„Herr
Bonetti, wo waren Sie 1968, im Sommer der Revolution?“
„Ich
arbeitete damals in einem Stahlwerk. Ein waschechter Malocher. Die Hitze am
Hochofen war unerträglich, der Lohn miserabel und ich hatte keinerlei Aussicht
auf eine Verbesserung meiner Lage.“
„Was
geschah dann?“
„Im
Mai nahm ich meinen kompletten Jahresurlaub und ging an die Freie Universität
Berlin, Institut für Soziologie. Damals ein Hort des Widerstands gegen das
System, wie es die Studenten nannten. Gegen das Establishment, gegen die
Politiker.“
„Was
haben Sie dort gemacht?“
„Agitation.
Damals hatten die Studenten kein Klassenbewusstsein. Sie waren sich, im
Gegensatz zur Arbeiterklasse, ihrer Lage nicht bewusst.“
„Wie
sah das konkret aus?“
„Ich habe
auf dem Campus, in der Mensa und in Kneipen mit ihnen diskutiert, ich habe
Flugblätter verteilt, ich nahm an ihren Demonstrationen und Sit-Ins teil. Ich
habe den Studenten klargemacht, dass sie zur Bourgeoisie, zur herrschenden
Klasse gehören. Ich habe ihnen die Augen für die Vorzüge der Markwirtschaft
geöffnet. Der Kapitalismus ist das Gesellschaftsmodell, das ihre Eltern reich
gemacht und ihnen erst das Studium ermöglicht hat. Ich habe ihnen ihre
unfassbaren Privilegien erläutert, von denen wir Arbeiter nur träumen konnten.“
„Hatten
Sie Erfolg?“
„Nein,
sie haben es nicht begriffen. Ich habe sie mit meinen Argumenten nicht
erreichen können. Sie haben nie ein Klassenbewusstsein im Marx’schen Sinne
entwickelt.“
„Und
waren sie enttäuscht?“
„Anfangs
schon. Aber ein paar Jahre später sind diese Studenten in den höheren Dienst
der öffentlichen Verwaltung eingetreten, sie wurden Manager, Zahnärzte und
Rechtsanwälte. Ohne es zu wissen, wurden sie Teil des herrschenden Systems. Sie
haben ihr Leben lang dazu beigetragen, es zu erhalten. Sie wurden finstere
Ausbeuterschweine, Kriegshetzer und Kommunistenfresser, angepasste Arschlöcher
und FDP-Wähler.“
„Das
klingt ja furchtbar. Macht Sie das nicht wütend?“
„Nein,
ich habe Bonetti Media gegründet und meine erste Million gemacht. Heute fahre
ich Porsche und besitze ein Privatflugzeug. Ich wechselte einfach von der
Verlierer- auf die Gewinnerseite.“
„Herr
Bonetti, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.“
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