Montag, 29. Dezember 2014

Besuche (1987)

Am Anfang ein Anruf. Wechselnde Stimmen, nicht weiter beunruhigend. Ich werde darauf noch zu sprechen kommen müssen. Bernd Bernd ist nie selbst am Telefon. Ominöse Angehörige wissen nicht, ob er sich gerade im Haus befindet. Angestrengt presse ich den Hörer an mein Ohr, um den sich entfernenden Geräuschen der Suche folgen zu können. Dann ist Bernd Bernd persönlich am Apparat. Überflüssigerweise meldet er sich mit vollem Namen.
Einige Zeit darauf stehe ich vor seinem Haus. Zwei Klingelknöpfe, auf beiden steht Bernd. Jedes Mal drücke ich beide. Bald stehe ich im Vorraum, niemand ist zu sehen. Der Mensch, der den Türöffner gedrückt hat, ist nicht zu sehen. Allein stapfe ich die Wendeltreppe zu Bernd Bernds Zimmer hinauf. Wenn ich nach vorsichtigem Klopfen das Zimmer betrete, sehe ich zunächst das Fenster. Es zeigt grau-braune Felder und ein paar Häuser. Das Gefühl, Anlauf nehmen und hindurchspringen zu müssen, wird durch die jäh erblickte Gestalt Bernd Bernds verdrängt, die in Sesseln auf dem Bett am Schrank liegt steht sitzt grinst mit einladenden Gesten Plätze anbietet.
Die Musik ist laut, man redet eigentlich nicht viel. Genau betrachtet könnte ich mich heute an keinen einzigen erwähnenswerten Dialog mehr erinnern. Hinter Bernd Bernd stapeln sich Bierkisten zu angedeuteten Skulpturen wie Lego-Steine für riesige Kinderhände. Nein, nein – nur nicht in diese Richtung schauen. Dieses merkwürdige lauernde Grinsen. Ein Glück, dass man Zigaretten drehen Bier trinken auf den Boden zur Decke blicken kann. Bernd Bernd ist schwer auszurechnen, wenn er getrunken hat. Solange er nur Bier trinkt, ist alles in Ordnung, aber Vorsicht nach den ersten Gläsern Bourbon.
Die Besuche bei Bernd Bernd kennzeichnet ein scheues Abwägen des Möglichen, ein Kalkulieren der Situation. Nach einer Stunde beginnen die Abende, charakteristische Verläufe zu nehmen:
a) Schweigen bis zur Volltrunkenheit. Die sicherste, aber auch langweiligste Lösung.
b) Streit über ein willkürlich von Bernd Bernd gewähltes Thema, das er seit einigen Tagen inhaltlich vorbereitet hat. Die Monologpausen sollte man zur Erleichterung der Blase nutzen – es sind nicht viele.
c) Bernd Bernd liest ausgewählte Abschnitte aus seinen Lieblingsbüchern und selbstverfassten Traktaten vor.
Irgendwann in der Nacht lässt man das Haus hinter sich. Die kühle Dunkelheit der Straße und ein Gefühl der Befreiung. Schnelle Schritte, Bernd Bernd könnte es sich anders überlegen und noch einmal hinauskommen hinterherrufen zurückbitten begleiten wollen.
Einige Tage später ein Anruf. Fremde Stimmen, ineinander übergehende Stimmen. Auch darauf werde ich noch zu sprechen kommen müssen.
The Police – So Lonely. https://www.youtube.com/watch?v=fz0DFefft2E

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