Dienstag, 1. April 2014
Erst gelacht, dann nachgedacht
Im Oktober 1986 sorgte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl für einen diplomatischen Eklat, als er den damaligen sowjetischen Staats- und Parteichef Gorbatschow mit Goebbels verglich: "Das ist ein moderner kommunistischer Führer, der war nie in Kalifornien, nie in Hollywood, aber der versteht etwas von PR. Der Goebbels verstand auch etwas von PR. Man muss doch die Dinge auf den Punkt bringen!" Kohl hat diesen Vergleich aus einem Interview mit dem amerikanischen Magazin „Newsweek“ später bitter bereut und ihn als einen seiner größten Fehler in seiner jahrzehntelangen politischen Laufbahn bezeichnet. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens: Gerade als Deutscher sollte man mit Nazi-Vergleichen sehr vorsichtig sein. Mi einem Hitler-Finger zeigt der blütenweiße teutonische Volksvertreter auf einen ausländischen Politiker, vier Finger (Herrenrasse, Lebensraum, Holocaust und Weltkrieg) zeigen auf ihn zurück. Zweitens: Was ist mit einem solchen Vergleich, mit einer solchen Beleidigung im politischen Spiel gewonnen? Was helfen mir populistische Vergleiche oder Fäkalsprache („Fuck the EU“ zum Beispiel) im diplomatischen Verhandlungsprozess? Irgendwann sitze ich mit den Leuten, die ich gerade so vollmundig angepöbelt habe, wieder am Verhandlungstisch und dann belasten diese pubertären Sprüche die Arbeitsatmosphäre und vermutlich auch die Verhandlungsergebnisse.
Wer die Nerven verliert, verliert das Gesicht, wie man in Asien sagt. Wer die Nerven verliert, zeigt Schwäche oder schlimmstenfalls Angst. Wer die Nerven verliert, macht Fehler und verliert am Ende das Spiel. Das jahrhundertealte Erfolgsgeheimnis der britischen Diplomatie ist die „stiff upper lip“, heute würde man sagen: das Pokerface. Das jahrhundertealte Erfolgsgeheimnis der französischen Diplomatie ist die geschliffene Sprache und die Fähigkeit, Kompromisse auch in schwieriger Lage zu finden. Umso enttäuschender ist es, dass ein so erfahrener Politiker wie Schäuble jetzt Putin mit Hitler vergleicht. Was ist damit gewonnen? Seine Parteifreunde müssen sich von ihm distanzieren, seine Kabinettskollegen müssen sich für ihn auf Dienstreisen entschuldigen – und die nächste Verhandlungsrunde, bei der auch Schäuble als Finanzminister wieder mit seinem russischen Pendant an einem Tisch sitzt, kommt bestimmt. Dann ist die Krim-Krise längst vergessen, die persönliche Beleidigung eines Staatsoberhaupts vermutlich nicht (by the way: Ist die Bundeswehr derzeit nicht auf drei Kontinenten - im Kosovo, in Afghanistan und in Mali - in militärische Abenteuer verwickelt?).
Kohl hat Gorbatschow nur wenige Jahre später bei den Verhandlungen zur Wiedervereinigung als Freund der Deutschen bitter nötig gehabt. Den leichtfertigen Vergleich mit Goebbels hat er in dieser Zeit sicher täglich bereut. Schäuble ist seit 1984 – mit Unterbrechung der Schröder-Jahre – Bundesminister, er ist mit 41 Jahren Parlamentszugehörigkeit der dienstälteste Abgeordnete in der Geschichte dieser Republik. Das Sprüche-Klopfen sollte er drittklassigen Politikern wie dieser durchgeknallten ukrainischen Oligarchin mit der völkischen Bauernkriegsfrisur überlassen, die öffentlich davon träumt, den gewählten Präsidenten Russlands wie einen räudigen Hund zu erschießen.
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