„Ich werde auf eure Gräber spucken” (Roman von Boris Vian, 1946 erschienen)
Du musst immer wissen, mit wem du dich auf eine Diskussion einlässt. Ein Bekannter von mir, den ich bei einem Familienbrunch am Sonntagmorgen in der „Alten Wache“ in Bingen treffe, hat früher Farben und Lacke in Behindertenwerkstätten und Nervenkliniken geliefert. Eines Tages stand in einer geschlossenen Abteilung ein kahlgeschorener Hüne vor ihm und sagte: „Ich will deine Jacke.“ Er antwortete: „Du kriegst meine Jacke nicht.“ Es waren drei Pfleger erforderlich, um ihn wieder aus dem Schwitzkasten zu befreien, in den ihn der irre Koloss genommen hatte. Manchmal hilft gesunde Vorsicht mehr als kluge Argumente.
Noch eine wahre Geschichte: Ich sitze gestern mit einem Freund nach einer kleinen Wanderung in einer sehr empfehlenswerten Gaststätte auf dem Westerberg in Ingelheim namens „Brauser’s Bergschänke“. Natürlich ist dieser Geröllpickel so wenig ein Berg wie der Kreuzberg oder der Prenzlauer Berg. Aber Uwe Brauser ist ja eigentlich auch kein Schankwirt, er hat nur am Wochenende geöffnet. Der Gast bedient sich selbst, es gibt selbstgebackene Käsebrezel und Kuchen sowie diverse Getränke, sanftmütige Hunde, die sich von jedem streicheln lassen, Sonne und Gelassenheit.
Eine Freundin und ein Freund von ihr setzen sich zu uns. Nach einer kurzen Diskussion über die Merkwürdigkeit unserer rheinhessischen Sprachwelt, in der es ein „abenes Licht“ am Fahrrad (d.h. ein fehlendes), eine „zuene Tür“ (d.h. eine geschlossene) und „besser als wie“ gibt, erzählen die beiden Ex-Ingelheimer, die jetzt in Mainz wohnen, von einem merkwürdigen Klamottenladen, den sie in Mainz entdeckt haben. Der Freund der Freundin erzählt, er sei in den Laden gegangen und wollte sich ein Hemd kaufen. Der Verkäufer hätte ihm auch ein Hemd gegeben, hätte sich aber anschließend nicht mehr um ihn gekümmert. Dann hätte das Telefon geklingelt und der Verkäufer hätte während des Telefonats immer etwas von Kaliber und Munition geredet. Er wäre dann einfach gegangen. Der Laden sei verdächtig oft geschlossen. Er fragte uns, wie so ein Laden überhaupt in Mainz existieren könne.
Ich muss lachen und kläre ihn auf. Im selben Haus, in dem der Klamottenladen ist, lebt ein guter Freund von mir, den ich zufällig eine Stunde nach dem Gespräch besuche, weil wir zusammen in ein Brauhaus in Mainz-Kastel gehen wollen. Außerdem hatte ich mal in derselben Straße schräg gegenüber eine halbes Jahr in WG-Zimmer. Tatsächlich ist der Laden nur eine Tarnung. Eigentlich ist es ein Waffengeschäft. Hier kaufen allerdings keine Ganoven ihre Uzi, sondern Waffensammler historische Schusswaffen. Es würde auch nichts nutzen, ins Ladengeschäft einzubrechen. Dort sind zur Tarnung ein paar Hosen und Hemden vorrätig. Die teuren Sammlerstücke sind im Hinterhaus gelagert. Ich kenne die Eingangstür zum Lager, denn ich komme immer an ihr vorüber, wenn ich meinen Freund besuche – Fort Knox nix dagegen. Manche belanglose Läden bergen ein großes Geheimnis.
Am Abend sitze ich mit besagtem Freund bei Bier und Schnitzel im Brauhaus. Er ist Literaturfan wie ich und natürlich sprechen wir über den Tod von Günter Grass. Karasek sagte ja in einem Interview, der größte Romanautor des 20. Jahrhunderts sei gestorben. Uns schwellen die Halsschlagadern vor Zorn und wir diskutieren über die Plausibilität von Peter Watsons These aus „Der deutsche Genius“: Deutschland habe nach Ausschwitz nur technologisch wieder Anschluss an die Welt gefunden, aber nicht geistig und künstlerisch. Bach, Beethoven, Haydn, Händel, Mozart und wie sie alle hießen in der Musik. Was kam nach dem Untergang des Dritten Reichs? Kraftwerk fällt mir ein. Es ist überschaubar. Es gibt viele berühmte bzw. bekannte Gruppen, Sängerinnen und Sänger – aber bei ihrer Nennung würde man sich ja selbst beschmutzen. Kant, Hegel, Schopenhauer, Nietzsche und wie sie alle hießen in der Philosophie. Selbst Fichte und Schelling sind ja Lichtgestalten gegenüber Habermas, Adorno oder Gadamer.
In der Literatur haben Lessing, Goethe, Schiller, Heine, Novalis, Kafka, Hesse, Mann Werke in deutscher Sprache hinterlassen, die unvergessen bleiben werden. Was kam nach 1945? Böll, Lenz, Handke, Walser, Strauß und eben jener Grass – also niemand im Vergleich zu den Titanen der Vergangenheit. Selbst Bernhard, Fauser oder Herrndorf wirken wie Hilfskellner, die einem Kafka bestenfalls das Wasser reichen dürfen. Darum bewegen mein Freund, mit dem es am 1. Mai wieder gemeinsam nach Franken geht, und ich uns geistig fast ausschließlich im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Was bieten uns die Lebenden an Lektüre?
Wir haben BMW und SAP, ARD und CDU. Aber es gibt seit siebzig Jahren keinen klugen Kopf mehr in diesem Land. Und dann werden Arschkrampen wie Grass oder Schirrmacher bei ihrem Tod abgefeiert, als hätten wir eine Jahrhundertgestalt verloren. Von unserer Zeit wird nichts bleiben. Man wird sich an uns nicht erinnern. Wir haben es nicht verdient, weil wir nichts geleistet haben. Wir waren fleißig und haben uns stets bemüht, wird es einmal verächtlich heißen. Aber wir hatten keine Ideen und haben außer Atommüll und Naturvernichtung kein Erbe hinterlassen. Unsere Nachkommen werden uns wechselweise auslachen und verfluchen.
Nachts fahre ich mit dem „Lumpensammler“ (dem letzten Zug) von Mainz zurück nach Bingen und mit dem Taxi nach Schweppenhausen. Gemeinsam mit dem türkischen Fahrer rege ich mich über die Unfähigkeit der deutschen Politik auf, in diesem reichen Land eine funktionierende Infrastruktur auf die Beine zu stellen. Der Türke erzählt mir, er würde seit 1980 in Deutschland leben und habe den Eindruck, die Deutschen seien von ihrer Mentalität her Soldaten. Gehorsam, aber ohne tiefere Einsicht. Landsknechte in Nadelstreifen. Da gebe ich ihm Recht. Darüber müssen wir nicht diskutieren.
P.S.: Ich war heute auf großer Rheinhessen-Tournee in Mainz, Ingelheim und Bingen. Worüber diskutiert man in diesem Landstrich? Es geht um die zentrale Frage, ob das Logo der Mainzer Dachdeckerfirma Neger (doch, liebe Berufsbetroffene von der Tugendmafia, die Familie heißt so), das einen werkzeugschwingenden afrikanischen Eingeborenen zeigt, rassistisch sei. Sonst haben wir keine Sorgen. Es geht uns zu gut. Viel zu gut. In Rheinhessen wird diese von Felix Schmitt, stellvertretender Pressesprecher der Grünen-Landtagsfraktion in Rheinland-Pfalz, angestoßene Diskussion mit großer Inbrunst geführt (Debattenbeiträge zu diesem Thema können Sie inzwischen aber auch in der FAZ, der Washington Post usw. nachlesen), während in diesen Tagen Tausende von echten NEGERN (ich bitte an dieser Stelle das Sprachkommissariat der feministischen Reichsschrifttumskammer Kreuzberg, Unterabteilung Zigeunerschnitzel, um einen mahnend erhobenen Zeigefinger), die uns um Hilfe bitten, jämmerlich vor Europas Küsten ersaufen. Ich wünsche diesem Land von ganzem Herzen eine tödliche Seuche oder einen dritten Weltkrieg („Finale dahoam“). Ein solches Purgatorium würde uns allen gut tun.
Duke Ellington "All Stars" Octet – Solitude. http://www.youtube.com/watch?v=9KFCCGVj52g
„Finale dahoam“ grandios.
AntwortenLöschenAnsonsten gebe ich dem Herrn absolut Recht, es geht seit den 30ern nix mehr.
Außer Raketen, Radar und so Zeugs wurde nichts Substanzielles mehr entdeckt.
Aber das ist kein deutsches Problem!
Es ist auf der ganzen Welt in den letzten paar Jahrzehnten eine gnadenlose Stagnation eingetreten.
Ein kurzes kulturelles Aufbäumen in den 60/70ern, aber seit dem iss Schicht im Schacht.
Was ich immer sage: 70 Jahre Frieden sind zu viel.
AntwortenLöschenHier noch ein Smiley zur Sicherheit: :)))))mm
LöschenDich will ich sehen, wenn in deinem Kiez wieder um den Endsieg gekämpft wird.
AntwortenLöschenIch kenne deine Gegend noch von 1990.
Da war nicht nur eine MG-Garbe an den Fassaden zu sehen.