Samstag, 4. November 2023

Es ist soweit

 

Von außen wirkte der „Vorstadtkrug“ wie eine gemütliche Eckkneipe, aber eigentlich war es nur eine heruntergekommene Spelunke. Der adipöse Wirt hockte wie eine fette Spinne hinter dem Tresen. Seine bratwurstartigen Finger wirkten, als seien sie zusammengewachsen, und man wunderte sich, dass er die Gläser beim Bierzapfen nicht zerquetschte. Er hatte fettige schwarze Haare und seine fleckige Schürze wirkte genau schmierig wie der ganze Rest. Ein penetranter Geruch nach Zwiebeln, Schweiß und Roth-Händle umgab ihn.

Mit den Stammgästen, die am Tresen saßen, war er meistens in vertrauliche Gespräche vertieft. Andere Gäste wurden nur stumm und achtlos, um nicht zu sagen widerwillig bedient. Fremde bekamen gar nichts. Ich wohnte schon seit zwei Jahren in diesem Viertel, kam regelmäßig ins Lokal und war dennoch in der Rangordnung ganz unten. Warum ich mich den Launen dieser Qualle überhaupt aussetzte, war mir selbst unverständlich.

Nach drei kleinen Bieren zahlte ich am Tresen, erhielt für mein Trinkgeld wie immer keinen Dank und verließ das ungastliche Haus. Draußen dämmerte es bereits und die Straßenlaternen waren angegangen. Ich überquerte die Straße, als gerade ein Pulk Angestellter die Treppe der U-Bahnstation heraufkam, die auf dem Heimweg waren.

Da sah ich ihn. Mich traf fast der Schlag. Er sah genauso aus wie ich. Dieselbe Größe, dieselben Gesichtszüge, dieselbe Haarfarbe. Es konnte nur eine Täuschung sein. Ich beschloss, ihm zu folgen. Im Licht einer Laterne blieb er stehen, um sich eine Zigarette anzuzünden. Ich betrachtete ihn genauer. Kein Zweifel. Hatte ich denn einen Zwillingsbruder?

Er ging weiter und ich folgte ihm mit einigen Abstand. Schließlich bog er in meine Straße ein. Wollte er zu mir? Eine Minute später stand er vor meinem Haus. Kein Zweifel. Er hatte sich offenbar meine Adresse besorgt und wollte seinen verschollenen Bruder besuchen. Aber er klingelte nicht, sondern schloss einfach die Haustür auf.

Vorsichtig schlich ich um das Haus herum in den Garten. Mein Wohnzimmer hatte eine große Glasfassade. Ich betrat die Terrasse und spähte hinein. Das Licht ging an und der Mann setzte sich in meinen Sessel. Dann holte er sein Handy heraus und telefonierte. Ich verstand die Sprache nicht, aber es klang wie Polnisch. Das konnte nur eines bedeuten:

Die Umvolkung Deutschlands war in vollem Gange!  

 

1 Kommentar:

  1. Kafka oder Aichinger? Der Pole stört. Sie müssen sich vor einem Spiegel wehren....

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