Samstag, 10. Oktober 2015

Die Fahrt

„Je mehr wir wollen, desto schlimmer wird es.“ (Lupo Laminetti)
Es war ein spontaner Entschluss gewesen, nach Tokio zu fliegen, und ich hatte die Tage in der Stadt genossen. Ich hatte nichts Besonderes vor, sondern ließ mich einfach durch die Stadt treiben. Eines Abends saß ich sogar allein im Kino, obwohl ich überhaupt kein Japanisch spreche. Einfach Popcorn essen und die Leute beobachten.
Auf der Fahrt zum Flughafen kam ich mit zwei jungen Lehrerinnen ins Gespräch, die gerade mit einer Schulklasse auf Klassenfahrt gewesen waren und nun nach Europa wollten. Sie sprachen hervorragend Englisch und ich berichtete von meinen Erlebnissen in Tokio. Ich bin ein großer Fan der japanischen Küche – und damit meine ich nicht Sushi – und so diskutierten wir bald angeregt über diverse kulinarische Genüsse. Die beiden Damen überredeten mich, trotz der kurzen Fahrt mit ihnen in den Speisewagen zu gehen.
Wir setzten uns an einen Tisch und bestellten eine riesige Platte mit Gemüse, Pilzen und Chrysanthemen. Es schmeckte herrlich. Ich sah aus dem Fenster und bemerkte, dass der Zug mit einer unglaublichen Geschwindigkeit unterwegs war. Diese japanischen Züge waren faszinierend. Obwohl das Mahl bereits opulent gewesen war, bestellte ich gut gelaunt noch einen Nachtisch für jeden von uns, danach etwas Käse und zum Abschluss einen Suntory-Whisky.
Wir kamen mit einigen Männern am Nachbartisch ins Gespräch. Es waren Australier oder Amerikaner, ich weiß es nicht mehr. Jedenfalls tranken sie Bier und alsbald hatte ich ein kühles Kirin vor mir stehen. Ich trank noch einen Whisky und erzählte von meiner Zeit in Berlin. Wir kamen irgendwann auf das Thema Essen, auf die unglaubliche Vielfalt der Restaurants in Tokio – schon wieder, ich weiß gar nicht, warum ich immer wieder davon anfange – und die Männer und ich beschlossen, uns einen schönen saftigen Cheeseburger zu bestellen. Die Frauen lächelten nur und lehnten höflich ab.
Als wir die Bestellung aufgegeben hatten, fiel plötzlich das Licht aus. Wir saßen im Dunkeln. Mir war gar nicht aufgefallen, dass die Sonne untergegangen war.
„Wie lange fahren wir denn noch?“ fragte ich den Schaffner, der mit einer winzigen Taschenlampe vorüber kam.
„Noch zweiundzwanzig Stationen“, antwortete er gleichmütig.
Die Fahrt nahm kein Ende.
The Cure - In Between Days. https://www.youtube.com/watch?v=scif2vfg1ug

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