Samstag, 3. Oktober 2015

Die Wende

„Die Stadt war von Bergen eingekesselt, die jedoch nichts Majestätisches aufwiesen, sondern eher Erdaufschüttungen glichen, als wäre ein unermessliches Grab ausgehoben worden.“ (Friedrich Dürrenmatt: Das Versprechen)
Heute möchte ich Ihnen ein neues Restaurant im Prenzlauer Berg vorstellen, das sich wohltuend vom Sushi- und Tapas-Einerlei des Viertels abhebt. Dem hartnäckig wuchernden Neo-Biedermeier des linksliberalen Besitzbürgertums ist mit dem Restaurant „Die Wende“ endlich ein kulinarischer Kontrapunkt gesetzt worden. Sie finden es in der Kastanienallee zwischen dem Kerzenladen von Ludger und Gerda und dieser schrecklichen Geschenkboutique, wo Besserverdienende aus der Medienbranche all diesen traurigen und nutzlosen Kram kaufen, den niemand braucht.
Zunächst einmal fällt auf, dass die Wände des Lokals in hellem Braun gestrichen und mit Gemälden der bekannten Kreuzberger Künstlerin Lolita Käsestrumpf geschmückt sind, die ab 150 Euro käuflich zu erwerben sind. Wir hatten als Vorspeise die Antipasti à la Surprise und waren tatsächlich erstaunt: Es kam ein Teller mit fünf Kinder-Überraschungseiern. Als Hauptspeise wählte ich das Ragout vom Bio-Reh mit lauwarmen Kartoffelchips. Eine bretonische Spezialität, wie mir der Kellner versicherte. Meine Begleiterin hatte das Risotto Brandenburg: eine Boulette mit weißer Schokoladensoße, dazu einen Beutel Reis in einem Topf mit brodelndem Wasser nebst Sanduhr.
Bodenständig und erfreulich unaufgeregt bietet „Die Wende“ Klassiker der Berliner Küche an und dies sehr ordentlich und in großen Portionen. Das Berliner Schnitzel, bekanntlich aus Kuheuter hergestellt, fehlt auf der Karte ebenso wenig wie Eisbein mit Erbspüree oder der Döner à la Chef, der im aufgeschnittenen Dinkelbrötchen serviert wird. Dazu gibt es alkoholfreies Radler aus der Plastikflasche oder Fassbrause in der Glasflasche. Zum Nachtisch hatten wir „Elf Neunundneunzig“, eine alte DDR-Spezialität: grüner Wackelpudding, mit Weinbrand flambiert, den man aus einer Schachtel F6 löffeln darf. Dazu wird Gerstenkaffee gereicht, den man als „Muckefuck“ (nein, das ist kein Anglizismus) auf der Getränkekarte findet.
Gerne wieder!
Die Wende
Kastanienallee 23
Prenzlauer Berg / Berlin

Princess - Say I'm Your Number One. https://www.youtube.com/watch?v=lDiL_y7D6iA

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