Freitag, 21. Oktober 2022

Wie der deutsche Journalismus wirklich funktioniert

 

Ich habe den einfachsten Job der Welt. Ich muss einfach nur Umschläge verteilen.

Alles fing mit einem Postdoc-Stipendium beim German Marshal Fund an. Ein Jahr in Boston. Harvard. Mehr geht nicht. Nach einem Seminar bin ich von einem Mann angesprochen worden, der eine sehr coole Sonnenbrille trug. Er fragte mich, ob ich nicht an einem deutsch-amerikanischen Abend teilnehmen wollte. Natürlich habe ich die Einladung gerne angenommen.

Seitdem arbeite ich für die NSA. Ich bin für den deutschen Journalismus zuständig. Meine Kollegen, die wesentlich höhergestellt sind, verteilen ihre Umschläge im Verteidigungs- und im Außenministerium. Aber mir sind die kleinen Reporter lieber als die Beamten und Politiker.

Am Vormittag fliege ich mit Lufthansa vom Willy-Brandt- zum Franz-Josef-Strauß-Flughafen. Auf diesen kurzen Strecken gibt es leider keine erste Klasse. Der Kaffee ist grauenhaft. So kann ich nicht arbeiten! In der Innentasche meines Jacketts befindet sich ein neutraler Umschlag mit zehntausend Euro. Mein Chef nennt es Landschaftspflege.

Um 13 Uhr treffe ich Wolfgang Krach, den Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung. Ich habe einen Tisch im Nymphenburger Hof reserviert. Bei Kalbsfilet mit Steinpilztagliatelle und rosa gebratener Lammhüfte mit pommes gratin erörtern wir die aktuelle Lage. Wir sind uns schnell darüber einig, dass Europa Geschlossenheit zeigen müsse und die transatlantische Partnerschaft mit den USA wichtiger ist denn je. Das Geld ist gut angelegt.

Am Nachmittag sitze ich in der Maschine nach Frankfurt. Berthold Kohler erwartet mich um 19 Uhr im Main Tower. Vom 53. Stock aus hat man eine phantastische Aussicht über die Geldspeicher der Stadt. In meiner Vorfreude auf die Sterneküche mache ich den Gürtel etwas weiter. Wir müssen uns um den deutschen Journalismus keine Sorgen machen.

P.S.: Morgen treffe ich mich in Berlin mit Ulrike Winkelmann bei Tim Raue. Wenn sie die TAZ amerikafreundlicher gestaltet, bekommt sie die Exklusiv-Story über Putin, wenn wir den Regime Change im Kreml geschafft haben. Putins Privatpalast, Putins Gärtner, Putins Chauffeur, Putins Sekretärin, Putins Briefmarkensammlung usw.

Meine russische Lieblingsband, keine Ironie: manicure atomic summer - YouTube

 

2 Kommentare:

  1. In Münchner Preßkreisen kursiert die Geschichte, ein inzwischen verstorbener Ressortleiter der 'Süddeutschen' soll in seinen Bewirtungsbelegen unter 'Verwendungszweck' immer eingetragen haben: "Planung, Vorbereitung und Durchführung eines Angriffskrieges". So feine Ironie ist heute kaum mehr vermittelbar.

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    1. Das muss die gute alte Zeit gewesen sein, als Strauß noch gelebt hat.

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