Dienstag, 8. April 2014

Der Feind heißt Angst

Die amerikanische Schriftstellervereinigung PEN hat eine Untersuchung durchgeführt, ob die Überwachung des Internets durch die NSA das Verhalten ihrer Mitglieder verändert habe. 28 Prozent der Befragten gaben an, ihre Aktivitäten in sozialen Medien eingeschränkt oder ganz eingestellt zu haben. 24 Prozent sagten, sie würden gewisse Themen am Telefon oder im Internet vermeiden.16 Prozent vermieden inzwischen bestimmte Themen sogar in ihren Texten. Offensichtlich ist ein Teil der schreibenden Zunft bereits vom Überwachungsstaat eingeschüchtert. Aber nicht nur unter amerikanischen Schriftstellern, sondern in der gesamten Netzgemeinde sickert das schleichende Gift der Selbstzensur in die Köpfe.
Es gibt Menschen, die sich hinter einen Stacheldrahtverhau von Pseudonymen und falschen Identitäten zurückgezogen haben, die sich selbst und ihre Meinung verstecken, weil sie Angst haben: vor anderen Menschen, vor anderen Meinungen, vor Konzernen, vor Geheimdiensten. Sie haben Angst, ihren Arbeitsplatz, ihre Aufträge, ihre Wohnung oder am Ende ihre Freiheit zu verlieren. Es gibt Menschen, die mit dem Hochfahren des Computers oder dem Einschalten ihres Smartphones nicht fröhlich in die bunte Welt hinausschauen, sondern hinter dem Sehschlitz ihres Bunkers kauern und auf den Feind warten. Sie werden mich kriegen, fürchten sie. Nein, sie kriegen mich nicht, hoffen sie. Sie haben längst verloren, denn der Feind ist bereits da. In ihrem Gehirn. Der Feind ist nicht die NSA oder ein anderer der zahllosen Geheimdienste dieser Welt, der Feind ist die Angst.
Angst gehört zum politischen Geschäft. Nur ängstliche Bürger sind gute Bürger im Sinne der Herrschenden. Also wird uns Angst gemacht: Muslime, Terroristen, Russen - Hormonfleisch, Genmais, Rinderwahnsinn – Atomkraft, Klimawandel, Fracking – Horst Seehofer, Markus Lanz, Florian Silbereisen. Jeder kann diese Liste mit persönlichen Ängsten beliebig verlängern: Krebs, Arbeitslosigkeit, Raubüberfall, Haarausfall usw. ad infinitum. Ich habe mir das Prinzip mal von einem Schäfer erklären lassen. Wir hatten früher selbst einige Schafe, da wir unweit des Hauses noch eine Wiese besitzen. Ich habe ihn gefragt, wie man als einzelner Mann denn so einen riesigen Haufen Schafe überhaupt unter Kontrolle halten kann. Es sei ganz einfach, antwortete der Schäfer. Man habe je nach Herdengröße einen oder mehrere gut abgerichtete Schäferhunde, die permanent bellend und nötigenfalls nach den Schafbeinen schnappend um die Herde laufen. Die Schafe seien dadurch so eingeschüchtert, dass der Schäfer nur das Leittier in die gewünschte Richtung treiben müsse. Der Rest der Herde folge bereitwillig.
Stellen wir uns doch für einen Augenblick folgende Situation vor: Ein Autor sitzt morgens an seinem Schreibtisch. Er hat gerade seine Mails gecheckt, bei Facebook nachgesehen, was seine wenigen echten Freunde so treiben, dann online die Nachrichten gelesen und anschließend als Schmankerl ein wenig Zeit in diversen Blogs verbracht. Stellen wir uns vor, dieser Autor habe weder einen Arbeits- noch einen Mietvertrag, er habe weder einen Auftraggeber, der ihm Inhalte vorgibt, noch eine Redaktion im Nacken, die ihm in Fragen der Textlänge und des Veröffentlichungstermins, des Stils und der Grammatik Grenzen setzt, er zahle weder Steuern noch erhalte er staatliche Transferleistungen, er besäße weder Auto noch Fahrrad, weder Flachbildschirm noch Smartphone, weder Aktien noch Anleihen, dafür habe er im Gegenzug den Zeitreichtum eines Neugeborenen und einen gut gefüllten Weinkeller. Stellen wir uns vor, er sei schon in jungen Jahren wegen des Verdachts auf Teilnahme an einem schweren Raubüberfall auf einen Juwelier vom LKA und wegen der Freundschaft zu einem Menschen, den Interpol (und „Aktenzeichen XY … ungelöst“ – kein Witz!) wegen des Mordes an zwei Polizisten an der Frankfurter Startbahn-West gesucht hat, vom Verfassungsschutz observiert worden, er habe in Texas eine Nacht im Knast gesessen und sei in Handschellen dem Richter vorgeführt worden, ferner habe er sich vor brüllenden Stasi-Offizieren nackt ausziehen müssen. Stellen wir uns vor, er säße gerade bei strahlendem Sonnenschein an seinem Schreibtisch und blickte auf die rosafarbene Pracht einer japanischen Blütenkirsche. Hätte dieser Autor Angst? Oder könnte dieser Autor nicht einfach alles schreiben, was er möchte?

2 Kommentare:

  1. Angst essen Seelen und halten Sklaven.
    Wer alles Materielle verlor und sonstige Widrigkeiten der Mitmenschen erlebte, dürfte auf dem besten Weg sein, seine Angst auch noch zu verlieren. Ich kann da mitreden. Mitreden konnten sicher alle Menschen, die durch Kriege nur ihr pures Leben retteten. Nie mehr Krieg, nie mehr Bevormundung. Wir leben ab sofort unser selbstbestimmtes Leben. Die Politik kann uns mal. Nie mehr ein Gewehr in die Hand nehmen. Jagt sie fort, all diese schleimigen Lautsprecher, die uns nur Verderben brachten.
    Diese Menschen hatten tatsächlich den Mut, zumindest die Chance, angstfrei die Zukunft anzugehen. Wie lange hat das angehalten? Solange, bis sie die ersten Steine der zerstörten Häuser wiederaufgesetzt hatten. Dann gab es wieder etwas zu verteidigen. Nicht, weil sie es gegen den Nachbarn verteidigen wollten, der in der gleichen Scheiße saß. Sondern weil dieselben Lautsprecher von Politiker und die Pfaffen aus ihren geschützten Bunkern wieder auftauchten und ihnen die alten Parolen von Wert und Fortschritt, Haben ist Sein, Krieg ist Frieden, ins Gehirn hämmerten. Mit ihren kontrollierten Medien und Werbung, die ohnehin durch Schule seit Jahrtausenden das Hirn des kleinen Mannes konditionierte, war es kein großes Problem, den kleinen Mann wieder auf Kurs zu bringen. Seine Angst ist die alleinige Triebkraft, sich zu prostituieren und damit das Weltendrama aufrecht zu erhalten. Eine besondere Kostprobe über die Rolle des kleinen Schafs stammt ausgerechnet von einem Adeligen vor vierhundert Jahren:
    Étienne de La Boëtie: Von der freiwilligen Knechtschaft des Menschen
    http://gutenberg.spiegel.de/buch/5225/1
    Es bleibt dem kleinen Mann nichts anderes übrig als sich selbst mit dem Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Da wird weder Schule noch ein Messias helfen. Ein schier unmögliches Unterfangen. Zu diesem Thema habe ich mir hier auch ein paar Gedanken gemacht: http://www.kritisches-netzwerk.de/forum/oben-oder-unten-die-wahre-existenzielle-perspektive
    Oder noch wüster: http://www.kritisches-netzwerk.de/forum/das-untier-konturen-einer-philosophie-der-menschenflucht-ulrich-horstmann

    Vielleicht tue ich den gleichgeschalteten Lautsprechern und dem Hosenanzug auch nur Unrecht. Sind sie die Auserwählten, den Pfusch der Götter zu korrigieren und wir kleinen A haben das nur nicht verstanden? Das merkelanisch schäubliche Zeitalter geht ohnehin zu Ende, mit oder ohne uns.
    Nach dem Ausflug in mein tieferes Selbst, hole ich erst mal ein Krombacher zur Rettung der Welt und ein Zigarillo raus. Guten Abend.

    AntwortenLöschen
  2. Genau diesen Text heute zu lesen tut mir gut. Schöner Zufall!

    AntwortenLöschen