Donnerstag, 17. Dezember 2015

Herbstspaziergang

„Der alte Walker Dingle schlenderte nach Sonnenaufgang gemächlich durch die leeren Straßen von Storyville, einsam und tot wie ein Karussellpferd. Seine Augen waren teefarben wie der Whisky, den er jede Nacht trank. Es heißt, er lebe von seinem Vorstellungsvermögen.“ (Johnny Malta: Wege ohne Worte)
Der alte Bahnhof steht schon lange leer. Hier kommt kein Zug mehr vorbei. Die große Frontscheibe der Bahnhofskneipe ist blind geworden. Ein Traum, der auf die Nacht wartet. Hier ist es so einsam, dass noch nicht einmal die Scheiben eingeworfen sind, denke ich, und erinnere mich an die Zeiten, als hier bis spät in der Nacht Licht brannte, Musik spielte, als die Menschen lachten und schrien, Gläser klirrten und manchmal zwei Kerle herauskamen, um sich zu prügeln, bis sie vergessen hatten, um was es überhaupt gegangen war, und wieder hineingingen, um weiter zu saufen. Die vielen Geschichten, verweht wie der Rauch einer Zigarette. Im Schotter auf dem Weg kleine Inseln von Gestrüpp, an den Gleisen liegt uralter Müll. Leere Flaschen, zerschlissene Lumpen, verblichene Papierfetzen und ein verwitterter Schuh, der überhaupt keine Farbe mehr hat, der die trostlose Farbe der Erde angenommen hat. Rußschwarze Konservenbüchsen, in denen sich irgendwelche Tramps ihr Essen warmgemacht haben. Der Name des Ortes: schwarze Blechbuchstaben auf einem weißen Blechschild. Der Weg führt am Bahnhof vorbei in den Wald, immer an den Gleisen entlang, und er verliert sich ins Nichts, da wo die toten Gleise auf einer Brücke über den Bach führen.
P.S.: Storyville ist nicht der Ort, an den Schriftsteller nach ihrem Tod kommen, sondern das alte Vergnügungsviertel von New Orleans, wo der Jazz erfunden wurde.
Red McKenzie & His Mound City Blue Blowers - I Ain't Got Nobody. https://www.youtube.com/watch?v=JfbW5jfgmog

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