Dienstag, 18. November 2014
Niemandsland
Das heutige Sony-Center am Potsdamer Platz liegt auf dem Gelände des ehemaligen Lenné-Dreiecks, vor dem Fall der Mauer ein Niemandsland zwischen Grenze und Westberlin. Ich erinnere mich noch gut daran, als das Gebiet, Teil des DDR-Territoriums, 1988 von etwa dreihundert Westberliner Jugendlichen besetzt wurde. Der Genosse Erich Honecker ließ sie gewähren, da das Gebiet ohnehin kurze Zeit später per Gebietstausch an Westberlin fallen sollte. Die Besetzer wurden von der Westberliner Polizei erst eingezäunt, dann wurde das Gelände nach der Übergabe gewaltsam von neunhundert Polizisten in Kampfanzügen geräumt. Die Besetzer flüchteten durch die Mauer, wurden von feixenden DDR-Grenztruppen mit Frühstück versorgt und über den Grenzübergang Friedrichstraße in den Westen zurückgebracht, ohne dass auch nur eine Verhaftung durchgeführt worden wäre. In der Mauer waren Türen, und wenn die Vopos (die Volkspolizisten der DDR) wollten, konnten sie vor dem »antifaschistischen Schutzwall« jeden verhaften, denn der Meter direkt vor der Mauer auf der Westseite gehörte noch zur DDR. Wer also die Mauer berührte, war bereits auf DDR-Gebiet. Letztlich gehörte die Westseite der »Berlin Wall« aber den Sprayern, deren Werke von Touristen aus aller Welt verewigt wurden – und die Westpolizei war machtlos, da die Mauer nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fiel. Ebenso wenig bekannt ist die Tatsache, dass es in diesem gottverlassenen Winkel des damaligen Westberlin eine Magnetschwebebahn gab, die Teststrecke umfasste aber nur drei Stationen. Wo heute eine Metropolenillusion namens Potsdamer Platz ihr hässliches Haupt in den Himmel hebt, fuhr damals ein knallroter Transrapid für Arme am einsamen Weinhaus Huth vorbei durch die Ödnis ins Nichts, abgesehen von der Besucherplattform und dem Souvenirstand. Bei der Vorführung des Prachtstücks vor etlichen zugereisten Oberbürgermeistern, denen die neue Technologie vorgeführt und angeboten wurde, funktionierte natürlich gar nichts. Immerhin war die Fahrt mit dieser technischen Meisterleistung auf Weltniveau ab dem Spätsommer 1989 kostenlos, dann fiel die Mauer. 1991 wurde die M-Bahn endgültig aufgegeben, nur zwei Jahre nach Inbetriebnahme. Mitten in der Brache, nur wenige hundert Meter von der Mauer entfernt, hatte man außerdem das sogenannte Kulturforum mit dem unförmigen bronzefarbenen Bau der Philharmonie in den märkischen Sand gesetzt, wo sich allabendlich erschöpfte japanische Touristen in den Schlaf geigen ließen.
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