Mittwoch, 30. Dezember 2015
Berliner Asche, Kapitel 6, Szene 1
Es war später Vormittag und bereits jetzt musste ein Sonnenschirm die beiden Männer vor der gleißenden Sonne schützen.
„Siehst du, Dimitri. In Zehlendorf residiert man, in Pankow wohnt man und im Wedding haust man.“
Gruschenko entblößte sein teures Gebiss und sah zu seinem Gefolgsmann hinüber. Der Berliner Südwesten war auf charmante Weise überaltert. Hier kamen drei Beerdigungsinstitute und fünf Apotheken auf einen Spielzeugladen. Wenige Meter unter ihnen schob ein dürres altes Männlein seinen Rollator in Zeitlupe über den Bürgersteig. Einige schlohweiße Haarbüschel umwehten seinen Kopf wie Wolkenfetzen.
Dimitri saß in T-Shirt und Jogginghose am Frühstückstisch. Die Wunde am Oberarm war von einem Arzt ihres Vertrauens fachmännisch desinfiziert, mit fünf Stichen genäht und verbunden worden. Kollege Andrej traf sich in Köpenick gerade mit einem polnischen Lieferanten, der eine Ladung Partypillen aus einem Warschauer Labor brachte.
Die Altbauwohnung am Mexikoplatz lag in einem ruhigen Teil der Stadt und war dennoch verkehrsgünstig gelegen. In die Penthouse-Wohnung am Solonplatz in Weißensee konnten sie nicht mehr zurück, sie war zu heiß geworden. Die Scheiben waren zerschossen, die Möbel und Wände zersiebt. Außerdem hatte die Polizei alles gründlich unter die Lupe genommen und auf dem Dach die Waffen der Angreifer gefunden.
Ob Nazis oder Maximum – Gruschenko brauchte Abstand, um seine Geschäfte in Ruhe weiterführen zu können. Über den Mietvertrag würden sie nicht an ihn herankommen, der lief über eine Briefkastenfirma. Und aus dem Bordell war er als einfacher Kunde heraus spaziert, als die Polizei gekommen war. Offiziell hatte das „Chez Boris“ nichts mit der eleganten Wohnung auf dem Dach des Gebäudes zu tun. Ein separater Aufzug führte von der Penthouse-Wohnung auf den Hinterhof – und wenn man auf den Alarmknopf drückte, fuhr er hinab in den Keller, wo ein Versteck für Notfälle eingerichtet war, das von den restlichen Kellerräumen nicht zu erreichen war. Hier hatten der verletzte Dimitri und Andrej ausgeharrt, solange die Polizei noch im Gebäude war. Andrej hatte seinem Kollegen einen provisorischen Verband angelegt, um die Blutung zu stillen. Zum Glück war es nur eine Fleischwunde. Wodka und Schmerztabletten halfen Dimitri bis zum Morgengrauen.
Gruschenko nippte an seinem Tee und sagte: „Was denken sich diese Scheißdeutschen eigentlich, wie sie uns behandeln können? Sie versuchen uns, bei dieser Immobiliengeschichte übers Ohr zu hauen. Verkaufen uns eine Etage für fünftausend Euro den Quadratmeter und bauen dabei auf Sand. Sind wir Idioten, nur weil wir nicht in diesem Land geboren wurden? Kann man uns mit Lügen hinhalten, als wären wir kleine Kinder? Und dann werden diese Ratten auch noch frech und schicken uns ihre gesammelten Dilettanten auf den Hals! Wir machen die Drecksarbeit in dieser Stadt, wir versorgen dieses hochnäsige selbstgefällige Pack mit Drogen und Nutten. Aber wenn es um ein ehrliches Geschäft geht, dann glauben sie, uns verarschen zu können.“
Dimitri nickte grimmig. „Niemand zockt uns ab, sonst nimmt uns in dieser Stadt keiner mehr ernst“.
„Ganz richtig, Dimitri. Der Respekt vor uns ist unser größtes Kapital. Der schiefe Turm von Pankow – einfach lächerlich.“ Gruschenko verschwieg, dass er außerdem einer sehr teuren Ex-Frau Unterhalt zahlen musste und eine Tochter in einem exklusiven Schweizer Internat untergebracht hatte.
Dimitri nickte und fragte: „Was sollen wir jetzt machen, Boss? Die Bullen sind immer noch an den Maximum-Leuten dran. Im Augenblick wäre das zu gefährlich.“
„Wir warten ab. Das Geld haben wir ja wieder. In einem halben Jahr, wenn keiner mehr daran denkt, wirst du diese Schlampe liquidieren. Wie heißt sie noch mal?“
„Marion Sutter.“
„Genau, dieses miese Drecksstück. Und den alten Sack, den Gehilfen von Altmann, den erledigst du gleich mit.“ Gruschenko lächelte breit.
„Verstanden.“
„Wir reden im Winter darüber. Jetzt muss erstmal Gras über die Sache wachsen. Und wenn diese Nazi-Lümmel noch mal auftauchen sollten, werden sie lernen, was es heißt, gegen uns Krieg zu führen.“
Dimitri lachte: „Den Nazis haben wir in Berlin doch schon 1945 den Arsch versohlt. Wir werden ihnen ihre Lektion mit Eisenstangen einprügeln, wenn es sein muss.“
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen