1985.
Markus und Torsten hatten gerade erst ihr Abitur gemacht und beschlossen eines
Abends, nach West-Berlin zu ziehen. Raus aus dem Kinderzimmer, rein in die
Großstadt. Natürlich Kreuzberg. SO 36. Von dieser Gegend hatten sie schon viel
Gutes gehört.
Als
sie ihr Dorf im Westerwald schließlich verließen, hatten sie ihren Familien
versprechen müssen, nicht in ein besetztes Haus zu ziehen. Ihre Eltern hatten
ihnen eine kleine, günstige Altbauwohnung im Wrangelkiez gemietet. Sie hatten
allen erzählt, sie würden in Berlin studieren. In Wirklichkeit wollten sie
endlich ihren großen Traum ausleben und vor allem nicht zur Bundeswehr. Die
Wohnung bezahlten die Eltern und beide hatten fünfhundert Mark von ihren
Sparbüchern abgehoben. Später wollten sie sich Jobs suchen.
Sie
packten ihre Klamotten in zwei Sporttaschen und fuhren mit dem Zug ohne Rückfahrkarte zum Bahnhof
Zoo. Ihre Eltern schickten ihnen per Spedition zwei Matratzen, einen Karton mit
Bettzeug, einen Küchentisch und vier Holzstühle hinterher. Den Rest wollten sie
sich in Berlin besorgen.
Endlich
konnte Markus Punk werden. Das hatte er sich in seinem Dorf nicht getraut. Er
ging zu einem Friseur und ließ sich einen Irokesen schneiden. Der Friseur
erklärte ihm auch, wie man ihn senkrecht hält. Dann kaufte er sich in einem
Szeneladen die entsprechenden Klamotten und Doc Martens. Im Herbst würde er
sich tätowieren lassen, vielleicht einen fixenden Calimero, den hatte er bei
einem Typen am Kotti gesehen, und sich im Secondhandladen eine Lederjacke
kaufen. Nach einer Woche hatte er sein Aussehen so verändert, dass ihn seine
eigene Mutter nicht wiedererkannt hätte.
Bei
Torsten war es schwieriger. Er wollte Freak werden. Aber es dauerte eine Zeit,
bis man lange Haare hatte, und für seinen Bundeswehrparka war es zu heiß. Also
lief er wenigstens barfuß durch die Straßen. Nachdem er das erste Mal in einen
riesigen Haufen Bernhardinerscheiße getreten war, änderte er seine Strategie
und kaufte sich Batik-Shirts.
Es war
nicht einfach, einen Job zu finden. Sie konnten beide nichts und hatten
keinerlei Berufserfahrung. Taxischein klappte nicht. Sie konnten sich die
vielen Straßen nicht merken. Manche Straßennamen gab es mehrfach. Warum gab es
in Berlin so viele Berliner Straßen? Für die Arbeit auf einer Baustelle waren
sie zu schwach und im Supermarkt konnte man niemanden mit Iro brauchen.
Die
Lage entspannte sich, als sie Benno kennenlernten. Er verkaufte Dope an der Uni,
wo er Philosophie studierte. Benno suchte eine neue WG, war erfreut, keine
Miete zahlen zu müssen und versorgte den Haushalt großzügig mit Haschisch und
ging regelmäßig einkaufen. Markus und Torsten hatten den alten Herd in der
Küche nie benutzt und sich von Döner, Pommes, Chips und Dosenbier ernährt.
Jetzt gab es Nudeln mit Tomatensoße und Tiefkühlpizza. Außerdem brachte er als
Mitgift eine Stereoanlage und seine Plattensammlung mit, so dass in der WG
endlich Partys gefeiert werden konnten. On top gab es zwei Kisten mit
Taschenbüchern, hauptsächlich Science-Fiction, aber auch ein bisschen Horror.
Benno
kam aus einem kleinen Dorf im Schwarzwald. Er war schon seit einem Jahr in
Berlin. Er hatte lange blonde Haare und trug eine John-Lennon-Brille. Seine
Secondhandklamotten saßen so schlecht, dass man dachte, er hätte sie gerade von
einer Wäscheleine geklaut. Sie hatten alle keine Ahnung vom Großstadtleben,
aber sie waren keine Dorftrottel, sondern ein Punk, ein Freak und ein Kiffer.
Oliver
aus Cuxhaven zog einen Monat später ein. Er war ein Punk und lebte auf der
Straße. Markus und Torsten hatten ihn im Intertank in der Manteuffelstraße
kennengelernt. Oliver war Spezialist im Fünf-Finger-Discount. Er klaute wie ein
Rabe und so hatten sie immer genug Zigaretten, edlen Whisky und Klamotten.
Offiziell studierte er seit vier Semestern Politikwissenschaft, aber eigentlich
wartete er auf die Revolution. Er kannte die richtigen Leute und die richtigen
Kneipen, Markus und Torsten wurden in Windeseile Teil der Szene und begeisterte
Anarchisten.
Alles
in allem ein guter Start. So ließ es sich leben, so konnte es weitergehen und
so ging es auch weiter.
Keine
Ahnung, was aus Benno und Oliver geworden ist, aber Markus ist heute
Bauunternehmer. Er lebt mit seiner Frau und den Kindern in Montabaur. Torsten
arbeitet als Studienrat in einem Gymnasium in Koblenz.
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