Donnerstag, 21. Juli 2016

Ist die EU eine Demokratie?

„Nach dem griechischen Debakel fällt es ohnehin schwer, in der EU noch etwas anderes als eine zwielichtige Abteilung von IWF und Weltbank zu sehen.“ (Irvine Welsh)
In der Türkei sehen wir aktuell den Untergang einer Demokratie. Es ist nicht das einzige Land, in dem die Volksherrschaft auf dem Rückzug ist. Nachdem in den neunziger Jahren Osteuropa für die Idee der Demokratie gewonnen wurde, kann man das Projekt der Erweiterung in Nordafrika, im Nahen und Mittleren Osten als gescheitert betrachten.
Europa und Amerika sind fassungs- und tatenlose Zuschauer dieser Entwicklung. Wir haben scheinbar nicht einmal mehr die Kraft, das Wort gegen die Feinde der Demokratie zu erheben. Vor einigen Jahren gab es immerhin noch einige lauwarme Sanktionen gegen die Autokratie Putins in Russland. Vorbei. Ich frage mich in diesen Tagen, da auch Großbritannien sich basisdemokratisch per Plebiszit von der Idee eines geeinten Europas verabschiedet: Ist die EU demokratisch? Wirkt die Union noch über ihre Grenzen hinaus?
1. Ich habe im Studium gelernt, dass in einer Demokratie die Bevölkerung in freien Wahlen ein Parlament wählt. Aus diesem Parlament geht die Regierung hervor. Ein einfaches, zweistufiges Verfahren. In der EU wählen wir ein Parlament, aus dem keine Regierung hervorgeht. Die zweite Stufe zündet nicht. Die Exekutive der EU, die EU-Kommission, wird von den Regierungschefs der Mitgliedsländer in einem Verfahren ausgekungelt, das an den Wiener Kongress erinnert, aber mit Demokratie nichts zu tun hat. Wichtige Entscheidungen treffen die Regierungschefs auf ihren Gipfeltreffen, die von informellen Treffen der großen Staaten (Deutschland, Frankreich, manchmal auch Italien) präjudiziert werden. So kann man ein Unternehmen führen, aber keine politische Organisation, die sich auf die Legitimation durch die Wähler stützen möchte. Ich habe Juncker nicht zum Präsidenten der Europäischen Kommission gewählt. Sie etwa?
2. Jede Demokratie hat als Grundlage eine Verfassung, eine „Spielanleitung“. Sie muss der Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt werden. Das Volk als höchster Souverän genehmigt die Verfassung, erst dann tritt sie in Kraft. Auch das habe ich mühsam in Seminaren an den Universitäten in Mainz, Heidelberg und Berlin gelernt, so steht es auch in den Fachbüchern, die in meinem Regal stehen. Die EU wird nach dem Lissabon-Vertrag regiert, der uns nie zur Abstimmung vorgelegt wurde. Ich habe ihn als Bürger nicht genehmigt. Sie etwa?
3. Ein demokratischer Staat ist eine Einheit, in allen Städten und Gemeinden dieses Staates gelten dieselben Regeln (Gesetze und Verordnungen). Europa ist nicht nur weit von dieser Einheit entfernt, mit dem Euro wurde auch eine zusätzliche Spaltung der EU hervorgerufen. Die Union teilt sich in Staaten der Eurozone und Staaten außerhalb der Eurozone. In den letzten Jahren haben wir uns in der EU hauptsächlich mit dem Euro befasst, seiner Rettung und dem Zusammenhalt des Währungsraums („Griechische Tragödie“, Teil 1 – 3). Aktuell sehen wir einen Zerfall der EU, nicht nur durch den Austritt Großbritanniens, sondern auch durch die Beschneidung demokratischer Grundrechte in Polen, Ungarn usw. sowie die Missachtung von gemeinsamen Beschlüssen, so unsinnig sie im Einzelnen auch sein mögen (Maastricht-Kriterien als Beispiel). Wenige EU-Staaten fordern die Vertiefung der Union, für die sie von der Bevölkerung – glaubt man den Umfragen – kein Mandat hat und keine Mehrheit der Regierungen innerhalb der EU. Das „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ entfaltet inzwischen Zentrifugalkräfte, die den Kern des europäischen Projekts, das Ende der Konfrontation durch Kooperation, bedrohen.
Alles in allem gibt die EU in diesen Tag kein gutes Bild ab. Sie ist von einer Demokratie weiter entfernt denn je und kann daher auch niemandem in der Welt als Vorbild dienen. Und vom Niedergang der parlamentarischen Demokratie in der westlichen Welt auf der Ebene der Nationalstaaten in Zeiten des aggressiven Populismus, der Krise der Medien als vierter Gewalt und der globalen Herrschaft großer Konzerne habe ich noch gar nicht gesprochen. Es steht nicht gut um uns. Wir sollten nicht nur das Scheitern der Anderen betrachten, sondern einen kritischen Blick in den Spiegel werfen.
The Chameleons - Up The Down Escalator. https://www.youtube.com/watch?v=6fZPRZm7yUQ

Schule des Schreibens

„Alkohol löst keine Probleme, aber das tut Rhabarberschorle auch nicht.“ (Andy Bukowski)
Ich hatte die Annonce in der „Literatur aktuell“ gelesen, einen Abend über mein Vorhaben nachgedacht und nun stand ich hier. Akazienstraße, Berlin-Schöneberg. Ein ehrwürdiger Altbau, mit Stuckornamenten verziert.
Ja, ich werde Schriftsteller. Der Entschluss ist gefasst und mit der nötigen Entschlossenheit, die am Anfang jeden Entschlusses … nein, es ist zu viel Schluss und Schloss in diesem Satz, der doch am Anfang steht. Aber genau darum bin ich ja hier: „Professor Stammel’s Schule des Schreibens – Wir führen Sie in zwölf einfachen Lektionen zum Welterfolg.“ So hatte es in der Annonce gestanden und jetzt stand ich vor den heiligen Hallen der Gelehrsamkeit. Mit klopfte das Herz.
Ich las die Reihe von Schildern neben dem Durchgang zu den Hinterhöfen. Nach einer Weile fand ich es: „Professor Stammel’s Schule des Schreibens. Zweites Hinterhaus, fünfter Stock.“ Ich lief durch den ersten Hinterhof, der voller Sperrmüll war. Vielleicht logierte hier ein Trödler oder Krämer? Im zweiten Hinterhaus erklomm ich ein düsteres Treppenhaus mit knarrenden Stufen.
Schließlich stand ich vor der Tür im fünften Stock. Auf dem Klingelschild stand in krakeliger Handschrift „Schule d. Schreibens“. Ich klingelte. Nichts. Ich klingelte ein zweites Mal. Da öffnete sich die Tür und ein schmales Gesicht lugte misstrauisch in den Flur.
„Was wollen Sie?“ fragte ein kleiner, grauhaariger Mann.
„Ich möchte Schriftsteller werden“, sagte ich voller Stolz und reckte mich dabei ein wenig.
Er grinste heimtückisch. „Kommen Sie herein“, war seine Antwort und er öffnete die Tür, so dass ich eintreten konnte.
„Warten Sie hier“, sagte er und verschwand hinter einer Tür. Ich stand in einem gewöhnlichen Wohnungsflur. Erhofft hatte ich mir ein großes helles Institut, ein Universitätsgebäude – aber gut, die Kultur treibt oft im Verborgenen ihre schönsten Blüten hervor.
Nach einer Viertelstunde hörte ich, wie eine Stimme „Herein!“ rief. Ich öffnete die Tür und am Schreibtisch vor mir saß derselbe Mann, der mir die Tür geöffnet hatte. Neben dem Telefonapparat stand ein Namensschild: „Studienleiter Magister Bürstlmayr“.
„Guten Morgen. Ich möchte gerne Herrn Profesor Stammel sprechen. Ich möchte mich zur Schule des Schreibens anmelden.“
„Der Herr Professor ist außer Haus. Ich werde mich um Ihren Antrag kümmern.“
„Gut. Ich möchte den Kursus buchen.“
„Wieviel Geld haben Sie?“ fragte Bürstlmayr.
Ich zog meine Brieftasche hervor und zählte mein Geld. „Siebzig Euro.“
„In Ordnung. Geben Sie her.“
Ich reichte ihm die Geldscheine und er ließ sie in einer Schublade verschwinden. „Sobald Sie mehr Geld haben, bringen Sie es mir.“
„Soll ich jetzt das Formular ausfüllen?“
„Sie bekommen nach Abschluss des Studiums eine Urkunde. Das reicht völlig.“ Dann stand er auf. „Kommen Sie mit!“
Er führte mich in einen Nebenraum, in dem einfache Holztische und Stühle standen. Drei junge Menschen waren über ihre Hefte gebeugt und schrieben schweigend. An der Wand war eine Reproduktion des bekannten Tischbein-Gemäldes „Goethe in der Campagna“ mit Reißzwecken befestigt.
Bürstlmayr führte mich zu einem freien Tisch vor einem Fenster, durch dessen schmutzige Scheiben man kaum das Nachbargebäude erkennen konnte.
„Sehen Sie dort drüben den Stapel mit den Illustrierten? Suchen Sie sich ein Exemplar heraus, lesen Sie es und wählen Sie eine Person aus. Über diese Person schreiben Sie eine Kurzgeschichte. Wenn Sie fertig sind, bringen Sie mir den Text. Verstanden?“
Ich nickte und zog eine „Gala“ aus den neunziger Jahren aus dem Stapel. Nach einigem unschlüssigen Blättern entschied ich mich für Lulu Madrid, eine Opernsängerin aus Amerika. Ich schrieb eine herzzerreißende Geschichte über ihren krebskranken Vater, den sie mit den Einnahmen aus ihrem Gesang unterstützt. Der Vater, ein ehemaliger Berufsboxer, der sie ganz alleine großgezogen hatte, weil ihre Mutter früh am Alkoholismus zugrunde gegangen sei. Ich fabulierte die Geschichte so schön, dass ich am Ende selbst Tränen in den Augen hatte.
Es war früher Nachmittag, als ich die Geschichte zu Bürstlmayr ins Büro brachte. Er nahm die Blätter in die Hand und las sie. Ich war aufgeregt. Was würde er zu meiner ersten Arbeit sagen? War ich der Schule des Schreibens von Professor Stammel überhaupt würdig? Hatte ich das Zeug zum Schriftsteller?
„Gar nicht mal so übel“, brummte Bürstlmayr nach einer Weile bedächtig. „Der Anfang ist ein bisschen holprig. Den müsste man umformulieren. Aber ansonsten nicht schlecht. Morgen früh kommen Sie wieder, dann machen wir mit dem Thema Poesie weiter.“
Ich lief vor Freude rot an und ging glücklich nach Hause. Der erste Schritt auf dem Weg zum Ruhm war vollbracht.
P.S.: So entsteht der Content bei Bonetti Media. Haben Sie Interesse? Möchten Sie sich noch heute zu einem Kursus anmelden? Wieviel Geld haben Sie?
Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich - Hold tight. https://www.youtube.com/watch?v=ADTSfaApGF8

Mittwoch, 20. Juli 2016

Minky ist die süßeste Katze der Welt

Nein. Ist sie nicht.
Blogstuff 58
„Oft gehe ich aus, auf die Straße, und da meine ich, in einem ganz wild anmutenden Märchen zu leben. (…) Es sucht hier alles, alles sehnt sich nach Reichtümern und fabelhaften Glücksgütern. Hastig geht man. Nein, sie beherrschen sich alle, aber die Hast, das Sehnen, die Qual und die Unruhe glänzen schimmernd zu den begehrlichen Augen heraus.“ (Robert Walser: Jakob von Gunten)
Ist das schon Globalisierung oder noch Multikulti? Ein Afghane greift im Auftrag einer arabischen Organisation Chinesen in Franken an.
Alle sahen Holger entsetzt an, als er in der Bar seine Kleider ausgezogen hatte und erwartungsfroh in die Runde blickte. Verdammt! Er hatte schon wieder Karaoke mit Bukkake verwechselt.
Es wird immer über Inhalte oder die Anzahl der Schuljahre gesprochen, wenn es um die Bildung für den Nachwuchs geht. Die zentralen Punkte ändern sich nie. Du hast einen Vorgesetzten (Lehrer), dem du zu gehorchen hast und den du dir nicht aussuchen kannst. Du redest nur, wenn du die Erlaubnis dazu hast. Andere sagen dir, was du auswendig lernen musst. Wichtig sind Pünktlichkeit, Disziplin und Gehorsam. So werden – im Wortsinne – Menschen gebildet, die im Anschluss in den Betrieben auch verwendet werden können.
Neu! Die Window-App. Und so geht’s: Kamera auf ihr Fenster ausrichten, App aktivieren – und schon können Sie aus dem Fenster sehen, ohne den Kopf zu heben. Für echte Smartphone-Fans.
Die Mutter aller Verschwörungstheorien und gleichzeitig der Gipfel des Narzissmus: alles, wirklich alles, also die gesamte Zivilisation, ist darauf angelegt, um ganz allein mich zu foppen („Die Truman Show“).
Sind Sie nicht auch der Meinung, dass Andy Bonetti, dieser Prunkbau der Demut, den wir in einem Lustgarten der Bescheidenheit finden, in diesem Jahr den Literaturnobelpreis verdient hätte?
Shit-In: „Ein Shit-In ist ein kollektives Entleeren des Darms und der Blase in oder vor einem Parlament, einem Regierungspalast oder einer Konzernzentrale. Wurde zum ersten Mal von Lupo Laminetti organisiert, als es um die Würdigung der Leistungen von Spitzenpolitikern der Berliner Republik ging, die offiziell am 1. September 1999 begann.“ (wikipedia)
Was ist die Erlösung in dieser Welt? Dummheit, Krankheit, Frechheit oder Faulheit. Dann können sie dich nicht gebrauchen. Dann lassen sie dich in Ruhe.
Aus der Werbung: „Empfohlen von 77 Prozent der aufgeblasenen und selbstverliebten Arschgeigen Deutschlands.“
Drittklassige Experten erkennt man immer daran, dass sie einen exklusiven Blick in die Zukunft haben. Echte Experten besitzen keine Kristallkugel für ihre Prognosen. Sie würden nie auf die Idee kommen, das Wirtschaftswachstum von Rumänien im übernächsten Jahr auf eine Stelle hinter dem Komma genau anzugeben.
Werbung: „Indiana Jones und der Schnarchlappen mit dem roten Mofa“. Jetzt! Neu! Kino!
An der „Bonetti Full Metal Crazy Round Experience & Hast Du nicht gesehen“ haben in diesem Jahr der Schah von Paderborn, die Herzogin van der Krokette, der Prinz von Linz und die bekannte Männerärztin Frau Doktarine Knitsch-Malzeimer teilgenommen. Selbst gewöhnlich wohl unterrichtete Kreise wissen bis heute nicht, um was es bei dieser Challenge geht.
Ich kratze auf meinem Schädel herum, als sei Kratzen der neue Hype, der mich die nächsten zwölf Monate beschäftigt. Und natürlich werden an den Verkaufsständen die entsprechenden T-Shirts und Aufkleber verkauft: „Kratz until you platz“ oder „Nicht nur Katzen kratzen“. Graz wird zur Subkulturhauptstadt usw.
Die International Union of Pure and Applied Chemistry hat die Entdeckung eines neuen Elements bekannt gegeben, dass auf den Namen Bonettinum getauft wird.
„Wir dürfen das Töten nicht verlernen.“ (Deutsche Militärdoktrin 2016)
„Sprechen Sie ruhig weiter. Ich höre gerne zu. Und Sie reden offensichtlich gerne.“
Gastro-Tipp: „Zander mit Blutwurst in Kokos-Chilipanade, Blumenkohlpüree mit Schokoladensauce und Banane in Bacon“ bieten die „Wulflamstuben“ in Stralsund. Respekt! Kreative deutsche Küche. Wer fährt mit mir nach Stralsund?
Meine Generation: Die Selbstgefälligkeit von drittklassigen Waschweibern, die Fettleibigkeit alt gewordener Schwätzer, die Ignoranz von denkfaulen Quartalssäufern.
P.S.: Andy Bonetti finden Sie jetzt auch auf linkedin.com. Besuchen Sie den Jahrhundertdichter, die Unternehmerpersönlichkeit aus Bad Nauheim!
The Cranberries – Dreams. https://www.youtube.com/watch?v=cYm80ZvdXM4

Montag, 18. Juli 2016

Ach, herrje – auch das noch: Andy Bonetti erstickt

… in Fanpost. Bitte erheben Sie sich von Ihren Plätzen und begrüßen Sie mit einem warmen Applaus:
Blogstuff 56
“It's all about money, not freedom, y'all, okay? Nothing to do with fuckin' freedom. If you think you're free, try going somewhere without fucking money, okay?” (Bill Hicks)
Du weißt gar nicht, dass sie längst deine Entlassung beschlossen haben. Und du schnatterst immer noch fröhlich wie ein Delphin bei einem Geschäftsabschluss.
Hätten Sie’s gewusst? Bei den Lesungen von Andy Bonetti während seiner Dark Poet-Tour 1997 stand immer ein weißgeschminkter Pantomime neben ihm, der seine Vorstellung imitiert hat.
Petra – verlassene Felsenstadt in Jordanien oder vollbusige Blondine in der Mittelstufe an meinem Gymnasium? Diskutieren Sie mit!
Das Positive an der Alzheimer-Krankheit: du brauchst nur noch eine DVD.
Werbung: „Sieben gegen Marburg“ – diese Mischung aus Schwertkampfballade und fiktiver Autobiographie wird Ihnen präsentiert von Bonetti alkoholfrei.
Früher hatte ich Sommersprossen, jetzt sind es Altersflecken.
Unternehmen und Behörden machen mich in ihren Anschreiben immer zum „Herrn“, obwohl ich doch ein Knecht bin. Mit Frauen machen sie das nicht, die Anrede ist ganz schlicht „Frau“.
Im Nahen und Mittleren Osten wiederholt sich in den letzten Jahrzehnten die gleiche Tragödie, die Osteuropa im 20. Jahrhundert erlebt hat. Man denke an den Zerfall des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn oder das Ende der Griechen und Armenier in der modernen Türkei. Aus dem jahrhundertelangen Zusammenleben der Ethnien, Kulturen und Religionen wird ein geographisch penibel abgezirkelter Haufen von Nationalstaaten, deren Minderheiten überall stören und vertrieben werden. Jetzt also in Syrien, im Irak und zuvor schon in Israel. In Syrien gab es einst dreißig Prozent Christen und es hat keinen gestört, der Libanon war ähnlich multikulti. Bagdad mit seinen zwölf Millionen Einwohnern (Metropolregion) war früher ein Schmelztiegel der Religionen, Sprachen und Lebensweisen wie NYC. Vorbei. Es regieren überall die Spalter ...
Demokratie – Demagogie – Dekomagie. Ist doch alles das gleiche.
Werbung: Er saß gerade an seinem Schreibtisch, als ihn der Atomblitz traf. Der Tisch und er verschmolzen miteinander - und dann wurde aus ihm … Trommelwirbel … der Schubladenmann. DRAWERMAN. Die neue Serie. Jetzt bei Bonetti Media Unlimited.
Ich war neunzehn, als ich langsam in die Schnaps- und Meskalin-Szene (SM) abdriftete.
Hätten Sie’s gewusst? Schmitt’s Island ist die nördlichste Landfläche der Welt. Man nennt diesen Punkt auch Ultima Thule.
Neu: Wäsche trocknen mit Wind- und Solarenergie! Kaufen Sie die neue ultracoole „Wäscheleine“ – jetzt in Ihrem Apple-Store.
Kennen Sie eine Rockband namens „The Amazing Bottrop Experience“? Nein? Macht nix. Da haben Sie nichts verpasst. Hören Sie lieber „Silver Donut“! Mördermucke, ich schwör. Oder wie wär’s mit der Anti-Veganer-Band „The Meatles“ und ihrem Hit „Ich war die fünfte Bulette“?
Mal andersrum betrachtet: Krankenhäuser und Krankenschwestern bereichern sich am Elend anderer Menschen.
Buch-Tipp: „Vom Bauern zum Büroangestellten – deutsche Geschichte in Aphorismen und Aneurysmen“ von Prof. Hodenkobl-Dottersack.
Preisfrage: Was war zuerst da? Das Zebra oder der Zebrastreifen?
Tuvan Throat Singing. https://www.youtube.com/watch?v=qx8hrhBZJ98

Sonntag, 17. Juli 2016

Jede Nacht hat ihren Preis

„Klein sein und bleiben. Und höbe und trüge mich eine Hand, ein Umstand, eine Welle bis hinauf, wo Macht und Einfluss gebieten, ich würde die Verhältnisse, die mich bevorzugten, zerschlagen, und mich selber würde ich hinabwerfen ins niedrige, nichtssagende Dunkel. Ich kann nur in den unteren Regionen atmen.“ (Robert Walser: Jakob von Gunten)
Beverly Rüssl lebt in der kleinsten Großstadt der Welt. Diese Stadt liegt an einem Fluss, der keinen Namen verdient, denn er ist nur noch ein Rinnsal. Nachts tritt sie mit ihrer Ein-Frau-Band „Frozen Despair“ in Telefonzellen auf, gelegentlich auch mal in einer kleinen Bar kurz vor Ladenschluss. Tagsüber lebt sie in einem Zirkuswagen mit großen Fenstern mitten auf dem Rathausplatz. Die Passanten können hineinschauen und sie beobachten, wie sie zum Beispiel ein winziges Tellerchen und ein winziges Gäbelchen auf einem absurd niedrigen Tisch platziert. Dann holt sie einen Cupcake hervor, der auf dem Tellerchen und dem Tischchen natürlich aussieht wie eine riesige Geburtstagstorte. Es ist ein sehr kleiner Zirkuswagen und alle Möbel sind ebenfalls klein. Wenn die Leute genug gestaunt haben, können sie eine Münze in eine Sparbüchse werfen, die am Wagen angebracht ist.

Hitlers erster Krieg

„Wenn der Staat zu töten beginnt, nennt er sich immer Vaterland.“ (August Strindberg)
Heute vor achtzig Jahren, am 17. Juli 1936, begann der Spanische Bürgerkrieg. Die Faschisten unter General Franco putschten gegen die gewählte Regierung der Republik und entfesselten den – nach dem russischen Bürgerkrieg - blutigsten Krieg in Europa zwischen den beiden Weltkriegen.
Es ist das Militär in Spanisch-Marokko, das der Demokratie den Kampf ansagt. Da viele Matrosen und Offiziere der spanischen Marine loyal gegenüber der Regierung sind, verzögert sich die Überfahrt der Putschisten nach Spanien. Das Dritte Reich schickt Transportflugzeuge nach Marokko, die erste große Luftbrücke der Militärgeschichte bringt 14.000 bewaffnete Putschisten an ihr Ziel. Es ist die „Operation Feuerzauber“, benannt nach einer Szene aus einer Wagner-Oper.
General Franco, zuvor Militärgouverneur der Kanarischen Inseln, bekommt von Anfang an Unterstützung von den faschistischen Regierungen Deutschlands und Italiens. Mussolini entsendet 80.000 Soldaten, Hitler formiert die „Legion Condor“ mit 12.000 Soldaten. Die mächtigen Demokratien Großbritannien und Frankreich verhalten sich neutral, auf Seiten der Republik kämpfen internationale Brigaden und spanische Anarchisten, die durch Lieferungen aus der Sowjetunion unterstützt werden. Francos Putschisten werden von den Milizen der Falange, der faschistischen Partei Spaniens, unterstützt.
Die Bevölkerung schließt sich in weiten Teilen des Landes den Putschisten nicht an, es kommt zu einem blutigen Bürgerkrieg mit 700.000 bis 800.000 Toten (Spanien hatte 1930 23,6 Millionen Einwohner). Das Deutsche Reich unterstützt den Kampf gegen die Republik nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich. Siemens und die I.G. Farben (aus der BASF, Bayer u.a. hervorgingen) helfen mit Geld, Rohstoffen und Waffen. Deutsche Waffenlieferungen sind bereits vor dem Putsch bestellt worden und treffen kurz nach Beginn des Bürgerkriegs ein.
Hitler benutzt Spanien in den folgenden Jahren als Probebühne für den bevorstehenden Weltkrieg. Die Luftwaffe bombardiert die Stadt Gernika und zerstört das religiöse Zentrum des Baskenlandes fast vollständig. Die „Legion Condor“ beteiligt sich am Massaker von Malaga, bei dem etwa 10.000 Menschen ermordet werden. Die U-Boot-Waffe greift Hilfskonvois der Republik an („Operation Ursula“, benannt nach der Tochter von Admiral Dönitz, dem letzten Staatsoberhaupt des Dritten Reichs). 1937 wird in Miranda de Ebro ein Konzentrationslager nach deutschem Vorbild eingerichtet, das vom SS- und Gestapo-Mitglied Paul Winzer geleitet wird.
Nach dem Ende des Spanischen Bürgerkriegs am 1. April 1939 dauert es nicht lange, bis die Hunde des Krieges den ganzen Kontinent in Fetzen reißen.
The Doors – The End. https://www.youtube.com/watch?v=JSUIQgEVDM4

Samstag, 16. Juli 2016

Island und Israel

“Etwas nicht tun sollen, das ist manchmal so reizend, dass man nicht anders kann, als es doch zu tun. Deshalb liebe ich ja so von Grund aus jede Art Zwang, weil er einem erlaubt, sich auf Gesetzeswidrigkeiten zu freuen.“ (Robert Walser: Jakob von Gunten)
Ich bin ein David-Fan, Mann! Ein absoluter David-Fan! Diesen Goliath kann ich nicht leiden. Der erinnert mich an den fetten Riesen namens Christian Günther, der mich in der Mittelstufe immer gequält hat. Ein gewalttätiges Monstrum, dessen mangelnde Intelligenz ihn glücklicherweise in der zehnten Klasse eliminiert hat. Wir sollten den Mut haben, allen Goliath-Typen auf dieser Welt in den gottverdammten Arsch zu treten!
Okay, ich bin ganz ruhig. Habe meinen Blutdruck im Griff. Keine Sorge. Ich bin nicht aggressiv, sage ich mir zehnmal hintereinander, während ich versuche, meine Fäuste zu lockern. Fangen wir mir Island an. Ich bin Island-Fan, müssen Sie wissen. Ein absoluter Fan. Verstanden?! Alles begann, als sie mit ihrem Hausvulkan den gesamten Flugverkehr in Europa lahmgelegt haben.
Im Fußball hat mich Island begeistert, als sie die Holländer aus der Quali geworfen hatten. Die erste EM mit 24 Mannschaften – und ohne den Europameister von 1988. Danke, Island! Den Portugiesen ein Unentschieden abgetrotzt, die Pseudo-Geheimfavoriten aus Österreich abgeschossen. Und dann das Meisterstück gegen die Engländer. Ein Land mit hundert Fußball-Profis – und professionell heißt, du verdienst so viel wie der Oberkellner eines isländischen Fischverwerters – haut das Mutterland des Fußballs in die Tonne.
Aber der Spott der Isländer über den Überraschungssieger Portugal gegen den überlegenen Gastgeber Frankreich hat meine Meinung geändert. Wenn die Kleinen zu groß werden, verliere ich die Lust, sie zu unterstützen. Und so geht es mir nicht nur mit Island, so geht es mir mit Israel. Am Anfang kämpften diese Holocaust-Überlebenden wie die Löwen gegen eine arabische Übermacht aus Ägypten, Jordanien, Syrien und Libanon. Die Kibbuz-Bewegung war in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gelebter Sozialismus ohne Stalin oder Mao, ohne Stasi und Gulag. Wer hätte den David mit dem Davidstern auf der Fahne nicht sympathisch gefunden?
Jetzt schreiben wir das Jahr 2016 und Israel mit seiner abartig beschissenen konservativen Regierung, seiner expansiven Siedlungspolitik und der Demütigung sämtlicher Araber im In- und Ausland hat meine Sympathie verloren. Wie konnte aus einem netten kleinen Land ein so großes Arschloch werden? Israel ist ein funktionierender Rechtsstaat und eine lebendige Demokratie. Hätte Deutschland dieselbe Scheiße wie den Jom-Kippur-Krieg oder den Sechs-Tage-Krieg erlebt, wären wir längst Bürger des Vierten Reichs.
Aber Israel ist aus der Verteidigung in den Angriff übergegangen. Exzessive Landnahme außerhalb des eigenen Staatsgebiets, Gewalt und Unterdrückung. David wird Goliath. Ein Fan weniger. Arschkrebs für Netanjahu. Wenigstens war Israel nicht für die Fußball-EM qualifiziert. Und den Davidstern als Symbol auf der Landesflagge sollte man endlich gegen die Keule von Goliath ersetzen.
P.S.: Nochmal zurück zur Fußball-EM, bei der ein tapferer Fußballzwerg vom Polarkreis bekanntlich das Viertelfinale erreicht hat. Island hat ja nur so viele Einwohner wie Bielefeld, wie in jeder Fernsehsendung unermüdlich festgestellt wurde. Und man stelle sich vor, Arminia Bielefeld erreicht das Viertelfinale der Champions League. Die Isländer scheiterten dann an Gastgeber und Weltmeisterbezwinger Frankreich, die wiederum im Finale gegen die langweiligen Minimalisten aus Portugal verloren, obwohl die Franzosen dem portugiesischen Weltstar Ronaldo so lange gegen die Beine traten, bis dieser Mitte der ersten Halbzeit mit einer Bahre vom Platz getragen werden musste.
Cream - White Room. https://www.youtube.com/watch?v=pkae0-TgrRU

Freitag, 15. Juli 2016

Aus dem bürgerlichen Märchenbuch

„Der Geruch nach Staub in der Universitätsbibliothek. Die toten Stimmen, die vergessenen Namen. Ich bin ein Teil dieses Gräberfelds.“ (Matthias Eberling: Vorbemerkungen zu einer Autobiographie, die ich nie schreiben werde)
Die Geschichte wird mir und uns allen erzählt, seit ich in den Kindergarten gekommen bin: 1968 gab es eine Protestbewegung, deren Mitglieder beim „Marsch durch die Institutionen“ die Schaltstellen der Bundesrepublik erreicht haben und bis heute insgeheim die Geschicke dieses Landes bestimmen. Dieses schlichte und in seiner Einfachheit geradezu kindische Narrativ endet meist mit dem Lamento des bürgerlichen Erzählers, der „linke Mainstream“ beherrsche darum das Land und „linkes Gedankengut“ dominiere Politik, Medien und gesellschaftlichen Diskurs.
Das ist natürlich Blödsinn. Aber wir hören diese Geschichte seit vielen Jahrzehnten und sie wird zumeist gedankenlos nachgeplappert. Kommen wir mal zu den Fakten: Die APO hatte, wenn man den Worten von Herrn Ströbele aus Berlin, der 1968 dabei gewesen ist, Glauben schenken möchte, in ihren besten Zeiten im damaligen West-Berlin dreihundert bis fünfhundert Aktive, die sich zu Demonstrationen getroffen haben. Die größte Demo in Berlin brachte zehntausend Menschen auf die Straße, es ging um den Vietnamkrieg. Okay, gegen Krieg sind wir alle, darum kamen zu dieser Demo ausnahmsweise mehr Menschen. Aber der Kern der „Studentenbewegung“ war ein überschaubarer Haufen. In Frankfurt, dem zweiten Schwerpunkt der APO, werden es noch einmal so viele Leute gewesen sein. Vielleicht waren es mehrere zehntausend Menschen in ganz Deutschland. Schätzungsweise ein halbes Promille der Bevölkerung der damaligen Bundesrepublik. Promille – nicht Prozent.
Und diese Leute haben also wie Agenten die Schaltstellen der Macht besetzt? Wo denn genau? Gehen Sie in die Betriebe, in die Unternehmen. Wo sitzen da „Alt-68er“ im Vorstand oder der Geschäftsleitung? Gehen Sie in die Redaktionen. Wo sind die linken Strippenzieher? Wo sind sie in den Regierungsparteien? Dieses Land hatte nie einen linken Mainstream. Deutschland war schon immer konservativ und hat sich nur ein einziges Mal mit Willy Brandt einen Regierungschef geleistet, der ansatzweise links war. Und das ist über vierzig Jahre her. Kommen Sie mir bitte nicht mit Schmidt oder Schröder. Konservative reinsten Wassers. Selbst die wenigen Menschen, die tatsächlich aus dem trojanischen Pferd geklettert sind, wie zum Beispiel Joschka Fischer, waren Konservative. Manche landeten sogar im RTL-Dschungelcamp wie Rainer Langhans.
Soviel zu einem alten Ammenmärchen, das ich inzwischen nicht mehr hören kann. Jedes Mal, wenn diese alten Leier wieder aufgelegt werde, denke ich über den Autor: Der hat ja wohl einen Riss im Plätzchen!
P.S.: Es ist mir zu einfach, für die Mut- und Ideenlosigkeit der aktuellen Politik immer wieder die „68er“ verantwortlich zu machen. An der Macht ist die Generation, die in den siebziger Jahren erwachsen geworden ist. Sie musste nicht mehr kämpfen, die Avantgarde der „68er“ hatte ihr die Türen geöffnet. In den sechziger Jahren wurde man für lange Haare noch auf offener Straße beschimpft, in meiner Jugend hatten selbst brave Bürgersöhne im Latein-Leistungskurs lange Haare und es störte niemanden mehr. Die heutigen Machthaber in Wirtschaft und Politik mussten nicht aktiv werden oder riskante Positionen beziehen, sie sind auf einer Rolltreppe nach oben gefahren. Dort sind sie jetzt. Und sie sind nicht mehr als mittelmäßige Verwalter geworden.
The Platters - Smoke Gets In Your Eyes. https://www.youtube.com/watch?v=H2di83WAOhU

Donnerstag, 14. Juli 2016

Da lacht der Polizeistaatsbürger

„Legal – Illegal – Scheißegal“ (Spontispruch, inzwischen tragendes Element des Parteiprogramms der CDU Berlin)
Was haben wir gelacht. Tausende von Polizisten in der Rigaer Straße in Berlin. „Sicherheitszone“. Die Bewohner dürfen ihre Wohnungen in diesem Teil Berlins nur nach Ausweiskontrolle betreten, Besucher dürfen sie nicht empfangen. DDR nix dagegen. Pjöngjang schickt Beobachter, denn es geht hier um Menschenrechtsverletzungen. Und das alles nur, weil ein Szenetreffpunkt im Erdgeschoss der Hausnummer 94 geräumt werden soll. Hinterher stellt sich heraus – Achtung! Jetzt kommt’s -, dass die Polizei weder einen Räumungstitel vorzuweisen hatte, noch ein Gerichtsvollzieher anwesend war. Im Klartext: die Aktion war ein glatter Rechtsbruch. Chapeau, „Dr. Strangelove“ Henkel. Weiter so!
Aber von der Sache haben ja beide Seiten was. Der CDU-Chef kann sich im Wahlkampf als Law & Order-Mann profilieren und die systemunfreundliche Jugend hat einen Anlass für richtig heiße Semesterferien mit Bambule, Randale und Feuerwerk. Angespornt durch die Väter und Großväter der Revolte wie „Horst Schöppner“, der im Neuen Deutschland am 24. Mai diesen Jahres die Antifa zur Gewalt aufgerufen hat. Hinter dem Pseudonym verbirgt sich ein alter Freund von mir, der es inzwischen zum erfolgreichen Geschäftsmann gebracht hat. Ich habe sein Buch „Antifa heißt Angriff“ vor der Veröffentlichung gegengelesen und mit ihm durchgesprochen. Natürlich haben wir dabei etliche Schoppen getrunken, daher auch „Schöppner“. Wir werden sehen, ob diese Saat – mit der gnädigen Mithilfe eines völlig durchgeknallten Innensenators in Berlin – in den nächsten Wochen aufgeht.
P.S.: Für Politiker wie Henkel, die natürlich nie zurücktreten wollen, gibt es im Englischen den schönen Begriff „tacky“, das bedeutet: geschmacklos, protzig, unverschämt, klebrig, billig, schäbig.

Blogstuff 55

„Es wird der Tag kommen, da klingeln zwei ältere Herren an meiner Tür, und sie werden sagen: ‚Guten Tag, wir sind die Zeugen Darwins, wir möchten mit Ihnen über Evolution sprechen‘.“ (Andy Bonetti: Die Zukunft und andere Abenteuer)
Salvadore Bonetti, der Urgroßonkel von Andy Bonetti hatte sein Leben der heroischen Konsequenz gewidmet. 1919 war er Mitglied der Räteregierung in Bad Nauheim, 1936 ging er nach Spanien, um im Bürgerkrieg gegen die Faschisten zu kämpfen. Er war einfach aus dem Haus gestürmt, auf der Staffelei hatte er ein unvollendetes Bild hinterlassen … - achtzig Jahre ist das jetzt her.
Aus gewöhnlich gut informierten Greisen erfahre ich, dass nach den Schreckensbildern auf Zigarettenschachteln demnächst Vorher/Nachher-Bilder von Andy Bonetti auf Ginflaschen platziert werden. Außerdem will man Johnny Malta in Badehosen auf Pralinenschachteln präsentieren!
Diesen Ausdruck kann es nur in Amerika geben: „trigger-happy“. Das heißt, dass jemandem der Finger locker am Abzug der Schusswaffe sitzt. „Schießwütig“ wäre der passende Ausdruck im Deutschen.
Ich leide unter postmortaler Depression …
Eine Flasche Wilthener Goldkrone kostet 5,29. Damit kann man sich ins Koma saufen. Fernsehen und Internet zahlt notfalls das Job-Center. Pornographie und Unterhaltung waren noch nie so billig wie jetzt. Das Volk hat alles, was es braucht. Also lasst die Regierung in Ruhe Politik machen!
In der Ingelheimer Metzgerei Stephan bezeichnet sich der Chef in der Werbung als „Fleischsommelier“. Das Fachgeschäft ist „Fleischwurst-Pokalsieger“ 2012 und 2013 (kein Witz!).
Dieses Volk von Steuerhinterziehern, Falschparkern und Ehebrechern macht nichts lieber, als andere mit erhobenem Zeigefinger zu belehren.
Bei einer Lesung in Dortmund-Brackel wurde Andy Bonetti im vergangenen Monat von militanten Floristen mit Disteln beworfen.
2016: Zum ersten Mal tötet ein Roboterauto einen Menschen, zum ersten Mal tötet ein Polizeiroboter einen Menschen. Werden es diese Tatsachen sein, die das Jahr später einmal zum Teil des Geschichtsunterrichts an Schulen machen?
Wenn ich Bundeskanzler wäre, würde ich die Mehrwertsteuer auf fünfzig Prozent raufsetzen. Die Leute können doch sowieso nicht mit Geld umgehen. Und mit der Mehrwertsteuer kriegt man sie alle, auch die Rentner, Kinder und Arbeitslosen, denn essen und trinken müssen sie alle. Mit dem Geld in der Staatskasse könnte man endlich die Unternehmenssteuern, die Erbschaftssteuer und die Kapitalertragssteuer auf null Prozent senken. Die Unternehmer und Banker können doch viel besser mit dem Geld umgehen! Sie schaffen Arbeitsplätze und sorgen für Investitionen. Und nebenbei könnte man auf diese Weise die Steueroasen austrocknen.
Kennen Sie die neue Bio-Küchenrolle? „Zebra Wisch & Weg“. Jetzt bei ihrem ökologisch korrekten Fairtrade-Discounter um die Ecke.
Hätten Sie’s gewusst? Eine welke Nelke ist das Symbol der SPD, eine schwarze Warze ist das Symbol der CDU. Eine Sonnenblume aus purem Gold ist das Symbol der Grünen und ein zahnloser Löwe steht für die CSU.
Früher bekamen Knechte und Mägde, Kammerzofen und Hausdiener als Lohn für ihre Arbeit Kost und Logis, dazu ein kleines Taschengeld. Inzwischen haben die Herren das Gesinde vom Hof gejagt, der Lohn ist aber der gleiche. Man nennt ihn heute Hartz IV.
In meiner Straße ziehen neue Leute in ein Haus. Eine amerikanische Familie aus Hawaii. Was für ein Ortswechsel: von Honolulu nach Schweppenhausen!
Prince - Pop Life. https://www.youtube.com/watch?v=A3fHJIR0Tb4
P.S.: Heute ist der Jahrestag der französischen Revolution. Der aktuelle „sozialistische“ (*proust* *giggel*) Sonnenkönig beschäftigt für sein schütteres Haupthaar einen eigenen Friseur für knapp zehntausend Euro im Monat. Im Unterschied zu seinen aristokratischen Vorgängern gibt es in seinem Palast 924 Hofnarren (das Parlament, d.h. Nationalversammlung und Senat).

Mittwoch, 13. Juli 2016

Unter Zombies 3 - Aus dem Tagebuch der Menschheit

„They lie about marijuana. Tell you pot-smoking makes you unmotivated. Lie! When you're high, you can do everything you normally do just as well – you just realize that it's not worth the fucking effort. There is a difference.” (Bill Hicks)
Bananendiktatur Deutschland: Kaisertreue Monarchisten, Militaristen und Nazis träumten lange von einem deutschen Reich in Afrika. „Deutsch-Mittelafrika“ sollte schon nach den Plänen von 1914 den ganzen Kontinent ohne die nordafrikanischen Länder und Südafrika umfassen. Auch Hitler träumte von der Reichsflagge über Timbuktu. Madagaskar war für einen zukünftigen „Judenstaat“ reserviert. Afrika sollte das deutsche Indien werden (das damals das Kronjuwel des britischen Empires war). Erst nach den Niederlagen des Afrikakorps vor El-Alamein (November 1942) und der Sechsten Armee in Stalingrad (Januar 1943) wurden die Pläne aufgegeben.
https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsch-Mittelafrika
Bankenherrschaft – wie es begann: Das Finanzinstitut Banco di San Giorgio (Bank des Heiligen Georg) wurde 1407 in Genua gegründet und ist eines der ältesten der ganzen Welt. Im 15. Jahrhundert wurde der Bank die Herrschaft über die Insel Korsika und die Halbinsel Krim übertragen, die sie allerdings bald wieder verlor. Hier hatten Kolumbus und der deutsche Kaiser Karl V. ihre Konten, letzterer hatte hohe Schulden. 1805 wurde der Laden von Napoleon dicht gemacht.
Barschels erster Streich: Der CDU-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Uwe Barschel, der später in rätselhaftem Rahmen (Badewanne, Genf) seinem Leben ein Ende gesetzt hat, begann sein politisches Leben mit einer bizarren Einladung. Es war ihm in seiner Funktion als Schülersprecher gelungen, Karl Dönitz, den Oberbefehlshaber der Kriegsmarine und letzten Reichspräsidenten des Dritten Reichs, zu einem öffentlichen Auftritt an seiner Schule zu gewinnen. Am 22. Januar 1963 referierte der in den Nürnberger Prozessen verurteilte Kriegsverbrecher vor den Klassen 9 bis 13 im Otto-Hahn-Gymnasium in Geesthacht zum Thema „Drittes Reich“. Erst als die nationale und internationale Presse den Fall aufgriff, sprach ein Regierungsrat des Kultusministeriums mit dem Schulleiter, der sich daraufhin noch am selben Tag in der Elbe ertränkte. Dönitz starb 1980 als letzter deutscher Offizier im Feldmarschallsrang, 5000 Menschen kamen zu seiner Beerdigung, darunter der Kommandant von Hitlers Führerbunker und zahlreiche Neonazis.
Klaus Nomi – Death. https://www.youtube.com/watch?v=XiMavQgfCX8

Dienstag, 12. Juli 2016

Unter Zombies 2

„Die Schrift ist unveränderlich und die Meinungen sind oft nur ein Ausdruck der Verzweiflung darüber.“ (Franz Kafka: Der Prozess)
Es war einer dieser lichtlosen Wintertage, als ich am frühen Morgen ins Büro kam. Die letzten Tage hatte ich auf einer Dienstreise in Osnabrück verbracht und ich wollte die Reisekostenabrechnung für die Buchhaltung fertig haben, bevor ich meinem Abteilungsleiter Bericht erstatten musste.
Ich blickte die dunkle Fassade empor und sah, dass im Büro nebenan schon Licht brannte. Das musste Korndörfer sein, mein Kollege. Als ich auf dem Flur stand, dachte ich mir, ich sollte doch mal kurz Hallo zu ihm sagen. Ich klopfte an seine Tür und öffnete, ohne eine Antwort abzuwarten.
Korndörfer saß im Halbdunkel an seinem Schreibtisch. Rund um seinen Computer das übliche Chaos. Das Licht war gar nicht an. Hatte ich mich getäuscht?
„Hallo, Sebastian“, begrüßte ich ihn. „Was machst du denn schon so früh im Büro?“
„Viel zu tun“, krächzte er mit schwacher, hohler Stimme.
„Geht mir auch so“, sagt ich mit einer Mischung aus Verständnis und Resignation. „Wie war deine Dienstreise?“
„Frag nicht“, sagte er leise und schüttelte den Kopf.
Ich ging in mein Büro und begann, Formulare auszufüllen und Quittungen zu sortieren. Kurz vor neun machte ich mich auf den Weg zum Chef und schaute noch mal bei Korndörfer rein.
„Ich geh zum Chef. Willst du auch gleich Bericht erstatten?“
Er schüttelte nur den Kopf.
Das Licht war jetzt etwas besser. Sein Gesicht wirkte grau und eingefallen, er sah aus wie eine Mumie.
„Geht’s dir gut?“ fragte ich besorgt.
„Sicher“, hauchte er kraftlos und beugte sich wieder über seine Papiere.
In der Mittagspause sah ich ihn nicht in der Kantine. Mölders berichtete mir gutgelaunt den Büroklatsch, den ich verpasst hatte.
„Korndörfer ist vor drei Tagen gestorben. Ganz überraschend. Der Chef sucht schon nach Ersatz.“
„Aber ich habe ihn doch vorhin noch gesehen“, antwortete ich überrascht.
„Da musst du dich getäuscht haben. Morgen ist die Beerdigung. Das Büro steht leer.“
„Bist du sicher?“ fragte ich ihn.
Alle am Tisch lachten. „Unser Frankyboy sieht schon Gespenster.“
Nach dem Essen ging ich wieder zu Korndörfer ins Büro.
Er schien sich in Schatten aufzulösen, ich erkannte kaum seine Gesichtszüge.
„Mensch, Sebastian“, sagte ich zu ihm. „In der Kantine erzählen sie üble Geschichten über dich.“
Er verzog das Gesicht zu einem schiefen Lächeln. Jedenfalls glaubte ich das. Ich stand an der Tür und sah in die Finsternis dieser Grotte. Heute würde es nicht mehr hell werden, so viel stand fest. Erst jetzt bemerkte ich, dass Korndörfer seinen Computer nicht eingeschaltet hatte.
„Bis später“, sagte ich zum Abschied.
Ich hörte nur ein gruseliges Seufzen. Mir wurde kalt.
Am nächsten Tag waren wir alle auf seiner Beerdigung.
Baaba Maal & Mansour Seck - Muudo Hormo. https://www.youtube.com/watch?v=15LSAGdHOv8

Montag, 11. Juli 2016

Unter Zombies 1

„Da steht man in der Mittagspause im Anzug mit einer Flasche Gin im Schnapsladen und fragt sich, ob der Penner neben einem glücklicher ist.“ (Horst Hutzel)
Ich kann keine Geschichte über sie erzählen, ich kann sie nur beschreiben. Wäre ich ein Maler, würde ich eine Skizze anfertigen, während sie mir gegenüber sitzt und spricht.
Sie ist weit über fünfzig, dünn und braungebrannt. Es ist das Braun eines alten Ledersattels und sie verdankt ihre Gesichtsfarbe nicht der Sonne. Ihre dunkelblauen Augen liegen in tiefen Höhlen und ihre Zähne leuchten im Kontrast zu ihrer Haut unnatürlich weiß. Sie trägt einen Morgenmantel aus dunkelroter Seide und zierliche Pantoffeln.
Ihr Mann ist Rechtsanwalt, aber die Praxis ist im Niedergang begriffen. Sie macht sich Sorgen um die Zukunft. Sorgen, ob sie den Lebensstil noch halten können. Die Putzfrau, die Reisen, die Restaurantbesuche.
Jetzt sitzt sie vor mir, in einem Sessel, und hält ein Glas Champagner in ihrer Hand. In der anderen Hand glimmt eine Zigarette. Sie fragt sich ernsthaft, ob ihr einmal Altersarmut drohen wird. Und ich höre ihrem traurigen Monolog zu.
Sie lebt mit ihrem Mann in einer Stadtvilla aus dem 19. Jahrhundert, die von alten Bäumen umstanden ist. Er bewohnt das untere Stockwerk, sie bewohnt das obere Stockwerk. Im mittleren Stockwerk sind die Küche, das Wohnzimmer und das Esszimmer.
Sie ist ein Zierfisch, eine Orchidee auf der Fensterbank. Voller Selbstmitleid, voller Erinnerungen an bessere Zeiten. Sie wollte nie Kinder haben und sie hatte nie Kinder. Sie wollte nie arbeiten und sie hat nie gearbeitet. Mit fünfundzwanzig saß sie in einem Zugabteil erster Klasse und draußen rauschte das Leben vorbei.
Die Szene ist Realsatire. Man müsste nichts tun, nur die Kamera einschalten. Loriot wäre begeistert gewesen. Oder Gerhard Polt. Man kann es nicht besser machen: Die braungebrannte Gattin des Rechtsanwalts, die mit einem Glas Champagner in der Hand in ihrer Villa in Wiesbaden über Altersarmut spricht.
Es ist keine Geschichte, es ist nur eine Miniatur. Das deutsche Bürgertum in der Abenddämmerung der Dekadenz.
The Rolling Stones - Paint It Black. https://www.youtube.com/watch?v=O4irXQhgMqg

Samstag, 9. Juli 2016

Auf dem Kriegspfad

„Gröhlende Terrorpunker jagen weinende Polizisten durch die Straßen!" (Gerhard Seyfried: Flucht aus Berlin)
Möglicherweise waren Politiker vor einigen Jahrzehnten klüger. Haben mal über die Gesamtsituation nachgedacht. Über die ferne Zukunft, in zehn Jahren oder so. Vielleicht haben sie nicht wie Eidechsen auf das Wetter reagiert, sondern chillten beim Bier und kamen am späten Abend auf irgendeine Idee, die sie nicht von ihrem Chef, von Twitter oder den Abendnachrichten hatten. Keine Ahnung – vielleicht liege ich auch komplett falsch.
Jedenfalls hat man in Berlin den Stadtindianern, den Menschen, die keinerlei Bock auf Anpassung und Geschleime haben, ihren Freiraum gelassen. Die Stadtindianer, ob wir sie nun Hippies oder Gammler, 68er oder Studenten, Körnerfresser oder Friedensapostel, Anarchisten oder Sozialisten nennen, hatten immer ihren Platz in der Gesellschaft. Es waren nur Reservate, die ihnen großzügig zugewiesen wurden. Nicht viel, ein paar Kulturzentren, selbstbestimmte Projekte mit Senatszuschüssen, selbstverwaltete Häuser. Im Grunde genommen sogar sehr wenig. Aber man hat ihnen ihre Würde gelassen.
Der Berliner Senat, das sehen wir derzeit in der Rigaer Straße 94, das sahen wir in der Liebigstraße 14, wirft diese kluge Strategie der Befriedung der Stadtindianer über Bord. Und muss sich darum nicht wundern, dass die Indianer in diesem Sommer das Kriegsbeil ausgegraben haben und auf dem Kriegspfad sind. Frühere Regierungen in Berlin waren schlauer. Die doofen Flughafenbauer um Müller-Hohlschlumpf müssen es noch lernen.
In Berlin wird es immer Indianer geben, es ist das größte Indianerreservat der Republik. Wer sie vertreiben oder gar ausrotten will, sollte an General Custers Niederlage am Little Bighorn denken.
Und das sind die Fakten:
Sozialromantisch bewegte junge Menschen und ein ehemals besetztes Haus in Berlin („Autonome“), ein Briefkastenfirma auf den Virgin Islands als Besitzer der Immobilie, dessen Erdgeschoss - bisher eine illegale Kneipe der „Szene“ – vermietet werden soll („Heuschrecke“), ein CDU-Innensenator, der sich im aktuellen Wahlkampf als harter Hund profilieren möchte und Tausende von Polizisten in Bewegung setzt („Schweinesystem“), Medien, die nach EM und Brexit das Sommerloch fürchten und die Story begierig aufgreifen („Schreibknechte des Konzernkapitalismus“) – fertig ist die Mischung für einen heißen Juli in der Hauptstadt.
Joy Division – She’s Lost Control. https://www.youtube.com/watch?v=ZGMDBppWBOo
https://web.archive.org/web/20160709132059/https://linksunten.indymedia.org/de/node/184560

Freitag, 8. Juli 2016

Udo Blei

„Es ist eine üble Ausgeburt von Tag, die ihre ganzen Kräfte bündelt.“ (Kiezneurotiker)
Er steckte zwar nicht bis zum Hals in der Scheiße, aber bis zum Hals in dieser grauenhaften dunkelgrauen Bürouniform. Er lief die Schönhauser Allee hinunter. Es war Mittagszeit, der Bürgersteig war voller Menschen. Touristen, Studenten, Mütter – Menschen mit Zeit. Aber er hatte nur fünfundvierzig Minuten Mittagspause, also war er auf dem Weg zum „Lamponi“, einem Italiener, der ein Lunchangebot hatte: „Menü mit zwei Gängen, Softdrink, Espresso für neun Euro. Wir servieren das Essen in weniger als fünfzehn Minuten. Garantiert!“
Er wusste nicht, dass seine Frau gerade in diesem Augenblick an ihn dachte. „Er sieht in letzter Zeit nicht gut aus. Ich sehe es doch: Er macht sich Sorgen. Ich kann es spüren. Er ist abends immer so unkonzentriert. Diese Umstrukturierung in seiner Firma macht ihm zu schaffen. Wenn seine Abteilung mit einer anderen Abteilung zusammengelegt wird, werden sicher Köpfe rollen. Sonst würden sie es ja nicht machen, wenn man nicht irgendwo sparen könnte. Ständig schicken sie ihn auf Dienstreisen, während sich die Kollegen beim Chef beliebt machen können.“
Ein Obdachloser, der vor einem Supermarkt saß, sah ihn an und dachte: „Der feine Pinkel. Der hat’s eilig. Der hat zu tun. Hör mir doch auf. Der sieht so ernst aus, dabei müsste er lachen. Er hat die Taschen voller Geld. Der Mann hat keine Sorgen. Der kann sich kaufen, was er will. Wenn er eine Flasche Schnaps will, geht er einfach in den Laden und kauft sich eine. Diese Typen gehen jeden Tag ins Restaurant und zu Hause wartet eine Frau auf sie. Schicke Wohnung. Der sieht nicht so aus, als ob er Miete zahlen müsste. Aber Leute wie mich guckt der nicht mal mit dem Arsch an.“
Boris, ein alter Schulfreund von Udo Blei, dachte auch gerade an ihn: „Mensch, seit der Kerl Familie hat, sehe ich ihn kaum noch. Vielleicht hat er am Wochenende ja Lust, mal ein bisschen um die Häuser zu ziehen? Ute wird es nichts ausmachen, die lädt sich ein paar Freundinnen ein. Mädelsabend, Schampus. Die ist froh, wenn sie mich nicht sieht. Sie hat doch sowieso nur noch Augen für unser Baby. Im Königreich Lea gibt es weder Tag noch Nacht, keine Demokratie, keine Vierzig-Stunden-Woche, keine Pausen. Außerdem habe ich hier in der Kanzlei so viel um die Ohren … - wir besaufen uns bis zum Pupillenstillstand. Ziehen uns nachts eine Currywurst rein – das letzte Bier auf einer Parkbank im Tiergarten, wie früher!“
Eine Rentnerin sah Blei, wie er ein Restaurant betrat. „Ja, die jungen Leute“, dachte sie. „Die denken nicht an morgen, die wissen gar nicht wie das ist, wenn man alt wird. Mein Mann hat früher seine Stullen und seine Thermoskanne mit auf die Arbeit genommen, aber heutzutage sind die Leute ja zu faul, sich selbst ein Brot zu schmieren. Da kaufen sie die teuren belegten Brötchen beim Bäcker und Kaffee für fünf Euro. Für das Geld bekomme ich ein ganzes Brot und ein Pfund Kaffee. Aber so denken die nicht. Die denken nicht an später. Unsereins muss sehen, wie man über die Runden kommt. Wir haben noch gelernt, wie man mit dem Geld umgehen muss. Nach dem Krieg hatten wir ja nichts.“
Die Praktikantin dachte an ihren Ausbilder, während sie die Kostenvoranschläge für das Meeting am Nachmittag kopierte. „Der Udo ist ein netter Kerl. Schade, dass er verheiratet ist. Hat mich gleich vor dem Schwein in der Buchhaltung gewarnt, der hinter allem her ist, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Hat mich nach einer Woche von der Zicke im Abteilungssekretariat und diesem Wichtigkeitskasper von Chef abgezogen. Da wäre ich ja wahnsinnig geworden! Mit Udo kann man reden. Der interessiert sich auch nicht für Fußball, Börse oder den anderen Männerscheiß. Mit dem würde ich gerne mal abends einen trinken gehen. Aber ich kann ihn natürlich nicht darauf anquatschen. Vielleicht kommt er ja von selber drauf?“
Der albanische Wirt des Lokals sah ihn durch die Tür kommen. „Dienstag“, dachte er. „Und natürlich kommt dieser Bürohengst pünktlich um zwölf Uhr zehn durch die Tür, nimmt wie immer die Tagessuppe, das Tagesgericht und ein stilles Wasser. Jeden Dienstag das gleiche Ritual. Wird sich sein Leben je ändern? Wird sich mein Leben je ändern? Er ist in einem Tunnel, der abwesende Blick. Nichts in meinem Lokal interessiert ihn wirklich. Ob er weiß, dass Lamponi das italienische Wort für Himbeeren ist?“
Sein Sohn saß auf dem Boden des Spielzimmers in der Waldorf-Kita. „Heute Abend kommt Papa heim und dann spielen wir Lego. Das hat er versprochen. Mein Papa ist ganz wichtig. Der muss viele Reisen machen. Und an meinem Geburtstag bekomme ich endlich das Fahrrad. Ein rotes Fahrrad.“
„Dieser Blei“, dachte sein Vorgesetzter, als er am Schreibtisch das Sandwich auspackte, das ihm seine Sekretärin im Feinkostladen geholt hatte. „Was mache ich mit diesem Blei? Der Mann ist gut. Sicher. Aber das sind sie alle. Keine Fehlzeiten. Keine Beschwerden von den Kunden. Und Gerhardt kann ich nicht feuern, das ist der Cousin der Vorstandsassistentin. Das fällt negativ auf mich zurück. Blei ist noch keine vierzig. Der wird es schaffen, wenn ich ihn entlasse. Der findet schon wieder was. Arbeitslosigkeit ist doch gar kein Problem heutzutage. Ich sage nur Fachkräftemangel. Liest man immer wieder. Ich werde Blei feuern. Aber ich sage es ihm erst am Freitag.“
John Watts - Interference. https://www.youtube.com/watch?v=gtKwbv6_5Wo

Sonntag, 3. Juli 2016

Als die Toten ihren freien Tag hatten

„O Glück, unvorstellbares Glück zurückgezogener, gemächlicher Arbeit, bei der man träumen und dummes Zeug nicht nur denken, sondern sogar schreiben kann.“ (Iwan Sergejewitsch Turgenjew)

Als die Toten ihren freien Tag hatten
Sang David Bowie in der U-Bahn
Und Prince begleitete ihn auf der Gitarre

Als die Toten ihren freien Tag hatten
Saßen Arendt und Adorno in einem Kaffeehaus
Und diskutierten über Menschlichkeit

Als die Toten ihren freien Tag hatten
Trank ich mit Humphrey Bogart Whisky
Den James Dean uns einschenkte

Als die Toten ihren freien Tag hatten
Schrieb Kafka einen Brief an Felice
Und Shakespeare ein Sonett

Als die Toten ihren freien Tag hatten
Lag Diogenes in der Sonne
Während ich Steine über das Wasser tanzen ließ

An diesem Tag öffnete ich meine Augen
Und sah die Einöde
In der wir leben

Nina Hagen Band – Auf’m Friedhof. https://www.youtube.com/watch?v=mz91Z2aRJfs

Samstag, 2. Juli 2016

+39

„Der Wein erquickt den Menschen das Leben. Und was ist Leben, da kein Wein ist? Der Wein ist geschaffen, damit er den Menschen fröhlich machen soll.“ (Sirach 31, Vers 32)
„Piùtrentanove“, +39, ist die internationale Vorwahl von Italien. Es ist aber auch mein aktueller Lieblingsitaliener. Es liegt an der Ecke Kreuzbergstraße / Möckernstraße und von den Sitzplätzen vor dem Lokal hat man eine sehr entspannende Aussicht auf den Viktoria-Park. Der deprimierende Birkenstock-Boulevard namens Bergmannstraße ist nur wenige hundert Meter entfernt, aber glücklicherweise verirren sich nicht allzu viele Touristen auf diese Seite des Mehringdamms. Auf dem Hipster-Ku’damm bleiben sie meistens unter sich. Obwohl es auf dieser Straße drei ausgezeichnete Italiener gibt: die Osteria No. 1, das Ristorante Primavera und eben das +39.
Während ich auf die Dame warte, die mir beim Essen Gesellschaft leisten wird, habe ich bereits ein Glas Prosecco bestellt. Der aufmerksame Kellner hat mir ein wenig frisches Brot und einen kleinen Teller gebracht. Ich träufele etwas Olivenöl auf den Teller und würze es mit frischem Pfeffer. Dann tunke ich genüsslich kleine Brocken Brot hinein und esse es. Sehr gemächlich, denn ich habe – wie immer – viel Zeit. Die Verabredung zum Mittagessen ist mein einziger Termin heute. Mit einem Termin pro Tag ist die Grenze meiner Verplanung von Zeit erreicht. Das hat den Vorteil, dass es zu keinen Überschneidungen oder zu hektischen Aufbrüchen kommen kann.
Am Nachbartisch sitzt eine italienische Familie mit zwei Kindern. Ich erkenne es an den teuren Schuhen und der eleganten Kleidung. Italiener sehen immer gut aus, wenn sie essen gehen. Deutsche in ihrer Freizeit sehen immer aus wie eine Mischung aus Nanga-Parbat-Expedition und Kinderzimmer. Verwaschene Tarnfarben oder eine Farbexplosion, bei der man sofort Augentinnitus bekommt – dazwischen scheint es nichts zu geben.
Ich beobachte den Pizzabäcker, der mit einem langen Schieber die belegten Teigfladen in den Steinoffen schiebt. Man kann ihm vom Vorraum bequem bei der Arbeit zuschauen. Den Koch sieht man nie. Beide Berufe haben auch nichts miteinander zu tun. Der Pizzabäcker kocht nicht und der Koch backt nicht. Zwei verschiedene Berufe, zwei Arbeitsplätze. Ein teutonischer Effizienzfanatiker hätte diese Tradition längst beerdigt, um den Gewinn des Lokals zu steigern.
Zwei junge Deutsche betreten das Lokal und setzen sich zwei Tische weiter. Sie bestellen Pizza und Bier, dann versinken sie stumm in die Welt ihrer schlauen Telefone. Die Dame, die ich erwarte, kommt herein. Wir begrüßen uns mit einer Umarmung und setzen uns. Es gibt viel zu erzählen. Sie bestellt einen Cappuccino, als der Kellner sie begrüßt, und wir studieren die Speisekarte. Ich entscheide mich für Spaghetti mit Knoblauch und Venusmuscheln, sie wählt einen Fenchelsalat mit Orangenfilets und Ziegenkäse. Außerdem bestelle ich Grillo, einen fruchtigen sizilianischen Weißwein.
Währenddessen ist die Pizza bei den Deutschen angekommen. Ich habe noch nie Menschen gesehen, die so schnell essen. Möglicherweise sind sie auf der Flucht. Aber die Pizza ist riesig. Sehr dünn, sehr knusprig, sehr lecker. Doch sie hat den Durchmesser eines kleinen Autoreifens. Der Anblick dieser Pizza flößt mir jedes Mal Respekt ein. Hat man sie vor sich, sinkt einem erst mal das Herz in die Hose. In ihrem verbissenen Kampf werden die jungen Deutschen müde und erlahmen schließlich. Sie picken den Belag am Ende zusammen und lassen einen Teil des Pizzabodens auf dem Teller liegen. Augenblicklich verlangen sie die Rechnung und sind bald verschwunden.
Die Dame und ich plaudern angeregt über Familiäres und Kulturelles, als unsere Gerichte kommen. Ohne unsere Unterhaltung zu unterbrechen, schmausen wir und versuchen gegenseitig unsere Bestellungen. Ein Ehepaar aus den USA, wie immer etwas zu laut und zu offensiv, setzt sich in unsere Nähe. Sie bestellen Pizza und Bier. Als wir den ersten Gang abschließen, bekommen die Amerikaner ihre beiden Pizzas. Sie schlingen sie hinunter wie Hunde. Schweigend, ohne den Blick zu heben, als ob sie Angst hätten, man würde ihnen den Teller entreißen. Als wir den nächsten Gang bestellen, sind sie bereits mit dem Essen fertig und bezahlen, während die leeren Teller noch vor ihnen stehen.
Die Dame und ich bestellen gemeinsam eine Pizza „+39“ mit leckeren Auberginen (mein Ding), Ziegenkäse (ihr Ding), Cherrytomaten und Basilikum. Kein Problem, sie wird geteilt und auf zwei Tellern serviert. In der Zwischenzeit sind ein paar Männer in Anzügen eingetreten. Offenbar haben sie Mittagspause. Sie bestellen Pizza und Apfelsaftschorle. Sie bekommen ihr Essen etwa zur gleichen Zeit wie wir, aber sie brauchen für eine ganze Pizza solange wie wir für unsere halbe. Ich staune über die Hochgeschwindigkeitsesser in dieser Stadt.
Zum Abschluss nehmen wir, wie so oft, das Dessert misto per due. All die leckeren Schweinereien wie Panna Cotta oder Tiramisu in kleinen Portionen auf einer großen Platte. Eine Sensation. Der krönende Abschluss eines ausgedehnten Essens. Am Ende gebe ich zwei Espressi in Auftrag und verlange nach der Rechnung. In alter Gewohnheit bekomme ich noch einen Grappa aufs Haus, während die Dame wieder ins Büro muss und daher auf den Alkohol verzichtet.
Neunzig Minuten habe ich in diesem Lokal gesessen, sehr gut gegessen und mich sehr gut unterhalten. Außerdem habe ich mich köstlich über meine Mitmenschen amüsiert und einiges über ihr Verhalten gelernt.
Wizzard - See My Baby Jive. https://www.youtube.com/watch?v=uHNdQJPmTRU

Freitag, 1. Juli 2016

Martyna

„Mach dir keine Sorgen – alles wird vergebens gewesen sein – wie bei allen Menschen vor dir. Eine völlig normale Geschichte.“ (Marlen Haushofer)
Es ist Samstagnacht. Ich war bei einem netten schwulen Pärchen, das mit etlichen alten DDR-Kadern, darunter einem Stasi-General, in einem Hochhaus in Mitte wohnt, nur ein paar hundert Meter vom Alex entfernt.
Ich steige hinab in die Katakomben des BVG-Universums. Neben dem geschlossenen Kiosk sehe ich eine junge Frau, die von drei Männern in schwarzen Lederjacken umgeben ist.
Die Jungs sind betrunken und sie belästigen die Frau.
Ich schlendere seelenruhig weiter. Die Männer bemerken mich nicht.
Als ich nur noch zehn Meter von der bedrückenden Szenerie entfernt bin, wirft mir die Frau einen ängstlichen Blick zu.
Ich habe etliche Gläser Wein betrunken und beginne zu improvisieren. In solchen Momenten laufe ich zu großer Form auf.
„Hey, Tanja!“ rufe ich überschwänglich. Ich strahle wie ein Lotteriegewinner und breite die Arme aus. „Was machst du denn hier?“
Sie braucht nur Bruchteile einer Sekunde, um alles zu verstehen. „Mensch, Frank. Wir haben uns ja eine Ewigkeit nicht mehr gesehen.“
Sie lacht erleichtert und schon habe ich sie im Arm. Küsschen links, Küsschen rechts. In die Luft. Wie echte Freunde.
Die Jungs sind erstmal irritiert. Ihre Rechner laufen mit der Geschwindigkeit eines Commodore 64. Sie werden noch einige Augenblicke brauchen, um die Veränderung einzusortieren. Ich bin wild entschlossen, diese Zeit zu nutzen.
„Menschenskind, Tina, du willst doch jetzt nicht nach Hause gehen? Ich kenne eine extrem entspannte Cocktailbar hier in der Nähe. Was hälst du davon, wenn wir noch einen Absacker nehmen? Wir haben uns ja ewig nicht mehr gesehen.“
„Du hast recht. Einer geht noch. Bist du immer noch an der Uni?“
Als wir wieder an der Erdoberfläche sind, gehen wir zu Taxistand.
Wir steigen in den Wagen und ich frage sie nach ihrer Adresse.
„Brunnenstraße 164“.
Der Taxifahrer fährt los. Wir schweigen eine Weile. Mir geht die Szene durch den Kopf, ihr wird es nicht anders gehen.
„Danke.“ Eins der schönsten Wörter, wenn ein Mensch es aufrichtig meint. Eins der hässlichsten Wörter, wenn man angelogen wird. Dieser Dank landet in meinen Top Ten.
„Keine Ursache. Aber irgendwas musste ich ja machen – und Kampfsport gehört nicht zu meinen Stärken. Mehr als eine Siegerurkunde bei den Bundesjugendspielen habe ich nicht vorzuweisen.“
„Kann ich dich noch auf ein Bier einladen?“
„Das ist nett von dir. Aber ich bin müde. Werde die Biege machen Richtung Heimat.“
„Sagst du mir noch deinen richtigen Namen?“
„Elvis. Mein Name ist ganz einfach Elvis. Und wie heißt du?“
Sie lacht so laut, dass sie sich verschluckt und husten muss. „Marylin. Ich bin aus Krakau.“
„Schöne Stadt. Ich bin mal dagewesen.“
Sie sieht mir lange in die Augen.
„Georg.“
„Martyna.“
Das Taxi hält.
Wir haben uns angelächelt und nie mehr wieder gesehen.
Ich hoffe, es geht ihr gut.
Joy Division – Ceremony. https://www.youtube.com/watch?v=2zPIod2wjYE