Die
deutsche Politik hat ein Image-Problem. Die Mehrheit ist mit der aktuellen
Regierung und der Arbeit im Parlament unzufrieden. Die Vorwürfe lauten:
Vetternwirtschaft, Klientelpolitik, Selbstbereicherung (#Maskendeals),
Verbotspolitik u.v.m. Die Parteien erscheinen als hermetisch von der
Bevölkerung abgeschlossene Zirkel, als volksferne Elite, die den Bürger durch
patriarchalische Erziehungsmaßnahmen entmündigen möchte. Die Politiker sind
aber nicht nur Puppenspieler, sondern hängen selbst wiederum an den Fäden der
Lobbyisten aus Industrie und Beratungsunternehmen.
Um
diesem Image entgegenzuwirken, hat man jetzt tief in den Marketingbaukasten
gegriffen und die Bürgerräte erfunden. Auf diese Weise möchte man die Bürger
wieder näher an die politischen Entscheidungsprozesse heranführen und sie für
die Demokratie begeistern. Es erinnert mich alles sehr an die Runden Tische der
Neunziger, als ein Instrument, das in der Transformation der DDR vom
Sozialismus zur Demokratie 1989/90 eingesetzt wurde, als Allzweckwaffe für alle
möglichen Themen genutzt wurde.
Ich
selbst habe zwei Jahre an einer sogenannten Bürgerwerkstatt in Berlin
teilgenommen, bei der es um die Erweiterung des Mauerparks ging. Es war
eigentlich eine Beschäftigungstherapie mit Moderatoren, bunten Kärtchen, die
man beschriften durfte, und endlose Debatten über die Gestaltung der
Erweiterungsfläche. Wir haben beraten, aber die Politiker haben sich nicht
beraten lassen. Schließlich wurde entschieden, eine Hälfte der
Erweiterungsfläche zu bebauen und die andere Hälfte nach den Plänen eines
externen Landschaftsarchitekten zu gestalten.
Wie
sieht der Bürgerrat, der den Bundestag beraten soll, konkret aus? Das Gremium
soll aus160 repräsentativ ausgelosten Bürgern bestehen. Er soll über konkrete
Themen insgesamt vierzig Stunden debattieren und dann eine Empfehlung
aussprechen. Organisiert und moderiert wird der Rat von einem Verein namens
Mehr Demokratie e.V. „Neutrale“ Experten sollen die Diskussion unterstützen.
Natürlich ist die Empfehlung für das Parlament nicht verbindlich. Die ganze
Aktion ist leicht zu durchschauen, selbst für einen Laien.
Ich
habe Fragen:
Wer
kontrolliert die Auslosung?
Wer
definiert, welcher Experte neutral ist? Wer wählt sie aus?
Welche
Mehrheit ist für eine Empfehlung erforderlich? Eine relative oder eine absolute
Mehrheit? Was sagt es uns, wenn siebzig Bürger dafür und sechzig dagegen sind,
während sich der Rest enthält oder bei der Abstimmung nicht erscheint?
Was
verspricht man sich von den Empfehlungen? Erinnert es nicht an die Empfehlungen
des Ethikrats, der ebenfalls nicht demokratisch gewählt ist?
Durch
was sind die 160 Bürger legitimiert, die für 80 Millionen Bürger sprechen
sollen?
Hat
das Gremium die Relevanz von Meinungsumfragen, an denen wenigstens zweitausend
Bürger teilnehmen? Was ist, wenn in einer BILD-Online-Umfrage 150.000 Leute
anderer Meinung sind?
Wie
marginal ist der Einfluss einer solchen Show-Veranstaltung auf den
Gesetzgebungsprozess?
Inwiefern
wird durch einen Bürgerrat die Demokratie konkret gestärkt?
P.S.:
2021 gab es einen Bürgerrat zum Thema Klima, der eine ganze Reihe von
Vorschlägen erarbeitet hat. Die ganze Veranstaltung habe ich gar nicht
mitbekommen. „Was seine Wirkung angeht, so kann der offiziell gelobte Bürgerrat
Klima getrost als Flop bezeichnet werden.“ (Dieter Rucht in: ZEIT-Online,
7.5.2023)
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