Donnerstag, 23. Februar 2023

Das erste Jahr

 

„Sie haben den Krieg begonnen. Wir haben alles getan, um ihn zu stoppen.“ (Putin am 21.2.2023 über die Kriegsschuld des Westens)

Morgen werden die Medien nur ein großes Thema haben: den ersten Jahrestag des Kriegsbeginns. Also gibt es meine zwei Cent schon heute. Es ist ein knallhartes Business, aber ich habe die Regeln nicht gemacht. Inzwischen liegen alle in ihren rhetorischen Schützengräben. Wer für Waffenlieferungen an die Verteidiger ist, gilt als Bellizist, wer für Putins Imperialismus ist, gilt als Pazifist. Oder umgekehrt: Wer für die Ukraine ist, gilt als Demokrat, wer für Russland ist, gilt als blutsaufender Verräter.

Putin war vor dem Krieg für mich ein gewöhnlicher Autokrat, der seine politischen Gegner liquidiert oder ins Gefängnis bringen lässt. Einer wie Erdogan, Xi oder ein beliebiger arabischer Scheich. Seither ist er in die Liga der Massenmörder aufgestiegen, die es zu meiner Lebzeit gegeben hat: Nixon, Pol Pot, Breschnew, Idi Amin, Assad und Bush. Vermutlich gab es noch ein paar mehr.

Es erscheint mir wie ein Atavismus, dass er die Größe der alten Sowjetunion oder des Zarenreichs wiederherstellen möchte. Sieht er sich wirklich in einer Reihe mit Iwan dem Schrecklichen, Peter dem Großen, Katharina der Großen und Stalin? Schon die Annexion der Krim war in dieser Hinsicht Symbolpolitik. Was nützt seinem Riesenreich eine rohstoffarme Halbinsel mit 2,3 Millionen Einwohnern, die kleiner als Brandenburg ist?

Wieso beginnt er einen Kreuzzug gegen die westliche Lebensführung, die seit dreißig Jahren sein Land durchdringt? Hollywood, Coca-Cola, Hamburger, Hip-Hop, Jeans. Die Russen leben längst wie die Menschen im Westen. Dieser Kulturkampf ist längst verloren. Merkwürdigerweise reizen in LGBT+, Gendersprache, Diversität und die Ehe für alle. Das hat er mit den anderen konservativen Hardlinern gemeinsam. Aber deswegen den großen Weltenbrand riskieren, mit Atomwaffen drohen und das alles als große Konfrontation der Systeme verkaufen wie weiland im Kalten Krieg? Das nimmt ihm doch keiner ab. Das ist nur Show.

Ich sehe einen verbitterten, hartherzigen, misstrauischen Mann, der im Alter nach seinem Platz in den Geschichtsbüchern sucht. Wenigstens Belarus, die Ukraine und Moldawien möchte er heim ins Reich holen. Aber der Preis ist hoch: hunderttausende Tote, der wirtschaftliche Schaden (weniger durch die Sanktionen als durch den Verlust solventer Kundschaft) und die politische Isolation. Noch ist der Ausgang des Krieges ungewiss. Im Augenblick hat sich Putin in eine Sackgasse manövriert. Es geht nicht vorwärts, Richtung Sieg, und rückwärts, Richtung Waffenstillstand und Friedensverhandlungen, kreisen die Geier seiner Rivalen über dem Kreml. Was werde ich heute in einem Jahr schreiben?

4 Kommentare:

  1. in einem jahr wirst du schreiben:
    bonetti-media haben zum ersten mal eine auflage von 1000 webexemplaren seines weltberühmten blogs "der wo was mal kiezschreiber eines berliner vororts war" erreicht. zur feier dieser denkwürdigen marke 1000 lädt bonetti-media in den festsaal des schützenhauses von dingensda ein. um bekleidung wird gebeten.

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    1. In einem Jahr gehört mir das Springer-Hochhaus und wir feiern mit Bubble-Tea.

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    2. bin dabei! mit bekleidung?

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    3. String-Tanga ist Minimum. Falls du als Huhn verkleidet kommst, gibt es nur für dich ein Hot-Wings-All-You-Can-Eat-Meet-and-Greet mit Andy Bonetti himself. Der Colonel kommt auch.

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