Mittwoch, 30. August 2017

Da lacht der Geldadel

Der grauhaarige Konzernchef hat die gesamte Führungsriege seines Unternehmens zu einer Besprechung ins Konferenzzimmer geladen und hält eine Ansprache:
„Er ist der junge Mann, auf den wir lange gewartet haben. Ein kluger Kopf mit neuen Ideen, der frischen Wind in unser Unternehmen bringen wird. Er ist erst ein halbes Jahr bei uns, aber er hat sich in der kurzen Zeit mein vollstes Vertrauen erworben. In so kurzer Zeit hat er sich schon als unentbehrlicher Teil der Leitungsebene etabliert. Ich wüsste gar nicht, was ich ohne ihn machen würde. Er bringt Leistung, er fragt nicht nach Überstundenzuschlägen oder Gehaltserhöhungen. Er ist eine zuverlässige Führungskraft, die sich diesen kometenhaften Aufstieg redlich verdient hat. Ich bin überzeugt, dass er Ihnen allen als Vorbild dienen und mit vielen guten Ratschlägen helfen wird, wenn Sie ihn darum bitten. Ich darf Ihnen den neuen Vizepräsidenten der Mahlheimer KG vorstellen, auf dem meine Hoffnungen für eine glänzende Zukunft dieses Konzerns liegen.“
Applaus. Der junge Mann geht auf den Konzernchef zu und schüttelt ihm ergriffen die Hand.
„Danke, Vater.“

Kennen Sie Mössingen?

In dieser Stadt, die zum Landkreis Tübingen gehört, gab es 1933 den einzigen Generalstreik in ganz Deutschland, mit dem gegen die Machtergreifung Adolf Hitlers demonstriert wurde. Schon am Abend des 30. Januar gab es eine Demonstration der „Antifaschistischen Aktion“, bei der „Hitler verrecke!“ und „Hitler bedeutet Krieg!“ skandiert wurde. Am nächsten Tag marschierte der Demonstrationszug von Fabrik zu Fabrik und die Arbeiter schlossen sich der Bewegung an. Noch am Abend erfolgten die ersten Verhaftungen, insgesamt wurden achtzig Männer und Frauen zu Haftstrafen verurteilt. Viele andere wurden fristlos entlassen. Keine andere Stadt war dem landesweiten Streikaufruf gefolgt. Mit dem Ermächtigungsgesetz vom März 1933 kam wenig später auch das Ende des „Freien Volksstaats Württemberg“. Die Begebenheiten von Mössingen sind in der neugegründeten Bundesrepublik viele Jahrzehnte totgeschwiegen worden, da die Initiative zum Generalstreik von Kommunisten ausgegangen war.

Samstag, 26. August 2017

Vier Tipps für Ihre allerletzte Grillparty

1. Geben Sie dem Pyromanen in Ihrem Freundeskreis einen Sack feuchter Holzkohle, einen Benzinkanister und drei Streichhölzer. Beobachten Sie alles aus sicherer Entfernung und präsentieren Sie die Szene am nächsten Tag auf YouTube.
2. Kaufen Sie eine Anzahl Bratwürste, die für Ihre Gäste garantiert nicht reicht. Achten Sie beim Einkauf darauf, dass die Würste schmal genug sind, um durch den Grillrost zu fallen. Würste, die nicht ins Feuer geplumpst sind, lässt man vor dem Servieren in den Dreck fallen.
3. Kaufen Sie eine Zucchini und laden Sie einen gesprächsfreudigen Veganer ein, dem Sie vorher versichert haben, bei dieser Party neue Mitstreiter für den Tierschutz und gesunde Ernährung zu gewinnen.
4. Laden Sie nur zu einer Party ein, wenn ein Gewitter droht und dunkle Wolken über Ihrem Garten hängen.

Wie werde ich ein Erfolgsautor – zehn Leitsätze

„Der Neue ist eine Bombe. Ich habe den auf Youtube gesehen. Und die ecuadorianische Literatur hat ordentlich aufgeholt, da kommst du auch nicht so einfach auf Platz 34 der Bestsellerliste.“ (Andy Bonetti)
Das nächste Buch ist immer das Schwerste.
Der Nobelpreis hat seine eigenen Gesetze.
Entscheidend ist am Schreibtisch.
Flach schreiben, hohe Gewinne.
Die Wahrheit ist auf der Bestsellerliste.
Das Buch ist viereckig und die Lesung dauert neunzig Minuten.
Der Gefoulte soll die Biographie nicht selbst schreiben.
Hundertprozentige Pointenverwertung – fürs Schönschreiben gibt es keine Punkte.
Nach dem Buch ist vor dem Buch.
Lyrik oder Gedichte – Hauptsache Theater.
Zabriskie Point Explosion (come in number 51, your time is up) Pink Floyd's 1969-70. https://www.youtube.com/watch?v=BAcePPSsFP0

Donnerstag, 24. August 2017

Bloggertraum

Nach dem Mittagessen habe ich heute zum ersten Mal vom Bloggen geträumt. Ich sitze an meinem Schreibtisch und betrachte einen Teich, den mein Nachbar neu angelegt hat (es gibt ihn nicht wirklich). Nur zehn Meter von mir entfernt sehe ich den Kopf eines Alligators, der aus dem Wasser ragt. Er ist schwarz und hat furchterregende Zähne. Was die Leute sich heutzutage nicht alles für ihren Garten ausdenken …
Ich schaue wieder auf meinen Monitor und schreibe irgendetwas. Als ich wieder den Kopf hebe, sehe ich, dass der Alligator aus dem Wasser gekommen ist und direkt auf mein Fenster zuläuft. Das Vieh ist riesig und nur noch zwei Meter von mir entfernt. Ich gerate in Panik. Wo ist mein Fotoapparat? Das muss ich fotografieren und bloggen. Aber auf meinem mit Notizzetteln, Zeitungsartikeln, Büchern und anderem Zeug überhäuften Schreibtisch (der in Wirklichkeit extrem aufgeräumt ist, seit ich mit dem Medium Papier praktisch nichts mehr zu tun habe – aktuell liegen dort nur ein Zettel von meinem heutigen Arzttermin, die Wegbeschreibung zu einem neuen Biergarten und zwei Verrechnungsschecks von Verlagen) finde ich natürlich nichts.
Früher hätte ich doch im Traum nicht daran gedacht, beim Anblick eines Alligators in meinem Garten ein Foto zu machen, um es zu bloggen. Was hätte ich vor zwanzig Jahren gedacht?

Montag, 21. August 2017

Der Clown schläft nur

„Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst.“ (Friedrich Schiller: Wallenstein)
Es begann alles im unglaublich heißen Sommer 1976, als ich überraschenderweise auf das Gymnasium geschickt wurde. Ein Schuljahr zuvor war ich noch so verträumt („mangelnde Aufmerksamkeit“ nannte man es im Zeugnis) und mittelmäßig, dass mein Verbleib an der Hauptschule meines Stadtteils kein Problem sein sollte. Und jetzt das!
Ich fuhr mit dem Fahrrad bis in die Innenstadt und erschloss mir eine neue Welt. Dazu gehörte das Kino. Sonntags gab es Vorstellungen alter Filme am frühen Nachmittag für eine Mark. So lernten Jerry und ich uns kennen. Ich habe keinen seiner alten Filme aus den sechziger Jahren verpasst.
Ich mochte ihn vom ersten Augenblick an, denn er war wie ich. Er war ein Kind, dem am laufenden Band Fehler in der Welt der Erwachsenen unterliefen. Er war der liebenswerte Verlierer, dem man nie böse sein konnte. Er zeigte mir, dass man sein ganzes Leben lang ein Trottel sein konnte, ohne bestraft zu werden.
Vielleicht wurde ich durch ihn zum Klassenclown? Vielleicht habe ich wegen ihm den Humor nie verloren? Vielleicht schreibe ich aufgrund dieser Filme bis heute keine ernsthaften Texte? Wenn das alles stimmt, bin ich ihm dankbar. Er hat mich zum Lachen gebracht und das ist am Ende wichtiger als alles Geld der Erde.
Jerry ist nicht tot. Er schläft nur.
The Errand Boy - the little clown scene. https://www.youtube.com/watch?v=ljSNgwDzjIQ

Freitag, 18. August 2017

Foodblog Berlin – die Vorspeise

„Die Nacht tut ihm wohl. In seinen Zimmern angekommen, setzt er sich, entschlossen, bis zur Raserei zu arbeiten, an den Schreibtisch.“ (Robert Walser: Kleist in Thun)
Ungarische Gaststätte, Eschengraben 41. Wenn Sie mal sehen wollen, wie der Prenzlauer Berg war, bevor die Besserverdiener aus Westdeutschland eingeritten sind, gehen Sie in diesen Kiez. Gehen Sie in diese Kneipe. Sie könnten auch in einer x-beliebigen Kleinstadt in Deutschland sein. Im kleinen Gastraum hängt das Wildschweinfell neben dem Feuerlöscher, das Blechreklameschild von anno dunnemals neben den schmiedeeisernen Garderobenhaken. Ein Pandämonium teutonischer Gemütlichkeit. Wenn aus dem Radio „Slave to Love“ von Roxy Music dudelt und die verblühte Wirtin das Lied mitsummt, während sie mir ein böhmisches Schwarzbier zapft, bekomme ich glänzende Augen. Genau deswegen bin ich Schriftsteller geworden, um diese kostbaren Augenblicke, diese Perlen eines Berliner Sommernachmittags für Sie, liebe Lesende, festzuhalten. Das Essen ist lecker und die Preise sind sensationell: für zwei große Bier, ein ungarisches Gulasch mit hausgemachten Nockerln, einen Palatschinken mit Zucker und den abschließenden Aprikosenbrand zahle ich nur sechzehn Euro. Als „Blue Eyes“ von Elton John läuft, wird die Wirtsfrau traurig und schnieft vor sich hin. An was erinnert sie das Lied? Aber ich kann sie nicht fragen, obwohl ich der einzige Gast im Hause bin. Wir hatten über die Spatzen gesprochen, die sie im winzigen Biergarten mit Brot gefüttert hat, über das bevorstehende Unwetter und ihren arthrosekranken Hund, der unter einem Tisch liegt und den sie aus dem Tierheim hat. Aber nach ihren Gefühlen kann ich sie unmöglich fragen. Zwei verlorene Seelen in einem rätselhaften, unendlich schönen, unendlich tragischen Universum.
Elton John – Blue Eyes. https://www.youtube.com/watch?v=4CiyKeSnSxk

Donnerstag, 17. August 2017

Blogpost 2000

Die nächste Lichtschranke ist überschritten. Ein Delta-Blogger auf dem Weg in die Unsterblichkeit …
Wenn ich weiterhin etwa 500 Blogposts im Jahr raushaue, dann bin ich in sechzehn Jahren bei Nr. 10.000. Das wird 2033 sein. In diesem Jahr werde ich 67 Jahre alt und gehe in Rente. Bei Nr. 10.000 ist Schluss. Versprochen.
Oder ich mache ein neues Blog auf.
Oder die Maschinen haben die Herrschaft übernommen. Dann mache ich natürlich, was die Maschinen sagen. # Iloveskynet

Bild: Thomas Magnum Enzensberger, Gebrauchtwagenhändler („Abgefahrene Reifen – abgefahrene Preise“), möchte im nächsten Jahr eine Weltumsegelung als Ultraleichtmatrose auf einem Legoschiff machen. Der frühere Polenböllerverkäufer („Lieber einmal im Jahr knallen als das ganze Jahr durchgeknallt“) ist begeisterter Volleyballspieler und gilt als Granate unter dem Korb.
Depeche Mode - Waiting For The Night. https://www.youtube.com/watch?v=8Z-fyNdnOKE

Mittwoch, 16. August 2017

Not guilty

Rückreise von Berlin nach Schweppenhausen. Ich habe das große Glück, mir mit einer sympathischen und lebhaften Familie einen Tisch im Großraumwagen eines ICE teilen zu dürfen. Eine Afro-Belgierin mit zwei kleinen Mädchen und einem Baby auf dem Arm.
Hinter Berlin schreitet das Personal zur Fahrkartenkontrolle. Madame zeigt auf ihr Smartphone. Dort ist ein Foto von einer Fahrkarte zu sehen. Die Kontrolleuse erklärt ihr, dass sie ein Online-Ticket oder einen Ausdruck braucht. Leider versteht die Dame kein Deutsch und die Kontrolleuse kein Englisch.
Ein Kollege wird hinzugezogen, der des Englischen mächtig sein soll. Immer wieder weist er die belgische Mutter darauf hin, dass ihre Fahrkarte ungültig sei. Er erklärt es auf Englisch. In seiner Übersetzung heißt „nicht gültig“ überraschenderweise „not guilty“. Die Diskussion zieht sich in die Länge. Ihr Mann habe die Fahrkarte in Brüssel gebucht. Jedes Mal, wenn der Schaffner „not guilty“ sagt, muss ich mir ein Lachen verkneifen. Es ist nicht einfach, denn er sagt es sehr oft.
Jetzt schaltet die Dame auf Französisch um. Sie könne kein Englisch, erklärt sie resolut, man möge ihr jemanden bringen, der Französisch kann. Der Schaffner ruft über Funk im ganzen Zug die Fahrgäste auf, man möge sich in Wagen 23 begeben, da hier ein Dolmetscher benötigt werde. Mir wird klar, dass sich hier etwas Großes anbahnt. Das wird eine längere Geschichte. Zum Glück habe ich Bier dabei und öffne mir erwartungsvoll die erste Flasche.
Eine junge Frau erscheint, die Englisch und Französisch, aber kein Deutsch kann. Der Schaffner erläutert ihr die Lage auf Englisch. Not guilty. Sie wissen schon. Die Frau übersetzt ins Französische und erläutert der Belgierin, sie müsse in Frankfurt ins Reisecenter und sich eine korrekte Fahrkarte besorgen. Das Foto einer Fahrkarte sei nicht ausreichend.
So in die Ecke gedrängt rastet Madame aus und spielt ihre letzte Karte. Mein Schulfranzösisch reicht aus, um die wesentlichen Punkte zu erfassen. Die ganze Welt sei rassistisch, die Deutschen sowieso und der Schaffner sei einfach nur krank. Weiter geht es auf Englisch, das sie plötzlich wieder fließend kann: sie sei eine stolze Afrikanerin und lasse sich das alles nicht bieten. Überall werde man als Schwarze schlecht behandelt. Das Ende ihrer wütenden Suada ist in einer afrikanischen Sprache, die ich nicht beherrsche. Ich mittendrin, am Fenster, ohne Fluchtmöglichkeit.
Der Schaffner gibt auf, die junge Frau geht. Positiv ist zu vermerken, dass niemand im Zug empört ist, böse blickt oder zischt, wie man es in solchen Szenen öfter erlebt hat. Die Aggression der Belgierin läuft ins Leere, bis sie sich wieder beruhigt hat. Auch von den Müttern, die mit ihren Kindern und gültigen Fahrkarten auf dem Boden zwischen den Großraumabteilen kauern müssen und die Szene beobachtet haben, gibt es keinen Kommentar zum Verhalten der Schwarzfahrerin (das ist nicht rassistisch gemeint, sonst hätte ich BIMBOSCHLAMPE geschrieben).
Als alles vorbei ist, kommt zehn Minuten später ein ahnungsloser deutscher Rentner des Weges und streichelt das Baby auf dem Arm von Madame. Ihr fassungsloser Blick. Was soll sie machen? Ihn auch als Rassisten beschimpfen? Bis Frankfurt herrscht Ruhe.
OMD – Talking Loud And Clear. https://www.youtube.com/watch?v=Piq--jBz8Zc