Samstag, 1. November 2014

Der Schutzheilige der Trinker

„In einer Geschichte der Zechkunst darf ein gewisser Tag im Jahr nicht vergessen werden, der seit alter Zeit durch Trinkgelage und Schmausereien, wobei eine fette Gans die Hauptrolle spielte, gefeiert ward. Dieser Tag ist der 11. November, dem heiligen Martin dem Bischof geweiht, welcher Patron der Trinker war“, so heißt es in der "Geschichte des Weins und der Trinkgelage“ von Rudolf Schultze aus dem Jahr 1867. In der Antike war Dionysos der Gott des Weins und des Rausches, wir haben immerhin noch einen Schutzheiligen. Und es ist kein Zufall, dass in den Hochburgen von Karneval und Fastnacht am 11.11. die fünfte Jahreszeit der Narren eingeläutet wird.
Dem alten Germanen gewährte „das Zechen bei seinem Müßiggang und seiner stolzen Arbeitsscheu eine unwiderstehlich lockende Unterhaltung. Den Wilden kommt der Zustand des Rausches himmlisch vor, die Griechen hielten einen immerwährenden Rausch für das schönste Dasein nach dem Tod.“ Vom römischen Historiker Tacitus wissen wir, „dass die Germanen Hunger, Frost und Hitze, aber keinen Durst ertragen konnten, dass kein Volk strenger in seinen ehelichen Sitten war, aber auch keins sich ausgelassener den Gelagen hingab, als das deutsche. Alle Zeit, die es nicht mit Krieg und Jagd ausfüllte, verbrauchte es in träger Ruhe oder mit Zechgelagen, durch welche das Geschwisterpaar Spielsucht und Trinksucht beständig genährt ward.“ Und weiter: „Während der Grieche niemals vor der Hauptmahlzeit Wein trank und in Rom nur Schlemmer zur Zeit der größten Sittenverderbnis schon Morgens trunken waren, durfte der Deutsche fast zu allen Tagesstunden trinken, ohne grade seinem Ruf zu schaden. Er hatte seinen Frühtrunk so gut als seinen Vespertrunk, er verzehrte sein Frühmahl so wenig trocken als sein Spätmahl, er schob zwischen beide Hauptmahlzeiten einen Unter- oder Zwischen-Trunk ein und nahm ganz abgesondert vom Spätmahl noch einen Schlaftrunk beim Zubettgehen. Das Getränk aber, welches er leidenschaftlich liebte, war ein aus Gerste oder Weizen gezogener Saft“, den wir heute schlicht Bier nennen.
Wein wurde bis ins dritte Jahrhundert unserer Zeitrechnung importiert, bevor in Mainz, Speyer und Worms die ersten Weinberge angelegt wurden. Karl der Große wird „als der Gründer des edlen Ingelheimers angesehen. Einst geschah es nämlich, dass er aus seiner Pfalz nach den Bergen hinüberschaute und bemerkte, dass die Sonne sie schon im März so warm beschien, dass der Schnee wegschmolz, das junge Gras hervorspross und die Bäume sich belaubten. Da kam ihm der Gedanke, Wein zu pflanzen, wo noch ein finsterer Wald lag.“ Sein Enkel Ludwig ließ später auch im Rheingau Weinberge anlegen. „Das 16. Jahrhundert ist in der deutschen Geschichte das wahre Zechjahrhundert, in welchem die nationale Untugend ihren höchsten Gipfel erreichte; man teilte sogar zu Anfang desselben unser Vaterland in die Bierländer und in die Weinländer. Zu jenen gehörten Sachsen, Brandenburg, Pommern, Mecklenburg und andere niederdeutsche Gegenden, zu diesen dagegen Schwaben, Franken, Bayern und die oberen Rheingegenden; und da die Gewohnheit des Viel- und Zutrinkens besonders in den ersteren herrschte, so erhielten diese auch den Beinamen der großen oder neuen Trinkländer, während die eigentlichen Weinländer die kleinen oder alten Trinkländer hießen.“
Mit dem Wachstum der Städte begann der Aufstieg der Wirtshäuser: „Die ehrenwertesten Bürger der Stadt saßen im Wirtshaus und überlegten bei einer Maß Wein ernst und reiflich der gemeinen Stadt Nutzen und Geschäfte, ratschlagten auch über das Wohl und Wehe der Familien, der Gewerbe, der Gemeinde oder gar des Heiligen römischen Reichs deutscher Nation. Die Patrizier schickten selbst ihre Söhne in die Trinkstuben, um sie von andern Lastern abzuhalten. Im Lauf der Zeit wurden die Wirtshäuser unter die Aufsicht der Polizei gestellt, welche den Preis der Speisen und Getränke festsetzte und die sog. Polizeistunde einführte, eine Stunde, die den alten Deutschen niemals geschlagen hatte; sie lief dem Charakter der Nation schnurstracks zuwider und wurde auch nur geschaffen, um nicht beobachtet zu werden.“ Und es ging munter weiter: „Das Zechen ward zu einer Kunst, in der es zahllose und furchtbare Virtuosen gab. Ist es doch kaum glaublich, dass zum Beispiel in Zürich, bei dem althergebrachten Frühlingsfest, genannt das Sechseläuten, auf den Trinkstuben der Zünfte für jeden Mann 16 Maß Wein gerechnet wurden. In manchen Städten war das ganze niedre Volk sehr dem Trunk ergeben und verprasste am Sonntag, was es die Woche über verdient hatte.“
Erasmus von Rotterdam beschreibt im 16. Jahrhundert ein deutsches Wirtshaus: „Es ist zum Verwundern, welches Lärmen und Schreien sich erhebt, wenn die Köpfe vom Trinken warm werden. Keiner hört und versteht den Andern. Häufig mischen sich Possenreißer und Schalksnarren in diesen Tumult; und es ist kaum glaublich, welche Freude die Deutschen an solchen Leuten finden, die durch ihren Gesang, ihr Geschwätz und Geschrei, ihre Sprünge und Prügeleien solch ein Getöse machen, dass die Stube dem Einsturze nahe ist.“ Es muss eine schöne Zeit gewesen sein: „Durch die Liebe zum Becher erwarb man nicht nur Ehre und Ansehen, sondern auch Freunde und Popularität.“ Und es „sagte Herzog Ernst von Lüneburg an kurfürstlicher Tafel zu Luther: ‚Herr Doktor, wir wollen gern alle gute Christen sein, aber das Laster der Völlerei können wir nicht ablegen‘.“ „Wie zur Zeit des Mittelalters fahrende Ritter im Lande umherzogen, um mit Ihresgleichen eine Lanze zu brechen, so konnte man noch im vorigen Jahrhundert Edelleute sehen, Meister in der Kunst des Trinkens, welche ihren Ruhm darin suchten, von Hof zu Hof zu reisen und ihre Standesgenossen förmlich auf einen Kampf mit dem Becher herauszufordern“ schreibt der gute alte Schultze im 19. Jahrhundert. Was ist nur aus uns geworden?
„Bei der großen Zechlust des Deutschen kann es nicht befremden, wenn er in allen Ereignissen seines Familien- und Geschäftslebens Gelegenheit zum Trinken fand und sich erschuf. Taufen, Geburtstage, Hochzeiten, Leichenfeier, Käufe und Verkäufe (…).Dem Deutschen ist kein Geschäft zu geringfügig, dass er nicht darauf trinken sollte.“ Und noch einmal soll ein alter Römer zu Wort kommen: „Der Tod, sagt Seneca, ist Nichtsein; der Germane aber glaubt, dass er Nichttrinken ist.“ Darauf sollten wir das Glas erheben! Nach dieser langen Durststrecke von Text …
P.S.: Weitere wichtige Gedenktage sind der 21. Januar (Tag der Jogginghose), 20. April (Internationaler Kiffertag), 6. Mai (Anti-Diät-Tag), 9. Mai (Tag der verlorenen Socke), der erste Freitag im August ist der Tag des Biers und der 19. November ist der Toilette gewidmet. Übrigens wird am zweiten Märzwochenende auch immer der „Tag der offenen Töpferei“ gefeiert, allerdings nur in Deutschland.
Tommy James & the Shondells - Mony Mony. http://www.youtube.com/watch?v=pkMgs3lFwkQ

3 Kommentare:

  1. Wunderschöner Text, aber falscher Musik-Link. Hier der passendere Link: http://www.youtube.com/watch?v=77lhPeQ-on0 Na dann mal Prost!

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    1. Oder: The Pogues - Streams of Whiskey. http://www.youtube.com/watch?v=Yt6osXyGJwI

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  2. Lustig, dass Martin von Tour auch gleichzeitig (u.a.) der Schutzpatron der Abstinenzler ist. So schnell kann es gehen ... :-)

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