Montag, 12. Oktober 2015

Das Dorf

“Instead of sending you all to hell I've decided it would be easier to just send hell to you.” (God ‏@TheTweetOfGod)
2015. Tief im Pfälzer Wald verborgen gibt es ein Dorf namens Weiler. Nur ein paar Kilometer von Frankenstein entfernt. Ein nettes kleines Dorf. Vielleicht zwei Dutzend Häuser. Eine Kneipe, ein Bäcker und sogar ein Kindergarten am Dorfeingang. Aber in diesem Kindergarten ist es ganz still. Es gibt gar keine Kinder. Und an der Tür des Bäckers hängt ein Schild: „Bin gleich wieder da“. Aber es kommt niemand zurück. Und die Tür der Kneipe ist immer verschlossen. Nur eine einzige schmale Straße führt in dieses Dorf. Eine Sackgasse. Und eigentlich hat niemand einen Grund, hierher zu kommen.
In den Häusern leben ausschließlich Menschen, die der Organisation gedient haben. Hier sind sie sicher, und sie haben sich diese Sicherheit verdient. Sie haben ihr Leben riskiert, sie haben Dinge gesehen, die sie niemals mit anderen Menschen teilen können. Sie sind die Glücklichen, die es bis hierher geschafft haben. Niemand verirrt sich an diesen Ort. Die Wachmannschaft im „Kindergarten“ und die Überwachungszentrale im „Dorfkrug“ sorgen für ihre Sicherheit, ohne sie zu kennen. Ohne ihre Geschichten zu kennen.
Am Ende der Dorfstraße steht eine alte Villa. Sie strahlt eine würdevolle Gelassenheit aus, so als ob sie wüsste, dass sie alle ihre Bewohner überleben würde. In dieser Villa lebt Schlesinger. Mit Schlesinger hat alles angefangen.
1981. West-Berlin. Eine kalte Nacht. Schlesinger saß am Steuer eines Ford Taunus und rauchte eine Camel. Die Nummernschilder hatte er sich von einem anderen Ford Taunus in Lankwitz „geliehen“. Morgen früh würden sie wieder an ihrem Platz sein.
Auf dem Ku’damm wartete Katja in ihrer kurzen Jacke aus Kunstpelz. Sie wollte Schauspielerin werden, aber sie hatte es nicht geschafft. Sie arbeitete als Kellnerin in einer Kneipe gegenüber der Schaubühne. Jeden Abend bediente sie Schauspieler und Bühnenarbeiter nach der Vorstellung.
Michael kam wenig später und stellte sich zu ihr. Tagsüber arbeitete er als Automechaniker in Neukölln. Katja schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen, und er gab ihr Feuer. Mit beiden Händen formte sie eine Muschel, um die Flamme zu schützen.
Als Schlesinger den Wagen anhielt, kletterte Katja auf den Rücksitz, während Michael auf dem Beifahrersitz Platz nahm. Die Bombe war im Kofferraum. Michael musste sie nur noch anschließen.
Karl-Heinz Klein wohnte in der Birkenstraße in Moabit. Er war Polizist und hatte vor zehn Jahren, im Dezember 1971, Georg von Rauch in Schöneberg erschossen. Sie kannten seine Adresse und sie kannten seinen Wagen. In seinen Fenstern brannte kein Licht. Er hatte Nachtschicht.
Schlesinger fuhr eine Runde um den Block und hielt dann neben dem Wagen.
Michael stieg aus und nahm die Bombe und das Werkzeug aus dem Kofferraum.
Katja ging auf dem Bürgersteig auf und ab und hielt die Augen offen.
Schlesinger holte sie nach einer Viertelstunde wieder ab. Morgen würde die Bombe hochgehen. Es würde den Richtigen treffen. Klein war geschieden und lebte allein.
Als sie davon fuhren, schwiegen sie. Das Leben der großen Stadt, das sie umgab, war weit weg. Sie fühlten sich wie eine U-Boot-Besatzung auf Tauchfahrt.
Buzzcocks - Ever Fallen In Love (With Some You Shouldn't). https://www.youtube.com/watch?v=WPG6Ak5FASk

2 Kommentare:

  1. Georg von Rauch wurde am 4. Dezember 1971 von dem Zivilbeamten und Kriminalobermeister Hans-Joachim Schultz in der Eisenacher Straße erschossen.

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    1. Danke für den Hinweis. Ich habe für die Geschichte bewusst einen anderen Namen genommen. "Karl-Heinz" für den Mörder von Ohnesorg, Karl-Heinz Kurras. "Klein" für den Massenmörder von Kunduz, Georg Klein.

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