Montag, 22. Dezember 2014
Bodo von Buckelschreck - die Fortsetzung
Manfred wachte im Krankenhaus auf. Er konnte sich an nichts mehr erinnern. Aber die anderen „Drachenreiter“ erzählten ihm, was sich zugetragen hatte. Und wem sie die böse Geschichte zu verdanken hatten. Bodo war in der Band noch nie beliebt gewesen, zu oft hatte er gute Ratschläge für die Selbstdarstellung und das Marketing der „Drachenreiter“ gegeben. Er hatte die Homepage der Band gestaltet, es war viel Lila dabei, denn mit ihren Cover-Versionen von Modern Talking- und Backstreet Boys-Hits zogen sie eine Menge weiblicher Fans an. Damit hatte Manfred sich schon auf vielen Baustellen den Spott der anderen Handwerker zugezogen und auch der Gitarrist, ein Lkw-Fahrer, berichtete von höhnischen Kommentaren der Kollegen. Nach dem Vorfall blieben Anfragen von Veranstaltern zunächst aus, auch die Gage vom Volksfest konnte nicht eingetrieben werden, da sie nur fünfzehn Minuten gespielt hatten. Noch im Krankenzimmer beschlossen sie, Bodo aus der Band zu schmeißen.
In Runkel war man über den Vorfall zu Recht entsetzt. Ein Krankenwagen und die Polizei mussten geholt werden. Während des ganzen Festes sprachen die Einheimischen und ihre Gäste aus der Umgebung über das beschämende Ereignis. Natürlich sprach sich die Sache in Windeseile im ganzen Lahntal herum, die Lokalzeitungen berichteten über die Gewalttat. Mareks Freunde waren längst im Gewühl verschwunden und hatten den Festplatz verlassen, als die Polizei aus Limburg endlich eingetroffen war. Wie standen die Bürger von Runkel jetzt da? Dieser hochnäsige Professor Bodo von Buckelschreck, dieser zugereiste Parvenü mit seinen Büchern und Interviews, gehörte doch eigentlich gar nicht zu ihnen. Im Stadtrat wurde lebhaft darüber diskutiert und man erinnerte sich wieder daran, dass dieser ewige Besserwisser doch nur ein Zugereister aus der Landeshauptstadt Wiesbaden war. Die feinen Herren in der Landeshauptstadt, so ereiferte man sich, die uns redliche Bürger auf dem Land verachten und nichts Besseres zu tun haben, als unsere sauer verdienten Steuergroschen zu verprassen. Und von den Ratsherren sprang die Verachtung auf das ganze Volk über.
Bodo wurde auf der Straße nun geflissentlich ignoriert, hinter seinem Rücken spotteten die Menschen und machten sich über seinen Manierismus lustig. Über seine italienischen Lederschuhe, sein teures Rennrad, seine Nordic Walking-Stöcke, die edlen Jacketts oder die quietschbunten Sportklamotten. Man klopfte sich auf die Schenkel, sobald er ein Geschäft verließ, und breitete genüsslich die Geschichte seiner Liebschaft aus. Drei Kinder müsse er in seinem Haus großziehen und keines sei von ihm. Bald gäbe es wohl ein viertes und man müsse raten, welcher durchreisende Schelm ihm Hörner aufgesetzt hätte. Seine Frau käme aus Polen oder Rumänien, man kenne solches Volk ja zur Genüge. Setzten sich ins gemachte Nest, ließen sich vom Sozialamt den Fernseher und die Zahnarztrechnungen bezahlen, nur um bald darauf die gesamte Sippschaft aus der Fremde ins schöne Runkel zu holen. Im Kollegenkreis beschränkte man sich auf gelegentliche Anspielungen. Man forderte ihn auf, doch einmal etwas von Metallica zu spielen, oder kam im Metallica-Shirt zu den Sitzungen des Fachbereichs.
Bodo, trotzdem er sich immer tiefer in seine Arbeit verkroch, spürte diesen Meinungswandel sehr wohl. Er sah das höhnische Grinsen der Kassiererinnen, hörte das alberne Getuschel seiner Studenten, bemerkte die sich abwendenden Gesichter der ehrbaren alteingesessenen Bürger, die ihn zuvor noch freundlich gegrüßt hatten. So konnte es nicht mehr weiter gehen. Und nicht nur die Kälte seiner Umgebung machte ihm zu schaffen. Sarahs Zauber war längst erloschen. Sie jammerte, dass mit seinem geringen Beamtensold keine anständige Hauswirtschaft für fünf Personen zu führen sei. Offenbar kannte sie nicht die bescheidenen Einkünfte eines jungen Professors an einer Fachhochschule, die nur wenig über dem Lohn eines Fließbandarbeiters bei Opel in Rüsselsheim lagen. 3500 Euro im Monat – ein Witz. Sie hatte gedacht, sie könnte ihre Halbtagsstelle als Tierarzthelferin aufgeben, sich Schmuck und schöne Kleider, ein eigenes Auto und Fernreisen leisten. Sie hatte gehofft, er würde sie heiraten, aber sie lebten in wilder Ehe zusammen. Sie hatte geglaubt, das Haus gehöre ihm. Aber sie waren Mieter und die Hausbesitzerin, eine mürrische alte Apothekerwitwe, achtete genau darauf, ob die Straße vor dem Haus gekehrt, der Garten gepflegt und die Fenster geputzt waren.
Ich muss hier raus, dachte Bodo. Es war nicht nur das ewige Gezeter und Genörgel seiner „Elbenprinzessin“, wie er sie einst genannt hatte. Sie war kalt geworden wie die Wintersonne. Außerdem hatte sie sich zu seinem stillen Entsetzen als Buddhistin und Kifferin entpuppt. Und mit ihren buddhistischen Kifferfreunden veranstaltete sie regelmäßig „Meditationsabende“ in seinem Wohnzimmer. Auch ihre Legasthenie und ihre Abneigung gegen Bücher störten den erfolgreichen Autor von Fachbüchern. Zudem hatte er in relativ kurzer Zeit gemerkt, dass er mit Kindern nichts anfangen konnte und er sie eigentlich auch nicht mochte. Bodo hatte sich immer einen Hund gewünscht, aber ihm fehlte die Zeit für ein Haustier. Amelia war sechs Jahre alt und spielte am liebsten mit ihren Puppen, denen sie ständig neue Kleider anzog. Nicht sein Ding. Thorben-Linus war vier Jahre alt, schoss mit seinem Fußball alles von den Tischen und Regalen, was nicht angeschraubt oder aus Blei war, heulte bei jeder Kleinigkeit und ließ sich von Bodo gar nichts sagen, „weil du nicht mein Papa bist“. Nova-Klara-Mareike war noch ein Baby und erwartete vor allem Milch, Windeln und eine nächtliche Runde auf seinem Arm durch das ganze Haus. Und dann saß auch noch jedes Wochenende ein anderer Verwandter von Sarah auf dem Sofa.
Am Abend, die Kinder lagen in ihren Betten, wagte er, das Thema anzusprechen. Er habe das Familienleben in all seinen Konsequenzen unterschätzt. Er hätte niemals gedacht, dass es ihm so viel Zeit und Energie rauben würde. Seine Arbeit würde unter der Belastung leiden, er fühle sich in seiner gewohnten Freiheit eingeschränkt. Sie müsse Verständnis für seine Situation aufbringen. Zorn loderte in Sarah auf, sie spürte die Hitze in ihrem Körper und in ihrem Gesicht aufsteigen. Sie war wütend, sie schimpfte, sie verspottete ihn. Kalte Wellen der Verachtung wechselten sich mit glutheißer Wut ab. Sie kämpfte um ihr Leben und die Zukunft ihrer Kinder. Sie warf ihm seinen Egoismus und seine Verlogenheit vor. Er wolle sie im Stich lassen. Keiner seiner Kollegen würde so viel arbeiten wie er, als Workaholic hätten sie ihn verspottet. Er würde sich nur hinter seiner Arbeit verstecken, seine Arbeit als Ausflucht benutzen, um sich vor der Verantwortung für andere Menschen zu drücken. Es war furchtbar, Bodo schwieg betreten. Nach diesem Abend geriet er endgültig in die Hölle. Fortan herrschte eisige Routine im Haus des Bodo von Buckelschreck.
Er begann, sich an anderen Fachhochschulen und Universitäten zu bewerben. Bodo war ein bekannter Buchautor und angesehener Vortragsredner, also rechnete er sich gute Chancen aus. Er bewarb sich in Jena, in Kiel, in Paderborn. Es blieb ihm nur eine Möglichkeit: Alles hinter sich zu lassen, die Arbeit, das Haus, die Familie. Irgendwo weit weg von Runkel ein neues Leben zu beginnen. Er war Experte für Text, Form und Selbstvermarktung. Ein schrieb perfekte Bewerbungen, stellte sich im besten Licht dar, war witzig, charmant und eloquent. Monat für Monat schrieb er Bewerbungen, während sein Leben ihm immer unerträglicher wurde. Es musste ihm gelingen, er war der Beste. Er war immer der Beste gewesen!
Falls Ihnen also jemals die Bewerbungsunterlagen eines Medienwissenschaftlers namens Bodo von Buckelschreck in die Hände fallen – retten Sie diesen Mann!
Jimi Hendrix. https://www.youtube.com/watch?v=a6meMBtTgKQ
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Ich kenne diesen kranken Typen. Er schreibt auch Kinderbücher wie "Der große Plan", damit auch schon der Nachwuchs von seiner neoliberalen Ideologie verseucht wird.
AntwortenLöschen"Für Kinder und Jugendliche, die spielend an die Welt der Wirtschaft herangeführt werden wollen" heißt es in der Werbung für "Das Rätsel vom Fluss". Vom FAZ-Verlag für die Kinder der letzten FDP-Wähler :o)))
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