Donnerstag, 29. September 2022

Bonetti’s lustige kleine Restaurantkritik

 

Hier noch ein Nachtrag zum Hochzeitsessen, über das ich neulich berichtet habe. Sie erinnern sich: 16.000 Euro für siebzig Gäste, das sind knapp 230 Euro pro Gast.

Ich habe mit einem Freund telefoniert, der bei einem Zwei-Sterne-Koch ausgebildet wurde und in Berlin ein ausgezeichnetes Restaurant betreibt, in dem er selbst gelegentlich geschlossene Gesellschaften bewirtet. Er hat Tränen gelacht, als ich ihm vom Menü berichtet habe. Für das Geld kann man auch in ein Berliner Sterne-Restaurant gehen. Im Golvet an der Potsdamer Straße (ein Michelin-Stern) kostet das Sieben-Gänge-Menü 150 Euro, dazu könnte man also theoretisch noch für achtzig Euro Getränke bestellen, bis man auf die 230 Euro kommt.

Aber wir sind ja in einem ambitionierten Landgasthof. Da muss man natürlich Abstriche machen. Fangen wir mit dem Ende an: Ein absolutes No-Go war der Nachtisch. Selbstbedienung am Buffet! Da hätten wir uns ja auch gleich bei McDonald’s treffen können. Selbst in der billigsten Pizzeria bekommt man die Nachtspeise selbstverständlich am Tisch serviert. Für so einen Fauxpas kann man bei diesen Preisen keine Entschuldigung akzeptieren.

Auch die Dauer des Vier-Gänge-Menüs war sehr ärgerlich: über vier Stunden. In keinem respektablen Restaurant muss man über eine Stunde auf den nächsten Gang warten. Angekündigt war das Essen für 18 Uhr, um 19 Uhr ging es los. Der Hauptgang kam um 22 Uhr, der Nachtisch wurde nach 23 Uhr bereitgestellt. Und die Küche war über die Menüfolge, Datum und Uhrzeit sowie die Anzahl der Gäste seit Wochen informiert. Aber immerhin gab es einzelnes Körbchen mit trockenem Brot auf unserem Tisch, an dem neun Personen Platz genommen hatten.

Der Umgang mit Vegetariern war ebenfalls unverschämt. An meinem Tisch saß eine Teenagerin, der man zuerst ein Einmachglas (!) mit Gemüsebrühe und dann einen Teller mit zerkochtem Dosengemüse und Kartoffeln gebracht hat. Das ist nicht nur einfallslos, sondern auch frech. Warenwert: zwei Euro. Abgerechnet wurden 230 Euro. Für diese Summe erwarte ich zumindest einen Suppenteller und ein Hauptgericht auf angemessenem Niveau. Schon mal was von Seitan, Räuchertofu oder veganem Fleischersatz gehört?

Das Menü war eine Enttäuschung. Erster Gang: eine Handvoll Grünzeug mit Ei. Zweiter Gang: Pilzsuppe mit Sahneklecks (natürlich weder Pfifferlinge noch Steinpilze). Dritter Gang: geschmacksneutrales Hähnchenfleisch mit ungenießbaren Kräutergnocchi. Eine ältere Dame an meinem Tisch hat zwei Bissen vom Hauptgang probiert, dann den Teller weggeschoben und Brot gegessen. Andere haben nur einen Teil aufgegessen, ich habe es bei den hundert Gramm Fleisch belassen. Wie viele Gäste haben in diesem Augenblick von einem saftigen Rumpsteak mit Pommes frites geträumt? Vermutlich auch das Brautpaar, dessen kulinarische Präferenzen mir natürlich von etlichen Restaurantbesuchen bestens bekannt sind. Schließlich hatte keiner von uns zu Mittag gegessen.

Mein Freund, seit über dreißig Jahren in der Top-Gastronomie in Deutschland, Italien und der Schweiz tätig, hatte für dieses Essen nur ein Wort übrig: Abzocke. Auch wenn sämtliche Getränke und die Häppchen am Anfang der Feier im Preis enthalten waren. Er taxierte den Reingewinn auf mindestens fünfzig Prozent der gezahlten Summe. Den reinen Warenwert der Zutaten für das viergängige „Gourmet“-Menü schätzte er auf zehn Euro. Beispiel 1: Ein Eifeler „Prachthahn“, so der Name des Hauptgangs dieses Hochzeitsessens, kostet beim Bauern fünfzehn Euro und hat ein Schlachtgewicht von zwei Kilogramm. Beispiel 2: Die Zutaten für den ersten Gang kann man in jedem Supermarkt für siebzig Cent kaufen. In der Sterne-Gastronomie bekommt man für sein Geld wenigstens Trüffel, Kaviar und Fasan serviert. Für 16.000 Euro kann man einen Neuwagen kaufen – oder sich von einem gerissenen Gastwirt ganz gepflegt über den Tisch ziehen lassen.

Wenigstens hat der Nachtisch geschmeckt, ich hatte eine Vanille Crème brûlée. Wir haben in diesem Jahr dreimal in der Burg Klopp in Bingen gegessen. Jedes Mal deutlich besser und vor allem günstiger. In Berlin habe ich im August jeden Tag besser gegessen als bei dieser Hochzeit. Die teuerste Mahlzeit war ein Drei-Gänge-Menü mit Weinbegleitung (drei Gläser exzellenter französischer Weißwein von unterschiedlichen Weingütern) für sechzig Euro (+ 5 € Trinkgeld). Schweizer Rösti mit Pfifferlingen und Pesto, Ochsenbäckchen mit Semmelknödeln und zum Nachtisch ein heißer Schokoladenkuchen und eine Kugel Eis.

Zubereitet von besagtem Freund. Ein Genuss. Er hat auch pseudo-vornehme Formulierungen wie „Cappuccino vom Waldpilz“ für eine ordinäre Suppe nicht nötig. Bei meinem Lieblingswirt, der sich meistens zu mir an den Tisch setzt und ein Glas mittrinkt, hängt ein signiertes Trikot von Fußballnationalspieler und BVB-Profi Emre Can, der schon einige Male sein Gast war, an der Wand. Er selbst ist Bayern-Fan. Johann Lafer, dessen Haus für das Hochzeitsessen verantwortlich zeichnete, hat er übrigens mal bei einem Benefizspiel persönlich kennengelernt. Lafer war der Einzige, der auf dem Fußballplatz auf die Anrede Sie bestanden hat. Der ehemalige Sterne-Koch gilt inzwischen – vor allem seit seinem Bankrott – in der Gastronomieszene als absolute Witzblattfigur. 

P.S.: Zum Essen gab es drei Weine zur Auswahl. Zwei vom eigenen Weingut Kaiserhof. Laut dem Winzer meines Vertrauens liegen die Produktionskosten in unserer Gegend bei etwa einem Euro pro Liter (Inklusive Flasche, Verschluss, Etikett und Abfüllung). Dazu ein Wein von einem anderen Weingut im Dorf, dessen Weine laut Preisliste alle unter zehn Euro pro Flasche liegen. Der Wirt ist schon ein Schlawiner, das muss man ihm lassen. Er hat nicht nur beim Essen viel Geld gespart, sondern auch bei den Getränken.

P.P.S.: Dies soll kein Vorwurf an das Brautpaar sein. Sie sind jung, naiv und in diesen Dingen einfach unerfahren. Sie werden hoffentlich noch viele Anlässe zum Feiern haben. Vielleicht mietet man beim nächsten Mal ein nettes italienisches Restaurant. Dann kann jeder Gast bestellen, was ihm schmeckt. Schnitzel, Steak oder Pizza. Das kostet auch nur einen Bruchteil der Summe, die für diese Hochzeitsfeier ausgegeben wurde, und man hat anhand der Speisekarte und der Rechnung die volle Kostenkontrolle.

10 Kommentare:

  1. Wo ist das Problem? Das ist der ganz normale Inflationsausgleich.
    Mahlzeit ;-)

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  2. wie Lafer, gehört dem das Restaurant?

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    1. Lafer ist seit 1983 im Kaiserhof und hat in die Familie eingeheiratet. Ihm gehört das Lokal aber nicht. Seit seinem Bankrott gehört ihm eigentlich gar nichts mehr :o)

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  3. Seitdem ich vor etlichen Jahren in die Geheimnisse der Preiskalkultation eingeführt wurde, sehe ich die Welt mit anderen Augen.

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    1. Da kostet dann ein einfacher Flughafen schnell mal 6 Milliarden Euro.

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  4. .....Du hast recht......ausser bei den Gestehungskosten für den Wein.....für einen Euro pro Liter inklusive Flasche, Verschluss, Etikett und Abfüllung...das stimmt nicht ganz....selbst bei euch in Rheinhessen nicht.....

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    1. Beim Winzer, mit dem ich gesprochen habe, kaufe ich seit vierzig Jahren meinen Wein. Er ist nicht nur Winzer, der den Betrieb von seinem Vater übernommen hat, sondern war auch viele Jahre Dozent an der Fachhochschule für Weinanbau in Geisenheim. Er weiß sicher mehr über Wein als wir alle zusammen.

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    2. .....stimmt trotzdem nicht....Flasche, Verschluss, Etikett, Karton und Abfüllung schlagen mit ca. 0,70 € zu Buche.....und für 0,30 € kannst du keinen Liter Nahe oder Rhenihessenwein kaufen...ansonsten nenn mir einen...ich brauche gerade 2000 liter Riesling Fasswein..
      ..

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    3. Der Wein selbst kostet ca. 60 Cent, die Flasche 8 Cent, Schraubverschluss, Etikett (wird im Betrieb selbst aufgeklebt) und Kartonage kosten jeweils nur Cent-Beträge. Für 2000 Liter empfehle ich den Kontakt zu einem großen Abfüllbetrieb in Bingen, der für Supermärkte ganze Tankladungen produziert. Oder du nimmst argentinischen oder chilenischen Wein für 25 bis 30 Cent pro Liter. Da kenne ich einen Weinhändler aus Schweppenhausen, der sich auf diese Weise eine goldene Nase verdient ;o)

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  5. Was hab ich gelacht, als Max Giermann vor 10 Jahren (oder wann) den buckligen Lafer spielte. Das war Spitzengastronomie für Tränenlacher

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