Wladimir Gruschenko blickte zufrieden auf seinen leeren Teller. Ein ganz großartiges Steak, sein Poker-Freund Mischa hatte nicht übertrieben, als er ihm den Brooklyn Beef Club in der Köpenicker Straße empfohlen hatte. Das Back-Angus-Beef aus Nebraska hatte eine krosse Oberfläche, unter dem sich das butterzarte und im Kern leuchtend rote Fleisch verbarg. Das Geheimnis der Steaks war nicht nur die hohe Fleischqualität und der professionelle Zuschnitt der Rinderfilets und Entrecotes, sondern der South-Bend-Grillofen, in dem die Steaks bei 850 Grad gebraten wurden. Dieses schlichte und elegante Restaurant mit seinen holzgetäfelten Wänden und den amerikanischen Schwarz-Weiß-Porträts, mit seinen Backsteindecken und rotbraun gestrichenen Gewölbebögen machte den bekannten Premium-Grill-Restaurants wie dem Grill Royal oder dem Wilson’s im Crown Plaza Konkurrenz, war aber von den Touristen noch nicht entdeckt, deren Ströme sich einige hundert Meter weiter zwischen dem Brandenburger Tor und dem Alexanderplatz ergossen.
Gruschenko war der Chef einer kleinen Firma, die sich mit lukrativen Geschäftsfeldern wie Prostitution, Menschenhandel, Schmuggel und Hehlerei befasste. Er war ein großer hagerer Mann mit hohen Wangenknochen, schwarzem, mit Gel streng zurück gekämmtem Haar und blauen Augen, die wütend auf seine beiden Mitarbeiter starrten. Gruschenko sah immer wütend aus, auch wenn er gar nicht wütend war. Er nippte an seinem Bordeaux, einem preisgekrönten Canon-la-Gaffeliere, und überlegte, ob er das mitternächtliche Mahl mit einem New Yorker Käsekuchen oder einem Schokoladen-Soufflé krönen sollte. Außerdem lockte noch die Whiskybar mit 150 verschiedenen Köstlichkeiten.
Während Gruschenko sich mit einem Filet Mignon und Hash browns zufrieden gegeben hatte, bearbeiteten Dimitri und Andrej immer noch das Porterhouse-Steak, das sie gemeinsam bestellt hatten. Mit 42 Unzen Gewicht (knapp 1,2 Kilogramm) und einem Preis von 110 Euro ohne Beilagen war es das Flaggschiff des Brooklyn Beef Club. Aber seine Jungs brauchten eine solide Unterlage für die Arbeit in seinen Clubs. Dimitri war Mitte zwanzig und hatte einen gewaltigen breiten Schädel, der auf ebenso gewaltigen breiten Schultern saß. Und Andrej machte einen ähnlich aufgepumpten Eindruck. Aber für diesen Eindruck zahlte Gruschenko ihnen auch einen stattlichen Lohn.
Es war kurz vor zwölf, der Club würde bald schließen. Während seine Mitarbeiter noch mit vollem Mund über ihren Tellern schwitzten, zog er sein iPhone aus der Tasche seines Jackets. Nach einigen kurzen Bewegungen seiner Fingerspitzen hielt er das Gerät an sein Ohr. Er sprach leise, aber mit klarer Aussprache. Von seinem Gesprächspartner hörte man nichts.
„Guten Abend, Frau Sutter.“
„Da bin ich anderer Meinung. Die Angelegenheit ist dringend und duldet keinerlei Aufschub.“
„Es geht um Ihren Vorgesetzten, Herrn Altmann.“
„Haben Sie sich denn gar nicht gewundert, dass er sich seit 24 Stunden nicht bei Ihnen gemeldet hat?“
„Da haben Sie falsch gedacht. Wir hatten ihn.“
„Wir haben nur ein wenig geplaudert. Sie wissen schon.“
„Genau diese Sache. Genau darum ist es gegangen.“
„Das ist Ihre Meinung. Wie Sie sich denken können, sehe ich die Sache etwas anders.“
„Wo denken Sie hin! Ich bin kein Unmensch. Aber Sie sollten nichts unternehmen, was unsere Geschäftsbeziehung weiter belastet.“
„Ja, Herr Altmann sieht das genauso.“
„Nein, Sie können nicht mit ihm sprechen.“
„Das werde ich Ihnen sagen. Sie werden …“.
„Hören Sie mir zu. Sie werden jetzt in die Möckernstraße fahren. Dort steht der Porsche Cayenne von Herrn Altmann, das Kennzeichen dürfte Ihnen ja bekannt sein. Dort finden Sie ihn.“
„Nein. Wir melden uns bei Ihnen. Und dann sprechen wir weiter.“
Dann unterbrach Gruschenko das Gespräch, steckte sein Telefon wieder ein und winkte den Kellner herbei.
„New York Cheese Cake, bitte.“
“Sehr gerne, mein Herr.”
Die unterwürfige Kreatur würde große Augen machen, wenn er später mit seiner American Express Centurion Karte aus purem Platin bezahlte.
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