Mittwoch, 29. April 2015

Der Schutzpatron der Winzer und Nazis

„Man ist oft weit und breit für einen größeren Narren bekannt als man selbst weiß.“ (Heinrich Heine: Der Rabbi von Bacherach)
Gerade habe ich das Romanfragment „Der Rabbi von Bacherach“ gelesen, das Heinrich Heine 1840 veröffentlicht hat. Schon der erste Satz ist großartig: „Unterhalb des Rheingaus, wo die Ufer des Stromes ihre lachende Miene verlieren, Berg und Felsen, mit ihren abenteuerlichen Burgruinen, sich trotziger gebärden, und eine wildere, ernstere Herrlichkeit emporsteigt, dort liegt, wie eine schaurige Sage der Vorzeit, die finstre, uralte Stadt Bacherach.“ Es geht in dieser Geschichte um die jüdische Gemeinde in diesem Städtchen am Mittelrhein, die seit der Gründung des Ortes durch die Römer hier lebt. Und in dieser Geschichte geht auch um den Märtyrer Werner von Oberwesel.
Der sechzehnjährige Tagelöhner aus armen Verhältnissen wird 1287 ermordet aufgefunden. Seine übel zugerichtete Leiche findet man am Rheinufer in der Nähe von Bacharach. Schnell werden die Juden von den Honoratioren des Ortes beschuldigt, einen Ritualmord an dem Jungen begangen zu haben, um sein Blut am Pessach-Fest zu trinken. Es kommt daraufhin zu einem Pogrom, bei dem die Christen über dreißig Juden ermorden. Anschließend plündern die Bürger die Häuser ihrer Opfer und entledigen sich zugleich ihrer Schulden bei den jüdischen Geldverleihern. Ein gutes Geschäft. Nicht nur in Bacharach, sondern in vielen Orten an Rhein und Mosel kommt es in den folgenden Wochen zu Judenpogromen.
Aber das Geschäft soll noch weiter gehen. Es entsteht ein regelrechter Kult um Werner, der von der katholischen Kirche heiliggesprochen wird. Prächtige Wallfahrtskirchen entstehen am Mittelrhein, um zahlungskräftige Pilger und spendenfreudige Gläubige anzulocken. Im Namen des heiligen Werner wird in den folgenden Jahrhunderten immer wieder zum Judenmord aufgerufen. Die Ruine der Wernerkapelle in Bacharach, das Wahrzeichen der Stadt und ein beliebtes Motiv der Rheinromantik, ist in Wirklichkeit ein Monument des Fremdenhasses, der Gewalt, des deutschen Antisemitismus und der Intoleranz.
„War das nur in Bacharach so? Und nur einmal? Überall, hinauf und hinunter, von Basel bis Straßburg und Mainz und von da bis Worms und Köln und bis in die Niederlande hinunter, überall jüdische Seufzer und Schreie, die sich mit dem rauschenden Strome vermischten, jüdischer Tränen, die in die Wellen flossen, jüdisches Blut, das das Wasser färbte...“, heißt es in einem Reisebericht über Bacharach, der am 25. Juni 1925 in der Zeitung „Der Israelit“ erscheint.
1963, die jüdische Gemeinde von Bacharach ist längst endgültig ausgelöscht, streicht die katholische Kirche Werner endlich aus ihrem Verzeichnis der Heiligen. Bis zu diesem Jahr wurde immer am 19. April das Wernerfest gefeiert. Dennoch gilt er bis heute als einer der sieben Weinheiligen („Der gute Winzerknabe Werner“) und wird in meiner Heimat als Schutzpatron der Winzer verehrt.
UB 40 – Red Red Wine. http://www.youtube.com/watch?v=zXt56MB-3vc

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