Als unsere Russisch-Klasse im
Herbst 1984 zu einer Reise nach Moskau und Leningrad aufbrach, regierte ein
unfähiger Diktator namens Tschernenko und die Rote Armee führte einen
aussichtslosen Krieg in Afghanistan. Die Anreise war ähnlich kompliziert, wie sie
heute sein würde. Mit dem Zug ging es nach West-Berlin und vom Bahnhof Zoo mit
dem Bus zum Flughafen Schönefeld/DDR.
Bei der Einreise in Ost-Berlin
gab es das erste Highlight. Ein Volkspolizist fragte uns, ob wir Waffen
dabeihätten. Ein Spaßvogel rief von hinten: „Noch nicht“. Das fand der Genosse
nicht so witzig und legte eine veritable Brüllorgie aufs Parkett. Dann ging es
mit einem sozialistischen Flugzeug ins Reich des Bösen. Ein ostdeutsches
Vorzeigeehepaar neben mir ging auf meine Weltklassepointen („Schneller zu Gott
mit Aeroflot“) leider nicht ein.
Neun Tage lang hatten wir in der
Sowjetunion volles Programm, immer begleitet von einer russischen
„Reiseleiterin“. KGB – wenn Sie mich fragen. Mindestens. Woran ich mich
erinnern kann:
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Kreml und Lenin-Mausoleum.
Man musste ganz langsam am Leichnam des Revolutionsführers vorbeigehen und
durfte nicht stehenbleiben. Die Schlange war kilometerlang und wir brauchten
zwei Stunden, um hineinzukommen.
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Das Kaufhaus GUM
bestand aus vielen kleinen Läden und nahm die Entwicklung zur heutigen Shopping
Mall vorweg.
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Zwei Jugendliche
fragten mich auf dem Roten Platz nach Zigaretten. Jeder nahm sich drei Stück
aus meiner Marlboroschachtel und zündete keine davon an.
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Es gab ein
verordnetes Treffen mit Gleichaltrigen, für die wir Kugelschreiber und
Feuerzeuge mitgebracht hatten. Leider war mein Russisch zu schlecht, um mit
ihnen reden zu können. In einer Schulklasse hat man für uns gesungen.
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Im Hotelzimmer gab
es ein Radio, in dem immer nur traurige klassische Musik lief. In einem
Plattenladen liefen die Bee Gees. Es war für uns wie eine Musikdusche. Der
Westen fehlt dir ziemlich schnell. Bei der Rückreise gab es für das erste
McDonald’s-Plakat spontanen Applaus.
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In Leningrad zeigte
man uns die Massengräber der deutschen Belagerung im Zweiten Weltkrieg, an
denen nur kleine Schilder mit den geschätzten Opferzahlen unter den Hügeln
standen: 10.000, 20.000 usw.
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In einer Metzgerei
musste man lange in der Schlange warten, zeigte auf ein Stück fettige Wurst und
zahlte dann. Die Verkäuferin benutzte einen Abakus, den ich noch aus dem
Kindergarten kannte. Mit dem Zettel ging man dann zur nächsten Schlange, wo man
schließlich die Wurst bekam. Sie schmeckte furchtbar, aber wir waren jung und
neugierig.
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Die Straßenbahn
kostete fünf Kopeken. Man warf die Münze in ein kleines Kästchen und riss dann
eine Fahrkarte von der Rolle ab. So viel Gottvertrauen gibt es bei der BVG
nicht.
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Die Kellner wollten
uns unsere Westklamotten abkaufen. Ich verabredete mich mit einem in meinem
Zimmer. Er fand meine ollen Fruit-of-the-loom-Sweatshirts so hässlich, dass er
mir keins abkaufte. Aber meine schicke Jacke sorgte auf dem Newski Prospekt für
großes Hallo. Ich wartete an einer Straßenecke auf ein paar Klassenkameraden
und es bildete sich eine Menschentraube, in der man sich gegenseitig überbot.
Aber was soll ich in Deutschland mit 150 Rubel? Und was soll ich im November in
Russland ohne Jacke?
Ich war 1983 in Moskau, als Andropow für kurze Zeit am Ruder war. Ich erinnere mich an Leitungswasser zum Essen, dass wie Schwimmbadwasser schmeckte. Im Gum gab es einen Getränkeautomaten (lange Schlange!) mit einer herrlichen (Kräuter-?)Brause. Die Gläser aus Glas, keinerlei Plastik. Im Flug mit Aeroflot gab es ein halbes gegrilltes Hähnchen (kalt) und einen halben Liter dunkles Starkbier. Richtige Porzellanschalen und Metallbesteck. Vier Tage haben uns damals gereicht, hat knapp 400,-DM gekostet incl. Vollpension.
AntwortenLöschenIch bin heute froh, dass ich die alte UdSSR (und DDR, CSSR, Ungarn) noch vor dem Mauerfall erlebt habe. Plötzlich wehten nur noch die roten Fahnen von Coca-Cola im Osten ;o)
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