Freitag, 19. Dezember 2014

Eine unerfreuliche Begegnung

Es muss schon einige Jahre her sein. Bonetti war mit dem himmelblauen Borgward Isabella angereist, den er von seinem Vater geerbt hatte. Damals war er noch ohne das übliche Prunkgefolge aus Society-Reportern, Fotografen, Consultants, Friseuren, Modeberatern, Visagisten, Köchen, Mätressen, Herolden, Fanfarenbläsern, Rechtsanwälten, Leibwächtern, Praktikanten, Literatur-Groupies, Ärzten, Masseusen, Schamanen, Stalkerinnen, Dienern, Gepäckträgern, Biographen und Sekretärinnen, die jede Eingebung des Meisters notierten, unterwegs. Und er brauchte das Geld, denn seine Verkaufszahlen waren zu jener Zeit noch recht bescheiden.
Er war zu einer Podiumsdiskussion der Volkshochschule Krefeld eingeladen. Neben ihm waren Barbara Saalwächter, Lektorin des Verlags Rotes Einhorn, und Prof. Dr. Bodo von Buckelschreck eingeladen. Die Moderation hatte Michael Krautwurst, seines Zeichens Leiter der Volkshochschule. Das Thema des Abends war „Die Zukunft der Literatur“.
Die Lektorin und den Moderator kannte er nicht, aber der eingeladene Wissenschaftler war ihm wohlbekannt. Bodo von Buckelschreck war ein vorwitziger Gnom, Professor für Medienwissenschaft an der Fachhochschule Runkel, und hatte ein Lehrbuch über Medienökonomie geschrieben. Er veröffentlichte jedes Jahr mindestens zwei neue Lehrbücher. Sein Mitteilungsdrang und sein Geltungsbedürfnis waren legendär, er hatte neben seinen vielen Büchern mindestens hundert Aufsätze in Tagungsbänden und Fachzeitschriften veröffentlicht und ging zu jeder Veranstaltung, die auch nur entfernt etwas mit Publizistik zu tun hatte. Eine Familie hatte er nicht, er hatte keine Hobbies und fuhr nie in Urlaub. Er ging ganz in seiner Arbeit auf. Dieser kaum tischhohe Wichtigtuer operierte an der Grenze zwischen Eitelkeit und Größenwahn, Selbstzweifel oder Ironie waren ihm unbekannt. Er war ein unermüdlicher Streber, Klugscheißer und Besserwisser, der seinen Mitmenschen mit dem Eifer eines Eichhörnchens 365 Tage im Jahr die Welt erklärte. Im Vergleich zu seinem Sendungsbewusstsein war Joseph Goebbels ein taubstummer Autist.
Bonetti war ihm schon oft begegnet und es war immer unangenehm, mit ihm auf einem Podium zu sitzen, denn Bodo von Buckelschreck war ein Überzeugungstäter, ein Idealist. Er war zutiefst davon überzeugt, die Welt mit seinen Einsichten zu verbessern, und beharrte mit kindischer Sturheit darauf, das letzte Wort und – natürlich - Recht zu haben. Es gab keine anderen Meinungen, es gab nur Menschen, die noch nicht von seiner Meinung überzeugt waren. Ein selbstverliebter Missionar, der von der Kanzel herab das Evangelium des „konvergenten Journalismus“ predigte, in dem sich Print, Online und audiovisuelle Medien miteinander zu einer neuen Stufe von Irgendwas verbinden würden. Ein Beamter, der Bonetti über die Praxis des Mediengeschäfts aufklären wollte, selbst aber keinen einzigen Tag für eine Zeitung oder einen Verlag gearbeitet und die Welt außerhalb seiner Fachhochschule nie kennengelernt hatte. Ein neoliberaler Dogmatiker, der den bequemen Elfenbeinturm staatlicher Forschung und Lehre nie verlassen hatte.
Bei seinen Studenten punktete er mit lässiger Freizeitkleidung in den Seminaren und Smart casual wear bei öffentlichen Auftritten (an diesem Abend beispielsweise ein schwarzes T-Shirt zum Jackett), modischem Hipster-Vollbart, Vegetarismus, Free-Climbing und Fahrrad sowie einem Drittmittelprojekt im Bereich „Interkulturelle Gender Studies“. Bonetti kannte ihn zudem als kleinkarierten Geizkragen, Nichtraucher, Abstinenzler und notorischen FDP-Wähler. Kurz gesagt: Bodo von Buckelschreck war pain in the ass für jeden, der ihm begegnete.
BVB, wie sich der Professor selbst auch gerne nannte, begann seinen ersten Redebeitrag mit dem Begriff „Cross-Marketing“. „In Film und Fernsehen ist es üblich, Produkte zu präsentieren und dafür bezahlt zu werden. Omega-Uhren statt Rolex im neuen James Bond, der inzwischen sogar Heineken-Bier trinkt. Die Brauerei hat sich das angeblich 45 Millionen Dollar kosten lassen. Daimler und Audi bei ‚Wetten, dass …?‘ Und im ‚Sex and the City‘-Film werden nicht weniger als 94 Marken beworben. Warum nicht auch Product Placement in einer Krimireihe? Oder warum lässt man sich nicht von der Tourismusbehörde einer Stadt oder einer Ferienregion finanzieren? Man erwähnt wichtige Points of Interest, Sehenswürdigkeiten, Musicaltheater und Restaurants, in einem Kriminalroman und erzielt auf diese Weise schon im Produktionsprozess erste Einnahmen. Es gibt noch weitere Einnahmequellen, beispielsweise ein Event-Dinner mit dem Autor und Schauspielern, die Szenen aus dem Roman nachspielen, und bei dem die Teilnehmer Rätsel lösen müssen. Im Zuge der Digitalisierung von Verlagsprodukten und ihrer Verbreitung im Internet werden die Einnahmen in ähnlicher Weise wegbrechen wie bei den Zeitungen und im Musikgeschäft. Die Branche braucht Innovationen. ‚Gute Geschäfte sind die beste Kunst‘, hat Andy Warhol mal gesagt.“ Und dann blickte der triumphierend in den Saal.
Seine Thesen konnte man leicht auf den Punkt bringen: Ein intellektuell niedrigschwelliges Angebot erhöht den Profit. Bonetti hätte den kleinen Mann gerne geschlagen, aber bei so einer Handvoll Mensch war der zweite Schlag vermutlich schon Leichenschändung. Glücklicherweise kam ihm eine Studienrätin mit kurzen roten Haaren und eckiger Brille zuvor. Es ginge doch um Inhalte, um Sprache und Form, nicht um Zahlen oder um Geld. Überhaupt habe der ganze ökonomische Blickwinkel doch mit Literatur nichts zu tun.
Der Professor reagierte nicht auf diesen Einwand, sondern spulte den nächsten Abschnitt seines Standardprogramms ab: Veränderte Nutzungsmuster und neue Leserschichten. „Die Texte müssen kürzer werden. Die Aufmerksamkeitsspanne des Lesers verringert sich signifikant. Denken Sie nur an den phänomenalen Erfolg der Poetry Slams. Texte sollten nicht länger als Lieder sein. Niemand hört Ihnen heute noch eine halbe Stunde lang zu. Unterhaltsam und witzig müssen Texte heute sein, von Comedians kann man eine Menge lernen.“ Bodo von Buckelschreck sagte dies mit tiefem Ernst und hochmütig erhobenem Haupt.
„Und ohne Online-Präsenz in einem Blog und den sozialen Medien sind Sie als Autor praktisch gar nicht existent. Hypertextualität ist das Zauberwort. Durch Links können Schlagworte im Text mit weiterführenden Informationen zu Sachverhalten, Personen usw. vernetzt werden. Ergänzend zum Text können weitere Medien eingebunden werden: Audio, Video, Bilderserien, interaktive Grafiken. Das nennt man Multimedialität.“ Er holte kurz Luft, aber nicht lange genug, um ihn unterbrechen zu können.
„Interaktivität ist ebenso wichtig. Kommentarfunktionen auf der Website oder in den sozialen Medien. Voting, Foren, Chats oder Meinungsumfragen unter den Lesern. Informationen von Lesern mit spezieller oder lokaler Expertise können im Einzelfall wieder Anregungen für neue Artikel geben. Warum nicht einen Live-Ticker mit permanent aktualisierten Informationen zu einem aktuellen Projekt? Bilderserien und Slideshows, interaktive Grafiken und Blogrolls mit Verweisen zu Kollegen? Und was für die Autoren gilt, müssen die Medienunternehmen selbstverständlich auch liefern: Kundenkontakt, Dienstleistungsorientierung.“
Nun war es Frau Saalwächter, die Lektorin, die dem Professor widersprach. Der glühende Fanatismus und die Rechthaberei ekelten sie sichtlich an. Das Internet werde ihrer Meinung nach völlig überschätzt. Die Verkaufszahlen des Buchhandels seien stabil. Nur der stationäre Buchhandel in den Städten sei durch den Online-Verkauf in Bedrängnis. Die Leute lesen immer noch Bücher, versicherte sie. Kriminal- und Liebesromane, Abenteuergeschichten und historische Erzählungen. Auch die Klassiker wie Thomas Mann oder Hermann Hesse, Franz Kafka oder Goethe würden sich immer noch glänzend verkaufen. Dazu Ratgeber und Biographien. Und mit den Einnahmen aus diesen Geschäftsfeldern würde immer wieder neuer Nachwuchs finanziert. Junge Autoren hätten die Möglichkeit, Stipendien und Preisgelder zu erhalten. Gerade habe eine Autorin aus ihrem Verlag nach ihrem Debütroman eine Stelle als Stadtschreiberin in Wernigerode bekommen. Literatur habe immer eine Zukunft, sagte sie. Die Autoren müssten den Veränderungen im Journalismus nicht hinterherlaufen. Das Publikum applaudierte erleichtert.
Bonetti hatte diese Veranstaltungen einfach nur satt. Dreihundert Euro Honorar plus Spesen. Dafür opferte man einen ganzen Tag seines kostbaren Lebens und war danach von der Überheblichkeit und Menschenverachtung dieses selbstverliebten Zwergs so vergiftet, dass man tagelang keinen Satz schreiben konnte. Überall traf man heutzutage auf diesen neoliberalen Schwachsinn, diese Heilslehre des Managements, diese Religion der Kaufleute. BWL und VWL waren für ihn keine Wissenschaften, sondern Ideologie. Auch der Marxismus und Scientology hatten eine angeblich wissenschaftliche Begründung. Wo wäre die Literatur heute, wenn Menschen wie Bodo von Buckelschreck sie in den letzten dreitausend Jahren geprägt hätten? Wo andere ein Herz hatten, lag bei diesem eiskalten Technokraten nur ein Klumpen Stein in der Brust, der mit Zahlen beschriftet war.
Es kam nur darauf an, gute Geschichten zu erzählen. Eine Geschichte gut zu erzählen. Eine gute Geschichte wird älter als ein Mensch, älter als ein Baum. Eine gute Geschichte bringt die Menschen zu allen Zeiten zum Staunen und zum Nachdenken, zum Lachen und zum Weinen. Darüber wäre zu sprechen gewesen. Aber Bonetti war die Lust am Reden vergangen.
P.S.: Sie kennen Runkel an der Lahn nicht? Ein Schmuckkästchen, ein entzückender Ort. Und im Restaurant „Zum Güterschuppen“ wird internationale Küche neu definiert. Es gibt deutsche Schnitzel und Rumpsteaks, italienische Pizza und Pasta, syrische, marokkanische, irakische, ägyptische und spanische Spezialitäten, eigene Kreationen wie Runkeler Salat oder Pizza Catastrophale (extra scharf), Crossover-Küche wie eine ägyptische Pizzatasche und sogar einen polnischen Wildschweineintopf namens Bigosch. Eine so vielfältige Karte habe ich in Berlin noch nie gesehen.
P.P.S.: Bedauerlicherweise gibt es hoffnungslosen Profilneurotiker Bodo von Buckelschreck tatsächlich, ich kenne ihn persönlich. Inzwischen wählt er AfD und ist bekennender Sarrazin-Fan. Manche Geschichten kann man sich nicht ausdenken. Oder würden Sie glauben, dass ich einen Musikredakteur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kenne, der seiner kasachischen Ehefrau regelmäßig die Austrittsöffnung des Rektums lecken muss? Ich würde es nicht glauben, wenn ich diese Geschichte nicht selbst von ihm gehört hätte.
“Every action is a performance.” Pet Shop Boys – Flamboyant. https://www.youtube.com/watch?v=j_SovcPvfJU

1 Kommentar:

  1. Wo ist er, der Held der kommenden Generationen ?
    Der in 100 Jahren mit erhobener Faust und einem Symbol in der Linken, vielleicht einem Skistock, weil er gehbehindert war und nicht auf solch einen albernen Nordic-Walking Stock zurückgreifen wollte, auf den rauchenden Trümmern eines VW Passat in Acryl wandfüllend dargestellt wird.
    Der die verfeindeten Stämme des BVB und FCB eint und das Volk in eine goldene Zukunft führt. Ja, der Mitglied in einer Partei war und trotzdem eine von nahezu allen zu akzeptierende Einstellung hatte. Ach ja, vielleicht sogar noch schwul oder Türke in Xter Generation und mit Nachnamen Scholl, oder sogar alles zusammen.
    Ja erst dann, erst dann……….Ich glaube ernsthaft, daß nur sowas wirklich helfen könnte, die Menschen sind so !
    Man müsste so einen einfach nur erfinden und von einem Schauspieler darstellen lassen.
    Ach das wird schon gemacht ! Na dann...................

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