Sonntag, 13. April 2014
Saturday Night auf dem Dorf
Es beginnt am Spätnachmittag. Ich gehe zum Winzer meines Vertrauens, um mich für das Wochenende zu proviantieren. Grauburgunder und Riesling. Herr Seckler ist nicht nur ein ausgezeichneter Weinbauer, sondern auch Mitarbeiter der Hochschule Geisenheim, der einzigen Ausbildungsstätte für Weinbauern in diesem Land. Wie immer, wenn ich dort einkaufe, wird mindestens eine halbe Stunde geplaudert. Wir haben Zeit auf dem Land. Erst ist noch ein älterer Kunde da, der einige Anekdoten auf Lager hat, dann stehen die Batschkapp und das Zip-Hoodie von Raw Blue (100% Street Credibility, Alter) auf dem Hof und erörtern das Dorfgeschehen (Weltpolitik interessiert uns hier generell nicht, selbst Ukraine und NSA sind nur Stoff für dreißig Sekunden in der Dorfkneipe, dann geht es wieder um die wesentlichen Dinge wie Sport, Frauen und Wein). Herr Seckler hat ein Fünf-Liter-Weinglas im Regal stehen, das ihm sein Hausarzt mit dem Spitznamen „Gummi“ (keine Ahnung warum er so heißt, aber mich spricht man hier auch seit vierzig Jahren mit „Django“ an und ich weiß nicht warum) mal zum Geburtstag geschenkt hat. Im Glas war ein Rezept, auf dem stand: „Nur ein Glas Wein am Tag“. Gummi ist leider vor einigen Jahren den Sekundentod gestorben, mein Vater war dabei und hat vergeblich versucht, ihn wiederzubeleben. Gummi hat jeden krankgeschrieben, ob wegen Kater oder Liebeskummer. Er hat immer gefragt: „Wie lange willsten haben?“ Dann hat er dich ein oder zwei Wochen krankgeschrieben. Wären alle Ärzte so, gäbe es keinen Burn Out und vermutlich auch keinen Kapitalismus.
Zu Hause mache ich mir erst mal einen Schoppen. Schweppenhausen hieß ja früher mal Schoppenhausen, aber dann wurden die Namensrechte an einen ausländischen Konzern verkauft. So wie bei der Allianz Arena in München. Dort bin ich nämlich ein paar Minuten später, weil ich bei einem Freund und einer Flasche Bourbon das Bundesligaspiel Dortmund gegen Bayern (3:0, Hallelulja!) sehe. In der Halbzeitpause gehen wir mit dem Hund spazieren und ich pinkele genüsslich in die Idylle des Wildbaches, der durch unser Dorf fließt. Anschließend gehen wir zu Giovanni, unserem Dorfpizzabäcker am Sportplatz. Ein anderer Freund ist vorbei gekommen und hat erzählt, dort säße eine high-end-geile Frau. Sie pflegt den Dorfbehinderten, niemand kennt ihren Namen, aber wir träumen alle von ihr. Wir gehen also zu Giovanni. Der Laden ist brechend voll, auch draußen sind fast alle Tische besetzt. Ein Grillfeuer glüht und es gibt Steaks und Würstchen. Wir trinken Weizenbier und blicken verstohlen zu der Frau hinüber. Giovanni (Begrüßung: Faust gegen Faust – wir können hier auch Ghetto!) schenkt uns das Essen und wir versprechen im Gegenzug, morgen wieder zu ihm zu kommen, wenn unsere Dorfmannschaft auf dem Sportplatz ein Heimspiel hat. Auf dem Nachhauseweg habe ich einen Vierjährigen auf den Schultern, den Sohn des hiesigen Zimmermanns, der sich an meinem Kopf festhält, während ich mich an seinen Beinen festhalte. So fallen wir beide nicht um. Typisch Kind: Den ganzen Abend zwischen den Tischen herumrennen, aber dann zu müde für den Heimweg. Kennt man ja aus der eigenen Vergangenheit. Und zum Abschluss hole ich den Grauburgunder und den Riesling aus dem Kühlschrank. Mit ein paar Leuten sind wir in der Wohnung eines Freundes und tanzen betrunken vor der Stereoanlage. So geht ein typischer Samstagabend auf dem Land zu Ende.
Musik: "Sukiyaki" von Kyu Sakamoto.http://www.youtube.com/watch?v=C35DrtPlUbc
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