Freitag, 25. Dezember 2015
Berliner Asche, Kapitel 2, Szene 8
Der könnte auch einen Massagesalon für Spitzmäuse eröffnen, dachte Leber, als er seinen Assistenten beobachtete, der behutsam den Bildschirm seines Smartphones kraulte. Laschka war permanent erreichbar. Kollegen berichteten, während Gesprächen mit ihm sogar schon die Toilettenspülung gehört zu haben.
Der Kommissar und sein Assistent saßen in ihrem Büro. LKA 1, Keithstraße 30 in Mitte, Nähe KaDeWe. Auch die Kollegen vom 1. Brandkommissariat saßen in diesem Gebäude.
Leber hing in seinem Drehsessel und versuchte sich vorzustellen, was der Täter für ein Typ sein könnte. Er hatte zwar keinerlei innerbehördliche Weiterbildung in Sachen Profiling genossen, aber er verfügte über genug Lebenserfahrung – seine Frau bezeichnete sie oft als Ansammlung verstaubter Vorurteile -, um sich ein vages Bild vom Brandstifter zu machen. Wenn es stimmte, dass die Taten politisch motiviert waren, dass der Täter „die Gesellschaft verändern“ wolle, wie es früher immer so schön hieß, dann konnte es nur ein Deutscher sein. Nur Deutsche dachten so kompliziert und um so viele Ecken, Migranten dachten wesentlich pragmatischer. Der deutsche Idealismus, das schwermütige Erbe von Marx und Hegel. Sehr deutsch, eine solche Brandserie. Da gibt es Leute, die bringen den S-Bahn-Verkehr durch einen Anschlag zum Stillstand, nur weil die Bahn auch Sachen von der Bundeswehr transportiert und damit den teutonisch-kapitalistischen Krieg gegen die Dritte Welt unterstützt. Sicher gibt es auch Leute, die keine Pistazien mehr essen, weil sie aus dem Iran geliefert werden und der Iran vielleicht die Taliban in Afghanistan unterstützt. Dann würde man ja mit jeder Pistazie die Gefahr deutscher Soldaten im Ausland erhöhen, also lässt man sie bei Aldi jetzt links liegen. Also: ein Deutscher. Dann ist es jemand, der jede Nacht mopsfidel mit dem Fahrrad unterwegs ist. Damit scheiden ältere Menschen und unsportliche Typen wie ich schon mal aus, dachte Leber weiter. Ein junger Deutscher, vermutlich ein Mann. Denn Männer neigen zur Tat und zur sinnlosen Beharrlichkeit, Frauen sind in der Regel vernünftiger und flexibler. Diese verbohrte Pedanterie und diese Energie – es musste sich um einen jungen Mann zwischen zwanzig und dreißig handeln, zugleich ideologisch verbohrt und sportlich. Vermutlich aus Westdeutschland und nicht aus dem Osten, denn die jungen Ostdeutschen neigten im Zweifelsfall eher zum Rechtsextremismus. Ein junger deutscher Radfahrer mit linksdrehenden Joghurtkulturen in der Birne, er wohnte vielleicht in Friedrichshain oder Neukölln, aber der angespannte Wohnungsmarkt hatte ihn vielleicht auch in eine andere Ecke der Stadt gespült. Aber Leber konnte sich nicht vorstellen, dass es ein gebürtiger Berliner aus den kleinstädtischen Siedlungen am Stadtrand war. Sein umfangreicher Bauch und sein ebenso großer Lokalpatriotismus sagten ihm, dass es sich um einen Zugereisten handeln musste. Wie viele Typen dieser Art gab es in der Innenstadt? Hunderttausend? Dann kamen immerhin schon mal gut drei Millionen Leute in dieser Stadt nicht in Frage. Leber beschloss, mit dem Denken zu pausieren und etwas zu essen. Vielleicht würde er bei Mardo im Brunnenviertel ein paar neue Anregungen bekommen. Er hatte eine SMS erhalten, der Privatdetektiv war unter die Gastronomen gegangen. In Berlin musste man sehen, wo man blieb. Hauptsache, der Schornstein qualmt.
Leber betrachtete wieder misstrauisch seinen Assistenten, dann sagte er: „Es ist ja eigentlich eine Ironie, dass auch die Linken, diese Multikulti-Internationalisten der ersten Stunde, inzwischen Angst vor Überfremdung haben. Nur heißt es nicht wie im rechten Lager ‚Ausländer raus’, sondern ‚Schwaben raus’. Eigentlich sind beide Arten von Extremismus gleich, es geht diesen Leuten um erzkonservative Besitzstandswahrung. Die einen wollen ihren arischen Bratwurstmuff, die anderen ihr versifftes Szene-Ghetto. Fremde stören da nur, überhaupt jede Form von Veränderung. Der Berliner Kiez neigt traditionell zur Verspießerung und vorzeitigen Traditionsbildung, mein lieber Laschka. Wenn irgendwas mal drei Jahre da ist, soll sich nie wieder was ändern.“
„Sie gehen von einem linksextremistischen Hintergrund aus?“ fragte Laschka brav. „Dann müsste sich doch eigentlich der Verfassungsschutz um die Sache kümmern.“
„Ja, die sitzen vermutlich schon in den Startlöchern. Dabei finden die doch nicht mal ihren eigenen Arsch, wenn eine Glocke dranhängt.“ Damit meinte der Kommissar die lieben Kollegen vom Polizeilichen Staatsschutz, LKA 5, die am Tempelhofer Damm 12, gegenüber des geschlossenen Flughafens Tempelhof, auf die Feinde unserer Grundordnung lauerten.
Leber schüttelte den Kopf und verzog den Mund. „Politische Extremisten von links und rechts, Kriminelle und Spekulanten aus aller Welt stellen diese Stadt jeden Tag auf die Probe. Die springen auf der alten Tante Berlin herum wie Kinder auf einem Sperrmüllsofa. Aber sie kriegen uns nicht kaputt, das halten wir aus. Deswegen geben wir sicher nicht auf, Berlin hat schon ganz andere Zeiten überstanden. Immer tapfer den Rotz hochziehen.“
Der Kommissar verstand die jungen Leute, die gegen den erbarmungslosen Casinokapitalismus demonstrierten, der aus jeder Bankfiliale in der Provinz ein internationales Wettbüro gemacht hatte. Er begriff das moderne Finanz- und Wirtschaftsleben nicht, er sah nur, wie schnell sich Arbeit und Technik veränderten, ohne dass irgendetwas besser oder wenigstens anders wurde. Der Lebensstandard blieb immer gleich, nur das Tempo und die Angst nahmen zu. Früher, in den siebziger Jahren, war der Kommissar als junger Mann auch mal gegen den Kapitalismus gewesen. Um ein Haar wäre er den Jusos beigetreten. Heute war ihm das peinlich, denn der Kapitalismus der Siebziger wirkte heute so gemütlich: mit Helmut Schmidt, Vollbeschäftigung und harmlosen kleinen Sparkassen, von denen keine globale Gefahr ausging. Allenfalls psychologische Petitessen wie Entfremdung oder gelegentliche Ausbeutungsbefindlichkeiten waren kritisch anzumerken, alles in allem nichts gegen den Kapitalismus, mit dem es die heutige Jugend zu tun hatte. Leber war froh, Beamter auf Lebenszeit zu sein und das alles nicht mehr begreifen zu müssen.
Er sah zu seinem Assistenten hinüber. Laschka betrachtete schweigend das Smartphone in seiner Hand. Leber wusste nicht, ob sein junger Kollege gerade beruflich oder privat beschäftigt war oder ob er einfach nur vor sich hin döste und seinen Chef verarschte. Verdammte neue Technik!
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen