Mittwoch, 30. August 2023

Bonetti geht nach Moskau

 

Als unsere Russisch-Klasse im Herbst 1984 zu einer Reise nach Moskau und Leningrad aufbrach, regierte ein unfähiger Diktator namens Tschernenko und die Rote Armee führte einen aussichtslosen Krieg in Afghanistan. Die Anreise war ähnlich kompliziert, wie sie heute sein würde. Mit dem Zug ging es nach West-Berlin und vom Bahnhof Zoo mit dem Bus zum Flughafen Schönefeld/DDR.

Bei der Einreise in Ost-Berlin gab es das erste Highlight. Ein Volkspolizist fragte uns, ob wir Waffen dabeihätten. Ein Spaßvogel rief von hinten: „Noch nicht“. Das fand der Genosse nicht so witzig und legte eine veritable Brüllorgie aufs Parkett. Dann ging es mit einem sozialistischen Flugzeug ins Reich des Bösen. Ein ostdeutsches Vorzeigeehepaar neben mir ging auf meine Weltklassepointen („Schneller zu Gott mit Aeroflot“) leider nicht ein.

Neun Tage lang hatten wir in der Sowjetunion volles Programm, immer begleitet von einer russischen „Reiseleiterin“. KGB – wenn Sie mich fragen. Mindestens. Woran ich mich erinnern kann:

·       Kreml und Lenin-Mausoleum. Man musste ganz langsam am Leichnam des Revolutionsführers vorbeigehen und durfte nicht stehenbleiben. Die Schlange war kilometerlang und wir brauchten zwei Stunden, um hineinzukommen.

·       Das Kaufhaus GUM bestand aus vielen kleinen Läden und nahm die Entwicklung zur heutigen Shopping Mall vorweg.

·       Zwei Jugendliche fragten mich auf dem Roten Platz nach Zigaretten. Jeder nahm sich drei Stück aus meiner Marlboroschachtel und zündete keine davon an.

·       Es gab ein verordnetes Treffen mit Gleichaltrigen, für die wir Kugelschreiber und Feuerzeuge mitgebracht hatten. Leider war mein Russisch zu schlecht, um mit ihnen reden zu können. In einer Schulklasse hat man für uns gesungen.

·       Im Hotelzimmer gab es ein Radio, in dem immer nur traurige klassische Musik lief. In einem Plattenladen liefen die Bee Gees. Es war für uns wie eine Musikdusche. Der Westen fehlt dir ziemlich schnell. Bei der Rückreise gab es für das erste McDonald’s-Plakat spontanen Applaus.

·       In Leningrad zeigte man uns die Massengräber der deutschen Belagerung im Zweiten Weltkrieg, an denen nur kleine Schilder mit den geschätzten Opferzahlen unter den Hügeln standen: 10.000, 20.000 usw.

·       In einer Metzgerei musste man lange in der Schlange warten, zeigte auf ein Stück fettige Wurst und zahlte dann. Die Verkäuferin benutzte einen Abakus, den ich noch aus dem Kindergarten kannte. Mit dem Zettel ging man dann zur nächsten Schlange, wo man schließlich die Wurst bekam. Sie schmeckte furchtbar, aber wir waren jung und neugierig.

·       Die Straßenbahn kostete fünf Kopeken. Man warf die Münze in ein kleines Kästchen und riss dann eine Fahrkarte von der Rolle ab. So viel Gottvertrauen gibt es bei der BVG nicht.

·       Die Kellner wollten uns unsere Westklamotten abkaufen. Ich verabredete mich mit einem in meinem Zimmer. Er fand meine ollen Fruit-of-the-loom-Sweatshirts so hässlich, dass er mir keins abkaufte. Aber meine schicke Jacke sorgte auf dem Newski Prospekt für großes Hallo. Ich wartete an einer Straßenecke auf ein paar Klassenkameraden und es bildete sich eine Menschentraube, in der man sich gegenseitig überbot. Aber was soll ich in Deutschland mit 150 Rubel? Und was soll ich im November in Russland ohne Jacke?   

2 Kommentare:

  1. Ich war 1983 in Moskau, als Andropow für kurze Zeit am Ruder war. Ich erinnere mich an Leitungswasser zum Essen, dass wie Schwimmbadwasser schmeckte. Im Gum gab es einen Getränkeautomaten (lange Schlange!) mit einer herrlichen (Kräuter-?)Brause. Die Gläser aus Glas, keinerlei Plastik. Im Flug mit Aeroflot gab es ein halbes gegrilltes Hähnchen (kalt) und einen halben Liter dunkles Starkbier. Richtige Porzellanschalen und Metallbesteck. Vier Tage haben uns damals gereicht, hat knapp 400,-DM gekostet incl. Vollpension.

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    1. Ich bin heute froh, dass ich die alte UdSSR (und DDR, CSSR, Ungarn) noch vor dem Mauerfall erlebt habe. Plötzlich wehten nur noch die roten Fahnen von Coca-Cola im Osten ;o)

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