Montag, 6. April 2015

Putins Trollfabriken – Wie wir manipuliert werden

Das Wartezimmerblättchen Focus hat mal wieder knallhart recherchiert. Investigativer Journalismus tief im Kernland unseres Feindes. Sturmgeschütz der Mammographie oder so. Nach stundenlangen Intensivinterviews an einer russischen Hotelbar und auf ewig ungezählt bleibenden Kartoffelschnäpsen (wir sollten uns von den unaufhörlich einsickernden Elementen der gegnerischen Propaganda, damit meine ich Begriffe wie Wodka oder Wladimir, Wladimir heißt übrigens übersetzt Beherrscher der Welt, das habt ihr Putin-Versteher noch nicht gewusst, wetten?), aber weiter: sollten wir uns nicht, verdammt, jetzt noch eine schöne Formulierung am Satzende, einlullen, zu schwach, einkesseln, ja, das klingt nach Ukraine und Krieg, vielleicht auch: gehirnwaschen, nee, gibt’s nicht, brainwashen lassen. Oder so. Jedenfalls: Der Iwan führt einen heimtückischen Informationskrieg gegen uns.
Und so läuft die ganze Sache: Die gibt es ein Gebäude in Russland, wo morgens ganz viele junge Leute reingehen. Es hängt aber kein Firmenschild dran. Das muss die Trollfabrik sein. Uni? Nö. Ob ich drin war? Hey, ich recherchiere hier unter Lebensgefahr, Barkeeper, noch einen doppelten Wodka, aber ich habe zuverlässige Informanten. Der Focus beschäftigt keine Trolle, kapiert? „Die Arbeit in der Troll-Fabrik ist hart, das sagen alle Informanten. ‚Die Quote sind 135 Kommentare pro Zwölf-Stunden-Schicht‘, berichtet der ehemalige Mitarbeiter Marat Burkhard.“ Das sind elf Kommentare wie „Putin ist super“ oder „Der Westen ist so doof wie ein Toastbrot, echt, Mann!“ pro Stunde. Da kommt man kaum dazu, mal ein Red Bull zwischendurch zu trinken oder eine Zigarette zu rauchen. Solche menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen wären in unseren Fabriken in Bangladesch verboten. Kommentare kann man in Russland übrigens nur in verdächtig firmenschildlosen Fabriken abgeben, weil Russen zu Hause weder Computer noch Smartphone haben. Und Marat Burkhard ist ein typisch russischer Name. Ist jetzt nicht mein Praktikant oder so.
Der Hammer: „Die Bezahlung dürfte die Hauptmotivation sein, für die Troll-Fabrik zu arbeiten.“ Diese Schweine machen das alles nur für das viele Geld (720 Euro im Monat). Boah, das ist sooo schäbig! So könnte ich nicht leben. Wir beim Focus, übrigens das Sturmgeschütz der Antipathie, arbeiten ausschließlich für die gute Sache (Westen). Aber so ist der Iwan, gib ihm ordentlich einen Schnaps nach dem anderen an der Hotelbar aus, steck ihm noch einen Zehner in die Jackentasche und schon plaudert er alles aus. Nähkästchen nix dagegen! Richtig fies finde ich auch, dass die Trolle von Kameras überwacht werden. Wie sollte man auch sonst rauskriegen, was die Trolle so schreiben? Nachher posten die Sachen wie „Bayern München ist super“ und „Sascha links von mir liebt Ludmilla schräg vor mir“. Außerdem setzen die Russen auch Bots ein, das sind riesige Roboter, die den ganzen Tag „Ich bin der Größte“ brüllen und damit die öffentliche Meinung in Oklahoma und im Saarland total manipulieren. Wenn die Leser diese merkwürdigen russischen Buchstaben entziffern könnten und diese komische Iwan-Sprache verstünden. Die Leute werden nämlich durch Medien manipuliert und so (außer durch den Focus natürlich)!
Aber es kommt noch härter: Ich „gehe davon aus, dass etwa ein Dutzend deutschsprachiger Trolle von der Schweiz aus operiert“. Jetzt werden wir also auch noch in unserer Muttersprache manipuliert. Und die Alpentrolle bekommen noch nicht mal Geld dafür! Es handelt sich um echte Überzeugungstäter – und das sind bekanntlich die schlimmsten. Diese Strategie erinnert mich „an eine Sowjet-Taktik aus dem Kalten Krieg: ‚Zersetzung‘ als psychologische Kriegsführung. ‚Standpunkte erschüttern, Zweifel und Misstrauen säen, diskreditieren, Streit schüren‘ – darum gehe es bei Putins Informationskrieg in Wirklichkeit.“ Sagt Ihnen: Ihr Schlumpfgeschwür der Hagiographie.
http://www.focus.de/politik/ausland/propaganda-auf-bestellung-so-funktionieren-putins-troll-fabriken_id_4592188.html
P.S.: Also gut, ich gebe es zu. Ich war noch nie in Russland. Ich kenne auch keinen Russen persönlich und in der Schule habe ich nur Englisch gelernt. Das ganze Quellenzeug habe ich aus anderen Zeitungen und dem Internet. Wir können uns doch beim Focus gar keinen investigativen Journalismus oder Dienstreisen leisten. Wir stehen finanziell mit dem Rücken zur Wand! Kaufen Sie bitte trotzdem unsere Münchner Infografiksammlung. Wenn alle Deutschen diese Woche den Focus kaufen, gibt’s irgendwann auch wieder Qualitätsjournalismus. Und ich, der von 8,50 € Mindestlohn nur träumen kann, müsste nicht für eine Praktikumsbescheinigung in Zwölf-Stunden-Schichten solche Texte schreiben. In Unterhosen vor meinem eigenen Notebook in Gütersloh. Mit nur noch einer Kindermilchschnitte und einem angebissenen BiFi im Kühlschrank.
Sönke „Marat“ Burkhard
Buffalo Springfield - For What It's Worth. https://www.youtube.com/watch?v=gp5JCrSXkJY
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1 Kommentar:

  1. Auch Unternehmen und andere Regierungen beschäftigen Leute, die in den sozialen Medien Kommentare für ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Politik abgeben. Putin hat nur den Westen kopiert.

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