Montag, 30. Juni 2014

Die Zukunft des Journalismus

Sonntags gehe ich immer mit einem VWL-Professor im Binger Wald spazieren. Er soll einen Fachaufsatz über die Zukunft des Journalismus schreiben – also diskutiert er das Thema mit einem Medienprofi, der seit seinem ersten Artikel für die Schülerzeitung 1978 allerschwerstens im Geschäft ist. Uns ist zu Beginn der Debatte natürlich klar, dass die Printmedien tot sind und die Zukunft des Geschäfts im Netz liegt. Wie verkaufe ich eine Information im Netz? Mache ich sie komplett zahlungspflichtig, werde ich vom payfree-verwöhnten Online-Publikum links liegen gelassen. Dazu kommt das Problem der Bezahlung: Verkaufe ich meine News einzeln, nach Themengebieten oder komplett? Niemand mag es kompliziert. Stelle ich die Information kostenlos ins Netz, verdiene ich kein Geld als Journalist. Außerdem habe ich immer das Problem, dass eine Information – egal ob sie kostenpflichtig oder kostenlos ist – sich rasend schnell kostenlos im Netz verbreitet, ohne dass ich es kontrollieren kann. Ich schlage ihm folgendes Modell vor: Als Appetizer stellt man die Überschrift ins Netz, die Schlagzeile mit dem Kern der Information. Wer mehr wissen will, muss hinter die Paywall gehen – und zahlen. Das funktioniert wie am Kiosk oder bei dem Typ, der mir morgens in der U-Bahn gegenüber sitzt: Ich sehe die BILD-Schlagzeile „Andy Bonetti erpresst“ und will natürlich mehr wissen, denn Andy Bonetti ist einer der größten Schriftsteller aller Zeiten, darum kaufe ich die BILD. Wenn ich also die Erpresserfotos sehen will, die gestochen scharf zeigen, wie Andy Bonetti 1999 splitternackt mit Boris Becker und Saddam Hussein Minigolf auf Gomera gespielt hat, muss ich für die Information bezahlen. Der Professor bittet mich um ein Beispiel für mein Konzept.
Ich beginne: „Seit letzter Woche bin ich mit deiner neuen Freundin bei Facebook befreundet.“
Er schaut mich ungläubig an. „Was hat das jetzt mit der Zukunft des Journalismus zu tun? Sie ist Physiotherapeutin.“
„Nichts“, sage ich betont beiläufig. „Wir haben uns nur nett unterhalten.“
„Über was?“ Seine Stimme bekommt einen leichten Unterton, zugleich nervös und drohend.
„Nix Besonders“, sage ich und schweige ein paar Sekunden. „Über dich zum Beispiel.“
„Über mich?!“ Seine Stimme wird lauter. „Was habt ihr denn über mich gesprochen?“
„Na, ich habe ihr einfach ein bisschen von dir erzählt. Schließlich seid ihr ja erst ganz kurz zusammen und ich kenne dich seit der fünften Klasse. Da hatte sie schon eine Menge Fragen.“ Ich unterdrücke mühsam ein Grinsen. Das Opfer zappelt bereits in meinem Netz. Gemächlich schiebe ich meinen fetten Leib auf ihn zu, um ihn endgültig einzuspinnen.
„Was hast du ihr über mich erzählt?“ Er ist jetzt stehengeblieben und tiefe Zornfalten haben sich in seine Stirn gegraben. Er weiß, was ich alles über ihn weiß. Und ich habe ein gutes Gedächtnis.
„Das kann ich dir echt nicht sagen. Solche Gespräche sind vertraulich. Ich habe deine Freundin doch gerade erst kennengelernt. Und dann soll ich ihr Vertrauen missbrauchen? Das geht nicht. Was meinst du, was sie alles über dich erzählt hat.“
„Du wirst mir jetzt sofort sagen, was ihr über mich gesprochen habt!“ Ein Schwarm Vögel fliegt erschrocken auf.
Ich entferne mich ein paar Schritte auf dem Waldweg und drehe mich langsam um. „Was zahlst du?“
„Zahlen? Ich glaube, du spinnst.“
Ich lächele und frage ganz ruhig. „Was ist dir die Information wert?“
„Du hast sie ja wohl nicht alle! Was habt ihr über mich geredet?“
Ich schlendere weiter, er läuft mir hinterher. „Wieviel möchtest du wissen? Wieviel möchtest du bezahlen?“
„Spuck’s endlich aus!“
„Nein!!“
„Du weißt doch überhaupt nichts!!!“
„Ihr habt euch also an einer Supermarktkasse kennengelernt. Wie romantisch.“ Ich verwende diesen zynischen Tonfall nur sehr ungern, aber ich bin auf der Zielgeraden.
Wir gehen eine Weile schweigend weiter.
„Bitte. Was habt ihr geredet?“ Seine Stimme ist jetzt ganz leise und hat diesen flehenden Unterton, den ich so mag.
Ich klopfe an seine Schädeldecke, als sei es eine Tür. „Hallooo, jemand zu Hause da oben? Wir müssen über den Preis sprechen.“ Kunstpause. „Ich mache dir einen Vorschlag: Ich will zehn Prozent von dem Geld in deiner Brieftasche. Das ist sehr großzügig, denn ich weiß nicht, wie viel du einstecken hast.“
„Du mieser Abzocker!“
Wir beginnen zu feilschen. Am Ende bekomme ich einen Cheeseburger, eine große Cola und einen Blaubeermuffin zum Nachtisch. Der Professor bekommt ein paar Belanglosigkeiten serviert und hat hoffentlich einige Anregungen für seinen Fachaufsatz bekommen. Drohen, betteln, zahlen – die alte Geschichte.
Prince – 1999. http://www.youtube.com/watch?v=UjivDeA7Qu0

Filmriss 2

A: Also fangen wir noch mal an. Woran können Sie sich erinnern, Mister Bonetti?
B: Ich bin in den Supermarkt gefahren, um mir eine Flasche Bourbon zu kaufen. Und dann hatte ich offenbar einen Unfall.
A: Der ganze Wagen war voller Blut. Aber wir haben an ihrer Kleidung keine Spur von Blut gefunden.
B: Es war dunkel. Es muss nachts passiert sein.
A: Wir haben an ihren Schuhen Kentucky-Sand gefunden. Im Umkreis von fünfhundert Meilen um den Tatort gibt es keinen Kentucky-Sand, Mister Bonetti. Wie erklären Sie sich das?
B: Ich habe auf dem Weg nach Hause einen Schluck getrunken.
A: Es war drei Uhr nachts, als die Polizeistreife Sie gefunden hat. Fast zehn Meilen vom Tatort entfernt. Wir haben die leere Flasche im Straßengraben gefunden. Und ihre Blutprobe hat 3,5 Promille ergeben.
B: Ich wollte noch einen Cheeseburger essen. Ich hatte Hunger.
A: Die Stuhlprobe hat ergeben, dass Sie Garnelen gegessen haben. Im Umkreis von hundert Meilen gibt es kein Fischrestaurant. Wo sind Sie gewesen?
B: Ich weiß es nicht.
A: Wir haben in Ihrer Manteltasche ein Zeugnis gefunden. Sie haben in dieser Nacht noch das Abitur nachgemacht.
B: Wirklich?
A: Also fangen wir noch mal an. Woran können Sie sich erinnern, Mister Bonetti?
The Prodigy – Firestarter. http://www.youtube.com/watch?v=wmin5WkOuPw

Sonntag, 29. Juni 2014

Andy Bonetti und der Tempel des Todes

Es ist finster in den Kellern tief unter dem Vatikan. Ich sehe nur das schwache Schimmern des Doppellaufs meiner treuen „Firesnake“, die ich mit Tapirfett eingerieben habe. Die Schweizer Garde liegt betäubt einige Etagen über uns. Wir haben Chloroform, Chlorophyll oder irgendwas anderes verwendet, was ich in all der Aufregung nicht mehr recherchieren konnte. Den Papst habe ich mit einer fingierten Ansichtskarte aus seinen Gemächern gelockt. Ich habe seit mindestens hundert Stunden nicht mehr geschlafen, nichts gegessen, nichts getrunken und ich kenne noch nicht mal die Fußballergebnisse. Jetzt nicht aufgeben, Bonetti, denke ich mir. Alles dreht sich um mich: Briefmarken, Büroklammern, Münzen, rote Gummibänder, Streichholzbriefchen, Zuckerwürfel. Habe ich einen entscheidenden Hinweis übersehen? Denk nach, Bonetti! Versuch, dich zu erinnern! Wo bist du letzte Nacht gewesen? Im “King’s Head”? Oder hast du es bis ins “World’s End” geschafft? Ja! Der Gedanke durchzuckt mich wie ein Blitz. Ich habe zwölf Bier getrunken. Müssen die sieben Schlüssel zur Schatzkammer zwölf Mal in ihren Schlössern gedreht werden? 7 x 12 = 84. Die Quersumme ist wiederum zwölf. Magie der Zahlen – der Teufel persönlich muss seine Hand im Spiel haben.
„Bonettti“, höre ich Lefuet rufen.
Ich taste mich weiter.
Lefuet klammert sich mit den Fingerspitzen am Rand eines Abgrunds fest. Er trägt immer noch diese elegante sepiafarbene Seidenkrawatte. Ich versuche seine Hand zu ergreifen. Zu spät. Sein Todesschrei verliert sich in der Tiefe.
Plötzlich geht das Licht an. Ich bin wie geblendet. Vor mir steht des Teufels Großmutter. In ihren Händen hält sie eine doppelläufige Jagdflinte namens „Iron Maiden“.
Ihr Lachen hallt fürchterlich durch den Höhlengang vor der Schatzkammer. „Weißt du, wo du bist, Bonetti?“
„Nö“, antworte ich schlagfertig und greife unauffällig nach dem Ninja-Stern im Innenfutter meines Abenteurerhuts aus schwarzem Schlangenleder.
„Du bist soweit hinabgestiegen, dass du in der Dachkammer der Hölle gelandet bist. Und hier wohne ich.“ Wieder dieses schauerliche Lachen.
“Echt jetzt? Kein Scheiß?” Ich versuche Zeit zu gewinnen, während ich unauffällig wieder meinen Hut aufsetze.
„Sehe ich aus, als würde ich Witze machen? Zeit zu sterben, Bonetti!“
In diesem Augenblick schleudere ich ihr den Ninja-Stern ins Gesicht. Er bleibt zwischen ihren Augen stecken. Mit einem fürchterlichen Schrei löst sie sich in einer Wolke aus Blitzen und Rauch auf.
Furchtlos gehe ich auf die undurchdringliche Wand aus Nebel zu. Was wird mich auf der anderen Seite erwarten?
Lesen Sie nächste Woche: Wann kommt endlich Helgoland ins Spiel? Wie geht es eigentlich Heinz Pralinski? Bekommt Johnny Malta noch eine Ansichtskarte oder nicht?
P.S.: Sie möchten wissen, wie Andy Bonetti aussieht? Schauen Sie einfach mal bei Wikipedia unter „Erfolg“ nach, da ist ein Bild von ihm.
Icona Pop – I Love It. http://www.youtube.com/watch?v=TB759ueuY_g

Samstag, 28. Juni 2014

Suchen und Finden – die Fortsetzung Reloaded, Teil 2 Director’s Cut

Die Angreifer kommen im Morgengrauen. Ich liege hinter dem Gartenhäuschen, in meinen Händen die zwanzig Pfund schwere „Firesnake“, meine treue Gefährtin in allen Abenteuern (Band 1-38).
„Johann, bringen Sie mir bitte noch etwas Munition“, raune ich meinem Diener zu.
Es müssen ein Dutzend bis an die Zähne bewaffneter Männer seien, die jetzt vor meiner Veranda eine menschliche Pyramide bilden, um einen der ihren ins Haus zu bringen. Der Schlüssel ist natürlich längst nicht mehr in der Küchenschublade, sondern hängt – in einem silbernen Amulett verborgen – an einer Kette um meinen Hals. Ich warte in Ruhe ab, bis der letzte von Lefuets Leuten im Haus ist. Dort werden sie eine Weile beschäftigt sein. In den Fluren sind sibirische Tiger und Königskobras unterwegs, der Küchenboden ist mit dünnem Draht überzogen, der unter Starkstrom steht. Und in der Küchenschublade lauern tödliche Spinnen auf ihr Opfer.
Aber ich kann warten. Er muss kommen. Ich halte meine Waffe so ruhig wie ein Chirurg sein Skalpell. Und tatsächlich: Wenig später betritt er in einem langen schwarzen Ledermantel den gepflegten Rasen vor meinem Anwesen.
„Keine Bewegung, Lefuet!“
Er bleibt stehen und hebt langsam die Arme.
„Umdrehen!”
Da fliegt plötzlich ein Bowie-Messer auf mich zu und verletzt mich ganz leicht an meinem linken Oberarm. Er muss einen künstlichen Arm gehoben haben und mit seinem richtigen Arm die Waffe gezogen haben. Verdammt! Ich hätte tot sein können. Hinter mir sinkt Johann lautlos zu Boden, das Messer steckt tief in seiner Brust. Ich schieße knapp vor Lefuet in den Boden und er springt erschrocken in die Luft.
„Wir müssen reden, Lefuet.”
Er nickt. Und dann erzählt er mir die ganze Geschichte. Der Schlüssel ist einer von sieben Schlüsseln, die zu einer Schatzkammer führen, die tief unter den Kellern des Vatikans verborgen ist. Sie enthält die drei verschollenen Evangelien des Neuen Testaments, in denen berichtet wird, wie die Geschichte von Jesus nach seiner Auferstehung weiterging. Außerdem das heilige Schwert von Isengart und den Koh-i-Noor, einen mythenumrankten Edelstein, der bereits in den ältesten indischen Sanskrit-Schriften Erwähnung findet und angeblich direkt von den Göttern stammt.
Die ganze Geschichte erscheint demnächst unter dem Titel „Andy Bonetti und der Tempel des Todes“ in Ihrer Bahnhofsbuchhandlung.
David Bowie – Cat People. http://www.youtube.com/watch?v=VpdHMaccjw4

Was trinken Sie zum Frühstück?

Trinken Sie morgens gerne eine Tasse Kaffee? Und gehören Sie zu den Millionen Konsumenten, die ihre alte Kaffeemaschine und die Filtertüten weggeworfen haben, um auf ein HighTech-Gerät und Kapseln („Kaffeepads“ oder „Kaffeetabs“) umzusteigen? Herzlichen Glückwunsch! Dann verkauft Ihnen die Industrie ein Kilo Kaffee für etwa sechzig Euro. Dann wäre es rein rechnerisch sogar günstiger, zum Frühstück Bushmills Three Woods 16y zu trinken. Ein ausgezeichneter Tropfen! Sie sparen bares Geld und hinterlassen keinen Müllberg. Denken Sie einmal darüber nach. Und Sie müssen sich auch kein teures Gerät kaufen, es genügt ein Tumbler oder bei großem Durst ein Highballglas.
Metallica - Whiskey In The Jar. http://www.youtube.com/watch?v=OIh3nO6-V_A

Freitag, 27. Juni 2014

Suchen und Finden – die Fortsetzung Reloaded, Teil 2

Der Gedanke an den Koh-i-Noor ließ mich nicht mehr los. Rätselhafter, geheimnisumwaberter Diamant. Wo bist du? Eine kurze Internetrecherche brachte mich auf die Spur. Eine gewisse Elisabeth war die aktuelle Besitzerin. Sie wohnte in einem Palast in London, der nicht weniger prachtvoll war als die Casa Bonetti in Bad Nauheim. Wusste sie von dem Fluch, der auf dem Edelstein lag? Der Maharadscha von Jaipur hatte ihn einst dem Kalifen von Bagdad beim Kartenspiel abgeluchst und wurde nur eine Woche später unter nie geklärten Umständen von seinem Lieblingselefanten Kalle zu Tode getrampelt. Die Witwe des Maharadschas hatte bei ihrer Verbrennung jeden Menschen und dessen Familie bis ins siebte Glied verflucht, der sich je des kostbaren Steins bemächtigen sollte. Sollte ich Mrs. Elisabeth Windsor warnen, deren Telefonnummer und E-Mail-Adresse nicht im Netz zu finden waren und die auch keinen Facebook-Account besaß (vermutlich war sie dort unter Pseudonym unterwegs)?
Kurz darauf schiffte ich mich in Cuxhaven ein und begab mich auf die Seereise ins ferne England. Der raue unbarmherzige Ozean schüttelte und rüttelte das kleine Schiff sieben Tage lang, ich lag in meiner Koje sowie in meinem Erbrochenen und hatte bereits mit meinem Leben abgeschlossen. Am nächsten Morgen bei acht Glasen zu Beginn der Vormittagswache meldete der Matrose im Ausguck endlich: „Land in Sicht“. Ich tat einen heiligen Schwur, die Rückreise mit dem Flugzeug anzutreten. Eine prachtvolle Kalesche, gezogen von vier nicht weniger prachtvollen Pferden, brachte mich zum Palast von Frau Windsor. Ich war nicht wenig erschrocken, als ich die hohen Gitter und die Wachen mit ihren riesigen Bärenfellmützen sah. Dennoch blieb ich unverzagt. Andy Bonetti, Träger des rosa Gürtels in Origami, der Held zahlloser Legenden und Literaturpreisträger der Stadt Bad Nauheim, würde schon einen Weg finden. Im Schutz der Nacht überwand ich katzengleich den Zaun und fand tatsächlich im Erdgeschoss ein Fenster, dessen Flügel nur angelehnt waren. Ich schlich durch die Gänge des Palastes – als plötzlich das Licht anging. Vor mir stand eine kleine Frau im Nachthemd mit rosa Pantoffeln und einer rüschenverzierten Haube auf dem Kopf. In ihrer Hand hielt sie eine doppelläufige Jagdflinte namens „Widowmaker“ (auch „Orkspalter“ genannt), deren Mündung zweifelsohne auf meine Brust zielte. Sie bat mich in ihr Besuchszimmer und hörte sich geduldig meine Erzählung an. Um einen Skandal zu vermeiden, brachte sie mich zum Hinterausgang und schenkte mir zum Abschied noch eine Eintrittskarte für den Londoner Tower, wo man den berühmten Diamanten gefahrlos besichtigen konnte.
Die ganze Geschichte habe ich wenig später unter dem Titel „Helgoland sehen und sterben“ veröffentlicht und dafür den Literaturnobelpreis bekommen. Das weltberühmte Zitat „So ist Helgoland, die Schöne, schmeichelnd und verdächtig, Legende und Falle für die Fremden“ stammt aus diesem Roman und ich verdiene jedes Mal einen Euro, wenn es in den Medien verwendet wird.
Eurythmics – There Must Be An Angel. http://www.youtube.com/watch?v=Q_L-40gbhNU

Donnerstag, 26. Juni 2014

Suchen und Finden – die Fortsetzung Reloaded

Endlich hatte ich die Briefmarken gefunden. Sie lagen in einer Schublade des Wohnzimmerschranks unter einer meterdicken Schicht Münzen, Büroklammern, roter Gummibänder, Streichholzbriefchen, kaputter Kugelschreiber – und einem Fotoalbum. In diesem Fotoalbum war eine Reise durch Nordindien dokumentiert, die ich vor langer Zeit unternommen hatte, um das Geheimnis um den berühmten Diamanten Koh-i-Noor zu lüften, dessen Besitzer – darunter der höchst ehrenwerte Lord Fleming und der ultrafiese Macheten-Velasquez – reihenweise unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen waren. Den Diamant hatte ich nie gefunden, aber jetzt hatte ich ja die Briefmarken. Ich schrieb, angeregt durch die Bilder und ein Glas Writer‘s Tears Irish Whiskey, meinem Freund Johnny Malta eine Ansichtskarte aus Brunei, auf der ich ihm tränenreich schilderte, ich säße dort im Gefängnis und der Sultan wolle mir die Freiheit nur im Tausch gegen den Koh-i-Noor geben, der in meinem Safe läge. Ich erfand nicht nur den Diamanten und den Safe, sondern auch gleich dessen angebliche Kombination und Lage innerhalb des Hauses.
Das Verhängnis nahm seinen Lauf, als ich die Karte in den Briefkasten warf. Unglücklicherweise war mir entgangen, dass die Post ihre Portogebühren erhöht hatte und sie daher unzureichend frankiert war. Der Nennwert der Marke lag zwei Cent unter der aktuellen Gebühr und so landete die Karte in der Abteilung für unzustellbares Zeug der Post Bad Nauheim. Dort fiel sie eines Morgens dem Angestellten Heinz Pralinski in die Hände, einem bis zu diesem Zeitpunkt unbescholtenen Mitbürger, der die Chance seines Lebens witterte. Er besorgte sich im örtlichen Baumarkt das nötige Einbruchswerkzeug und einen schwarzen Ninja-Kampfanzug beim Kostümverleih. Ich staunte nicht schlecht, als er in der darauffolgenden Nacht keuchend und verschwitzt vor meinem Bett stand. In einer einzigen flüssigen Bewegung, deren einzelne Elemente erst in der Zeitlupe erkennbar sind, machte ich das Nachttischlämpchen an, setzte meine Brille auf und zog meine doppelläufige Jagdflinte namens „Firesnake“ (langjährige Leser meiner Romane wissen, wovon die Rede ist) unter dem Kopfkissen hervor. Ich zwang den Einbrecher, auf einem Stuhl Platz zu nehmen und mir alles zu erzählen. Er begann mit seiner traurigen Kindheit in einer Hutschachtel kurz hinter Hannover, schilderte mir wortreich seine gescheiterte Ehe und seine Zeit bei der freiwilligen Feuerwehr, beschrieb kopfschüttend, wie er an meine Ansichtskarte gekommen war, und dass er sich mit dem Diebstahl und dem Verkauf des Diamanten seinen Lebenstraum erfüllen wollte: Einmal Helgoland sehen und dann sterben. Seine Erzählung rührte mich und so beschloss ich, von einer Anzeige abzusehen. Wir verabschiedeten uns an meiner Haustür und wenn ich mich recht entsinne, habe ich ihm zum Abschied sogar noch ein Eis am Stiel geschenkt.
Seine Lebensgeschichte habe ich wenig später unter dem Titel „Heinz Pralinski – Gentleman und Verbrecher“ veröffentlicht und bekam dafür 2001 den Literaturpreis der Stadt Bad Nauheim verliehen.
Bronski Beat – Smalltown Boy. http://www.youtube.com/watch?v=huavJMGUbiI

Mittwoch, 25. Juni 2014

Suchen und Finden – die Fortsetzung

Aus Andy Bonettis Autobiographie „Viva Bad Nauheim“:
Ich hatte gerade ein opulentes Frühstück – Rührei mit Bacon, gedünstete Jacobsmuscheln, eine Auswahl spanischer Schinken, pochierte Wachtelbrust, ein frisch aus Paris eingeflogenes Baguette und Nutella – beendet, als mein Diener Johann den Speisesaal betrat. Er trug ein Silbertablett an meinen Tisch, auf dem sich eine Visitenkarte befand. Auf der Karte stand nur: „Monsieur Lefuet, Schicksale en gros et en detail“. Sonst nichts.
„Der Herr wünscht mich zu sprechen?“
„Er wartet im Besuchszimmer, Mister Bonetti.“
Ich rauchte in Ruhe eine Zigarre und begab mich anschließend ins Besuchszimmer im Westflügel meines Anwesens.
Als ich den Raum betrat, stand Monsieur Lefuet von seinem Sessel auf. Er war ein stattlicher Mann in einem schwarzen Dreiteiler mit einer eleganten sepiafarbenen Seidenkrawatte.
„Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben, Mister Bonetti.“
„Monsieur Lefuet, wie ich annehme. Wir hatten noch nicht die Ehre. Bitte nehmen Sie doch wieder Platz.“
Wir setzten uns beide in die bequemen Chesterfield-Clubsessel aus dunkelbraunem Leder, die ich mir grundsätzlich von Fleming&Howland in England anfertigen lasse.
„Was kann ich für Sie tun, Monsieur Lefuet?“
„Ich möchte gleich zur Sache kommen, Mister Bonetti. Es geht um den Schlüssel.“
„Von welchem Schlüssel sprechen wir?“
„Der Schlüssel in ihrer Küchenschublade. Wir brauchen ihn dringend.“
„Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht ganz folgen, Monsieur Lefuet.“ Ich versuchte, Zeit zu gewinnen, und gab Johann mit meiner rechten Augenbraue ein unauffälliges Zeichen. Er verließ augenblicklich den Raum.
Und das war der Beginn eines wunderbaren Abenteuers, das ich wenig später unter dem Titel „Der siebte Schlüssel“ in Romanform veröffentlicht habe.
Scatman John – The Scatman. http://www.youtube.com/watch?v=y6oXW_YiV6g

Suchen und Finden

Ich suche nach einer Briefmarke, weil ich nach langer Zeit einmal wieder eine Ansichtskarte schreiben möchte. Ich besitze noch zahlreiche unbeschriebene Ansichtskarten und mache mir gelegentlich den Spaß, einem Freund einen Urlaubsgruß aus Stockholm oder Peking zukommen zu lassen, obwohl ich gerade in Schweppenhausen bin und den Rosen vor dem Fenster beim Blühen zuschaue. Zuletzt hatte ich das Heftchen mit den selbstklebenden Marken in einer Schublade gesehen, also beginne ich mit der Suche an meinem Schreibtisch. In der ersten Schublade finde ich diverse Erinnerungsstücke, zum Beispiel die Metallkappe eines Champagnerkorkens der Marke Veuve Clicquot. Ich hatte die Flasche für ein Rendezvous gekauft, aber die Dame, der das köstliche Nass zugedacht war, hatte sich beim Sturz auf einer Treppe am Tag zuvor einen Zeh gebrochen und war unpässlich – also habe ich sie im Kummer alleine geleert. Dann ein Stück Seife aus dem Hotel Riviera in Diano Marina. Ich muss als Kind dort gewesen sein, denn als Erwachsener habe ich zwar viele Reisen nach Italien unternommen, hatte aber nie Urlaub an der Riviera gemacht. Aber ich erinnere mich an Mantua, Padua, Venedig, Florenz, Rom und Neapel, während ich den immer noch frischen Geruch der Seife einatme. Ich finde ostasiatische Münzen mit einem runden Loch in der Mitte und fremden Schriftzeichen, winzige Zehn-Cent-Münzen aus Holland mit einem Bild der Königin im Profil, italienische Hundert-Lire-Münzen, eine Johnny Walker-Anstecknadel und eine einzelne Büroklammer (ansonsten pflegen sie ja immer in Rudeln aufzutreten).
Hier sind sie also nicht. Schublade, Schublade … mhm … mein Haus hat zehn Zimmer, in denen sich diverse Tische und Kommoden mit Schubladen befinden. Dazu kommen noch die Schubladen in der Küche. Ich begebe mich also auf die Wanderschaft durchs Haus. Ich beginne im Esszimmer. In der großen Kommode sind nur das Kaffee-Service und stapelweise Teller und zwei Dutzend Gläser, mit denen man eine Hochzeit feiern könnte. Aber in der Ecke steht noch ein winziges Möbelstück mit zwei schmalen Schubladen. Es finden sich rote Gummibänder, Büroklammern und abgegriffene Kupfermünzen darin, überhaupt findet man in Schubladen, wie ich im Laufe meiner Suche feststellen werde, grundsätzlich rote Gummibänder, Büroklammern und Münzen. Sie scheinen der Grundbestand aller Schulbaden zu sein. Dazu finde ich überall Kugelschreiber, die nicht mehr funktionieren, deren Aufdrucke aber gelegentlich zu weiteren Erinnerungen führen. Ein Hotel in Las Vegas … was für eine Nacht. Wir haben bis zum frühen Morgen an Poker-Automaten gezockt und Drinks für einen Dollar abgekippt. Den Schlüssel hatten wir am nächsten Tag aus Versehen mitgenommen und ihn in einen Briefkasten in Arizona geworfen – auf dem Weg zum Grand Canyon.
In der Küche stoße ich in der Schublade neben der Besteckschublade auf ein paar Hustinetten-Bonbons aus der Kaiserzeit. Die angefangene Tesafilm-Rolle scheint hingegen aus der Bronzezeit zu stammen. Und dann die Streichholzbriefchen mit Aufdruck: Jedes schickt dich auf eine neue Reise. Restaurants, Cafés, Bars aus aller Herren Länder. Was habe ich da gegessen? Was habe ich getrunken? Dazu die uralten Zuckerwürfel, auf deren Papierverpackungen die Eigenschaften von Sternzeichen zu finden sind. Ich bin ein Löwe, also selbstbewusst, zielstrebig und großzügig. Ein Siegertyp. Aha! Warum habe ich dann keinen Job und bin ständig pleite? Werden Archäologen einst diese Zuckerschätze bergen? Dann die vielen Schlüssel, von denen ich nicht weiß, was sie aufschließen. Überall Schlüssel! Geheimnisvolle Türöffner – was wollt ihr mir sagen? Indiana Jones wäre jetzt schon in ein neues Abenteuer verstrickt. Und dann erst die Schlüsselanhänger … ein Gärtner mit grüner Latzhose und Strohhut reckt den Daumen nach oben. Eine Gurke mit einem lächelnden Gesicht. So sahen Gurken zuletzt aus, als ich auf LSD war. Aber ich erinnere mich: Das verlängerte Wochenende im Spreewald in den Neunzigern. Heiliger Scheißdreck! Mein ganzes Leben zieht an mir vorüber. Was suche ich nochmal? Egal. Ich muss zurück an meinen Schreibtisch und diesen Text schreiben.
Die Fantastischen Vier – Tag am Meer. http://www.youtube.com/watch?v=uFX_ZQCPerk

Dienstag, 24. Juni 2014

Neulich im Büro

A: Dem Müller ist was Lustiges passiert.
B: Welchem Müller?
A: Dem Müller aus dem Controlling.
B: Ach so. Uwe Müller.
A: Nein, Frank Müller. Der Typ mit der dunkelroten Krawatte.
B: Der mal was mit der Schigulski vom Empfang hatte?
A: Nein, der Müller ist seit zehn Jahren verheiratet. Also richtig verheiratet. Keine Affäre oder so.
B: Steht der nicht mit seinem Wagen auf Parkdeck B? Dieser tiefergelegte Audi mit den Rallyestreifen?
A: Nein, der Müller steht ganz unten auf Ebene D und fährt einen Hyundai, silbermetallic. Ganz normal.
B: Nee, da klingelt bei mir nix.
A: Doch, den kennst du. Der war doch mit dir in der Schule.
B: Wie sieht der denn aus?
A: Kurze braune Haare, mittelgroß, relativ schlank. War aber schon mal schlanker.
B: Ach, warte mal. Ich weiß, wen du meinst. War der nicht im Fußballverein?
A: Der Müller? Das kann ich mir nicht vorstellen. Der hat Klavierunterricht gehabt. Der und Sport? Nein. Das war eher so ein Unauffälliger.
B: Bist du sicher, dass ich ihn kenne?
A: Na klar! Der wohnt doch sogar in deiner Nachbarschaft. Nur zwei Querstraßen weiter. Der hat kurz nach dir gebaut.
B: Wie sieht das Haus denn aus?
A: Och, so ganz normal eben. Mittelgroß. Weiß gestrichen. Gepflegter Vorgarten mit Jägerzaun.
B: Im Tannenweg?
A: Nein, Birkenweg.
B: Sagt mir jetzt immer noch nix.
A: Du kennst den Müller. Logo! Eure Frauen gehen doch immer samstags zusammen im Stadtpark joggen.
B: Echt? Wie sieht die Frau denn aus?
A: Lange braune Haare. Mittelgroß. Schlank. War aber schon mal schlanker.
B: Ach, die Uschi.
A: Nein, die heißt Inge.
B: Inge Müller … mhm … waren die letztes Jahr nicht in Österreich und haben alle mit einem endlosen Dia-Abend gelangweilt?
A: Nein, die Müllers fahren immer in den Schwarzwald. Jeden Sommer.
B: Ich glaube, den kenne ich nicht. Aber egal. Was ist ihm denn Lustiges passiert?
A: Jetzt habe ich vergessen, was ich erzählen wollte.
Gary Numan – Cars. http://www.youtube.com/watch?v=99fRdfVIOr4

Montag, 23. Juni 2014

Die nächste Sau

Um die Ukraine ist es in letzter Zeit etwas ruhig geworden. Es gab Wahlen und viele Verhandlungen. Kurz gesagt: Es wird zu viel geredet und zu wenig gestorben. Das ist für die Medien nicht mehr interessant genug. Wir brauchen etwas Neues: eine neue Bedrohung, ein neues Drama, einen neuen Hitler. Das Abendland geht jede Woche einmal unter. Alles andere wäre schlecht für den Umsatz. Jetzt ist es also der Bürgerkrieg im Irak und eine Truppe namens ISIS, die daran teilnimmt. Sie hat sich vorgenommen, das Kalifat wieder zu errichten und ihren Herrschaftsbereich bis auf Nordafrika und Spanien auszudehnen. Solche Lagerfeuerfantasien von abenteuerlustigen Söldnern reichen natürlich aus, um in Deutschland die Schlagzeilen zu bestimmen, seit uns Putin mit Deeskalation langweilt. Das Morgenland brennt lichterloh und die Flammen drohen, auf das abendländische Nachbarhaus, namentlich auf Schnarchmichelshausen und Butzingen an der Gurk, überzugreifen. Ist das aufregend! Ist das aufregend? Nein, ist es nicht. Es ist dasselbe Muster von medial erzeugter Erregung wie immer. Die Medien verkaufen uns Bedrohung und Betroffenheit als wohlfeile Handelsware, denn sie leben davon, dass wir uns bedroht fühlen und betroffen sind. Im Irak ist seit 2003 Krieg – mal ist er auf Seite 1, mal auf Seite 7. Ich bin schon gespannt auf die nächste Sau, die durch unser Mediendorf getrieben wird. Wir hatten schon lange keinen rätselhaften Virus mehr, der die Menschheit bedroht.
P.S.: Wenn ich clever gewesen wäre, hätte ich „ISIS-Terroranschlag geplant - in Deiner Stadt!!!“ als Überschrift wählen müssen. Damit kommt man definitiv auf eine höhere Leserzahl.
P.P.S.: Schön wäre natürlich auch das folgende, bisher medial noch nicht inszenierte und vermarktete Horrorszenario: Der Moslem und der Iwan tun sich gegen uns zusammen und nehmen uns in die Zange. Die alte deutsche Angst vor dem Zweifrontenkrieg! Das wird ein Kassenknüller, das ist der nächste Blockbuster! Aus dem bereits eroberten Spanien rückt der Moslem auf den Rhein zu, um die Alkoholanbaugebiete an seinen Ufern im Namen Allahs und seines Propheten zu vernichten. Gleichzeitig rollt der Iwan – der ewige Iwan! – mit seinen Panzerkolonnen durch Polen nach Berlin. Holt die Kinder von der Straße, löst eure Sparbücher auf, mäht den Rasen nicht mehr! Das Ende der Welt ist nahe!! Und gibt es da nicht noch irgendeinen Meteoriten oder einen anderen gefrorenen Klumpen Schleim und Rotz aus einer fernen Galaxie, der gerade in diesem Augenblick auf Wuppertal zurast? Mit dieser Angst kann man Millionen verdienen. Wo ist die BILD, wenn man sie mal braucht?
Ultravox – Hiroshima Mon Amour. http://www.youtube.com/watch?v=Q3kQr4lAcsA

Die Müll-Stasi

In Schweppenhausen ist jetzt die Müll-Stasi unterwegs. In Gestalt einer Frau, die mit einem langen Stock und Gummihandschuhen die Mülltonnen vor unseren Häusern durchwühlt und pädagogisch wertvolle Gespräche mit den Bewohnern führt. Mir hat sie auch schon einen blauen Brief in den Postkasten geworfen, weil ich meinen Müll nicht richtig trenne. Und diese Schnüfflerin wird von unseren Steuergeldern bezahlt. Ich würde mich ja noch viel mehr aufregen, wenn ich Steuern zahlen würde! Ich habe meinen Müll immer komplett in eine Tüte gepackt und sie dann abwechselnd in die gewünschte Tonne geworfen, die montags auf den Bürgersteig zu stellen ist. Immerhin habe ich Papier und Altglas nicht in die Tonne gekloppt. Ein Jahr bin ich mit dieser Methode gut gefahren – bis die Müll-Stasi kam. Jetzt werfe ich alles in die Wertstofftonne und bin gespannt, wie lange das gutgeht. Leider kann man aus der Müllabfuhr so wenig austreten wie aus der GEZ. Zwangsmitgliedschaft bis ins Grab. Ansonsten würde ich meinen Müll durch die Weinberge und das Wäldchen hinter meinem Haus bis zur Autobahnraststätte tragen und einfach auf den Lkw-Parkplatz schmeißen. In dieser Raststätte zahlen sie den Kellnerinnen nur 3,50 Euro Stundenlohn, wie ich von einer Bekannten aus Schweppenhausen weiß, die auch bald darauf in dem Drecksladen gekündigt hat. Die haben also genug Zaster für die Müllentsorgung.
Pet Shop Boys & Dusty Springfield – What Have I Done To Deserve This. http://www.youtube.com/watch?v=3a74dxuL9Ts

Sonntag, 22. Juni 2014

Filmriss

Es gibt wenige Dinge, vor denen der seriöse Freund geistiger Getränke wirklich Angst hat. Hausverbot in der Stammkneipe und leere Brieftaschen zähle ich zu den geringen Ängsten. Leberzirrhose und Unfalltod bieten schon eher einen Anlass zu gelegentlicher Sorge. Aber das Furchterregendste und Unberechenbarste ist der Filmriss. Du erwachst – möglicherweise in einer völlig unbekannten Umgebung – und es fehlt dir ein gewisses Quantum Lebenszeit, an das du dich, trotz vielfältiger Bemühungen, nicht mehr erinnern kannst.
Von Andy Bonetti wissen wir beispielsweise aus seiner Autobiographie „Viva Bad Nauheim“, dass er eines Morgens aufgewacht ist und beim Blick aus dem Fenster seinen postgelben Alfa Romeo Alfasud nicht mehr vorfand. Er musste mit seinem Kumpel die ganzen „üblichen Verdächtigen“ unter den Aufenthaltsorten Bad Nauheims („King’s Head“, „Hole in the Wall“ und das berüchtigte „World’s End“) abklappern, um seinen Wagen wiederzufinden. An einem anderen Morgen öffnete er die Augen und sah im Sessel, auf dem normalerweise seine Klamotten lagen, wenn er es noch geschafft hatte, sie in der Nacht auszuziehen, einen Mann in Unterhosen sitzen, der geräuschvoll schnarchte. Es stellte sich heraus, dass es Jimmy aus Frankfurt war. Sein schlimmstes Erwachen war jedoch auf der Intensivstation des örtlichen Krankenhauses. Freunde berichteten ihm später, dass ihm die Sanitäter einige Fragen gestellt hätten, bevor sie ihn auf einer Trage in den Rettungswagen schoben. Andy hätte aber weder sein Geburtsdatum noch seinen Nachnamen gewusst. Definitiv ein heftiger Filmriss.
Noch schlimmer erging es seinem Freund Johnny Malta, der in den Bad Nauheimer Gaststätten auch unter dem Künstlernamen Wambo der Prächtige bekannt war. Er stand eines Nachmittags, nur mit einer Jeans bekleidet und ohne Brieftasche oder Orientierung, auf einem Waldweg und wusste wirklich nicht mehr, wie er dorthin gekommen war und was zuvor passiert ist. Ein anderes Mal erwachte er – und diese Anekdote ist tatsächlich verbürgt – beim Flug aus einem Hochbett kurz vor dem Aufschlag. Wie allen Betrunkenen ist ihm nichts Ernsthaftes passiert. Aber er konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wie er auf dieses Hochbett gekommen war. Ein wirklich tragischer Fall ereignete sich, als Johnny eines Morgens völlig kaputt und fertig in seiner Wohnung aufwachte. Als er ins Wohnzimmer kam, lag da ein junger Mann auf seinem Sofa. Er war tot. Es war ein Bursche, der in einem Imbiss gearbeitet hatte, den Andy, Johnny, Jimmy und die anderen immer ganz am Ende ihrer Tour für einen Snack aufsuchten (die Hamburger dort sind legendär), bevor sie nach Hause „gingen“. Sein erster Schuss Heroin, falsche Dosierung, Exitus. Die Polizei hat Johnny viele unangenehme Fragen gestellt. Und es stimmt nicht, obwohl das in Bad Nauheim gerne erzählt wird, dass Johnny an jenem Morgen noch seine Kumpels angerufen und um Hilfe beim Verschwindenlassen der Leiche gebeten hätte.
P.S.: Elvis Presley lebte von 1958 bis 1960 als Wehrdienstleistender in Bad Nauheim. Daher hören wir heute eine Hommage an den King: Spinballs – Viva Las Vegas. http://www.youtube.com/watch?v=IQIkbJ_x0hs
P.P.S.: Den Freunden heiteren Filmschaffens sei der britische Streifen „The World’s End“ empfohlen, der in zwölf Pubs spielt, in denen fünf Freunde jeweils ein Pint trinken wollen. Zitat: „Es ist ein menschliches Grundrecht, ein Versager zu sein.“

Samstag, 21. Juni 2014

Lohr am Main

Es gibt ja nichts Schöneres als unverhoffte Entdeckungen. Du bist gezwungen, vom Plan abzuweichen, und dann passiert etwas Gutes. Mit meinem Kumpel N. und seinem alten Kriegspony, einem Meisterwerk ostasiatischen Automobilbaus aus dem vergangenen Jahrhundert mit 270.000 Kilometern auf dem Tacho und einer nagelneuen TÜV-Plakete, bin ich am Wochenende nach Franken gefahren. Auf der Autobahn war hinter Aschaffenburg Stau und so sind wir auf die Landstraße abgebogen und fuhren alsbald durch die prachtvollen Wälder des Spessarts. Gegen Halbelf – nachdem wir die Themen WM, Schirrmacher-Tod und Vergeblichkeit des Seins abgehandelt hatten – wehten uns Hunger und Durst an. Begriffe wie „zweites Frühstück“ und „erstes Bier“ (aber wirklich nur eins – wegen Plan und so) waberten durch die Fahrgastkabine des Mitsubishi Lancer und alsbald erreichten wir Lohr am Main.
Wie es sich herausstellte, besitzt dieser bezaubernde Ort, der für sich reklamiert, die Heimat Schneewittchens zu sein (wir glauben es gerne), nicht nur eine hübsche und lebhafte Altstadt mit intakter lokaler Geschäftswelt (kein McDonald’s, kein Deichmann, kein Lidl), sondern auch eine eigene Brauerei, an die sich ein Lokal mit Biergarten anschmiegt. Die kleinen zarten Fachwerkperlen des Ortskerns wirken, als seien sie von Kindern gemalt und mit Kindermalfarben verputzt worden. Wohlgefällig ruht unser Blick vom Wirtshaustisch unter einer alten Platane auf der Hauptkreuzung, wo junge Männer reifenquietschend mit Kleinwagen vorbeirasen, aus dessen offenen Fenstern völlig ironiefrei deutsche Schlagermusik herausdröhnt. Eine freundliche Kellnerin nimmt unsere Bestellung auf und alsbald dürfen wir vom Keiler Kellerbier kosten. Dieses anbetungswürdige Getränk wird in bauchigen Glaskrügen gereicht und ist einfach zum Niederknien köstlich. Ein Augenblick des Glücks, wie er uns in dieser Reinheit im diesseitigen Leben kaum einmal vergönnt wird. Ich verzehre mit gutem Appetit ein Paar Weißwürste an Laugenstange und süßem Senf, auch weitere Biere der Brauerei wollen verkostet werden. N. erzählt von den noblen Hotels in Zürich, die er für seine Recherche zu einem Zürich-Reiseführer aufgesucht hat und in denen es sogar ein „Pillow Menu“ gegeben hat, aus dem man sich das Kopfkissen für die Nacht aussuchen durfte (es gab sogar eins, das mit Kirschkernen gefüllt war) – hier in Lohr gibt es nur Keiler-Bier. Und das ist auch gut so.
Nach drei Bier erreichen wir schließlich doch Würzburg. Schloss und Garten werden besichtigt. Die Innenstadt enttäuscht ein wenig. Wieso hat eigentlich Dresden das tragische Weltkriegsschicksal scheinbar exklusiv gepachtet? Würzburg wurde im März 1945 in einer zwanzigminütigen Zerstörungsorgie zu achtzig Prozent vernichtet. Immerhin findet sich in einem verwunschenen Winkel das Grab Walthers von der Vogelweide, dem Urvater der Bloggergemeinde. Frische Blumen liegen auf dem kastenförmigen Grabstein. Der Dichter wollte, dass nach seinem Tod hier Vögel gefüttert werden, und so weist der Stein vier Vertiefungen für Futter und Wasser auf. Die Mainbrücke wirkt wie die kleine Schwester der Prager Karlsbrücke. Wir ziehen uns in den Hofbräukeller zurück, um bei heimischem Bier und Schweinebraten die gewonnenen Eindrücke einwirken zu lassen. Auf der Rückreise sitzen wir in Marktheidenfeld am malerischen Mainufer und trinken ein abschließendes Weizenbier, von der Rückbank des Kriegsponys hören wir auf der Fahrt das lustige Klimpern unserer flüssigen Souvenirs.
The Communards – Don’t Leave Me This Way. http://www.youtube.com/watch?v=ifAtvI48R_0

Freitag, 20. Juni 2014

Ein Lob dem Fortschritt

Ich finde ja diese neue Datenbrille namens „Google Glass“ einfach klasse. Aber es geht noch besser. In die nächste Generation von Kindern wird diese Technik quasi ab Werk integriert sein, der Einbau erfolgt noch vor der Taufe. Dann werden automatisch Bilder gemacht und abends können die Eltern ihrem Nachwuchs dann einen USB-Stick aus dem Arschloch ziehen und sehen, wie der Tag war. Google Ass. Einfach großartig!
Billy Bragg – New England. http://www.youtube.com/watch?v=aCfRcgoPxTw

Die Lesung

Eigentlich ist es immer das Gleiche, nur der Ort ändert sich. Diesmal ist es also Marburg und das „Anti-Quariat“. Bereits beim Betreten der mit staubiger Luft gefüllten Geschäftsräume sinkt mein Mut und ich weiß, dass mich heute wieder eine Demütigung erwartet. Eine Demütigung, die sich aus verschiedenen Quellen speist: Die unheimliche Stille, die fehlende Distanz zum Publikum, die Trostlosigkeit der Kulisse, die existenzielle Verlorenheit der Gastgeberin.
Die Kulisse: Altersdunkle Holzregale mit endlosen Reihen von Buchrücken, gefühlte zehntausend Bücher, die weder einer alphabetischen noch einer thematischen Ordnung folgend nebeneinander stehen, ein Resopaltisch mit dünnen Beinen, auf dem ein Stapel mit Exemplaren meines neuesten Romans „Liquid Memories“ liegt, und ein paar trostlose Topfpflanzen. Dazu knapp zwanzig Stühle verschiedenster Herkunft, die offenbar eigens für diesen Anlass herbei geschafft wurden. Für Andy Bonetti steht ein gepolsterter Stuhl bereit, ein zweiter Resopaltisch und ein Drittelliter Mineralwasser in einer bereits geöffneten Flasche nebst Glas.
Das Publikum: In der ersten Reihe sitzen nur die Gastgeberin Gisela Schmirgelberger-Jungmanova und ihre Zwillingsschwester Rosalinde. Dahinter drei junge Frauen mit kurzen, himbeerrot gefärbten Haaren und versteinerten Mienen, offenbar Studentinnen der Geisteswissenschaften. Dazu ein halbes Dutzend der unvermeidlichen Deutschlehrer, die mit chirurgischer Präzision jeden Satz in seine Einzelteile zerlegen und jede Bedeutung in ihr Gegenteil verkehren können. Schlimmstenfalls schreiben sie gerade selbst an einem Roman oder einem Lyrik-Bändchen. Ganz hinten einige Studenten und Zufallsbesucher, die angestrengt das Display ihres Smartphones bearbeiten. Insgesamt ein gutes Dutzend Leute.
Der Vortrag: Nach einigen dürren Worten der Einführung von Frau Schmirgelberger-Jungmanova beginne ich mit einem humoristischen Text über meine Verhaftung wegen öffentlicher Trunkenheit in Texas 1993, meiner Nacht im Gefängnis und der anschließenden Gerichtsverhandlung. Eisiges Schweigen. Es folgen einige Gedichte im schwungvollen Reimschema meiner rheinhessischen Heimat. In der letzten Reihe steht ein Mann auf und verlässt das Antiquariat. Jetzt komme ich zum ersten Höhepunkt meiner Lesung: Eine Satire auf die feministischen Bemühungen, die deutsche Sprache zu verändern. Die drei Studentinnen stehen gleichzeitig auf und verlassen geschlossen den Raum. Als ich meinen berühmten Text über Hamstergolf zu Gehör bringe, schüttelt ein bärtiger junger Mann mit Hornbrille aus der dritten Reihe den Kopf und geht ebenfalls – vielleicht ein Tierschützer oder Veganer. Ich mache mit einem unveröffentlichten Kapitel aus „Liquid Heaven“ weiter. Als ich einen Schluck Wasser trinke, nutzt eine Studienrätin, die ich auf Anfang Sechzig schätze, die kurze Pause, um mich zu fragen, ob die Protagonistin Rosine Fischel eine Jüdin wäre und ob die Szene in einem Kellerversteck auf das Leben von Anne Frank anspielen würde. Wut und Verachtung blitzen aus ihren Augen. Jetzt würde ich selbst gerne gehen – aber die Demütigung endet erst, nachdem man mit der Veranstalterin, ihrer verbissen schweigenden Schwester und zwei interessierten Zuhörern, die allerdings kein Buch von mir kaufen, noch ein Glas Wein in einem „Bistro“ getrunken hat.
Tic Tac Toe – Ich find dich Scheiße. http://www.youtube.com/watch?v=P7HyGa2YFg4

Donnerstag, 19. Juni 2014

Moderner Rassismus

Zur Berichterstattung bei der Fußball-WM in Brasilien gehört ja immer, wie gefährlich das Land für Besucher sei. Ich habe dieses Land ausführlich bereist und bin zu dem Schluss gekommen, dass es nicht gefährlicher ist als viele andere Gegenden der Welt. Wenn man in Rio oder Sao Paulo in tiefer Nacht zu Fuß unterwegs ist, empfiehlt es sich, nur eine kurze Hose und ein T-Shirt zu tragen. Keine Kamera, keine Uhr, keinen Schmuck – und wenn man dann noch ein Hundert-Kilo-Kampfmonster mit drei Promille im Blut ist, kommt man auch in diesen Städten durch jede Straße, ohne von kriminellen Elementen kontaktiert zu werden. Auch in Harlem oder Brooklyn während der neunziger Jahre war ich immer extrem sicher unterwegs, weibliche oder männliche Begleitung eingeschlossen. Amerikaner oder Japaner, die mit Juwelen oder High-Tech-Wertsachen behängt sind und denen eine prallgefüllte Brieftasche aus der hinteren Hosentasche hängt, leben sicherlich gefährlicher.
Ein guter Freund von mir hat zehn Jahre in Duisburg-Marxloh gewohnt, einem angeblichen sozialen Brennpunkt. Bei meinen Besuchen waren wir oft die einzigen deutschen Gäste in türkischen Cafés bei Fußballübertragungen oder zum Abendessen in türkischen Restaurants. Wir sind immer sehr freundlich behandelt worden. Als M., mein Kumpel, eines Abends, da er die letzte Straßenbahn verpasst hatte, nach Hause gejoggt ist, weil er Lust auf ein wenig sportliche Betätigung hatte, hielt auf einmal ein Wagen, der sich quer auf den Bürgersteig stellte. M. dachte, nun habe sein letztes Stündlein geschlagen und er würde überfallen werden. Es stellte sich heraus, dass er einer Zivilstreife zum Opfer gefallen war: Er musste sich breitbeinig an eine Hauswand stellen, wurde abgetastet und seine Personalien wurden überprüft. Als man ihn als Deutschen erkannt hatte, ließ man ihn bereitwillig laufen.
Das beste Beispiel für modernen Rassismus ist das Bewerbungsgespräch einer deutsch-türkischen Freundin aus Ingelheim bei einem FAZ-Herausgeber namens Berthold Kohler (redaktionsinterner Spitzname: „Taliban“). Mit dieser Freundin hätte ich 2006 einen Karriereratgeber für Frauen schreiben müssen, der vom FAZ-Verlag herausgegeben werden sollte. The things you do for money. Nach vier Wochen Zusammenarbeit mit diesem Horror-Schuppen (nicht mit der Ko-Autorin!) habe ich die Segel gestrichen und den Vertrag mit der FAZ gekündigt. Meine Freundin hat den Manuskript-Trip alleine durchgezogen und bis heute kein Buch mehr veröffentlichen können … Einige Zeit später hat sie sich, wie gesagt, in der Redaktion beworben und hatte ein Bewerbungsgespräch mit Herrn Kohler. Er fragte sie nicht nur nach dem muslimischen Hintergrund ihrer Familie, sondern auch, ob ihr Bruder gegebenenfalls ihre Ehre als Frau mit Gewalt verteidigen würde. Sie hat nur staubtrocken geantwortet, dass sie im Notfall ihren kleinen Bruder verteidigen würde. Natürlich ist sie von der FAZ nicht genommen worden.
Bloodhound Gang – F.U.C.K. http://www.youtube.com/watch?v=JZpxaiNV_sM

WM-Gossip

Hätten Sie gewusst, dass …
die nächste Partie der deutschen Mannschaft gegen Ghana vom niederländischen Schiedsrichter Willy De Blinde gepfiffen wird?
der Verkaufsschlager bei den deutschen Fans in Brasilien ein T-Shirt mit dem Aufdruck „I survived Riesending“ ist?
der Torhüter von Costa Rica früher beim ostwestfälischen Kreisligisten Tobacco Oldeslohe gespielt hat?
die verletzten Spieler nur deswegen in einer Wanne vom Spielfeld getragen werden, damit kein Blut ausläuft?
Andrea Nahles von der FIFA Stadionverbot bekommen hat, weil sie 8,50 Euro Mindestlohn für die Beschäftigten in den Stadien gefordert hat?
die chilenische Mannschaft ihren Sieg gegen den amtierenden Weltmeister Spanien mit einem Meerschweinchen-Fondue gefeiert hat?
P.S.: Wussten Sie, dass der neue Trainer des Karnevalsvereins Mainz 05 mit Vornamen Kasper heißt? Jetzt mal ganz im Ernst: Ich finde das lustig.
Shannon – Let The Music Play. http://www.youtube.com/watch?v=JQ5jTAISutM

Mittwoch, 18. Juni 2014

Die polnische Affäre

Wir sehen Bundespräsident Gauck, der in einer schneeweißen Phantasieuniform mit vielen bunten Orden und goldenen Tressen auf beiden Ärmeln sowie einer Schirmmütze mit Bundesadler auf dem Rasen seines Berliner Residenzschlösschens steht und gerade einen Prosecco trinkt. Ein junger Soldat eilt herbei.
Gauck: Junger Mann! Sie sind ja ganz blass um die Nase. Berichten Se mal!
Soldat: Die Polen, Herr Bundespräsident, die Polen!
G: Donnerwetter! Scheint ja wichtig zu sein. Nu schießen Se mal los. Was ist denn mit den Polen?
S: Melde gehorsamst: Die Polen haben auf Usedom die Grenze überschritten! Es sind Hunderte!
G: Dolle Sache das! Weiß die oberste Heeresleitung Bescheid?
S: Frau von der Leyen ist im Urlaub.
G: Typisch. Kein Verlass auf das Zivilpersonal. Muss ich die Sache wohl selbst in die Hand nehmen. Holen Sie mir General Schmoldtke!
S: Jawoll, Herr Bundespräsident!
G: Ich werde persönlich die Waffen unserer Truppen segnen. Meine Lizenz als Pfarrer habe ich ja noch. Schmoldtke soll die schnelle Eingreiftruppe in Alarmbereitschaft versetzen. Ich will unverzüglich Ergebnisse sehen. Kein Fußbreit Strand dem polnischen Aggressor! Endlich ist wieder Krieg. Gott schütze unser deutsches Vaterland!
Paul Hardcastle – 19. http://www.youtube.com/watch?v=b3LdMAqUMnM

Hamstergolf

Die Anfänge des Hamstergolfsports reichen weit in die Vergangenheit zurück und werden im Frühmittelalter vermutet. Ursprünglich war es eine Freizeitbeschäftigung mongolischer Schafhirten und sie gelangte wahrscheinlich mit dem Auftauchen der Reiterheere von Olli Khan und Chaka Khan nach Mitteleuropa, wo der Sport rasche Verbreitung fand. Die mongolischen Krieger führten ihre Sportausrüstung in den Satteltaschen mit sich und aufgrund der hohen Fertilität ihrer Hamster gab es bald in allen europäischen Städten eine rege Spieltätigkeit und sogar einen organisierten Ligabetrieb, vor allem in Norditalien und im Gebiet der Hanse rund um die Ostsee.
Entgegen der laienhaften Vermutung vieler Unbeteiligter, namentlich der zahlreichen Tierschutzverbände, wird Hamstergolf nicht mit Golfschlägern gespielt, da die Tiere beim Abschlag ansonsten möglicherweise verletzt würden. Es gab allerdings Fälle an amerikanischen Universitäten, wo im Rahmen studentischer Festivitäten auf diese Weise Hamstergolf praktiziert wurde. Tatsächlich wird beim Hamstergolf nur ein kleiner Teelöffel eingesetzt, mit dem man dem Tier leichte, wirklich nur gaaanz leichte Schläge auf das Hinterteil verabreichen kann, um es zu einer Bewegung oder einer Richtungswahl zu motivieren. Auch Rufen und Klatschen sind erlaubt. Auf dem Hamstergolfplatz gibt es nur sieben Löcher, da sieben die heilige Zahl des Gottes Schmuhl ist, der in ganz Zentralasien verehrt wird. Der Spieler wählt vor Beginn des Spiels ein Loch aus, das der Hamster seiner Meinung nach aufsuchen wird. Läuft das Tier tatsächlich in dieses Loch, spricht man von einem „Hole-in-one“. Läuft er als zweites in dieses Loch, nennt man das einen „Berti“. Für jedes vom Spielhamster aufgesuchte Loch wird ein Punkt notiert. Wer nach sieben Durchgängen die wenigsten Punkte hat, ist Gewinner des Spiels und darf sich „Kong“ nennen. Profispieler arbeiten ausschließlich mit dem Roborowski-Zwerghamster, der hauptsächlich in der Wüste Gobi und in den angrenzenden Regionen Nordchinas und der Mongolei anzutreffen ist.
Derzeit finden in Kirgisistan die zwanzigsten Weltmeisterschaften im Hamstergolf statt. Es haben sich zweiunddreißig Nationen qualifiziert, darunter auch Deutschland. Der deutschen Mannschaft werden allerdings nur Außenseiterchancen eingeräumt, als Favoriten gelten die Mongolei, China, Kirgisistan und Usbekistan. Im Vorfeld der Weltmeisterschaft wurde Kritik an den teuren Stadionneubauten laut. Insgesamt wurden fünfzehn Milliarden Euro in neue Stadien, Autobahnabfahrten und einen Hauptstadtflughafen investiert. Außerdem kursieren seit geraumer Zeit Gerüchte, dass bei der Vergabe der Weltmeisterschaften 2018 nach Andorra und 2022 in die Gärten des Vatikans Bestechungsgelder geflossen sein sollen. Der Präsident des Weltverbandes, Anatol Schurkoff, bestreitet diese Vorwürfe und möchte sich im kommenden Jahr zur Wiederwahl stellen. Greenpeace hat eine umfangreiche Studie vorgelegt, wonach in Andorra bereits zehntausende Wühlmäuse und Maulwürfe ihre Heimat verloren haben. Trotz aller Kritik hat Bundeskanzlerin Angela Merkel ihr Erscheinen für das erste deutsche Gruppenspiel gegen Nepal zugesagt und wird nach Abpfiff auch für ein Selfie in der Mannschaftskabine zur Verfügung stehen.
Lykke Li – I Follow Rivers. http://www.youtube.com/watch?v=t_ZR8rW8k24

Dienstag, 17. Juni 2014

Interview mit dem behandelnden Arzt von Mister Bonetti

Frage: Guten Abend, liebe Zuhörer! Wir haben heute Doktor Fandango zu Gast, den behandelnden Nervenarzt des berühmten Schriftstellers Andy Bonetti. Herzlich Willkommen bei BenFM!
Antwort: Vielen Dank!
F: Erzählen Sie uns doch bitte, wie Sie Herrn Bonetti kennengelernt haben!
A: Natürlich. Mister Bonetti wurde am 27. Mai 2013 in unserer Klinik eingeliefert. Es war ein Montag, daran erinnere ich mich noch sehr genau.
F: In welchem Zustand befand sich Mister Bonetti zu diesem Zeitpunkt?
A: Er war auf einer Bahre festgeschnallt und wurde uns von einem Krankenhaus überstellt, in das er zunächst eingeliefert worden war. Er war offensichtlich verwirrt und schrie immer wieder dieselben Namen. Wie wir später feststellten, handelte es sich dabei um Figuren aus seinen Romanen.
F: Was haben Sie mit Mister Bonetti gemacht?
A: Wir haben ihm ein Beruhigungsmittel gespritzt und am nächsten Morgen konnte ich bereits mit ihm sprechen. Dann hat er mir seine ganze Geschichte erzählt.
F: Was war geschehen?
A: Mister Bonetti hatte einige Wochen lang größere Mengen Bourbon getrunken und diverse psychoaktive Substanzen zu sich genommen.
F: Illegale Substanzen?
A: Ja, illegale Substanzen. Nach einigen Nächten, in denen er fast nicht geschlafen und nur geschrieben hat, hörte er plötzlich Stimmen. Er war davon überzeugt, dass in beiden Nachbarwohnungen Agenten eines Geheimdienstes wären und auch sein Computer, sein Handy und sein Festnetzanschluss überwacht würden. Am Morgen des 27. Mai verließ er das Haus in Berlin, in dem er zu diesem Zeitpunkt wohnte.
F: Was ist dann passiert?
A: Er kaufte zunächst ein belegtes Brötchen und eine Cola bei einer Bäckerei auf der anderen Straßenseite. Als er die Bäckerei verließ, warf er seine Einkäufe jedoch in einen Mülleimer, da er dachte, sie seien vergiftet. Dann ging er in ein Frühstückslokal und setzte sich an einen Tisch. Er rief dreimal hintereinander jeweils die Worte „Wirtschaft!“ und „Bedienung!“ Diese Anweisung habe ihm eine Stimme gegeben, die er in der Nacht zuvor gehört haben will. Daraufhin wurde er aus dem Lokal geschmissen.
F: Und dann kam die Polizei?
A: Nein. Mister Bonetti lief weiter zum Rathaus Schöneberg, wo er sich auf dem Bürgersteig auszog und sich nackt auf die stark befahrene Straße legte, um – wie er sich ausdrückte – in Ruhe schlafen zu können. Als die Polizei kam und ihn von der Straße tragen wollte, lieferte er sich eine Schlägerei mit den Beamten, wurde schließlich überwältigt und in Handschellen auf eine Bahre geschnallt. Im Krankenhaus hat man sich dann entschieden, ihn zu uns die psychiatrische Klinik in der Landhausstraße in Wilmersdorf zu bringen.
F: Sie meinen, Andy Bonetti hat sich splitternackt mitten auf die Straße gelegt?
A: Genau so hat es sich laut Polizeibericht zugetragen. Herr Bonetti erinnert sich selbst an jede Kleinigkeit und hat es mir glaubhaft versichert.
F: Wie hat er sich in der Klinik verhalten?
A: Er hat sich mit einem türkischen Gewalttäter, einem ehemaligen Fotomodell und einem ungarischen Drehbuchautor angefreundet und viel Zeit in unserem Garten verbracht. Jeden Morgen hat er ausgiebig die Berliner Zeitungen gelesen. Zu diesem Zeitpunkt, Anfang Juni 2013, begann auch die Berichterstattung über die Abhörkationen der amerikanischen und englischen Geheimdienste, was Mister Bonettis Heilung verzögert hat.
F: Sie meinen, er war sich nicht bewusst, dass er verrückt geworden war?
A: Nein, seiner Auffassung nach litt er nicht unter Verfolgungswahn, sondern wurde wirklich verfolgt. Dazu kam, dass jemand die Bekleidung, die er vor dem Rathaus Schöneberg abgelegt hatte, mitnahm und mithilfe seiner Papiere und seiner Hausschlüssel die Wohnung ausräumte.
F: Was haben die Diebe mitgenommen?
A: Notebook, Handy, Kamera, Notizbücher, Brieftasche. Glücklicherweise hatte Mister Bonetti seine Arbeit auf diversen USB-Sticks und im Netz gespeichert, sonst wären mehrere Romanmanuskripte verloren gegangen.
F: Wie geht es Mister Bonetti inzwischen?
A: Wir haben ihn nach fünf Wochen entlassen und er hat sich zunächst in sein Landhaus zurückgezogen. Dort litt er mehrere Monate unter schweren Depressionen. Nachdem er, obwohl er den Drogen und dem Alkohol erfolgreich entsagt hatte, eine ganze Flasche Bourbon in drei Zügen leergetrunken hat, wachte er auf der Intensivstation eines Krankenhauses wieder auf. Daraufhin war er noch einmal für ein paar Tage bei den dortigen Kollegen in der Psychiatrie.
F: Doktor Fandango, wie würden Sie den jetzigen Zustand von Andy Bonetti einschätzen?
A: Es geht ihm gut. Er braucht keine Medikamente mehr und auch die Gesprächstherapie ist inzwischen abgeschlossen. Wie ich höre, kann er sogar wieder arbeiten. Es mag seltsam klingen, aber ich glaube, der Nervenzusammenbruch hat ihm gut getan. Er hat ihm geholfen, ein neues Kapitel aufzuschlagen.
F: Danke für Ihre Einschätzung, Doktor.
A: Danke für das Gespräch.
King Crimson – Elephant Talk. http://www.youtube.com/watch?v=t3DppaXz4-o

Montag, 16. Juni 2014

Die Wahrheit

Thomas Bernhard wurde von seinem Verleger förmlich um seine Manuskripte angebettelt. Zu Elias Canetti kam der Cheflektor persönlich nach Hause, um den handschriftlichen Text abzuholen. Dann wurde er im Verlag abgetippt und per Chauffeur zurück zum Autor expediert. Truman Capote gelang es sogar, seinem Verleger umfangreiche Vorschüsse abzuluchsen – für ein Manuskript, das es nie gegeben hat, wie man nach seinem Tod feststellte. Im wahren Leben ist alles anders. Die stählerne Beharrlichkeit des Banalen umfängt den Schriftsteller schon, wenn er nur das Haus verlässt.
Da steht er nun mit seiner Kunstledermappe an der Bushaltestelle. Es ist sieben Uhr morgens und seine Nase läuft. Als er den Bus besteigt, taucht er in eine Hölle aus lärmenden Schülern ein. Als er wenig später in der Kreisstadt aussteigt, hat er bereits starke Kopfschmerzen. Aber er muss den Verlag erreichen. Er ist pleite und braucht dringend einen Vorschuss. Also kauft er sich von seinem letzten Geld eine Fahrkarte und steigt in den Zug, der ihn in die große Stadt bringt. Als er die Bahnhofshalle der großen Stadt betritt, bekommt er es mit der Angst zu tun. So viele Menschen hat er schon lange nicht mehr auf einem Haufen gesehen. Schnell weiter! Als er auf den Vorplatz tritt, um sich auf den langen Fußmarsch zum Verlagsgebäude zu begeben, setzt unmittelbar ein schwerer Regen ein. Völlig durchnässt und nach vielen Irrwegen erreicht er schließlich den Verlag. Es dämmert schon.
Er klopft an die Tür. Nichts. Er klopft noch einmal. Wieder nichts. Er klopft lauter. Endlich hört er das Geräusch schlurfender Schritte. Die Tür wird geöffnet. Die Sekretärin des Verlegers steht vor ihm.
„Was wollen Sie?“ fragt sie und sieht ihn spöttisch an. Sie beginnt zu kichern.
„Ich bin hier wegen des Manuskripts, das ich Ihnen vor sechs Monaten geschickt habe.“
„Manu-, Manu-, Manuschibt?“ lallt sie verständnislos und kichert wieder.
„Erkennen Sie mich denn nicht, Frau Maiselova? Ich bin Andy Bonetti. Einer Ihrer Autoren.“
Sie muss sich im Türrahmen abstützen, um nachzudenken. „Brunetti … Buletti … Haben wir wasch ssu essen bestellt? Ha-haben Sie die Pizza etwa in Ihrer Mappe?“
„Liebe Frau Maiselova, ich muss unbedingt den Herrn Verleger sprechen. Es ist wichtig.“
„Den?“ Sie lacht laut und beginnt, gefährlich zu schwanken. Dann tritt sie zur Seite und bittet ihn mit einer übertriebenen Verbeugung hinein.
Im Vorzimmer stapeln sich die Manuskripte zu Bergen, auf dem Schreibtisch der Sekretärin stehen leere Weinflaschen und Gläser. Offensichtlich hat es eine Feier gegeben.
Frau Maiselova deutet auf eine Tür und schiebt ihn dann mit beiden Armen auf sie zu. „Gehen Sie ruhig rein“, ermuntert sie ihn. Er öffnet die Tür und sieht den Verleger, der den Kopf auf die Tischplatte gelegt hat und laut schnarcht. Er macht ein paar Schritte auf ihn zu und ruft: „Guten Tag, Herr Bloch!“
Keine Reaktion. „Herr Bloch?!“ Er stellt sich neben ihn und schüttelt ihn sanft. Nur ein kurzes Grunzen, dann ein zufriedenes Schnaufen. Er packt ihn bei den Schultern und setzt ihn aufrecht hin. „Herr Bloch! Es ist wichtig! Es geht um mein Manuskript. Haben Sie ‚Liquid Heaven‘ gelesen?“
Er stöhnt. Er krächzt. Dann schüttelt er den Kopf und öffnet die verquollenen Augen zu winzigen Schlitzen. „Wer? Was?“ sagt er mit schwerer Zunge, dann fällt sein Kopf zurück auf den Tisch. Mit seinen Armen reißt er ein paar Schnapsflaschen um. Es ist nichts zu machen. Er schnarcht wie ein Bär im Winterschlaf.
Bonetti setzt sich also in einen Besuchersessel und wartet. 'Ich werde einfach solange warten, bis er wieder aufwacht und mir zuhören kann. Ich brauche das Geld. Ich habe noch nicht einmal genügend Geld für die Heimfahrt. Es gibt keine andere Möglichkeit', denkt er. Draußen bricht die Nacht herein.
Als er aufwacht, ist es heller Morgen. Der Verleger ist wach und schaut ihn neugierig an.
Er reibt sich den Schlaf aus den Augen und beginnt: „Herr Bloch. Sie erinnern sich doch an mich, oder? Andy Bonetti. Ich habe Ihnen das Manuskript vor sechs Monaten geschickt. Mein neuer Roman.“
Der Verleger lacht vergnügt und klopft sich auf die fetten Schenkel. Dann steht er auf und torkelt zu einem Wandschrank. Er öffnet ihn und zieht wahllos zwei Manuskriptbündel heraus, die er wild über seinem Kopf schwenkt. Plötzlich wirft er sie hoch in die Luft und bricht in einen Lachkrampf aus. Tränen rollen über seine feisten Wangen, vor lauter Atemnot muss er sich setzen. Dann greift er zu einer Flasche Bourbon und schenkt sich ein Wasserglas voll, das er in einem Zug austrinkt. Nach einem kleinen Rülpser legt er den Kopf auf die Tischplatte und schläft ein.
Und so etwas erleben wir Autoren regelmäßig, wenn wir uns erzwungenermaßen der zärtlichen Umarmung der Kalliope entwinden müssen …
Johnny Guitar Watson – A Real Mother For Ya. http://www.youtube.com/watch?v=0z-hKprKdII

Sonntag, 15. Juni 2014

Deutschlands größter Internetueller

Habe ich schon erwähnt, dass ich nach dem Tod der Wiesbadener Arschgranate Schirrmacher der größte lebende Intellektuelle Deutschlands bin? Noch nicht? Dann wurde es aber Zeit! Diesen Knilch habe ich bereits am 7. März 2013 in meinem Blog rhetorisch vernichtet. Meine Leser wussten, dass es mit ihm zu Ende ging … Macht in den Feuilletons Platz für meine Meinung!!!
Zu Schirrmacher (redaktionsinterner Spitzname: Karlsson vom Dach), dem unwürdigen FAZ-Erben von Geistesgrößen wie Marcel Reich-Ranicki und Joachim Fest, fällt mir nur der alte Spruch von Karl Kraus ein: „Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten“.

Interview mit Andy Bonetti auf BenFM

Frage: Mister Bonetti. Herzlich Willkommen in unserem Studio!
Antwort: Vielen Dank!
F: Ihr Management hat uns erklärt, wie schwierig es ist, ein Interview mit Ihnen zu bekommen. Sie gelten als medienscheu. Können Sie uns das erklären?
A: Das will ich Ihnen gerne verraten. So ein Interview kostet mich viel Zeit. Zeit, die mir für meine Arbeit als Schriftsteller natürlich fehlt. Man kann sagen, jedes Interview kostet mich einen Text, den ich ansonsten geschrieben hätte.
F: Aber Sie sind nur eine halbe Stunde bei uns im Studio und wir haben sogar, wie mit Ihrem Management besprochen, ein Buffet für Sie aufgebaut. Wir haben die kleinen Frikadellen besorgt, Hines-Ketchup, frische Brezeln und eine Flasche Jack Daniel’s.
A: Das ist schön, aber Sie müssen bedenken, dass ich heute Morgen schon um sieben Uhr aufgestanden bin, um den Bus in die Stadt zu erwischen. Von dort bin ich eine Stunde mit der Bahn gefahren, anschließend mit dem Taxi in das Gewerbegebiet, wo Sie ihren Sender haben. Und nachher muss ich den ganzen Weg wieder zurücklegen. Das kostet mich einen ganzen Tag. Eine riesige Zeitverschwendung! Deswegen lasse ich mir meistens die Fragen per Mail schicken und von einem Assistenten beantworten.
F: Kommen wir zu Ihrem neuen Buch. „Liquid Memories“ handelt von der traurigen Lebensgeschichte der Trinkerin Rosine Fischel, die niemals den Mann ihres Lebens kennenlernt, weil sie in Passau in den falschen Zug steigt. Dennoch können Sie Ihrer Hauptfigur einige komische Seiten abgewinnen. Können Sie uns eine lustige Szene aus dem Roman beschreiben?
A: Ich kann nicht lustig sein, wenn mich jemand danach fragt. Ich muss in der Stimmung für Humor sein. Das funktioniert nicht, wenn jemand in die Hände klatscht und sagt: ‚Erzähl mal was Lustiges!‘“
F: Wann sind Sie denn lustig?
A: Morgens direkt nach dem Aufstehen bin ich sehr lustig. Manchmal bin ich aber auch ganze Tage lang überhaupt nicht in Stimmung. In guten Momenten bin ich sogar zweimal hintereinander lustig.
F: Hilft der Bourbon Ihnen bei Ihrer schriftstellerischen Tätigkeit?
A: Nein. Wenn ich bei der Arbeit Bourbon trinken würde, könnte ich keine Zeile schreiben. Alkohol und andere Suchtmittel lenken nur von der Arbeit ab. Diese Dinge werden von Laien sehr überschätzt.
F: Es heißt, Fans würden Jack Daniel’s-Flaschen vor Ihre Haustür in Schweppenhausen stellen. Stimmt das?
A: Ja, das ist richtig. Bourbon, Weißwein, manchmal liegt auch eine Tüte Chips dabei.
F: Werden sie von Ihren Fans auch belästigt oder können Sie sich frei bewegen?
A: Meine Leser sind sehr diskret. Sie klingeln nicht an meiner Haustür. Gelegentlich schicken sie mir eine Mail oder ein Bild, zum Beispiel ein Selfie, das sie beim Lesen eines meiner Bücher zeigt.
F: Wie sind Ihre Pläne? Arbeiten Sie an einem neuen Buch?
A: Ja. Das nächste Buch hat den Arbeitstitel “Liquid Heaven” und spielt in einem Paralleluniversum, in dem Rosine Fischel endlich ihr Glück findet. In der Eröffnungsszene arbeitet sie in einem Schminkzelt auf einem Straßenfest und verliert ihren Job, weil sie allen Kindern mit Edding einen Hitler-Bart ins Gesicht malt.
F: Mister Bonetti, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
A: Gerne.
Prefab Sprout – When Love Breaks Down. http://www.youtube.com/watch?v=awctdTtAVWg

Samstag, 14. Juni 2014

Definitionen

Brazilification: Die sich verbreiternde Kluft zwischen Reichen und Armen und das damit einhergehende Verschwinden des Mittelstands.
Clique Maintenance: Das Bedürfnis einer Generation, die nachfolgende als minderwertig zu betrachten und so ihr eigenes kollektives Ego zu stärken: „Die jungen Leute heutzutage tun überhaupt nichts. Sie sind so apathisch. Wir sind immerhin auf die Straße gegangen und haben protestiert. Alles, was sie machen, ist kaufen und sich beklagen.“
Lessness: Eine Philosophie, in der man durch den Abbau seiner Erwartungen in Bezug auf materiellen Wohlstand wieder mit sich in Einklang gerät: „Ich habe es aufgegeben, einen finanziellen Volltreffer zu landen oder ein hohes Tier werden zu wollen. Ich möchte bloß glücklich sein und vielleicht ein kleines Straßencafé in Idaho aufmachen.“
Musical Hairsplitting: Das Klassifizieren von Musik und Musikern in pathologisch alberne Kategorien: “Die ‚Vienna Francs‘ sind ein gutes Beispiel für urbanen, weißen Acid-Folk-Revival mit Ska-Einschlag.“
Recreational Slumming: Entspannung suchen in einer Umgebung, die von einer als unterlegen angesehenen sozialen Klasse bestimmt wird: „Karen! Donald! Lasst uns heute Abend zum Bowling gehen! Und macht euch keine Gedanken um die Schuhe … offenbar kann man sie dort ausleihen.“
Anti-Victim Device (AVD): Ein kleines Modeaccessoire, das auf der ansonsten konservativen Kleidung getragen wird, um die Welt darauf hinzuweisen, dass noch ein Funke Individualität in einem glimmt: Retro-Krawatten aus den 40ern und Ohrringe (bei Männern), Feministen-Anstecker und Nasenringe (bei Frauen), außerdem der heutzutage fast völlig verschwundene Teenager-„Rattenschwanz“-Haarschnitt (beide Geschlechter).
(aus „Generation X“ von Douglas Coupland, 1991)
Propaganda – Dream within a Dream. http://www.youtube.com/watch?v=Q4E1zMLghhY

Contrary Opinion

Da liegt seit Tagen ein schwerverletzter Höhlenforscher in einem Loch namens „Riesending“ in tausend Meter Tiefe, weil ihm irgendein Kiesel auf den Kopf gedotzt ist. Und jetzt müssen ihn Dutzende von anderen Leuten für viel Geld retten. Ich sage: Lasst den Mann sterben! Was hat er überhaupt in dieser Höhle zu suchen? Er ist doch selbst dran schuld! Da bleibt man eben daheim! Und dann der Name „Riesending“. Das ist doch albern. Mein Lektorat hätte das sofort gestrichen.
Sie hörten Matthias Eberling in „Contrary Opinion“.

Freitag, 13. Juni 2014

Der Stolz Moldawiens

Söhne des Zorns, Töchter des Spotts! Lasst euch berichten! Ich will an dieser Stelle Kunde geben von einem der besten Sportler, den das großartige Land Moldawien hervorgebracht hat. Sein Name ist Igor Malikowski und er wurde in der kleinen Hafenstadt Tibor am Schwarzen Meer geboren. Von seiner Kindheit und Jugend wissen wir nicht viel, aber sie war hart und entbehrungsreich. Wir schreiben das Jahr 1952 und ganz Moldawien duckt sich unter der Knute des schrecklichen Diktators Wassili Wadinka, der unter dem Namen Wassili der Einäugige in die blutige Geschichte Moldawiens eingegangen ist.
Das Wolfspolo steckte noch in den Anfängen und wurde vor allem in den unwegsamen Gebirgen des Hinterlandes gespielt. Es waren nur zwergwüchsige Männer zugelassen und Igor Malikowski war mit neunundneunzig Zentimetern der kleinste Mann Tibors. Sein Vater hatte einen Friseursalon und war der erste Moldawier, der einen elektrischen Rasierapparat besaß. Die Matrosen, die nach langen Monaten auf See wieder nach Hause kamen, standen Schlange, um sich von Igors Vater den Bart scheren zu lassen. Seine Mutter hütete die sieben Kinder und war für ihre köstliche Kartoffelsuppe weithin bekannt. Es gab zu dieser Zeit nur eine einzige Wolfspolomannschaft an der Küste und das war Torpedo Tibor. Die Wölfe stammten aus der Zucht des alten Taschenko und waren für ihre unbändige Kraft und Schnelligkeit berühmt. Zu seinem fünfzehnten Geburtstag bekam Igor einen Sattel und einen Holzschläger geschenkt. Er hatte großes Talent und stieg nach wenigen Jahren zum Mannschaftskapitän von Torpedo Tibor auf. Im Winter wurde im Ballsaal der Stadt gespielt, wobei zwei Esstische als Tore dienten. Die Winter in Moldawien sind hart und entbehrungsreich.
1952 kam es zum ersten Länderspiel in der Geschichte des Wolfspolos. In Bukarest trafen vor zwanzigtausend Zuschauern die Mannschaften von Rumänien und Moldawien aufeinander. Igor ritt auf seinem berühmten Wolf Honka im Angriff und erzielte das erste Länderspieltor für sein Land. Allerdings ging die Partie 1:10 verloren, denn das rumänische Wolfspolo hat eine lange Tradition, gerade in den Wäldern Transsylvaniens und in den Karpaten. Man kann sogar sagen, dass Wolfspolo in Rumänien Volkssport ist und selbst den Kindern die Namen der Spieler geläufig sind. Igor Malikowski absolvierte in den folgenden Jahren 152 Länderspiele für die moldawische Nationalmannschaft und schoss 62 Tore, ein bis heute unerreichter Rekord. Er wurde mit Torpedo Tibor sieben Mal moldawischer Meister und erreichte 1959 das Endspiel im Europapokal der Landesmeister, wo er mit seiner Mannschaft allerdings Dynamo Dobroz unterlag. Seinem Wolf Honka hat man in Tibor ein Denkmal gesetzt und Malikowski selbst ist inzwischen der geachtete Präsident des moldawischen Wolfspoloverbands. Er setzt sich unermüdlich dafür ein, dass Wolfspolo endlich olympische Disziplin wird. Bei den Sommerspielen 2016 in Rio wird es erstmals, wie der amerikanische Tabledance, als Demonstrationssportart zu sehen sein.
Shelley Fabares – Johnny Angel. http://www.youtube.com/watch?v=0Ke7d3X6N28

Donnerstag, 12. Juni 2014

Jenseits der Grenze

"Isst du Haschisch, wird dein Verstand nicht vermehrt,/isst du es nicht, wird die Welt auch nicht besser.
Isst du wenig, wird Trauer in Lachen verkehrt,/aber zuviel wird ein glühendes Messer.
Ein jeder, der Haschisch zum Sklaven verfällt,/wird ein lebender Toter, vom Schlafe gefällt.
Während ein Korn den Verstand dir erweitert,/ist der Maßlose an seiner Dummheit zerschellt."
(persisches Gedicht aus dem zwölften Jahrhundert)
Damals gab es noch Grenzen. Und wir hatten einen ganz einfachen Trick, sie zu überwinden. Wir waren als zwei Handwerker verkleidet, die auf der anderen Seite der Grenze schwarz arbeiteten. Fleckige Latzhosen, verwaschene Sweatshirts, belanglose Halbschuhe. Dazu ein dunkelblauer Ford Kombi mit Werkzeug hinten drin (Tipp: Benutzen Sie für solche Aktionen niemals einen pfirsichfarbenen Cadillac Eldorado, auf dessen Rückbank ein Seehund einen korallenroten Gummiball jongliert!). Samstagmorgen rollten wir so bei Aachen über die Grenze nach Dopeland und die Grenzer dachten bei unserem Anblick: Die Jungs fahren nach Eindhoven oder Utrecht, um irgendwo eine Terrasse zu fließen oder ein Dach auszubessern. Natürlich ohne Rechnung. Die bescheißen das Finanzamt – Recht so. Mit einer kleinen Unregelmäßigkeit überdeckst du ein großes Verbrechen. Das ist besser, als wenn du wie der totale Saubermann unterwegs bist. Das mögen noch nicht mal die Bullen.
Dann fuhren wir zu Eddy nach Maastricht. Anfangs war Eddy in einer Wohnung in der Innenstadt. Alle Zimmer leer. Nur im Wohnzimmer eine gepolsterte Sitzgruppe mit Tisch, Fernseher und Stereoanlage. Und natürlich ein Kühlschrank in der leeren Küche. Shit-Platten und Marokk-Eier wiegen, ein bisschen plaudern. Einmal musste ich eine Zivilstreife in der Innenstadt abhängen, mit vier Platten, also einem Kilo für dreitausend Mark, in den Jackentaschen. Später hatte Eddy einen alten Lastkahn, der am Flussufer festgemacht war. Man denkt immer, so ein Schiffsbauch ist riesig, aber es sind enge dunkle Gänge, bis man dann wieder in einem Wohnzimmer sitzt und den Stoff inspiziert. Verpackt haben wir den Kram auf einem Waldweg. Wir haben Mörtel in einem Eimer angerührt, dann haben wir die in Plastik eingeschweißten Platten in den Mörtel gedrückt, bis sie nicht mehr zu sehen waren. Wenn der Mörtel hart war, haben wir eine Kelle und anderes Werkzeug draufgeworfen und den Eimer zwischen den anderen Baustellenkram hinten in den Kombi gestellt. So sind wir dann wieder nach Hause gefahren. Maximal zwei Ki gingen mit der Nummer.
Damals gab es noch Grenzen. Wir sind nie direkt zurückgefahren, sondern über Belgien und Luxemburg. Zwischen Holland und Belgien ist eine Ampelanlage auf der Autobahn, die den Grenzverlauf anzeigt. Und eines Tages passierte es dann: Die Ampel war rot. Sie winken uns raus und bitten uns in die Wache. Mit einem Drogenhund wird unser Auto durchsucht, während wir – äußerlich entspannt – nebeneinander auf unseren Stühlen sitzen. Am Abend vorher hatten wir uns noch „Midnight Express“ auf Video reingezogen. Du-Duff Du-Duff Du-Duff. Ich kann hören, wie meine Pumpe geht. Hören es auch die Bullen? Neben uns sitzen zwei junge Typen aus Nordafrika und ich bin sicher, dass sie das gleiche fühlen und denken. Ein kurzer Blick genügt. Wir erkennen uns gegenseitig und wenden den Blick ab, ohne den Gesichtsausdruck zu ändern. Da fällt mir ein, dass ich ein bisschen Gras im Handschuhfach habe, nur für die Reise. Verdammt! War’s das? Oder haben wir es geraucht? Eine Viertelstunde später dürfen wir weiterfahren. Wir lachen wie Helden.
Ultravox – Astradyne. http://www.youtube.com/watch?v=G25MLVUrG3A

Mittwoch, 11. Juni 2014

Geschäftswelt

Eddie ist immer jemand anderes, dachte ich und drückte den Joint im Aschenbecher aus. Manchmal treffe ich ihn auf seinem alten Kahn, der am Ufer der Maas vertäut ist, manchmal in einer diesen leeren Wohnungen. Hier wird der Stoff kiloweise verkauft und ich bin jedes Mal hochkonzentriert, wenn ich die Holländer treffe. Eine gusseiserne Steigleiter führt nach unten, im Schiffsrumpf geht es durch schmale Gänge in einen großen Raum, in der nur eine wohnzimmermäßige Ledersesselgruppe, ein flaches Tischchen und ein Fernseher stehen. Während man raucht und Musikvideos ansieht, werden die Geschäfte gemacht. Schwarzer Marokkaner in Form halbpfündiger Eier, ockerfarbene Platten Superpoll. Die ständig wechselnden Wohnungen sind ähnlich. Alle Zimmer sind leer, nur in einem Raum finden sich wieder Sessel, Tisch und Fernseher. Der Stoff ist irgendwo in der Wohnung gebunkert, manchmal muss er erst geholt werden. Dann plaudere ich mit Eddie, wir rauchen einen Spliff und selbst der Typ, der immer nur schweigend in den Fernseher starrt, schaut nun freundlich in die Runde. Kann man lässiger sein Geld verdienen?
Die Eddies dieser Welt sitzen gemütlich vor der Glotze, machen ein paar Deals am Tag und können fürstlich davon leben. Ich fahre einmal alle paar Monate zu ihnen, sitze ansonsten ebenso gemütlich zu Hause und verteile den Stoff portionsweise an meine Leute, die ihren eigenen Konsum durch Botendienste für ihre Freunde finanzieren. Das geheimnisvolle Schiff lässt uns alle gut leben. Und es sind nicht nur die Drogen, sondern auch die damit verbundenen Aufregungen. Durch die Innenstadt von Maastricht kreuzen, ein Kilo Dope in der Jeansjacke, zwei Zivilbullen hinter mir. Ein anderes Mal sitze ich in einer Polizeistation, mein Wagen wird mit Hunden kontrolliert und die Vollidioten finden die zwei Kilo einfach nicht. Pokerface und dein Herz macht 180 beats per minute. Später geht die voll aufgedrehte Mucke direkt in dein Blut. Adrenalin, der echte Rausch. Gibt nichts Besseres.
Dann die Nummer mit der Panne auf dem Schleichweg zurück durch Luxemburg, irgendwo in der Pampa. Wagen in der Werkstatt, Dope in der Sporttasche, eine Freundin holt mich raus. Eine Frau ist ohnehin immer eine unauffällige Begleitung, zwei junge Männer sind grundsätzlich verdächtig. Es sei denn, es handelt sich um eine 85jährige Heroin-Dealerin aus Wuppertal – die schickt man besser alleine los. Eine Frau wirkt mit Sonnenbrille immer cool, ich wirke mit Sonnenbrille immer gleich verdächtig. Aber wenn ich lächle wie ein Idiot, wirkt das entlastend. Ich hatte bisher immer Glück. Irgendwann weißt du, dass sie dich nicht erwischen. Das größte Glück hatte aber Stinky aus der Ackerstraße. Sie haben ihn am 11.9.2001 in seiner Wohnung hochgenommen, abgeführt und in der Polizeiwache an eine Heizung gekettet. Dann kommen die Meldungen über die Terroranschläge in den USA und die ganzen Bullen sind in heller Aufregung. Obwohl er dieses Mal sicher für mehrere Jahre in den Bau gegangen wäre, lassen ihn die Bullen laufen, keine Anzeige. Seinen Stoff sieht er allerdings auch nicht wieder, da wird einiges in den polizeilichen Eigenbedarf gewandert sein.
Weniger Glück hatte mein Kollege T-Dog, der mit einem Kilo Koks an einer Autobahnraststätte über die Leitplanke sprang, nachdem er gecheckt hatte, dass das Rauschgiftdezernat hinter ihm fährt. Er hat den Stoff auch ordnungsgemäß gebunkert und sich erfolgreich aus dem Staub gemacht. Als er ein paar Tage später sein Päckchen wieder abholen wollte, haben sie ihn hochgenommen. Zwei Jahre Bau, nicht weit von der Kirche entfernt, wo ich zu dieser Zeit ganz brav im Schutz der heiligen Dreifaltigkeit meinen Zivildienst und meine Geschäfte machte. Welcher Bulle beantragt schon für die Katakomben einer Kirche einen Hausdurchsuchungsbefehl? In meinem Heimatstädtchen beispielsweise lagerten viele Jahre riesige Drogenmengen in einem Keller unter dem Arbeitsamt, das sind die besten Verstecke. Wo ist T-Dog heute? Vielleicht tot, vielleicht in Bielefeld, was ziemlich aufs Gleiche rauskommt.
Dies ist die Verheißung des Verbrechens: Es macht dich entweder sehr frei oder sehr unfrei. Aber es erspart dir die lauwarme Pseudofreiheit des durchschnittlichen Angestellten. Der Kopf ist frei von Zwängen. Die Angestellten tun Dinge, ohne den Grund ihrer Handlungen zu erkennen. Sie vertrauen darauf, dass am Monatsende Geld für diese Handlungen bezahlt werden wird. Und mit diesem Geld verlängern sie ihr ödes Leben wieder um einen Monat. Ich weiß dagegen genau, was ich mache und warum. Und ich beschränke mich auf wenige entspannte Geschäfte und genieße ansonsten das Leben. Es gibt praktisch keine Termine, ich mache was ich will. Eddie ist immer da, meine Leute treffen mich immer zu Hause an. Nur so ist das Leben vorstellbar: Freunde, Musik, Essen, Getränke, Drogen. Eine Welt jenseits von Karriere, Uhrzeiten, Lebensplänen und anderen Zwangsvorstellungen des modernen Menschen.
Killing Joke – Love like blood. http://www.youtube.com/watch?v=bYY_kFlrTeQ

Dienstag, 10. Juni 2014

Xiè xiè, Asante, Merci, Danke – The Global Value Chain Gang

Shen Yu hatte wieder einmal schlechte Laune, als er auf seinem Fahrrad durch eine endlos scheinende Vorstadt zur Fabrik fuhr. Es lag weniger am bleigrauen Himmel über Chongqing, von dem man nicht wusste, ob er seine Farbe dem aktuellen Wetter oder den industriellen Blähungen des Dreißig-Millionen-Molochs verdankte, sondern an dem Streit, den er gestern Abend mit seiner Frau hatte. Während andere Familien im Viertel schon über Satellitenschüsseln auf dem Dach oder Kleinwagen vor der Tür verfügten, mussten die beiden mit jedem Yüan rechnen. Aber es war unmöglich, um eine Gehaltserhöhung zu bitten, und ein anderer Arbeitsplatz war nur schwer zu finden. Er stellte sein Fahrrad zwischen den vielen tausend anderen Rädern ab und ging in Halle 27. Als er an seinem Arbeitsplatz saß und wie jeden Tag Feuersteine in Feuerzeuge montierte, hätte er am liebsten geheult, aber es half ja nichts. Das Leben musste weitergehen und bald hatte ihn die Arbeitsroutine betäubt.
Paul Molombo musste sich am Geländer der Eisentreppe festhalten, als ein schwerer Brecher die „Barbara“ mittschiffs traf. Die Stürme in der Malakkastraße zwischen dem südchinesischen Meer und dem Golf von Bengalen waren ebenso tückisch wie die Piraten, die in diesen Gewässern regelmäßig Jagd auf Handelsschiffe machten. Vorsichtig stieg er Stufe um Stufe in den Frachtraum hinab. Im Schiffsrumpf stapelten sich die Stahlcontainer. Fleece-Jacken, Schrauben, Plastikenten, Radiowecker und Feuerzeuge für Europa, bares Geld für ihn und seine Familie, wenn er in Rotterdam ankam. Er hasste und fürchtete das Meer, denn er konnte nicht schwimmen. Aber das würde ihm auch nichts nutzen, hatten ihm seine Kameraden lachend erklärt. Falls das Schiff sank, würde er entweder vom entstehenden Strudel in die Tiefe gerissen, nach ein paar Stunden verzweifelten Kampfes ertrinken oder von Haien gefressen. Paul dachte an seine Eltern und Geschwister in Somalia. Über die Sprechfunkanlage meldete er der Brücke, dass die Fracht sich nicht verschoben hatte.
Jacques Dupont zündete sich eine Zigarette an und betrachtete gelangweilt, wie riesige Kräne die Container aus den Bäuchen der Frachtschiffe zogen. Es würde noch eine Stunde dauern, bis sein Lkw beladen werden konnte. Und die Fahrt nach Berlin war lang. Er wusste, dass er das Lager im Westhafen erst nach 18 Uhr erreichen würde, egal wie schnell er vom Rotterdamer Hafen auf die Autobahn käme. Spätestens im Ruhrgebiet wurde der Verkehr dichter und zähflüssiger. Es wird wie immer, dachte er, als er seine Zigarette im Aschenbecher ausdrückte. Den Lkw vor der Lagerhalle parken, noch ein wenig in die Kneipe gehen, bei Bier, Buletten und Sportfernsehen den Abend verbringen und anschließend in die gemütliche Koje hinter dem Fahrersitz klettern. Vielleicht gönne ich mir heute auch eins von den weizenblonden ukrainischen Mädchen, dachte er und lächelte, während von der Mole her das dumpfe Scheppern der Container zu hören war, die der Kran absetzte.
Inge Grabowski hatte Schmerzen. Der verdammte Rücken! Früher hatte sie noch einen Hocker in ihrem Kiosk gehabt und konnte sich gelegentlich hinsetzen. Aber ihr Chef hatte den Hocker weggeräumt, um Platz für die Kisten mit dem neuen Energy-Drink zu schaffen. Die jungen Leute hatten alle möglichen Modegetränke, die sie selbst noch nie probiert hatte: Red Bull, Mate, Bionade, Fritz Cola. Und es kamen immer wieder neue Sorten dazu. Früher hatte sie hauptsächlich Zeitungen und Zigaretten verkauft, aber die jungen Leute rauchten nicht mehr und lasen die Nachrichten auf ihren Smartphones. Dafür war die Zahl der billigen Illustrierten explodiert, deren Namen sie sich nicht merken konnte. Früher gab es die Frau im Spiegel, die Tina und die Neue Post. Fertig! Heute suchte sie ewig nach dem gewünschten Titel und musste ihren schmerzenden Rücken beugen. Sie nahm eine Schmerztablette und spülte sie mit einem Schluck Kaffee aus ihrer Termoskanne hinunter. Ein dicker Mann Ende Fünfzig trat vor ihren Verkaufstresen und verlangte eine Schachtel Marlboro und ein Feuerzeug.
Dante Steinmüller stand an der Bushaltestelle und wartete. Er fingerte eine Zigarette aus seiner Schachtel und holte das Einweg-Feuerzeug aus der Hosentasche. Hastig ließ er seinen linken Daumen über den Feuerstein rollen, einmal, zweimal, dreimal. Aber es wollte einfach nicht funktionieren und mit einem leisen Fluch schleuderte er es auf die Straße. Irgendwo in den Tiefen seiner Jacke musste noch eins von den Dingern sein.
Talk Talk – It’s My Life. http://www.youtube.com/watch?v=nhLcB2yjhgU

Montag, 9. Juni 2014

Fußball verbindet die Menschen

Es war einer dieser unwiderstehlichen Sonntagvormittage, an denen es mich hinaus in die Natur zieht. Nach einem ausgedehnten Frühstück auf der Veranda ließ ich den Wagen vorfahren und begab mich unverzüglich auf eine Fahrt durch die nähere Umgebung meines Anwesens. Auf einer Wiese des Stadtparks sah ich einige junge Menschen Fußball spielen. Da ich in meiner Jugend ebenfalls der Kirche des runden Leders gehuldigt hatte, sagte ich dem Chauffeur, er solle den Maybach anhalten und stieg aus. Ich begab mich an den Rand der Wiese und sah eine Weile zu. Erinnerungen an meine unbeschwerte Jugend und die Zeit als Schüler an einem Privatgymnasium perlten an die Oberfläche meines Bewusstseins.
Ich dachte an jene Klassenarbeit zurück, in der es um chinesische Geschichte gegangen war und auf die ich wie üblich nicht vorbereitet gewesen bin. Unter anderem behauptete ich, bereits 400.000 vor Christus hätten die Chinesen Amselfallen bauen können und das Imitieren von Vogelstimmen sei der Entwicklung der Sprache vorausgegangen. Ich bekam eine Fünf und beschwerte mich sogleich bei unserem Geschichtslehrer. Ich sagte ihm frank und frei, seine Kenntnisse der chinesischen Geschichte seien unzureichend und ich könne gerne den chinesischen Botschafter als Zeugen hinzuziehen. Es kam tatsächlich zu einem Treffen mit dem Schuldirektor, dem Lehrer, dem chinesischen Botschafter und mir. Anschließend entschuldigte sich das Schulpersonal bei mir und aus der Note Fünf wurde eine Eins. Noch Jahre später habe ich mich mit Herrn Wang, unserem Koch, der die Rolle in vollendeter Manier gespielt hatte, über diese Anekdote amüsiert.
Wie es der Zufall wollte, kullerte der Fußball vor meine Füße und ich fragte die Kinder, ob ich mitspielen könnte. Sie nickten schüchtern mit den Köpfen, also zog ich das Jackett aus und krempelte die Ärmel meines Seidenhemds hoch. Bald hatte mich der Spieleifer gepackt und es gelang mir sogar, ein Tor zu schießen, wenn ich auch nicht mehr genau weiß, für welche Mannschaft ich getroffen hatte. Der Höhepunkt war jedoch, als ich einen kleinen Jungen von hinten umgegrätscht habe und den Mitspielern glaubhaft versichern konnte, ich habe nur den Ball spielen wollen. Fußball ist ein Sport, der die Menschen verbindet und Klassengrenzen überwinden kann. Ich darf es Ihnen, werte Leser, uneingeschränkt ans Herz legen und empfehle Ihnen, selbst einmal ein Spiel zu wagen.
Art of Noise – Moments in Love. https://www.youtube.com/watch?v=ux3u31SAeEM

Samstag, 7. Juni 2014

Die sanfte Diktatur

Die Geschichte der Menschheit ist geprägt von grausamen Herrschern, von Unterdrückung und Gewalt. Ob es die Tyrannen und Despoten der Antike, ob es die Kaiser und Könige des Mittelalters oder ob es die faschistischen und kommunistischen Diktatoren des zwanzigsten Jahrhunderts waren – Millionen Menschen fielen der Gewalt der brutalen Herrscher zum Opfer, Milliarden beugten demütig ihr Haupt vor ihnen. Es ist die Herrschaft des Schwertes über die Vernunft gewesen. Aber dieses männliche Zeitalter, das zehntausend Jahre währte, ist nun vorbei.
Die Diktatur der Gegenwart hat ein weibliches Antlitz. Sie ist sanft, sie umsorgt uns. Sie möchte, dass es uns gut geht. Wir sollen für sie arbeiten, uns aber nicht überarbeiten. Es gibt Sicherheitsbestimmungen am Arbeitsplatz, es gibt Arbeitszeitregelungen. Wenn wir krank werden, stehen uns Ärzte, Krankenhäuser und Erholungsheime zur Verfügung. Wir sollen das Leben genießen, aber wir sollen auf Zigaretten, Alkohol und Drogen verzichten. Die sanfte Diktatur möchte, dass wir gesund sind. Und sie möchte uns beschützen. Daher überwacht sie unsere Häuser und Straßen, unsere Computer und Telefone, um uns vor Terroristen und Verbrechern zu schützen – und manchmal auch vor uns selbst. Vor Fehlern, vor Schwäche, vor Handlungen, mit denen wir uns schaden, unserer Gesundheit und der Gesundheit anderer. Zukünftig werden unsere wesentlichen Daten wie Blutdruck, Gewicht oder Cholesterinwert elektronisch erfasst und an zentrale Datenbanken weitergegeben, die uns warnen und helfen können. So wie ein Auto heute ein Warnsignal abgibt, wenn wir nicht angeschnallt sind oder beim Ausparken einem anderen Fahrzeug zu nahe kommen, wird es ein Warnsignal geben, wenn wir eine Flasche Bier öffnen oder eine Zigarette anzünden. Zukünftig werden die Autos gar nicht mehr losfahren können, wenn wir nicht angeschnallt sind. Und bald wird der Schokolade der schädliche Zucker entzogen sein. Es ist alles nur zu unserem Besten.
Warum brauchen die Konzerne so viele Informationen über uns? Warum wollen sie wissen, was wir kaufen, wo wir uns aufhalten, mit wem wir sprechen und was wir denken? Weil sie uns helfen möchten. Sie möchten uns bei unseren Kaufentscheidungen unterstützen und uns neue Vorschläge machen, wie wir unser Leben bereichern können. Die Konzerne helfen uns, das Leben zu optimieren. Wir können Zeit sparen, wenn wir ihren Vorschlägen folgen. Wir können Geld sparen und zugleich Lebensfreude gewinnen. Die sanfte Diktatur möchte, dass es nicht nur dem Produzenten am Arbeitsplatz gut geht, sondern auch dem Konsumenten. Niemand will mehr den Tod eines Andersdenkenden. Gewalt ist nicht notwendig, wenn man überzeugen kann. Und haben wir nicht die besten Autos, die besten Computer, die besten Filme und die beste Nahrung der Menschheitsgeschichte? Und erst die ganzen Spiele! Nicht nur für Kinder, sondern vor allem für Erwachsene: Spiele auf dem Notebook, Spiele auf dem Smartphone, Rate- und Gewinnspiele im Fernsehen, im Radio und im Internet – dazu die ganzen Kriminalfilme und –romane als Ratespiel für die ältere Generation.
Wir haben die permanente Wahl: Welche Schuhe wollen wir, welchen Brotaufstrich, welches Reiseziel, welchen Klingelton, welchen Politiker? Es ist nicht nur unlogisch, sondern auch unmöglich, sich außerhalb des Systems zu bewegen. Hier gibt es alles und es ist gut für dich. Keine Generation vor uns war jemals so frei wie wir. Aber es ist die Freiheit mechanischer Spielfiguren, in die man eine Münze wirft, damit sie lächelnd zu einer Melodie tanzen. Wir sollten unser politisches und ökonomisches System einfach „Mutter“ nennen.
Anne Clark – Our Darkness. http://www.youtube.com/watch?v=OguHIyNNblM

Freitag, 6. Juni 2014

Wissen

Wir waren mit unserem Boot schon einige Tage auf den Seitenarmen des Rio Negro unterwegs gewesen, als wir am Ufer eine kleine Hütte sahen. Vor der Hütte saß eine alte Frau in der Sonne und so beschlossen wir, ans Ufer zu fahren und anzulegen. Seit Tagen hatten wir keinen Handyempfang, hier draußen gab es nichts: Kein Internet, kein Fernsehen, kein Radio und keine Zeitungen. Sicher würde die alte Frau sehr neugierig sein und uns Besucher nach Sensationen und Skandalen ausfragen wollen. Nachdem wir einen guten Tag gewünscht und uns vorgestellt hatten, fragten wir ungeduldig: „Wie erfahren Sie hier draußen das Wichtigste aus aller Welt?“ Sie schaute uns verwundert an und lächelte. Dann antwortete sie: „Und ich dachte, Sie wären gekommen, um mich danach zu fragen.“
Johann Sebastian Bach – Air. http://www.youtube.com/watch?v=rrVDATvUitA

Donnerstag, 5. Juni 2014

Schöne Erinnerungen

Die unfallfreie und unbestrafte „Trunkenheitsfahrt im Straßenverkehr“ (§ 316 StGB) gehört zu den Fähigkeiten, die einen fortgeschrittenen Trinker auszeichnen. Aber selbst den größten rheinhessischen Trinkerlegenden unterlaufen bisweilen Fehler, die nicht selten zum Verlust der Fahrerlaubnis führen. Der beste Fahrer unter allen Trinkern, die ich je kennengelernt habe, war D. aus Ingelheim, in Fachkreisen einfach nur „die Trinkmaschine“ genannt. Wenn ich nach einem Umtrunk auf allen Vieren vor der Fahrertür meines Wagens kniete und den Schlüssel nicht ins Türschloss bekam, war D. immer noch fähig und willens, mit seinem Opel Kadett C alle Freunde sicher nach Hause zu bringen – nicht ohne noch eine kleine Rundfahrt mit Musik und Rauchwerk zu unternehmen.
Am Ingelheimer Bahnhof, gegenüber dem unvergessenen „Pony Express“, gab es damals einen Bierautomaten, um die Grundversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten (die Tankstellen hatten zu jener Zeit noch nicht rund um die Uhr geöffnet). D. schaffte es in jedem Zustand, auf dem Bahnhofsvorplatz eine Schleuderwende hinzulegen und das Fahrzeug so vor dem Automaten zum Stillstand zu bringen, dass er durch das Seitenfenster Bierdosen ziehen konnte ohne auszusteigen. Eines Nachts fuhren wir dosenbiertrinkend durch die Weinberge und Felder der Umgebung. Nicht das wir ein Ziel gehabt hätten – es war die reine jugendliche Freude an der Bewegung. Am Ende hatte D., der uns geschworen hatte, dies sei eine Abkürzung und er kenne sie genau, den Kadett in einen abschüssigen Schrebergarten gesetzt, aus dem wir das Fahrzeug nicht mehr befreien konnten. Auf den Polizeifotos, die D. als Fahrzeughalter vorgelegt wurden, waren eine Menge leerer Bierdosen zu sehen, die um den Wagen herum lagen. Auch der Weg in die Stadt war mit leeren Dosen markiert. Gegen ein paar Kästen Bier und das Versprechen, den Garten wieder in Ordnung zu bringen, sah der Besitzer des Gartens von einer Anzeige ab.
Auf der Autobahn zwischen Bingen und Ingelheim haben D. und ich einmal eine Wette abgeschlossen. D. schwärmte immer von der Zuverlässigkeit und Unzerstörbarkeit seines geliebten Opels. Also wettete ich mit ihm um einen Kasten Bier, dass es mir – als Beifahrer! – gelingen wurde, bei 120 km/h vom vierten Gang (mehr hatte das Getriebe nicht) in den ersten runterzuschalten. D. willigte ein und trat die Kupplung. Ich riss mit beiden Händen den Gang raus und prügelte den ersten rein. Es tat einen Schlag und wir rollten auf dem Standstreifen aus. Getriebeschaden, Abschleppdienst, tausend Mark Kosten. Aber er hat mir anstandslos den Kasten Bier vorbeigebracht, ohne mir Vorwürfe zu machen.
Eines Nachmittags waren wir bei D. zu Hause und tranken Bier. Wir waren an diesem Tag gut in Form und die zwanzig Flaschen Bitburger, auf die der Kasten leider begrenzt ist, waren am Abend ausgetrunken. Also beschlossen wir, in den „Pony Express“ zu fahren. Auf der Umgehungsstraße zwischen Ingelheim-West und der Stadtmitte gelang es D., mit über 80 km/h einen Audi zu überholen, der nur die vorgeschriebenen 50 km/h gefahren war. An der Bahnhofskreuzung zeigte uns die Ampel rotes Licht, D. bremste und direkt hinter uns kam der Audi zum Stehen. Der Fahrer stieg aus, ging zu unserem Auto und öffnete D.s Fahrertür. Wortlos beugte er sich hinein, zog den Zündschlüssel ab und zerrte dann den verdutzten D. auf die Straße. Es stellte sich heraus, dass der Audi-Fahrer ein Polizist in Zivil war, der gerade zum Dienstantritt auf die Ingelheimer Polizeiwache unterwegs war. Die Handschellen klickten, D. wehrte sich noch und verhalf mir auf diese Weise zur Flucht. Ich trank im „Pony Express“ weiter, D. wurde für vier Wochen der Führerschein entzogen (1,8 Promille) und ich musste 75 DM wegen unerlaubten Entfernens vom Tatort zahlen.
In den folgenden Wochen fuhr D. mit dem Fahrrad in die Kneipe. Damals gab es in Ingelheim genau drei einschlägige Orte, an denen man sich abends treffen konnte: Helmuts „Pony Express“, Richards „Club“ und Seppels „Hobo“. Eines Abends hatten wir uns mit einigen Leuten im „Hobo“ getroffen und wie üblich gezecht. D., das Fahren auf zwei Rädern offenbar nicht gewöhnt, legte sich mit dem Fahrrad auf dem Heimweg auch prompt auf die Schnauze. Leider genau vor der Ingelheimer Polizeiwache. Die Beamten kamen heraus, erkannten D. gleich wieder und baten ihn zur Blutentnahme herein. Wieder 1,8 Promille. Es dauerte eine Weile, bis er seinen Führerschein wiederbekommen hat.
The B-52’s – Bushfire. http://www.youtube.com/watch?v=9-2godREKGw