Er hatte schon als Kind mit
seinen Freunden in diesem Wald gespielt. Dort gab es eine Flak-Stellung aus dem
Krieg, von der nur noch die Bodenplatte übrig war. In ihrer Nähe gab es einen
Erdhügel. Als er dort vor einigen Jahren mit einem Metalldetektor unterwegs war,
um Relikte aus den Kämpfen im Jahr 1945 zu finden, schlug er an diesem Hügel
an. Er fing an zu graben und legte eine Bunkertür aus Stahl frei. Sie war
natürlich verschlossen.
Am nächsten Tag kam er mit einem
Schweißgerät wieder. Zum Glück war der Stahl nicht allzu dick. Er schnitt um
das Schloss herum und hebelte die Tür mit einem Stemmeisen auf. Er nahm seine
Taschenlampe und ging hinein. Kurz hinter dem Eingang war eine Betontreppe, die
etwa fünf Meter in die Tiefe führte. Er betrat einen Raum, der ungefähr zwanzig
Quadratmeter groß war und in dem an allen Wänden Regale standen. Waffen,
Munition, Helme, Verbandszeug – und ein Stapel mit kleinen Paketen, die in
Folie verpackt waren.
Er nahm drei Stahlhelme und ein
Paket mit hinaus. Dann verdeckte er den Eingang mit Ästen. Die Wanderwege waren
weit entfernt und in diesem Naherholungsgebiet trieb sich höchstens ein Förster
herum, aber keine Waldarbeiter. Die Helme ließen sich leicht an Sammler von
Militaria verkaufen. Mit den Gewehren und der Munition wollte er vorsichtig
sein. Vielleicht würde er sie auch einfach im Bunker lassen. Aber das Paket
machte ihn neugierig. Was konnte sich hinter der Folie verbergen?
Zuhause setzte er sich an den
Küchentisch und ritzte das Paket an. Es enthielt ein weißes Pulver, stark
gepresst. Er kratzte ein paar Krümel heraus. Was sollte er machen? Was wäre,
wenn es Gift war? Er überlegte eine Weile, dann nahm er einen winzigen Krümel
in den Mund. Er schmeckte bitter. Das erinnerte ihn an Pep. Er wartete eine
Weile. Nichts geschah. Also kein Gift. Er nahm ein paar Krümel. Nach ein paar
Minuten setzte die Wirkung ein. Sein Puls beschleunigte, er sprang auf und lief
unruhig in der Küche hin und her. Das war Speed. Keine Frage. Er legte sich
eine Line und zog sie durch einen gerollten Zehn-Euro-Schein.
Er machte den ganzen Abend und
die ganze Nacht kein Auge zu. Das war der beste Stoff, den er je genommen hatte.
Vermutlich einhundert Prozent pur. Beste Qualität. Er konnte es kaum erwarten,
bis die Sonne aufging. Dann ging er mit seinem Rucksack in den Wald und nahm
zwanzig Pakete mit. Jedes wog ein Kilogramm. Zuhause angekommen, schnupfte er
noch eine Line und ging sofort wieder zurück. Am Abend hatte er 150 Kilogramm
in seiner Wohnung und konnte immer noch nicht schlafen. Er brauchte einen Plan.
Selbst strecken und verkaufen? So viele Leute kannte er nicht. Es wäre zu
auffällig gewesen, er lebte in einer Kleinstadt.
Drei Tage später fuhr er nach
Frankfurt. Auf der B-Ebene des Hauptbahnhofs sprach er einen Dealer an. Er
wollte hundert Gramm Koks kaufen. Der Dealer, ein kleiner Kerl mit schwarzen
Haaren und Schnurrbart, brachte ihn in ein Bordell in der Kaiserstraße. Er
wartete kurz an der Bar, dann wurde er in ein Hinterzimmer gebeten. Dort saßen
drei Männer in Ledersesseln und rauchten Zigaretten.
„Du willst hundert Gramm Koks?
Kostet dich siebentausend.“
„Eigentlich möchte ich euch was
verkaufen. Speed. Reiner Stoff. Hier ist eine Probe. Ich komme morgen wieder.“
Er legte einen kleinen Beutel
auf den Tisch und verließ den Raum. Methamphetamin, im Dritten Reich als
Pervitin und heute als Chrystal Meth bekannt, wurde als Aufputschmittel in der
Wehrmacht eingesetzt („Panzerschokolade“). Die Droge war auch in der deutschen Gesellschaft
weit verbreitet. Niemand weiß, wie viele Tonnen Methamphetamin im Zweiten
Weltkrieg hergestellt wurden. Auch nach dem Krieg gab es immer noch genug von
dem Zeug. Bis heute wird es amerikanischen Kampfpiloten bei längeren Einsätzen
verabreicht.
Am nächsten Tag hatte er hundert
Gramm dabei. Sie waren im Geschäft.
„Der Stoff ist der Wahnsinn.
Kannst du jede Woche hundert Gramm liefern?“
„Kein Problem. Wenn Ihr das Geld
habt.“
„Zu wem gehörst du?“
„Geht Dich einen Scheiß an.“
Alle grinsten.
Dreitausend Euro. Die Dealer würden
den Stoff strecken und daraus ein Kilo machen. Straßenpreis: zehntausend Euro. Er
dehnte das Geschäft nach Wiesbaden, Mannheim, Köln, Düsseldorf und Duisburg
aus. Er war die ganze Woche unterwegs. Immer nur hundert Gramm pro Deal. Ein
großes Geschäft wäre zu gefährlich gewesen.
Er nahm dreißigtausend Euro pro
Woche ein und musste sich überlegen, wo er das ganze Geld sicher unterbringen
konnte. Am Ende würden es 4,5 Millionen Euro sein. Er konnte es nicht auf die Bank
bringen und seine Wohnung war zu klein für die vielen Scheine.
Also kaufte er in jeder Stadt
Krügerrand-Goldmünzen von dem Geld. So ließ sich das Geld auch leichter
transportieren. Ein paar Goldmünzen waren in seiner Brieftasche zwischen den
anderen Münzen viel sicherer als dicke Geldbündel in seiner Jacke. Für die
Goldmünzen mietete er ein Bankschließfach. Er lebte weiterhin unauffällig.
Seinen Kunden fragten nach seinen Hintermännern, aber über seine Lieferanten
schwieg er sich aus. Schließlich gab es keine.
Nach drei Monaten fuhr er zum ersten Mal in die Schweiz und deponierte sein Gold in einem weiteren Bankschließfach. Nach und nach schaffte er sein Vermögen aus dem Land. Nach etwa drei Jahren hatte er das Pervitin komplett verkauft und setzte sich in einen Zug nach Basel.
Heute lebt er in Lugano und genießt sein Leben. Er speist
jeden Tag in den besten Restaurants und geht am See spazieren. In Genf hat er
sich einen gefälschten Pass besorgt und ist Bürger der Schweiz geworden. Er
nennt sich jetzt Andy Bonetti und behauptet, er sei Schriftsteller und
„Enthüllungsliterat“.
Genau so macht man das. Wer zu gierig wird und alles auf einmal haben will, fällt auf und dann durch.
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