Donnerstag, 16. November 2023

Ramstein

 

Ich sehe bei Amazon nach, wann mein Päckchen eintrifft, und lese, es wäre heute Nacht in der letzten Lieferstation angekommen und würde bis 21 Uhr bei mir sein. Die letzte Station ist Ramstein. Und schon beginnt der Film. Ramstein 1988. Das fürchterliche Unglück bei einer Flugshow. 28.8.88. Siebzig Tote, tausend Verletzte. Im Gegensatz zu 9/11 kann sich vermutlich niemand mehr erinnern, wo er zu diesem Zeitpunkt gewesen ist und wie er davon erfahren. Ich schon.

Ich war mit meinem leider schon verstorbenen Freund Bernulf in Holland. Wir waren ein paar Tage am Meer. Die Erinnerungen an den Urlaub sind, aufgrund der langen Zeit, die inzwischen vergangen ist, und unseres Drogenkonsums, leider nur sehr bruchstückhaft. Das entsprechende Notizbuch liegt in Berlin und ist daher nicht erreichbar. Ich weiß noch, dass es auch kleine Zeichnungen enthielt und von Bernulf höchstselbst gelegentlich mit seinen Eindrücken ergänzt wurde. Anyway.

Am 28. August waren wir auf dem Heimweg. Wir hielten noch in Maastricht, um uns in einem Coffee Shop ein Piece zu kaufen, das Bernulf, ein gelernter Elektriker, in Klarsichtfolie verpackte und im Herzen unseres Ghettoblasters versteckte. Ich hätte mich ja nie getraut, ein elektrisches Gerät mit einem Schraubenzieher zu öffnen, aber dieser Teufelskerl konnte sogar Schaltkreispläne lesen. So rollten wir, gut gelaunt und stoned auf die Grenze zu, an der damals noch streng kontrolliert wurde.

Die Zollbeamten sahen uns, zwei abgerissene langhaarige Typen mit roten Augen und einem dämlichen Grinsen im Gesicht, und winkten uns natürlich sofort raus. Wir sahen schließlich aus wie Bilderbuchkiffer und Drogenschmuggler. Wir wurden in die Zollstation gebracht, wo uns ein Beamter verhörte, während draußen unser Wagen nach allen Regeln der Kunst durchsucht wurde. Wir stritten natürlich alles ab, der Beamte war sichtlich genervt. „Jetzt geben Sie’s doch endlich zu! Wo haben Sie die Drogen versteckt? Sie ersparen uns allen eine Menge Zeit und Arbeit.“ So in der Richtung beschwor er uns minutenlang.

Nach einer halben Stunde musste ich mal aufs Klo. Ein anderer Beamter brachte mich in eine Gefängniszelle, ließ aber die Tür offen und beobachtete mich, damit ich keine Beweismittel verschwinden lassen konnte. Ich stand am Pissoir und öffnete den Reißverschluss meiner Jeans. Normalerweise passiert gar nichts, wenn mir jemand dabei zuschaut oder zu nahekommt (Phänomen Trockensteher), aber zum Glück konnte ich mich erleichtern. Es ging zurück zum Verhör, als plötzlich ein weiterer Beamter hereinkam. In Ramstein habe es ein schreckliches Unglück gegeben. Alle waren geschockt. Nur wir nicht. Wir waren in unserem eigenen Film.

Sie ließen uns laufen und wir fuhren der Freiheit entgegen, zwei verwahrloste Halunken in Heldenlaune. An diesem Tag war uns das Schicksal gnädig, vielen anderen nicht.

P.S.: Die gleiche Erfahrung machte ein alter Schulfreund, der am 11.9.2001 nach einer Hausdurchsuchung, bei der eine nicht unbeträchtliche Menge Heroin gefunden wurde, verhaftet und auf die Polizeiwache gebracht wurde. Das Heroin wanderte in die Asservatenkammer, er selbst durfte gehen, nachdem die Meldung über die eingestürzten Twin Towers die Runde gemacht hatte. Noch heute erzählt er die Geschichte mit einem feisten Grinsen.

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