dem linken Oberarm eine Tätowierung von zwei schwarzen Würfeln, die eine Eins zeigen. Professionelle Spieler nennen das Snake Eyes. Im malaysischen Glücksspiel Batong bekommt man bei diesem Wurf alles Geld, das auf dem Tisch liegt.

Ein Gedankenspiel: Kanzler Merz erlaubt nach der Wahl 2025 den Bau von Atomkraftwerken. Der Staat hat kein Geld und für Merz steht ganz sicher „die schwarze Null“. Dann muss die Wirtschaft ran. Zwanzig Atomkraftwerke zur flächendeckenden Stromversorgung dürften an die hundert Milliarden Euro kosten. Wer kann so viel Geld investieren? Und wer bezahlt im Falle eines GAU die entstehenden Kosten, wenn im Umkreis von hundert Kilometern um das havarierte Kraftwerkswrack Millionen Menschen umgesiedelt werden müssen, alle Immobilien wertlos werden und sämtliche Unternehmen ihre Pforten schließen müssen? Das wird sicher noch teurer. Aber die Diskussion wird kommen. An den Stammtischen scharrt man schon mit den Hufen.  

Streuselkuchen, Haltungsform 2. Kaufen?

Sonntag, 25. Februar 2024

Holde Heimat

 

Neulich in Sachsenhausen. Ein beleibter Mann betritt ein Lokal. Er setzt sich an den Tresen. Bekanntlich wird in diesen Gefilden nur Apfelwein getrunken, der Äbblwoi genannt wird, aber nur von Migranten aus Bayern oder Westfalen. Der Mann setzt sich an den Tresen und spricht den ebenfalls äußerst beleibten Wirt an.

„Guude“.

„Ei guude wie.“

„N Schobbe.“

„Kimmt gleisch“.

Ein Gast fragt den Mann: „Bissde aach n Hesse?“

„Na. N Rhoihesse. Des is n Unnerschied.“

„Unn welscher?“

„Was isch aach ned.“

Und wieder lache nur ich über diesen Dialog. Zum Schoppen isst man übrigens traditionell Rippchen mit Kraut, Handkäs mit Musik oder Frankfodder Grie Souß mit Eiern und Kartoffeln.

 

Samstag, 24. Februar 2024

Bonetti auf dem roten Teppich


Bonetti hasst Publicity. Aber er hat in der Verfilmung seiner Autobiographie (Regie: Steven Spielberg) sicherheitshalber die Hauptrolle gespielt. Und dann steht man vor dem Kleiderschrank und weiß nicht, was man anziehen soll. Den mausgrauen, den staubgrauen oder den betongrauen Anzug? Vielleicht ein Smoking mit Fliege? Wer hat sich diese Worte ausgedacht? So heißen doch keine Kleidungsstücke.

Reich und berühmt sein ist kein Spaß. Der Bentley muss in die Werkstatt, beim Ferrari funktioniert die Sitzheizung nicht. Probleme, Probleme, Probleme. Und dann stehst du bei der Berlinale im Blitzlichtgewitter. Das ist Gift für seine empfindlichen Augen. Er sieht drei Tage lang alles nur noch durch eine Wolke von glitzernden Sternchen.

Die wenigen Minuten auf dem roten Teppich sind die Hölle. Seine Schuhe bringen ihn um. Und dann die Reporter.

„Bonetti! Können Sie in meine Richtung lächeln?“

„Bonetti! Nehmen sie den Finger aus der Nase.“

„Bonetti! Stimmt es, dass Margot Robbie ein Kind von Ihnen erwartet?“

„Bonetti! Wie viel wiegen Sie aktuell?“

Und dann die nervtötenden Partys. Leo DiCaprio pumpt ihn an, weil er seine siebte Scheidung finanzieren muss. Andrea Sawatzki zwinkert ihm mit einem lasziven Lächeln zu und steckt ihm einen Zettel mit ihrer Telefonnummer in seine Herrenhandtasche. Weiß die Frau eigentlich, wie alt sie ist?

Und dann das vegane Buffet, Gott der Gerechte! Wo sind die Lachshäppchen, Party-Frikadellen, Garnelenspieße, die Honigmelone mit Parmaschinken? Stattdessen dieser undefinierbare Rotz. Wozu in aller Welt fressen jetzt alle Leute Avocados? Das ist doch der Toast Hawaii unserer Epoche. Ein Königreich für einen Rollmops.

Und dann die ganzen nutzlosen Interviews, die sein Manager „Öffentlichkeitsarbeit“ nennt und angeblich den Film pushen soll. Eine Radiosendung, die „Spaß mit Flaggen“ heißt? Ein Influencer namens Rory McDee, von dem er noch nie gehört hat? Seine Meinung zum Thema Ausdruckstanz? Welche Beauty-Produkte verwendet er? Henninger Export von Coco Chanel.

Nachts um zwei kommt Bonetti total kaputt nach Hause. Ruhm? Ja. Aber die Promis zahlen einen hohen Preis dafür. Was wird die BILD morgen über ihn schreiben? Wird er im ZDF-Morgenmagazin erwähnt werden? Bekommt er endlich den Goldenen Bären für sein Lebenswerk?

Freitag, 23. Februar 2024

GenZ: halb Mensch, halb Handy


Blogstuff 922

„Wir müssen die Konversionsmatrix des Warp-Kerns modifizieren!“ (Kapitän Bonetti)

Die DFL verzichtet auf den Einstieg von Investoren. Deutsche Hersteller von Tennisbällen melden Kurzarbeit an.

Scarlett Johansson? Kenne ich. Wir sind zusammen zur Schule gegangen. Ich war ihr Englischlehrer.

Eine Meinungsumfrage ist nicht die öffentliche Meinung, eine Talkshow kein öffentlicher Diskurs. Die Medien fluten uns mit Surrogaten.

Was macht eigentlich Heinz Pralinski? Sein Restaurant „Pasta la vista, Baby” ist ein Flop. Auch seine Konditorei “Backingham Palast” läuft eher mäßig.

8:30 Uhr. Ich habe einen Mikrowellen-Cheeseburger zum Frühstück. Jetzt werden manche fragen: Wie tief kann man noch sinken? Ich frage: Wie phantastisch wird mein Leben noch?  

Die Leute, die jetzt behaupten, die Demonstrationen auf dem Maidan vor zehn Jahren wären von Amerika gesteuert, behaupten auch, dass die Demonstrationen gegen die AfD und andere Nazis von der Bundesregierung gekauft sind. Vielleicht war die chinesische Demokratiebewegung im Frühling 1989 ja auch von den Amerikanern inszeniert? Schließlich haben die Studenten auf dem Himmlischen Platz eine Freiheitsstatue gebastelt. Und die Montagsdemonstrationen im Herbst 1989 in der DDR? Von der Wall Street bezahlt. Alles Lüge! Die Wiedervereinigung ist ungültig.

Gutenberg machte aus einer alten Weinpresse eine Druckmaschine. Das Informationszeitalter begann 1440 in Mainz. Wir hängen sowas nicht an die große Glocke. Wäre Gutenberg ein Bayer gewesen, würde uns Söder heute noch jeden Tag mit der Story auf den Sack gehen.

Ich habe nie darüber gesprochen, aber ich will heute ganz offen sein. Ich bin zu einem Sechszehntel Komantsche.

Wer vormittags Zeit hat und mal wieder gepflegt lachen will, sollte sich auf Pro 7 die Serie „Brooklyn Nine-Nine“ reinziehen. Bin seit dieser Woche ein Fan.

Ich muss fünfzig Sozialstunden ableisten, nur weil ich einen Klimakleber mit seinen eigenen Dreadlocks erdrosselt habe.

1980 war AC/DC die coolste Band. Als Bon Scott starb, kam am nächsten Tag jeder coole Junge in einem schwarzen T-Shirt. Ich hatte überhaupt keine schwarzen Shirts und hatte die Nachricht von seinem Tod noch gar nicht mitbekommen. In diesem Jahr gab es eine Klassenparty. Die coolen Jungs saßen im Kreis und machten Headbanging mit ihren langen Haaren. Ich stand neben der Lehrerin und wir schüttelten nur die Köpfe.

Donnerstag, 22. Februar 2024

Mein Geheimnis

 

Ich habe das Haus vor zehn Jahren gekauft. Im Garten steht ein Geräteschuppen voller Gerümpel. Schon mein Vorgänger hat ihn so übernommen und noch eine weitere Schicht Gerümpel hinzugefügt. Angerostete Campingstühle, Holzpflöcke, halbleere Schachteln mit Rosendünger, ein kaputter Rasenmäher usw.

Jetzt lasse ich den Schuppen endlich entrümpeln. Kostet mich eine Stange Geld, aber ich kann diesen Schrotthaufen nicht mehr sehen. Ich werde ihn abreißen lassen und an dieser Stelle einen Baum pflanzen.

Gestern kamen die Männer und trugen Stück für Stück aus dem Schuppen und warfen alles in einen Container. Am späten Nachmittag war der Schuppen endlich leer. Ich ging in den leeren Schuppen und zu meiner Verblüffung fand ich eine Bodenklappe. Ich öffnete sie. Modriger Geruch kam mir entgegen. Eine Stahlleiter führte hinab.

Ich holte mir meine Taschenlampe aus dem Haus und stieg hinab. Ich leuchtete einen Raum aus, der mindestens zwanzig Quadratmeter groß war. An der rechten Wand war ein Schalter. Ich legte ihn um und schon gingen die Deckenbeleuchtung und die Belüftung an.

Links und rechts standen Regale mit Konserven. Dahinter waren ein Ledersofa und ein flacher Tisch. Gegenüber war eine Schrankwand mit Fernseher, Stereoanlage und Büchern. Ganz hinten stand ein Bett an der Wand. Offensichtlich hatte der ursprüngliche Besitzer hier einen Atombunker angelegt.

Ich ging in den Raum und sah mich genauer um. An der Wand hing ein gerahmtes Porträt von Helmut Kohl. Darunter war eine Minibar, die ich sofort öffnete. Fünfzig Jahre alter Whisky, Wodka, Gin und andere Spirituosen. Die Stereoanlage war von Grundig und funktionierte noch. Ich sah mir die Plattensammlung an: Depeche Mode, Ultravox, The Police, AC/DC, Genesis, Pink Floyd und viele andere LPs. Nicht übel.

Ich machte es mir mit einem Whisky auf dem Sofa bequem und hörte Miles Davis. In einer Stunde würde meine Frau nach Hause kommen. Ich beschloss, ihr nichts von diesem Raum zu erzählen. Ich bin der Einzige, der den Schlüssel zu diesem Schuppen hat. Es ist mein kleines Geheimnis, meine Festung der Einsamkeit.

 

Mittwoch, 21. Februar 2024

Chill Session mit Andy Bonetti

 

Blogstuff 921

„Zweifle nicht an der selbst, du kannst es wirklich nicht.“

Es ist die große Tragödie der Moderne: Es gab nur technischen, aber keinen menschlichen Fortschritt. Gier und Gewalt sind nicht weniger geworden, aber sie haben neue Mittel bekommen: ein globales Ausbeutungssystem und Massenvernichtungswaffen.

Selbstverständlich ist auch Wichtelbach eine Klassengesellschaft. Es gibt drei Klassen: den Hofadel, den Schwertadel und das einfache Volk. Zum Hofadel gehören die Familie des Meisters, der Schatzmeister, die Höflinge, die Kalligraphen, die Bonettis Worte notieren und auf Seidentücher malen, Köche, Schleiertänzerinnen und Spaßmacher. Der Schwertadel schützt Bonettis Hof und das Dorf, er sorgt für Ruhe und Frieden. Zum einfachen Volk gehören alle Zünfte und Stände, namentlich die Metzger und Bäcker, die Winzer und Schankwirte, die den Hof beliefern. Darunter gibt es die klassenlosen Parias, insbesondere Volks- und Betriebswirte, fahrendes Volk (Schauspieler, Musiker usw.), Gesindel, Gaukler und Ganoven.

Die FDP liebäugelt mit einer schwarz-gelben Koalition. Offenbar können sie nicht rechnen. Bei einem konstruktiven Misstrauensvotum kämen beide Parteien im Bundestag auf 35,6 Prozent der Stimmen. Bei Neuwahlen käme die Union laut neuesten Umfragen auf 31 Prozent, die FDP auf vier Prozent. Das wären also 31 Prozent und man wäre auch wieder weit entfernt von der absoluten Mehrheit. Wenn man die Worte von Merz und Söder ernstnimmt, wollen sie keine Koalition mit der AfD. Bliebe nach den nächsten Wahlen also nur schwarz-rot oder schwarz-grün. Schwarz-grün schließt Söder aber aus. Bleibt mal wieder die öde GroKo. Wie will Merz mit der SPD die ganze Politik von Scholz rückgängig machen wie angekündigt?

Mein Vater ist in diesem Monat neunzig Jahre alt geworden und liegt damit hinter seinem Großvater, der 94 wurde, auf Platz 2. 2028 hat er ihn eingeholt.

Seit zehn Jahren führt Russland Krieg in der Ukraine. Erst die Besetzung der Krim und der inszenierte Bürgerkrieg im Osten des Landes, seit zwei Jahren das größte Massensterben in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Wie lange hätte Deutschland durchgehalten?

Andy Brehme ist tot. Nach Beckenbauer die zweite Fußballlegende, die in diesem Jahr von uns gegangen ist. 1996 habe ich ihn beim Pokalsieg mit dem FCK live gesehen. Jeder Fan erinnert sich an den Sieg 1990 im WM-Finale gegen Argentinien, das durch seinen Elfer kurz vor Schluss entschieden wurde. Wir liefen jubelnd und singend mit zwanzig Leuten durch Wackernheim und besuchten ein italienisches Restaurant, von dem wir wussten, dass sie eine Plastikkopie des WM-Pokals hatten. Man konnte die Trophäe aufschrauben, darin war ein Weizenbierglas. Damit zogen wir durchs Dorf. Eine unvergessliche Nacht.

Dienstag, 20. Februar 2024

Russisches Raclette


Blogstuff 920

Upamecano hat es geschafft, zweimal in einer Woche Rot zu sehen und zwei spielentscheidende Elfer zu verursachen. Muss man auch erstmal hinkriegen.

Ich kann jetzt auch Jugendsprache: IRÜDFULMDAA. Ich rolle über den Flur und lach mir den Arsch ab.

Powernapping könnte ich den ganzen Tag machen.

Wozu können Delphine schnattern, wenn sie doch sowieso den ganzen Tag unter Wasser sind?

Es heißt immer, das Leben sei eine Reise. Dann wäre der Tod das Ziel. In diesem Falle würde doch niemand ins Auto steigen und losfahren, oder? Aber es hilft ja nichts. Die Zeit verwandelt dein Gesicht in ein Schlachtfeld, zerstört deine Erwartungen und zerschlägt deine Träume mit einem Vorschlaghammer.

Bonetti’s Lifehack Nr. 92: Baue ein Bürohaus auf Kredit. Dann verkaufst du es an eine Leasinggesellschaft. Deine weiteren Vermögenswerte überträgst du an eine Briefkastenfirma in der Karibik. Deine Firma lässt du bankrottgehen, die Leasingraten können nicht mehr bezahlt werden. Die Leasinggesellschaft gerät daraufhin in Schwierigkeiten und du kaufst sie für einen Apfel und ein Ei. Jetzt gehört dir dein Bürohaus wieder und du gründest eine neue Firma auf den Namen deiner Frau.

2200: Die KI geht an posthumaner Desintegration zugrunde.

Das Domina-Studio in meiner Stadt wurde geschlossen. Wer sich erniedrigen und demütigen lassen will, fährt einfach mit der Deutschen Bahn.

Bonetti war schon immer ein Tausendsassa. Er war erst eine Woche mit seiner neuen Freundin zusammen, da war sie schon im dritten Monat schwanger.

Ich bin nicht dick, das ist alles Silikon.

Bonettis Sohn Randy arbeitet jetzt in der Forschung. Er ist Hausmeister am Max-Planck-Institut für Coulrophobie.

Wenn es heute noch einmal eine Arche Noah gäbe, wären keine Tiere an Bord, sondern Milliardäre.

Jeder glaubt, er sei der Fels in der Brandung. Sandkorn trifft es wohl eher.

Das waren noch Zeiten, als man einen Arzt Knochenflicker und einen Apotheker Pillendreher genannt hat.

„Ich bin aus Norwegen.“ – „Wo lebst du da?“ – „Am Fjord.“

Warum haben Micky Maus, Donald Duck, Goofy und Dagobert Duck eigentlich keine Kinder?

 

Montag, 19. Februar 2024

Einmal im Leben cool sein

 

Es klingelt an der Haustür. Ich öffne und vor mir steht ein kleiner junger Mann in einem Vodafone-Kostüm.

„Guten Tag. Ich bin von der Firma Vodafone und möchte ihnen einen neuen Tarif zu günstigeren Bedingungen anbieten.“

Ich stutze. „Wo ist denn Ihr Dienstwagen?“

„Ich bin zu Fuß unterwegs.“

Das ist ungewöhnlich.

„Vodafone-Mitarbeiter verabreden normalerweise einen Termin.“

„Das ist eine neue Marketing-Strategie.“

Er ist zumindest um keine Antwort verlegen.

„Haben Sie eine Visitenkarte?“

Er gibt mir eine Karte. Ein langer türkischer Name.

„Wenn man Sie bei Vodafone geschult hätte, müssten Sie wissen, dass man vorne am Gartentor klingelt und nicht unbefugt ein Privatgrundstück betreten darf. Was Sie in diesem Augenblick machen, ist Hausfriedensbruch. Dafür könnte ich Sie anzeigen.“

Zum ersten Mal schweigt der junge Mann.

„Zeigen Sie mir bitte Ihren Personalausweis.“

„Dazu haben Sie kein Recht.“

„Doch. Ich arbeite für die Kripo Mainz.“

Er dreht sich um und erreicht in kürzester Zeit die Fluchtgeschwindigkeit von Usain Bolt.

***

Wie es wirklich war: Ich bitte ihn ins Haus, wir füllen alle Formulare aus, achtzig Euro werden von meinem Konto abgebucht und mein Internet ist niemals schneller geworden.

 

Sonntag, 18. Februar 2024

Thermonukleare Blähungen

 

Blogstuff 919

Nawalny: Es ist interessant, wie manche Menschen ihn direkt nach der Meldung über seinen Tod verhöhnen und durch den Dreck ziehen. Es sagt viel über den Charakter dieser Leute aus, mehr, als ihnen selbst klar ist.

Erst schaltet die SPD die letzten Atomkraftwerke ab, jetzt fordert sie Atombomben. Genau mein Humor.

Vor dir steht ein Balrog in der Schlange an der Supermarktkasse. Du hast nur einen Artikel. Fragst du ihn, ob er dich vorlässt?

Bonetti war in seiner Jugend so sportlich, dass er in der Rudermannschaft von Oxford war, obwohl er gar nicht dort studiert hat.

„Wie geht’s?“ – „Es läuft.“

Was macht eigentlich Heinz Pralinski? Er hat sich für 5000 Euro eine Plastik gekauft. Eine Plastik?! Für das Geld erwarte ich Marmor.

Trump ist der klassische Schutzgelderpresser. Zwei Prozent vom Umsatz oder ihr bekommt die Scheiben eingeschmissen.

Hätten Sie’s gewusst? Die Chinarinde kommt ursprünglich aus Lateinamerika.

„Guntersblum ist eine ehrenwerte Stadt und im Rosenweg leben lauter anständige Bürger. Aber am Ende der Straße, direkt vor der Stadtmauer, steht ein merkwürdiges Haus. Es ist schwarz gestrichen und hat keine Fenster. Neben der Stahltür gibt es weder Namensschild noch Klingel. Niemand hat jemals gesehen, wie ein Mensch dieses Haus betreten oder verlassen hat. Aber in tiefster Nacht, wenn alle braven Menschen längst schlafen, verlässt ein kleiner buckeliger Mann das Haus. Er hat ein bösartiges Gesicht und einen verschlagenen Blick.“ (Beginn einer Biographie über Friedrich Merz)

Bonetti wird bei der nächsten Bundestagswahl mit einer eigenen Partei antreten, der Partei der Überparteilichen, kurz PÜP. Seine Anhänger, die Püpis, werden bald an Ihre Wohnungstür klopfen. Bitte hören Sie ihnen zu.

Die Demonstrationen sind für mich ein Segen. Natürlich geht es um Demokratie, aber ich würde am liebsten für mehr Demonstrationen demonstrieren. Die Bundesregierung bezahlt bekanntlich fünfzig Euro für jede angefangene Stunde. Steuerfrei. Plus Reisekosten, als wäre es der Weg zum Arbeitsplatz. Da im Augenblick täglich demonstriert wird, verdiene ich hundert Euro am Tag, also 3000 Euro im Monat. Meinen alten Job als Telefondesinfizierer habe ich aufgegeben. Jetzt verdiene ich mein Geld im Schlaf. Die Plakate werden von der Marketingabteilung im Bundeskanzleramt entworfen, von der Bundesdruckerei gedruckt und liegen alle zwei Wochen vor meiner Haustür. Mein Arbeitsgebiet: Rhein-Main, Rhein-Ruhr. Für die Großräume München, Berlin und Hamburg arbeiten meine Kollegen.

 

Samstag, 17. Februar 2024

Der fliegende Blogger – Epilog

 

Bonetti rief Pralinski an.

„Hören Sie, ich bin pleite. Alle Mitarbeiter verlassen das Schiff. Verkaufen Sie den alten Schrotthaufen und verteilen Sie den Gewinn an die Belegschaft. Die gesamte Technik ist ja inzwischen völlig veraltet. Viel werden Sie nicht mehr bekommen. Ich verabschiede mich und danke Ihnen für die vielen Jahre, die Sie mir treu gedient haben. Leben Sie wohl.“

Dann fragte er sich zum Job-Center durch. Die ganzen Apps auf seinem Handy funktionierten nicht mehr.

Als er die Eingangshalle betrat, verließ ihn der Mut. Hier saßen bestimmt hundert Leute im Wartebereich und sie waren alle jünger als er. Er ging zum Empfangsschalter.

„Guten Tag. Ich suche Arbeit.“

„Sie suchen Arbeit?“ schrie die Frau hinter dem Tresen aufgeregt.

Plötzlich herrschten tumultartige Zustände im Saal. Alle sprangen von ihren Sitzen und rannten auf Bonetti zu. Bald war er von einer Menschenmenge umringt.

„Ich brauche einen Gärtner.“

„Ich brauche einen Pfleger.“

„Ich brauche einen Handwerker.“

„Ich brauche einen Assistenten.“

Es dauerte eine Weile, bis Bonetti begriff, dass er nicht von Arbeitslosen, sondern von Arbeitgebern umringt war.

Er entschied sich für ein winziges Start-up, das sich auf gedruckte Bücher spezialisiert hatte, für die es immer noch einen Markt gab. Er schrieb historische Kurzgeschichten, verpackte Bücher in Kartons und brachte sie zur nächsten Amazon-Filiale.

Bonetti ist bescheiden geworden. Es stört ihn nicht, wenn ihm schöne Frauen nicht mehr rettungslos verfallen, wenn sein Kaviaratem ihr Gesicht streift. Es läuft ihm kein neoliberales Schaudern mehr den Rücken hinunter, wenn er einen Studenten mit Rastalocken sieht. Er trinkt seinen Wein jetzt aus dem Tetrapak. Und so lebt er glücklich bis an sein Ende.

 

Freitag, 16. Februar 2024

Der fliegende Blogger – Teil 4

 

Bonetti setzte sich in seinen Sessel und verfiel in tiefes Grübeln, kam aber zu keinem Ergebnis.

„Pralinski. Haben wir einen Physiker in der Wissenschaftsredaktion?“

„Doktor Brutvogel-Kleindienst.“

„Bringen Sie ihn her.“

Als der schmächtige junge Mann, der einen weißen Kittel und eine Hornbrille trug, auf die Brücke kam, schilderte Bonetti ihm die Ereignisse und bat ihn um eine Erklärung. Es folgte ein halbstündiger Vortrag über schwarze Löcher, Risse im Raum-Zeit-Kontinuum und LSD, von dem Bonetti noch nicht einmal ein Viertel verstand.

„Steuermann! Wir müssen hier weg. Wir fahren zurück zum Hamburger Hafen.“

Zehn Tage später erreichten sie die Nordsee. Wieder Sturm. Wieder Inferno. Tunnel des Schreckens. Weltuntergang. Erster Sturm nix dagegen.

Nach zwei Stunden war wieder alles paletti. Satelliten wurden erreicht, Bonetti Media war online. Die Welt war wieder in Ordnung.

Dann die Schreckensnachricht: Wir schreiben das Jahr 2050. Bonetti Media war im Internet nicht mehr zu finden, weil es das Netz gar nicht mehr gab. Die Welt kommunizierte jetzt über das Brainiverse, in jedem Gehirn war ein Anschluss.

Sie liefen in den Hamburger Hafen ein. Wenigstens wieder zuhause. Er stieg an den Landungsbrücken aus, ging zum erstbesten Stand und bestellte sich ein Fischbrötchen und ein Astra.  

„Macht 350 Euro.“

Was für eine Inflation. Sein früheres Vermögen musste inzwischen völlig wertlos sein. Jetzt rächte sich, dass er den Banken nie getraut hatte. Millionen Euro im Tresor. Jetzt nur noch ein paar Tausender von damals wert.

Er rief in der Villa Bonetti an.

„Ja, hier Horngiebel.“

„Horngiebel? Wer sind Sie?“

„Ich wohne hier. Und wer sind Sie?“

„Andy Bonetti. Ich wollte eigentlich meine Frau Mandy sprechen.“

„Das ist ja wohl ein schlechter Scherz.“

„Ganz sicher nicht.“

„Sie meinen Mandy Horngiebel? Das ist meine Frau.“

„Wie können Sie es wagen, meine Frau zu heiraten und in meinem Haus zu wohnen?“

„Sie sind seit 2024 verschollen und wurden 2034 für tot erklärt. Mandy hat alles geerbt.“

Dann legte Horngiebel auf. Bonetti war ruiniert, seine Firma existierte nicht mehr und er war pleite. Er hatte Horngiebels vernichtendes Gelächter noch lange Zeit im Ohr. Es schien direkt aus der Hölle zu kommen. Sollte er überhaupt noch einmal auf das Schiff zurückkehren?

 

Donnerstag, 15. Februar 2024

Der fliegende Blogger – Teil 3

 

Bonetti betrat eine Bar. Trotz der frühen Stunde waren schon einige Gäste am Tresen und an den Tischen. Praktisch jeder von ihnen rauchte eine Zigarette. Und das in Amerika, der Heimat des Rauchverbots. Die Männer trugen Anzüge und Hut, die Frauen bunte Kleider. Bonetti setzte sich an einen Tisch am Fenster.

Die Kellnerin mit hochtoupiertem Haar und weißer Schürze kam zu ihm. Bonetti fragte sie: „Hat hier eigentlich keiner ein Handy?“

„Ein Handy? Was soll das sein?“

„Ein Smartphone. Wie informieren Sie sich denn?“

Sie zeigte stumm auf einen riesigen altmodischen Radiokasten.

„Und wie telefonieren Sie?“

Sie zeigte auf einen Münztelefon, das an einer Wand hing.

„Was möchten Sie trinken?“ fragte sie ihn.

„Einen Sex on the beach.“

“Was?”

„Einen Sex on the beach“, wiederholte Bonetti etwas lauter.

„Wie können Sie es wagen, mich so zu beleidigen. Verlassen Sie sofort das Lokal oder ich hole die Polizei.“

Bonetti war völlig verwirrt. Er erhob sich und ging zum Ausgang. „Perverses Schwein“, rief ein Gast ihm hinterher. „Dreckiger Kommunist“ ein anderer.

Bonetti ging ein paar Straßen weiter und betrat die nächste Bar. Er bestellte sich einen Kaffee. Auch hier wurde gequalmt, als gäbe es kein Morgen mehr. Das Radio lief und er hörte die Nachrichten. Es musste eine Retro-Sendung sein, denn der Sprecher berichtete vom Korea-Krieg. Dem Ehepaar Rosenberg drohte wegen des Verrats des Atomgeheimnisses an die Sowjetunion die Todesstrafe.

Danach gab es einen Ausschnitt aus einer Rede von Präsident Truman. Er verkündete das Ende des Kriegszustands mit Deutschland. In Berlin wurde zur Erinnerung an die amerikanische Hilfe das Luftbrückendenkmal eingeweiht. Im Anschluss spielte die Big Band von Johnny Goodman Swing.

Der Kaffee kostete nur fünf Cent. Diesmal ließ er sich das Wechselgeld herausgeben und gab der Kellnerin fünf Cent Trinkgeld, was sie augenblicklich zum Strahlen brachte. Bonetti spazierte weiter durch die Stadt.

Er schaute auf sein Handy. Immer noch kein einziger Balken. Kein Internet, kein Kontakt. Er beschloss, zum Hafen zu gehen und zu seinem Schiff zurückzukehren. Zum Abschied spendierte ihm der Verkäufer noch einen Hotdog.

Fortsetzung folgt

Mittwoch, 14. Februar 2024

Der fliegende Blogger – Teil 2

 

Das Meer war spiegelglatt und die Sonne schien. Der Sturm war so schnell vorübergegangen, wie er gekommen war.

Kapitän Bonetti saß in seinem Sessel und sagte zu seinem ersten Offizier Pralinski: „Ich will Meldung über Schäden und Verluste von allen Stationen.“

Pralinski telefonierte eine Weile herum. „Maschinenraum okay. Kombüse meldet den Verlust sämtlicher Gläser und des Porzellans. Kommunikationszentrum meldet, wir hätten den Kontakt zur Außenwelt verloren. Außerdem sind wir offline.“

„Wo befinden wir uns gerade?“

„Der Navigator sagt, wir wären fünfzig Seemeilen östlich von Miami.“

„Bringen Sie uns dorthin!“

„Aye, Aye, Käpt’n.“

Wenig später ankerten sie vor Floridas Metropole. Bonetti nahm sein Fernglas in die Hand. Ein merkwürdiger Anblick. Kein einziges Hochhaus war zu sehen und im Hafen lagen nur ein paar Holzschiffe. Keine einzige der riesigen Yachten, kein einziges Boot mit Kunststoffrumpf. Merkwürdig. Bonetti hatte Miami ganz anders in Erinnerung.

„Lassen Sie das Beiboot zu Wasser, Pralinski.“

Kurz darauf stand Bonetti auf der Mole. Es waren nur wenige Menschen zu sehen. Aber es gab einen Hotdog-Stand.

„Hallo, junger Mann. Wo sind denn die ganzen Schiffe hin?“

„Wieso? Es ist wie immer. Hier ist nie viel los.“

„Und die Wolkenkratzer?“

Er lachte. “Wenn Sie Wolkenkratzer sehen wollen, müssen Sie nach New York fahren.“

„Na gut. Geben Sie mir einen Hotdog.“

Bonetti zückte einen Dollarschein.

„Haben Sie es nicht etwas kleiner? So viel Wechselgeld habe ich gar nicht in der Kasse.“   

„Wechselgeld? Was kostet denn ein Hotdog?“

„Fünf Cent. Haben Sie nicht einen Nickel oder einen Dime?“

Bonetti hatte kein Münzgeld. Er gab ihm den Dollar und nahm den Hotdog.

„Behalten Sie den Rest.“

Der Verkäufer schüttelte ungläubig den Kopf. Dieser Kunde musste verrückt sein. Für einen Dollar bekam man im besten Steakhaus der Stadt ein ganzes Menü.

Bonetti schlenderte weiter. In den Straßen standen nur Oldtimer aus der Nachkriegszeit. Wurde gerade ein Film gedreht? Hier stimmte doch etwas nicht.

Fortsetzung folgt 

 

Dienstag, 13. Februar 2024

Der fliegende Blogger – Teil 1


Sommer 2024. Aus Steuergründen hat Bonetti seine Firmenzentrale auf das offene Meer verlegt. Er hat seine Firmenimmobilie verkauft und sich für das Geld ein altes Kreuzfahrtschiff zugelegt. Mit seiner gesamten Belegschaft und der Crew schippert er vor der Küste Floridas und füttert von dort aus das Internet mit seinem weltberühmten Content.

Kapitän Bonetti sitzt am Swimmingpool, trinkt einen Sex on the beach und blinzelt zufrieden in die Sonne. Für die nächsten Tage ist schönes Wetter angesagt. Da entdeckt er in der Ferne eine dunkelgraue Nebelwand.

Er ruft „Pralinski!“ und auf der Stelle erscheint sein erster Offizier.

„Rufen Sie unseren Wetterfrosch an. Er hat sich geirrt. Schauen Sie mal da hinten.“

Pralinski spricht mit dem Mann in der meteorologischen Station. „Er sagt, auf seinem Radar ist nichts zu sehen.“

„Aber ich sehe es.“

Wenig später erreichen die ersten Sturmböen das Schiff. Die dunklen Wolken kommen immer näher und bald ist der Himmel über der Mandy, benannt nach Bonettis Frau, rabenschwarz. Als die ersten Regentropfen fallen, verlässt Bonetti seinen Platz und begibt sich auf die Brücke.

„Kann mir jemand sagen, was hier los ist?“ fragt er die anwesenden Offiziere, als er sich in seinen Chefsessel plumpsen lässt.

„Keine Ahnung, Käpt’n. Der Sturm kommt aus dem Nichts. Laut Wettersatelliten und den umliegenden Stationen an Land dürfte es ihn gar nicht geben“, antwortet der Steuermann.

Die See wird rauer, die Wellen werden höher. Gischt peitscht gegen die dicken Plexiglasscheiben der Brücke. Alle setzen sich und schnallen sich an. Der Sturm wird stärker. Das Schiff wird durchgeschüttelt. Unaufhörlich schlagen Blitze auf der Mandy ein, es ist ein Stakkato von grellem Licht und Donner.

Eine Tsunami-Welle trifft sie. Das riesige Schiff tanzt wie ein Korken auf den Wellen. Auf dem Wellenkamm hängen Heck und Bug frei in der Luft, die Schiffsschrauben drehen im Leeren. Dann stürzt das Schiff wieder in ein Wellental und man hat für einen Augenblick das Gefühl, es käme nie wieder daraus hervor. In den Büros fliegen die Praktikanten durch die Luft. Überall auf dem Schiff ist das gequälte Stöhnen des Stahls zu hören. Es ist ein Inferno.

Die Mandy ist in einem Tunnel aus gleißendem Licht, ohrenbetäubendem Lärm und gigantischen Wassermassen gefangen. Ist diese Katastrophe das Ende von Bonetti Media?

Fortsetzung folgt  

Sonntag, 11. Februar 2024

Der Anfang vom Ende


Blogstuff 918

Als kleines Kind war ich mal bei meinen Großeltern, während meine Eltern mit meiner Schwester Strandurlaub gemacht haben. Auf dem abschüssigen Hof fuhr ich mit dem Dreirad und knallte mit dem Kopf gegen das Eisentor. Ich weiß nicht, wie lange ich bewusstlos dort gelegen habe. Ich bin erst im Krankenhaus wieder aufgewacht, die Wunde wurde mit mehreren Stichen genäht. Einmal war ich mit meiner Mutter im Freibad. Ich stand am Beckenrand, als ein anderer Junge mich ins Wasser schubste. Da ich erst drei oder vier Jahre alt war, konnte ich nicht schwimmen. Meine Mutter unterhielt sich mit einer anderen Frau, während ich langsam auf den Beckenboden sank. Zum Glück haben mich Fremde vor dem Ertrinken gerettet. Damals sind meine Eltern abends oft weggegangen und haben uns Kinder ohne Babysitter allein gelassen. Eines Abends habe ich an der Waschmaschine herumgefummelt und als sie wieder nach Hause kamen, stand die ganze Wohnung unter Wasser. Heutzutage wäre längst das Jugendamt gekommen und hätte mich in eine Pflegefamilie gesteckt.

Weselsky ist Honeckers späte Rache. Ein Ex-DDR-Bürger, der unsere Reisefreiheit einschränkt.

Auf meinem Grabstein soll stehen: Er hatte noch viel vor, jetzt hat er’s hinter sich.

Hätten Sie’s gewusst? In Rheinland-Pfalz gilt das NRW-Abitur als Behindertenausweis.

Zu unserer Freiheit gehört auch die Freiheit zu verblöden. Manche machen ausgiebig Gebrauch davon.

Wilders gewinnt die Wahl in den Niederlanden und findet keine Koalitionspartner. Hoffentlich ergeht es den Höcke-Nazis im Herbst genauso.

Ingo Flamingo aus dem Berliner Zoo ist im Alter von 75 Jahren gestorben. Ich wusste gar nicht, dass man auf einem Bein so alt werden kann.

Wäre die Hölle in Mainz, würde der Teufel rufen: „Drauße steht de Donald Drump. Wolle mer’n noi losse?“ Und seine Gehilfen würden im Chor antworten: „Ennoi mit’em.“ Narhallamarsch.

Hätten Sie’s gewusst? Der Ayers Rock heißt jetzt Ursula.

Sizilianische Restaurants werden von der Mafia mit ortstypischen Glückskeksen beliefert:

„Eine Vendetta erwartet dich.“

„Du hast einen Verräter in deinen Reihen.“

„La Famiglia ist in Gefahr.“

„Rocky das Messer kassiert hinter deinem Rücken Schutzgelder.“

Freitag, 9. Februar 2024

Mr. Brainiac

 

Letzte Menschheitsfragen - Bonetti antwortet. Heute: Warum fällt das Brot immer auf die Marmeladenseite?

Diese Frage ist physikalisch sehr leicht zu beantworten. Es hängt mit der Gravitation zusammen. Die Marmeladenseite des Brots ist schwerer als die andere Seite. Deswegen dreht sich das Brot im Sinkflug auf diese Seite. Je größer die Fallhöhe, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass es auf die Marmeladenseite fällt. Wenn es aus der Hand auf das Frühstücksbrett fällt, also aus etwa zwanzig Zentimeter Höhe, ist die Chance geringer, weil die Fallhöhe für eine eventuelle Drehung zu gering ist. Hier stehen die Chancen nur fifty-fifty. Um es in der Sprache der Wissenschaft zu sagen: bei fünfzig Prozent. Lässt man das Brot allerdings in einer Vakuumröhre aus zwanzig Meter Höhe fallen, landet es zu einhundert Prozent auf der Marmeladenseite.

Meister Bonetti, höre ich Sie sagen, was war zuerst da, die Henne oder das Ei? Ich antworte: Das ist die falsch gestellte Frage. Henne und Ei haben sich parallel entwickelt.

Kann man in einer Muschel wirklich das Meeresrauschen hören? Ja, das stimmt.

 

Donnerstag, 8. Februar 2024

Die große Lüge

 


Wir lügen alle. Meistens sind es harmlose Lügen. Die schönste Lüge ist das Kompliment. Ich kenne jemanden, der notorisch lügt und ganze Lügengebäude errichten kann.

Diese Person hat bis vor einigen Jahren an der Uni Mainz studiert. Sie ist dreimal durch dieselbe Klausur gerasselt. Das bedeutet Zwangsexmatrikulation, auf gut deutsch: Sie ist von der Uni geflogen. Kommt in den besten Familien vor. Sie hat aber noch ein halbes Jahr so getan, als würde sie studieren. Hat uns, ohne rot zu werden, von ihren Seminaren und Vorlesungen berichtet, von bestandenen Klausuren und dem Studentenleben. Sie ging morgens aus dem Haus, winkte ihrer Mutter fröhlich zu und fuhr davon. Wohin weiß keiner. Die Sache flog auf, als sie zum Arzt musste. Wer nicht mehr an der Uni gemeldet ist, hat auch keine Krankenversicherung mehr. Also hat sie die Charade zähneknirschend beichten müssen.

Darüber kann man noch schmunzeln, obwohl ihre Familie natürlich sehr wütend war. Weniger lustig ist folgende Lüge. Sie war Besitzerin eines Hundes, der sie angeblich mehrfach gebissen hat. Sie hat ihn einschläfern lassen. Erfahrene Hundebesitzer wissen, dass Hunde manchmal nach einem Menschen oder einem anderen Hund schnappen. Das Schnappen ist eine letzte Warnung. Komm mir nicht zu nahe. Lass mich in Frieden. Hunde schnappen auch, wenn sie im Stress sind oder Schmerzen haben. Es ist die gelbe Karte der Hundesprache. Das ist, wie Bellen oder Schwanzwedeln, Teil ihrer Kommunikation.

Der Hund, um den es hier geht, hatte ein Kampfgewicht von dreißig bis vierzig Kilo, einen Schädel wie ein Medizinball und ein furchterregendes Gebiss. Hätte er wirklich zugebissen, z.B. in den Unterarm oder die Hand, hätte besagte Person danach in die Notaufnahme gemusst. Ärztliche Behandlung, Tetanusspritze, Verband oder Gips, Schmerzmittel, Krankschreibung usw. Solche Bisswunden hinterlassen Narben, die man ein Leben lang hat. Sie war aber nie im Krankenhaus und hat auch keine Narben. Der Hund hat sie nicht gebissen, er hat nach ihr geschnappt.

Wenn sie den Hund nicht mehr haben will, hätte sie ihn auch ins Tierheim bringen können. Ein Freund von mir hat sich mal einen Hund aus dem Heim geholt, der in der Wohnung einer heroinabhängigen Frau gelebt hat. Der war völlig durch den Wind. Ein halbes Jahr später und nach intensivem Training war er wieder ganz normal. Man muss den vierbeinigen Schutzbefohlenen nicht umbringen, Hunde sind lernfähig. Der arme Kerl war erst drei Jahre alt und hatte sein Hundeleben noch vor sich. Vielleicht hat es ihr aber auch einfach nur Spaß gemacht, einem Tier bei Sterben zuzusehen. Zwei Wochen später hat sie sich einen Welpen gekauft.

Ich habe den Kontakt zu dieser Hundemörderin inzwischen abgebrochen. Solche Leute sind für mich der Abschaum der Menschheit. Da helfen auch die ganzen Dior-, Yves Saint Laurent- und Louis Vuitton-Handtaschen nichts.

 

Dienstag, 6. Februar 2024

Digitale Sklaven

 

Blogstuff 917

Ich habe immer noch ein Uralt-Handy, mit dem man nur telefonieren kann. Das Gespräch ist immer noch die schnellste Form der Kommunikation. Meine Telefonate dauern selten länger als eine oder zwei Minuten. WhatsApp ist im Vergleich extrem ineffizient. Ich verstehe immer noch nicht, wie man so viel Zeit mit diesem Gerät verbringen kann. 99 Prozent aller Informationen sind irrelevant. Die Ministerkonferenz in Brüssel oder der Flugzeugabsturz in Kenia haben nichts mit meinem Leben zu tun. Ich glaube, viele Leute sind deswegen so erschöpft oder wütend, weil sie in diesem ganzen Gossip ertrinken. Aber sie sind alle Junkies, sie sind abhängig. Sie können nicht ohne. Das kleine Gerät hat sie versklavt. Ich beobachte verwundert meine seltsamen Mitmenschen. Früher hast du einfach mit dem Fußball unterm Arm an der Haustür geklingelt und gefragt, ob Klaus zum Spielen rauskommen will. Heute macht man eine Online-Konferenz, um einen gemeinsamen Termin zu finden. Würden es diese Leute schaffen, eine Woche in den Urlaub zu fahren und das Handy zuhause zu lassen? Unmöglich. Spätestens am zweiten Reisetag würden ihnen die Hände zittern. Ich muss meine Nachrichten checken! Früher lag man zwei Wochen in Rimini am Strand, ohne deutsches Fernsehen oder Radio. Für Wucherpreise gab es zwei Tage alte BILD-Zeitungen am Kiosk. Fehlende Informationen waren Teil der Entspannung. Vorbei. 

Wie viele Millionen Bürger Ostdeutschlands haben nach 1990 von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe gelebt? Sie waren „Sozialschmarotzer“ im Jargon der AfD. Und ausgerechnet sie wählen jetzt die Partei, die den Sozialstaat massiv zusammenkürzen will. Die dümmsten Kälber …

Bei Christie’s wurde Bonettis Blockflöte versteigert. Der Erlös von 28 Euro geht ans Igelhilfswerk in Simmern. Apropos Flöte: Ein Vaginalflötensolo im TV sorgte für Aufregung. Peanuts. Bonetti spielt mit seiner Harnröhre Tuba.

Okay, Elvis ist für meine Generation zu früh gestorben, aber wir hatten ja Shakin‘ Stevens als fast gleichwertigen Ersatz.

Am 1. März eröffnet in Wichtelbach die Fleischboutique Chez Gisela. Spezialitäten sind Pavianherz und Stierhodencarpaccio.

O du herrliche Jugendzeit, als ich auf dem Weg von der Kneipe nach Hause sämtliche Laternen ausgetreten habe, weiter ins Licht gehend und nur Finsternis hinterlassend.

Auf dem Parkplatz eines Supermarkts hat Bonetti einen Einkaufswagen voller Lebensmittel in die Luft gesprengt, um gegen die Verschwendung zu protestieren. Das ist Kunst. Außerdem hat er die DFB-Meisterschale mit Farbe beschmiert.

Niemand redet mehr von Fridays for Future oder der Letzten Generation. Aber die neue Massenbewegung hat noch keinen Namen und kein Gesicht.

 

Sonntag, 4. Februar 2024

Bequeme Wahrheiten

 

Blogstuff 916

Als Kind habe ich die Popeye-Comics gelesen und deswegen auch immer brav meinen Spinat gegessen. Da gab es eine Figur namens J. Wellington Wimpy, der verrückt nach Hamburgern war. Die deutsche Übersetzung hat offenbar ein Bayer besorgt, denn im Comic hießen sie immer Fleischpflanzerl. Nach dieser Figur ist die Fastfoodkette Wimpy benannt, die ab 1965 das erste Franchisesystem in Deutschland etabliert hat. Leider sind die deutschen Filialen verschwunden. Try the Triple Wimpy Cheeseburger.

Früher waren wir alle viel ruhiger. Und warum? Weil wir Kaugummi gekaut haben. Heute kaut niemand mehr Kaugummis und viele sind in einem permanenten Wutzustand.

In meiner Jugendzeit kursierte in der linken Szene neben vielen Flugblättern auch das Büchlein „Wege zu Wissen und Wohlstand oder: Lieber krankfeiern als gesund schuften“. Es hat mir in meinem Berufsleben wertvolle Dienste geleistet. Mein erster Vollzeit-Job begann im Januar 1986. Ich hatte im Altenzentrum Ingelheim eine Stelle als Zivildienstleistender und sollte in der Verwaltung mitarbeiten. An meinem ersten Arbeitstag brachte mich die Chefin jedoch auf die Pflegestation, die gerade neu eröffnet worden war. Ich sollte „vorläufig“ dort arbeiten, bis genügend Krankenschwestern eingestellt wären. Daraus wurden Monate, schließlich musste ich nebenbei auch noch Arbeiten für den Hausmeister erledigen. Im Herbst platzte mir der Kragen. Ich las das Buch und suchte mir eine Krankheit aus, die zu meinem Berufsbild passte: Lendenwirbelsyndrom. Ich lernte die Symptome auswendig und ging zum Hausarzt. Er nahm mir die Show ab und schrieb mich vier Wochen krank. Ich besorgte mir einen Termin bei der Amtsärztin in Bingen. Der zweite Auftritt verlief ebenso erfolgreich und ich bekam ein Attest, das meine Untauglichkeit für den Pflegedienst bestätigte. Die restlichen acht Monate war ich bei einer Kirche in Mainz, betreute eine Kinderbastelgruppe und den Jugendkreis, läutete gelegentlich sonntags die Glocken und hatte viel Freizeit.    

Die meisten Ungerechtigkeiten im Leben bleiben ungesühnt und werden schweigend beerdigt. Die Erinnerung daran trägt man aber wie einen Rucksack voller Steine sein Leben lang mit sich. Einmal war es anders. Einen Mann, der heute mit seiner Familie in Kanada lebt und in den Siebzigern in unserem Mietshaus in Ingelheim wohnte, habe ich vor einigen Jahren über einen Freund bei Facebook getroffen. Er hat mich als Kind richtig übel vermöbelt, mir mit den Fäusten ins Gesicht geschlagen. Ich hatte überall Prellungen und Blutergüsse. Er war drei Jahre älter und fast einen Kopf größer als ich. Meine Mutter ist die Treppe hinuntergelaufen und hat seine Mutter zu Rede gestellt, was damals bei Raufereien unter Jungs nicht üblich war. Über Facebook hat er sich bei mir entschuldigt und ich habe ihm verziehen. Das war für uns beide ein guter Moment. Schade, dass er so weit weg lebt. Ich hätte gerne mit ihm ein Bier getrunken und über diese Episode gelacht. Könnten wir doch an jede Ungerechtigkeit, an jede Beleidigung, an jeden Streit auf diese Weise einen Haken machen.