„Das Regieren beruht auf zwei Dingen: zügeln und betrügen.“ (Fernando Pessoa: Das Buch der Unruhe)
Herbert und Günther kennen sich schon seit der Schulzeit. Sie sitzen auf der Terrasse ihres Golfclubs. Es ist früher Nachmittag und der Kellner bringt gerade die zweite Runde Gin Tonic und frische Erdbeeren mit Schlagsahne.
Günther: Was für ein herrlicher Sonntag. Und du hast sogar Parlamentsferien.
Herbert: Ja, aber das hat mit echten Ferien nichts zu tun. Es heißt nur, dass ich von Berlin in meinen Wahlkreis reisen muss. Das ist nicht immer angenehm.
Günther: Aber hier bist du doch zu Hause. Wir sind hier aufgewachsen. Ich bin immer froh, wenn ich von meinen Geschäftsreisen zurück bin und meine Heimatstadt wiedersehe.
Herbert: Du bist Unternehmensberater. Dich behelligen die Leute nicht, wenn sie dich auf der Straße sehen. Deine Kunden sind weit weg. Ich begegne meinen Kunden auf Schritt und Tritt.
Günther: Aber ist das in Berlin nicht genauso?
Herbert: Dort erkennt mich aber niemand auf der Straße. Ich bin ja nur ein stinknormaler Abgeordneter. Die Leute kennen ja noch nicht mal alle Minister der Regierung.
Günther: Na, hier im Golfclub bist du wenigstens sicher. Hier wählt niemand SPD.
Herbert: Du Witzbold. Die Wähler schreiben mir Mails, sprechen mich vor meinem Haus an oder kommen in die Bürgersprechstunde in meinem Wahlkreisbüro.
Günther: Und was wollen die Leute von dir?
Herbert: Da geht es zum Beispiel um diese ganzen neuen Freihandelsabkommen. TTIP und wie die alle heißen. Und ich habe keine Ahnung davon. Du arbeitest doch in der Wirtschaft. Was weißt du darüber?
Günther: Ich berate Unternehmen bei der Prozessoptimierung und der Anpassung des Personalbestands an den Auftragseingang. Mit diesen Freihandelsgeschichten habe ich nichts zu tun.
Herbert: Kennst du jemanden, den ich mal fragen könnte?
Günther: Ich rufe mal meine Assistentin an. Junge Leute kennen sich ja mit diesen neumodischen Sachen oft besser aus als wir und haben das im Notfall ganz schnell im Internet recherchiert. Er holt sein Handy aus der Jackentasche und drückt eine Taste. Ja, Krollmann hier, ich grüße Sie, Frau von Weberknecht. Was wissen Sie über die Freihandelsabkommen mit den Amis, TTIP und so? Ich bin gerade in einem Meeting mit einem Kunden. Er hört eine Weile zu. Mhm, ja, mhm, gut. Danke und ich wünsche Ihnen noch einen schönen Sonntag.
Herbert: Und?
Günther: Sie meint, es würde sich positiv auf den internationalen Handel auswirken. Wäre gut für unsere Position als Exportnation. Die Prognosen der Experten schwanken zwischen null und nullkommaeins Prozent Wachstum jährlich nach einer Übergangszeit von etwa zehn Jahren. Rechtlich bedenklich wären die Schiedsgerichte, die Klagen der Unternehmen gegen ganze Staaten bearbeiten sollen, aber weder juristisch noch demokratisch legitimiert wären.
Herbert: Aha. So ist das. Klingt kompliziert. Da werde ich mal meinen Mitarbeiter in Berlin anrufen. Er holt sein Handy aus der Jackentasche und drückt eine Taste. Hallo? Ja die Jenny, grüß dich. Holst du mal den Papa ans Telefon? Das ist lieb. Hallo? Mischa Kloeber, Schattenschneider am Apparat. Ich muss hier gleich ein Interview mit einem Lokalblatt machen. Was wissen Sie über diese ganzen Freihandelsabkommen, TTIP und so weiter? Er hört eine Weile zu. Mhm, ja, mhm, gut. Danke und ich wünsche Ihnen noch einen schönen Sonntag.
Günther: Und?
Herbert: Er hat gesagt, die SPD-Fraktion wird geschlossen für diese Abkommen stimmen.
Günther: Na, dann ist ja alles in Ordnung.
Herbert: Ja, Günther. Prost!
Günther: Prost, Herbert!
Tenpole Tudor – Wunderbar. https://www.youtube.com/watch?v=3bx7QFFlV9M
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen