Ich arbeite in der Brigade 104
und habe das Vertrauen des Volkes missbraucht. Das Studium wurde mir mit Bafög
finanziert, aber ich bin nie in eine Lehrveranstaltung gegangen. Ich habe im
Studentenwohnheim gesessen und Computerspiele gezockt. Ich war drogenabhängig:
Alkohol, Zucker, Fett. Als mein Bafög ausgelaufen ist, durfte ich in der WG in der
Küche schlafen. Ich trank Leitungswasser und ernährte mich aus
Supermarktcontainern.
Dann haben mich die Wächter
aufgegriffen. Ich wurde als Volksschädling verurteilt. Jetzt baue ich mit den
anderen Verbrechern der Brigade Autobahnen. Die vierte Spur nennen wir
Wissing-Spur. In langen Sitzungen habe ich mein antikapitalistisches Verhalten
erklären müssen. Jetzt kenne ich meine Fehler. Morgens esse ich amerikanische
Frühstücksflocken. Dazu ein Brötchen mit fingerdick Nutella. Schweinenackensteaks
sind mein täglicher Freund geworden.
Mein Brigadeleiter achtet
darauf, dass ich nicht weniger als zehntausend Kalorien am Tag zu mir nehme. Inzwischen
habe ich ein veritables Bäuchlein entwickelt. Damit werde ich auch für die
Pharmaindustrie interessant. Ich nehme Medikamente gegen Bluthochdruck und
Diabetes 2. Natürlich dusche ich auch jeden Tag zweimal. Ich dufte wie eine Rosenplantage.
Mein Gehalt gebe ich komplett für modische Klamotten und Netflix aus. Den Rest
investiere ich in die Aktienrente.
Ich bin ein guter Arbeitnehmer
und Konsument geworden, meine Zeit als nutzloser Parasit ist vorbei. Sie haben
mir den Zauber der drei Atemzüge beigebracht. Ein tiefer Atemzug, um mich von
den Sünden der Vergangenheit zu reinigen. Ein tiefer Atemzug, um mich vor den
Versuchungen der Gegenwart zu bewahren. Ein tiefer Atemzug, um mir Mut für
meinen Weg zu geben. Ich wiederhole dieses Ritual einhundertmal am Tag. Der Weg
zur Vollkommenheit ist sehr lang. Jetzt mache ich den Führerschein. Ich will
auf die Autobahn. Das Volk vertraut mir. Alles wird gut.
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