„Ihre wildesten
Drohungen und Untergangsprophezeiungen und ihr endloser Redeschwulst haben die
Tendenz, von Tag zu Tag mehr zu verblassen und auf der Totenbahre der Zeit zu
landen. Hierin liegt eine uralte Lektion für alle Schreiber: dass der Sturm
unbeständiger ist als das Meer und dass all die Ängste, die uns verstören, (…)
auf Dauer gesehen von geringem Interesse sind (…).“ (Ben
Hecht: 1001 Nachmittage in New York)
Ingo
Waschewski hatte Theaterwissenschaften und Medientheorie studiert, danach hatte
er eine Zusatzausbildung zum Psychodramatiker gemacht. Er hatte gerade ein
Praktikum beim Charlottenburger Tageblatt angefangen und stand vor dem
Schreibtisch des Chefredakteurs.
„Sie
sind also der Neue?“
„Ja,
Herr Sternburg.“
„Wir
werden Ihnen den Job von der Pike auf beibringen. Gehen Sie raus auf die
Straße und bringen Sie mir ein paar Geschichten. Verstanden?“
Waschewski
schlenderte durch die Straßen und hielt die Augen offen. Aber es passierte
nichts. Also setzte er sich in ein Café und studierte auf seinem Handy den
aktuellen Polizeibericht. Vielleicht gab es eine gute Story. Aber der ganze
Mist – Drogenhandel, Schlägereien, Autounfälle – interessierte ihn nicht. Die
Kellnerin brachte ihm seinen Milchkaffee.
„Haben
Sie nicht eine gute Geschichte für mich?“ fragte er sie.
Da
gerade wenig zu tun war, erzählte ihm die Kellnerin von ihrem kleinen Sohn. Er
hatte einen Gehirntumor und sie war völlig verzweifelt. Es war allerdings ein
gutartiger Tumor und die Operation war gut verlaufen. Nach vier Wochen in einer
Reha-Klinik in Brandenburg war er wieder zuhause und würde in diesem Sommer in
die Schule kommen. Er spielte schon wieder mit seinen Freunden aus dem
Kindergarten.
Was
für eine schöne Geschichte. Waschewski machte sich Notizen. Da setzte sich ein
älterer Herr an den Nachbartisch.
„Sie
sind wohl Schriftsteller“, sagte der Mann.
„Nein,
ich mache gerade ein Praktikum bei einer Zeitung und soll Geschichten sammeln.“
„Dann
passen Sie mal auf.“ Bei einem Bier und einem Obstler erzählte der Alte von
seiner Zeit im Theater. Er hatte an den Boulevardbühnen auf dem Ku’damm gearbeitet.
Mit Harald Juhnke, Hildegard Knef und Günter Pfitzmann hatte er auf einer Bühne
gestanden. Er hatte ein paar schöne Anekdoten, wie sie nach der Vorstellung
noch in den Kneipen versackt waren.
Waschewski
schrieb eifrig mit.
„Ich
habe die Telefonnummer von einem Freund, der auf Borneo tolle Abenteuer erlebt
hat. Wollen Sie ihn mal anrufen?“
Waschewski
rief an. Der Mann am Telefon erzählte, er hätte als Tierschützer gearbeitet und
etliche Orang-Utans gerettet. Vom Kampf gegen Brandrodung und Umweltzerstörung.
Als
Waschewski in die Redaktion zurückkam, klopfte er gleich beim Chefredakteur an.
„Das
ging ja schnell“, sagte Sternburg erfreut.
„Ich
habe drei großartige Stories“, begann der Praktikant und erzählte.
„Was
soll ich mit dem Scheiß?“ fragte Sternburg. „Ich brauche Mord, Totschlag oder
einen Bandenkrieg. Das wollen die Leute lesen.“
„Aber
ich würde gerne positive Meldungen bringen“, widersprach Waschewski.
„Sie
sind ja völlig übergeschnappt“, brüllte der Chefredakteur. „Sie sind gefeuert!
Verschwinden Sie!“
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