Freitag, 28. November 2014

Literatur und Geschäft

Die Sonne ging gerade über dem Minigolfplatz von Bad Nauheim auf. Andy Bonetti konzentrierte sich auf seinen Abschlag beim dritten Loch, an dem es galt, den Windmühlenflügeln vor dem Durchgang auszuweichen, als er den Mann kommen sah.
Er war breitschultrig und hatte ein furchterregendes Gesicht mit einer hässlichen roten Narbe quer über der Stirn und einer riesigen Warze unter seiner fleischigen Nase. Er hatte stark behaarte Hände und eine sorgfältig überkämmte Glatze, außerdem trug er einen schwarzen Anzug und eine Ray Ban-Sonnenbrille.
Ohne Hast näherte er sich und blieb etwa einen Meter vor Bonetti stehen. „Würden Sie mir bitte einen kurzen Augenblick ihrer kostbaren Aufmerksamkeit widmen, Mister Bonetti? Mein Name ist Gary Granada und ich möchte Ihnen im Auftrag von Mister Palermo ein Angebot unterbreiten.“
Er zog einen Vertrag aus der Innentasche seines Armani-Jacketts.
Bonetti strich sich mit der linken Hand durch das Haar. Es war das verabredete Zeichen für Heinz Pralinski, der mit einem Scharfschützengewehr am Fenster des Märchenschlosses an Loch 4 postiert war. Keine Gefahr.
Aber Pralinski blieb aufmerksam. Nur zweihundert Meter entfernt wartete der hünenhafte Fahrer von „Paper Clip“ Granada, Terry „K 2“ Toledo, in einem schwarzen Audi A 8.
Bonetti reichte seinem Kammerdiener Johann den Golfschläger und zog in aller Ruhe seine Golfhandschuhe aus. Er nahm den Vertrag und las konzentriert das achtseitige Dokument. Währenddessen waren nur die Singvögel in den Bäumen zu hören.
„Ich möchte fünfzig Prozent an allen Merchandising-Einnahmen. Und wir werden für die Vermarktung der Bekleidung, Kaffeetassen, Plüschtiere usw. eine deutsche Agentur nehmen, die ich kenne. Bei den Buchverkäufen möchte ich 25 Prozent, nicht 15, national wie international. Und die Filmrechte bekomme ich exklusiv, da ich die Drehbücher selbst zu schreiben pflege.“
„Wie Sie wünschen, Mister Bonetti“, sagte Granada mit einem Lächeln.
Am liebsten hätte er vor Wut laut aufgeschrien. Gerade an den Filmrechten konnte man Millionen verdienen, wenn man eine große Produktionsfirma in Hollywood an Land ziehen konnte. Das wusste er als langjähriger Consigliere von Rocky Palermo natürlich ganz genau. Und hätte Bonetti die amerikanische Vermarktungsgesellschaft akzeptiert, wäre er mit zehn Prozent abgespeist worden. Außerdem hätte man jede Menge Steuern sparen können, da Palermo seine Geschäfte über eine Steueroase abwickelte. 25 Prozent im Kerngeschäft im Buchhandel? Heiliger Scheißdreck! Der Durchschnittsautor bekam zwischen fünf und zehn Prozent des Verkaufspreises. Dieser Bonetti war ein gerissener Hund, das musste man ihm lassen.
„Schicken Sie den überarbeiteten Vertrag an meinen Notar Willy Weberknecht in Bad Nauheim.“
„Sehr wohl, Mister Bonetti.“ Gary Granada zog eine kleine Schachtel aus der Seitentasche seines Jacketts. „Als Zeichen unserer Verbundenheit habe ich noch ein Geschenk von Mister Palermo, das ich Ihnen hiermit überreichen möchte.“
„Besten Dank, Mister Granada. Und richten Sie bitte Mister Palermo herzliche Grüße von mir aus. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit.“
Bonetti hatte bessere Konditionen ausgehandelt als mit seinem alten Verlag. Und mit der New Yorker Connection stand ihm nun der Weg nach Hollywood offen. Ein Oscar für Andy Bonetti? Warum nicht?
Als Bonetti wieder in seinem Arbeitszimmer war, öffnete er die schwarze Schachtel, die mit einem roten Seidenband verschlossen war. Er lächelte, dann trat er vor den großen Spiegel und betrachtete sich.
Er legte sich die Kette mit einem goldenen Totenschädel um, in dessen Augen zwei winzige Smaragde funkelten. Sicherlich trug auch Rocky Palermo einen solchen Anhänger unter seinem Hemd. Nun gehörte er dazu.
Und endlich konnten seine beiden Töchter, Sandy und Candy Bonetti, die er unter falschem Namen im Hotel „Weißes Kreuz“ in Bergün untergebracht hatte, in ihr Internat in Lausanne zurückkehren.
Robert Johnson - Sweet Home Chicago. http://www.youtube.com/watch?v=dkftesK2dck
Info: Robert Johnson gehört dem berühmten „27 Club“ an, da er früh verstorben ist. In seiner offiziellen Biographie auf Wikipedia heißt es: „Da Johnsons Gitarrenspiel sich innerhalb kurzer Zeit so stark verbessert hatte, erzählte man sich, er habe seine Seele an den Teufel verkauft und sei von diesem im Gegenzug in die Geheimnisse des Gitarrenspiels eingewiesen worden.“

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